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Cantando

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
210 Seiten
Deutsch
Verlag Krug & Schadenbergerschienen am05.12.20141. Auflage
Durch ein Bündel alter Briefe erfährt die Berliner Fotografin Ruth Siebert von der großen Liebe ihrer verstorbenen Mutter - einer Liebe, die zur Zeit der Nazi-Herrschaft keine Zukunft hatte. Die Briefe zeichnen die Spur einer Emigration nach, die in der Auvergne endet. Ruth beschließt, sich auf die Suche nach dieser großen Liebe ihrer Mutter zu begeben, und fährt nach Frankreich. Dort macht sie eine erstaunliche Entdeckung ... Und gewinnt außerdem Klarheit über ihre Gefühle für Lilli, die Saxophonistin mit der Leidenschaft für Tango und Jazz. Über eine Spurensuche, die in die Vergangenheit führt, werden die Lebens- und Liebesgeschichten von Frauen verschiedener Generationen auf kunstvolle Weise miteinander verwoben.

Sonja Steinert lebt als Literaturwissenschaftlerin und freie Autorin in Berlin. 'Cantando' ist ihr erster Roman. Ihr zweiter, 'Maschas Geschichten', erschien ursprünglich im Wiener Milena Verlag. Eine E-Book-Ausgabe ist in Vorbereitung.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR6,99

Produkt

KlappentextDurch ein Bündel alter Briefe erfährt die Berliner Fotografin Ruth Siebert von der großen Liebe ihrer verstorbenen Mutter - einer Liebe, die zur Zeit der Nazi-Herrschaft keine Zukunft hatte. Die Briefe zeichnen die Spur einer Emigration nach, die in der Auvergne endet. Ruth beschließt, sich auf die Suche nach dieser großen Liebe ihrer Mutter zu begeben, und fährt nach Frankreich. Dort macht sie eine erstaunliche Entdeckung ... Und gewinnt außerdem Klarheit über ihre Gefühle für Lilli, die Saxophonistin mit der Leidenschaft für Tango und Jazz. Über eine Spurensuche, die in die Vergangenheit führt, werden die Lebens- und Liebesgeschichten von Frauen verschiedener Generationen auf kunstvolle Weise miteinander verwoben.

