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Der sichtbare Feind

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
96 Seiten
Deutsch
Residenz Verlagerschienen am17.02.2015
Diskussionen über die Bedrohung des Privaten durch Abhörskandale und Rasterfahndungen sind an der Tagesordnung. Anna Kim zieht eine Entwicklungslinie von der historischen Aufhebung der Privatsphäre im Verhör zur heutigen Nutzung digitaler Technologien für staatliche Übergriffe. In der Situation des Verhörs wurde das Individuum schon immer einer Willkür des Öffentlichen unterworfen. Anna Kim erzählt die unerhörte, bis in die Antike zurückreichende Geschichte von Verhörtechniken und -strategien und führt uns bis zu den Diktaturen der Moderne, die diese mit Beschattungsexzessen und Schauprozessen perfektioniert haben. So entsteht eine ungewöhnliche Genealogie der Überwachung als öffentlich sanktionierter Gewaltakt.

Anna Kim, geboren 1977 in Daejeon, Südkorea. 1979 Umzug der Familie nach Deutschland. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a.: Robert-Musil-Stipendium 2011, European Union Literature Prize 2012. Zuletzt erschienen: 'Die gefrorene Zeit' (2008), 'Invasionen des Privaten' (Essay, 2011), 'Anatomie einer Nacht' (2012).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDiskussionen über die Bedrohung des Privaten durch Abhörskandale und Rasterfahndungen sind an der Tagesordnung. Anna Kim zieht eine Entwicklungslinie von der historischen Aufhebung der Privatsphäre im Verhör zur heutigen Nutzung digitaler Technologien für staatliche Übergriffe. In der Situation des Verhörs wurde das Individuum schon immer einer Willkür des Öffentlichen unterworfen. Anna Kim erzählt die unerhörte, bis in die Antike zurückreichende Geschichte von Verhörtechniken und -strategien und führt uns bis zu den Diktaturen der Moderne, die diese mit Beschattungsexzessen und Schauprozessen perfektioniert haben. So entsteht eine ungewöhnliche Genealogie der Überwachung als öffentlich sanktionierter Gewaltakt.

Anna Kim, geboren 1977 in Daejeon, Südkorea. 1979 Umzug der Familie nach Deutschland. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a.: Robert-Musil-Stipendium 2011, European Union Literature Prize 2012. Zuletzt erschienen: 'Die gefrorene Zeit' (2008), 'Invasionen des Privaten' (Essay, 2011), 'Anatomie einer Nacht' (2012).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701745005
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum17.02.2015
Seiten96 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1431 Kbytes
Artikel-Nr.3160593
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Der sichtbare Feind (I)

Nun glaube ich zwar nicht und hoffe es nicht,
daß man irgendwann zu Dir kommen sollte,
aber wenn ja, so bitte ich Dich, nur zu sagen,
daß Du zwar weißt, daß ich mit Kim einmal
verheiratet war, aber sonst nichts darüber weißt,
absolut nichts. Entspricht ja auch der Wahrheit.
Es bedrückt mich sehr, dass man doch
von der Vergangenheit eingeholt wird.
Diese Mitteilung ist nur für Dich.
Lots of Love
Mum

Barbara Honigmann,
Ein Kapitel aus meinem Leben
1. Codename Betty Grey

»To collect photographs is to collect the world«, schreibt Susan Sontag.1 Sie bezeichnet Fotografien als erbeutete Erlebnisse, Erfahrungen; sie würden uns lehren zu sehen und auf diese Weise eine Ethik des Sehens vermitteln. Im Akt des Fotografierens beziehe man zur Welt Stellung, stelle sich über sie als Wissende, Wissender; dieses Wissen finde seinen Weg in die Fotografie als Beweis -

ich sitze über einem Stapel von Beweisen: der britischen Geheimdienstakte der österreichischen Fotografin Edith Tudor-Hart.2 Es sind dies allerdings weniger Beweise für Ediths Schuld, nach ihnen wurde gar nicht gesucht, die Schuld war immer schon vorausgesetzt, vielmehr verdeutlichen die Memos, Berichte, kopierten und übersetzten Briefe und Postkarten die staatlichen Eingriffe in das Leben eines Menschen, der als Staatsfeind gezeichnet war. Die Akte, wie sie nun vor mir liegt, ist der Beweis für eine einundzwanzig Jahre andauernde, ich bin versucht zu sagen: staatlich sanktionierte, letztlich psychische Folter, auch wenn heute, so viele Jahre später, die Schuld Tudor-Harts diese Mittel zu rechtfertigen scheint, sie war ein Staatsfeind, wenn auch die Gründe für ihre Kooperation mit dem stalinistischen Regime hehre waren.