Sonja Steinert lebt als Literaturwissenschaftlerin und freie Autorin in Berlin. 'Cantando' ist ihr erster Roman. Ihr zweiter, 'Maschas Geschichten', erschien ursprünglich im Wiener Milena Verlag. Eine E-Book-Ausgabe ist in Vorbereitung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783944576503
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum05.12.2014
Auflage1. Auflage
Seiten210 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2266 Kbytes
Artikel-Nr.3161825
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Durch die geöffneten Fenster trägt der Wind den Geruch regengesättigter Erde und feuchter Luft. Über den schnell dahinziehenden Wolken werden kleine Fetzen des Himmels sichtbar. Wie Inseln liegen sie eingebettet in ein graues Meer. In dem kleinen Garten auf der windabgewandten Seite des Hauses, gebaut aus den Steinen der Gegend, stehen schon einige Rosen in Blüte. Eine Reihe hellblauer Hortensienbüsche schmiegt sich in die Ecke zwischen der Hauswand und der steinernen Treppe, die in einen windgeschützten Eingang mündet. Die schwere Holztür schwingt leise, vom Wind bewegt. Im Haus selbst ist es kühl. An den Abenden wird es noch so kalt, dass es notwendig ist, den mächtigen eisernen Ofen zu feuern, der im größeren der beiden Räume steht. Die Wärme breitet sich dann allmählich aus, aber die kleine Schlafkammer wird nie so richtig gemütlich warm. In der Küche hingegen sorgt der Herd für Behaglichkeit, und in der eingelassenen kupfernen Kasserolle dampft warmes Wasser. Der dunkle Eichentisch, dessen eine Schmalseite an die Wand zwischen den beiden Fenstern stößt, ist mit Papieren, Büchern und Tüten voller Lebensmittel bedeckt. Dazwischen stehen zwei blaue Steinguttassen mit Milchkaffeeresten und ein metallener Aschenbecher, in dem sich die Asche und die Reste zahlreicher Gauloises angehäuft haben. In einem kleinen Körbchen liegt ein halbes Croissant, daneben steht eine buntbemalte Schüssel mit Bananen und Äpfeln. In der engen Speisekammer, die sich an die Küche anschließt, räumt Ruth aus einer blauen Plastikkiste, die sie mit Anstrengung aus dem Kofferraum des Citroëns herausgehoben und ins Haus getragen hat, die eingekauften Lebensmittel in die staubigen hölzernen Regale. Sie spürt ein leichtes Ziehen in der Magengegend, das sich wie Hunger anfühlt, und überlegt, was sie gleich kochen wird. Ihre Hand gleitet über die Kartoffeln. Es wird wohl wieder ein Gratin mit einer Schüssel voll Salat dabei herauskommen. Viel Lust zum Kochen hat sie nicht, es ist so viel anderes zu tun, und die Zeit ist knapp. Als sie aus der Speisekammer wieder in die Küche tritt, fällt ihr Blick durch eines der beiden Fenster, und sie sieht mit einer tiefen Freude, dass der Himmel jetzt völlig leergefegt ist von den Gewitterwolken und in eben dem intensiven Blauviolett strahlt, das sie mit diesem Ort und keinem anderen verbindet, seit sie vor über sieben Jahren das erste Mal hierher kam. Sie tritt ans Fenster, öffnet die beiden Flügel und atmet die frische Luft ein. Der Wind hat nachgelassen. Sie steht und schaut, und jetzt, zum ersten Mal, seit sie vor zwei Tagen in Mezières angekommen sind, hat sie das Gefühl, zu Hause zu sein. Aber das stimmt ja gar nicht, widerspricht sie sich erschrocken in Gedanken. Monsieur Mathieu fehlt. Nichts stimmt mehr. Gleich am ersten Abend sind sie zu seinem Grab gegangen. Auf einem einfachen Holzkreuz lasen sie seinen Namen, sein Geburts- und Sterbejahr. Schweigend haben sie davorgestanden. In ihre Traurigkeit mischte sich ein Gefühl von Unwirklichkeit.

Ein Poltern vor der Tür unterbricht Ruths Gedanken. Sie dreht sich um und sieht Lilli mit einem Armvoll knorziger Holzstücke, die ihr bis fast unters Kinn reichen, vorsichtig durch die Eingangstür kommen. Lilli ist so auf die Last in ihren Armen und den Weg zum großen Ofen konzentriert, dass sie Ruth gar nicht wahrnimmt. Ihre kurzen blonden Haare stehen in alle Richtungen, ihre Jeans ist an den Knien fleckig, und in ihrem schwarzen Baumwollpullover hängen kleine Rindenstückchen und Gräser. Ruths Blick fällt auf Lillis große, kräftige Hände, die sie so oft in ihren Bewegungen auf dem Saxophon bewundert hat. Lilli leckt sich vor Anstrengung die Lippen. Sie wirft einen schnellen Blick auf Ruth und lächelt. »Gleich wird s warm«, verspricht sie. Ruth schließt das Fenster, folgt Lilli aus der Küche ins Zimmer und schließt auch dort die Fenster. Dann kniet sie sich neben Lilli, die geschickt beginnt, das Holz in den großen Ofen zu schichten, ein Stück Zeitungspapier greift, es darunter legt und anzündet. Die Flammen züngeln am Papier empor und erfassen das Reisig, das darüber liegt.

»Hoffentlich reicht uns das Holz für die paar Tage, die wir hier sind«, sagt Ruth und sieht fasziniert in die Flammen. Lilli hat sich auf den Dielenboden vor den Ofen gesetzt und richtet den Blick unverwandt auf das Feuer. Ihr Gesicht und ihre Hände werden ganz heiß. Langsam lehnt sie sich ein wenig zurück, stützt sich nach hinten mit den Armen ab.