2002 wurde die Akte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, seither kann man sie in den National Archives in London einsehen, sogar aus dem Ausland bestellen. So bekamen die Briefe, die Edith ihrem Freund Alexander Tudor-Hart schickte, eine Referenznummer und verwandelten sich in eine Narration, die, obwohl niemals die Intention zur Ewigkeit bestand, Geschichte wurde: Das private Leben wurde nicht nur ein, sondern zwei Mal veröffentlicht.

Edith Tudor-Hart wurde als Edith Suschitzky in Wien geboren, in eine, wie Roberta McGrath schreibt, »freilich unkonventionelle Familie (â¦): jüdisch, doch atheistisch, zur Mittelschicht zählend, doch in einem Wiener Arbeiterbezirk ansässig. Ihre Eltern zählten zu einem lose geknüpften Netz von Männern und Frauen , das um die Jahrhundertwende die linksliberale sozialreformerische Avantgarde von Wien darstellte.«3 1900 gründete ihr Vater gemeinsam mit seinem Bruder Philipp Suschitzky den Anzengruber Verlag, in dem pazifistische und sozialpolitische sowie Schriften zur Frauenemanzipation veröffentlicht wurden. 1938 wurde dieser als sogenannter »jüdischer Betrieb« von den Nationalsozialisten liquidiert; bereits die Erteilung der Konzession 1901 hatte zu einer Kontroverse in Wien geführt, da der Antrag der Brüder mit folgender Begründung abgelehnt worden war: »Der Bezirksrat, der Suschitzkys Ansuchen wegen der angeblichen Unmasse von Buchhandlungen abgelehnt hatte, plädierte hier nämlich für eine Konzessionserteilung an Ignaz Neumann (katholisch!), was die früher angeführte Begründung mangels Localbedarf natürlich ad absurdum führte. In das gleiche Horn blies auch das Bezirksamt, indem es auf das Genügen der Konzessionen im allgemeinen verwies und im speziellen das Gesuch Suschitzkys ablehnte, da , so heißt es wörtlich, S. der herrschenden Partei nicht angehöre u. für einen jüdischen Buchhändler innerhalb der kath. Bevölkerung kein Platz sei. Er werde sich zum Schaden der öffentl. Interessen der Colportage zuwenden oder den Betrieb bald einstellen müssen .«4 Trotz solcher Interventionen konnte schließlich der Buchladen der Brüder in Favoriten geöffnet werden. Diesen Standort hatten sie bewusst gewählt, nicht nur, weil es hier einen »Localbedarf« gab, sondern auch, weil sie mit dem Verkauf der Bücher und der dem Geschäft angeschlossenen Leihbibliothek die Volksbildungsbestrebungen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung unterstützen wollten, die sich damals als Kulturbewegung verstand; Edith Suschitzky sollte die große Armut der Arbeiterschicht in ihren ersten fotografischen Arbeiten in den zwanziger Jahren festhalten.

Das Öffentliche in politischer Gestalt bestimmte und lenkte stets das Leben der Suschitzkys oder wie Wolfgang Suschitzky im Gespräch mit Peter Stephan Jungk sagte: »Wir waren Linke. Unser Vater Sozialdemokrat. Deshalb auch die Buchhandlung in einem Arbeiterbezirk. Wir waren eine Familie, die Marx und Lenin las. Als Mittelschüler gehörten wir der sozialistischen Jugendbewegung an. Sommerlager, Gesang, politische Diskussionen. Aber nie kommunistisch, immer sozialistisch. Wir waren der Meinung, die Reichtümer der Wenigen gehörten besser verteilt, müssten der Arbeiterklasse zugutekommen. Über all das wurde zu Hause gesprochen. Und wir nahmen an den Umzügen am 1. Mai teil, rund um die Ringstraße, und später dann an Kundgebungen gegen die Nazis.«5 Der zunehmende Antisemitismus in Wien sowie die gesellschaftliche und soziale Ungerechtigkeit, mit der sich Edith auch persönlich konfrontiert sah, verarbeitete sie künstlerisch als Fotografin, parallel dazu begann sie eine Ausbildung als Montessori-Lehrerin, die sie 1925 nach England führte. Hier lernte sie Alexander Tudor-Hart kennen, der in Cambridge Medizin studierte, Kommunist und (unglücklich) verheiratet war; sie begann eine Beziehung mit ihm. 1930 wurde sie aus Großbritannien ausgewiesen, nachdem sie auf seinen Vorschlag hin an einer Demonstration am Trafalgar Square zugunsten der Worker s Charta teilgenommen hatte und im Gespräch mit Kommunisten beobachtet worden war. Ausländern war es verboten, sich an sozialen Unruhen zu beteiligen, dies besagten die Alien Acts, daher hatte sich Edith vorsorglich Betty Grey genannt, die Polizei hatte sie trotzdem aufgespürt. Im Jänner 1931, nachdem sie mehrmals verwarnt worden war, musste sie nach Wien zurückkehren. Zwei Jahre später, im Mai 1933, wurde sie wieder verhaftet, diesmal in der Josefstadt; sie hatte Briefe für die linke Unterstützungsorganisation Rote Hilfe bei sich. »Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme arbeitet Edith Suschitzky faktisch als Kurierin für die Kommunistische Partei Österreichs, als diese sich mit einer dramatischen Zunahme staatlicher Repression konfrontiert sah und sich auf ihre zukünftige Illegalität einzustellen begann«6, erklärt Duncan Forbes. Die Briefe hätten um detaillierte Berichte über die Situation in der Provinz gebeten, erst wenige Monate zuvor, im März, war das Parlament aufgelöst und die Verfassung aufgehoben worden. Dollfuß hatte mithilfe des »Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes« die Pressezensur eingeführt sowie Aufmärsche und Versammlungen verboten. Die im Anschluss an die Demonstrationen zum 1. Mai durchgeführten Verhaftungen österreichischer Kommunisten hatte die KPÖ dazu gebracht, ein Rundschreiben aufzusetzen; dieses wurde bei Edith gefunden. Es forderte eine »Einheitsfront« zur Unterstützung politischer Gefangener in Österreich und Deutschland, rief dazu auf, Delegierte zum internationalen Kongress antifaschistischer Arbeiter nach Kopenhagen zu schicken und gegen das Verbot der KPÖ öffentlich zu protestieren sowie verstärkt Parteipropaganda zu verbreiten.

Die Festnahme Ediths führte zu einer Durchsuchung ihres Elternhauses, wo die Polizei einen Mimeographen, einen Aufruf der Partei, höhere finanzielle Beiträge zu leisten, Pamphlete, Briefe, Zeitungen und Bücher, u. a. eine Lenin- Biografie fand. Sie konfiszierte Ediths Foto-Archiv mit Bildern von Demonstrationen der Kommunistischen Partei, die kurz zuvor in Wien abgehalten worden waren; diese Sammlung wurde während einer Überschwemmung des Polizeidepots 1938 zerstört. Edith wurde damals das erste Mal verhört; eine Erfahrung, die sich wiederholen sollte. Es sei ihr gelungen, sich mit ihren Häschern zu einigen, schreibt Forbes, denn sie heiratete nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis Alexander Tudor-Hart und verließ noch im selben Jahr Österreich. Ihren Bruder, der in die Niederlande geflohen war, traf sie später in London wieder, ebenso ihre Mutter. Ihr Onkel Philipp Suschitzky konnte im Frühjahr 1938 nach Frankreich fliehen, er und seine Frau wurden jedoch 1942 nach Auschwitz deportiert. Ihr Vater wählte ein anderes Schicksal: »Der Idealismus und Optimismus, mit dem die Brüder ihr Unternehmen durch die Kriegsjahre und krisenreichen zwanziger Jahre geführt hatten, schien angesichts der politischen Wirklichkeit von 1933/34...
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Autor

Anna Kim, geboren 1977 in Daejeon, Südkorea. 1979 Umzug der Familie nach Deutschland. Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a.: Robert-Musil-Stipendium 2011, European Union Literature Prize 2012. Zuletzt erschienen: "Die gefrorene Zeit" (2008), "Invasionen des Privaten" (Essay, 2011), "Anatomie einer Nacht" (2012).