»Kein Problem«, meint sie sorglos. »Wenn nicht, organisieren wir uns welches.«

Minutenlang bleiben sie auf dem Fußboden vor dem knisternden und prasselnden Feuer sitzen. Jede hängt ihren Gedanken nach. Schließlich lehnt Lilli die beiden schweren Türen des Ofens an, ohne sie indes vollständig zu schließen. »So«, sagt sie zufrieden. »Ich räume jetzt ein bisschen auf, koche Kaffee, und du machst was zu essen, ja? Ich hab einen Wahnsinnshunger!« Lilli dreht sich nach Ruth um und lächelt sie an.

Von außen erweckt das graue Steinhaus mit dem Schieferdach den Eindruck eines riesigen zusammengekauerten Tieres, das mit seinem Rücken Wind und Unwetter von dem kleinen Garten abhält. Die rauhe, weitläufige Gebirgslandschaft bietet während der Sommermonate den Rinder- und Schafherden, die in den Garrigues und an der Küste kein Auskommen finden, Weide und Wasser. Heidekraut und Ginster, dessen blendendes Gelb von weitem leuchtet, wachsen überall. Im Sommer gibt es häufig Gewitter und plötzliche Wetterumschläge; die Winter sind lang und hart, mit Schneestürmen und Nachtfrösten bis in den April. Fast immer gibt es Wind, und an manchen Tagen ist der Himmel blauviolett.

Das Haus von Monsieur Mathieu sieht aus wie die meisten anderen Häuser des Dorfes Mezières, am nördlichen Rand der Cevennen im Département Lozère gelegen, dem Quellgebiet des Tarn. Auf halber Höhe zwischen dem Ortskern, der durch die schiefergedeckte Kirche mit dem niedrigen Turm und den von Kastanien gesäumten rechteckigen Rathausplatz markiert wird, und dem weitgestreckten flachen Granitrücken des Mont Lozère gebaut, bietet es aus den vorderen, dem Ort zugewandten Fenstern - also in nordwestlicher Richtung -, einen offenen Blick übers Land; auf der gegenüberliegenden, dem langgestreckten Hang zugewandten Seite des Hauses liegt ein kleiner, von Monsieur Mathieu liebevoll gepflegter Garten im Windschatten. Ein holpriger Weg, dessen Pflasterung durch den Frost immer wieder aufgebrochen ist und seit Jahren stets nur notdürftig erneuert wird, verbindet das Anwesen mit dem Dorf. In dem gepflasterten Hof, dessen graue Steine unter dem dichten Grasbewuchs fast unsichtbar geworden sind, überragt eine mächtige Kastanie den Dachfirst. Eine sechseckige hölzerne Bank umschließt den Stamm. An einem Brunnen mit einer inzwischen schwarz gewordenen gusseisernen Pumpe und einem windschiefen Schuppen vorbei verläuft ein kaum erkennbarer Weg hinters Haus, wo fünf, sechs ausgetretene steinerne Stufen zur Eingangstür hinaufführen. Links davon, hinter einer zweiflügeligen, mit Eisenbeschlägen versehenen Tür, liegt ein kleiner Keller. Vom Windfang aus, der den Hauseingang an der Ecke zum Garten schützt, betritt man das größere der beiden Zimmer. Das schwere dunkle Eichenbuffet nimmt beinahe die ganze rechte Wand ein. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand, deren beide Fenster den Blick auf den Hof, die Kastanie und in weiterer Entfernung den Ort freigeben, steht eine mit braun-rot gemustertem, durch die Jahre stumpf gewordenem Plüschsamt bezogene Chaiselongue. Ein zierlicher runder Tisch, unter dessen sandfarbener, spitzengesäumter Decke die geschwungenen Füße hervorsehen, befindet sich in der Mitte des Raumes, umgeben von drei verschiedenen Stühlen aus dunklem Holz. Ein Ohrensessel, mit demselben Plüschsamt bezogen wie die Chaiselongue, steht an der Wand links von der Eingangstür, und gleich daneben befindet sich der große gusseiserne Ofen. Rechts davon liegt Feuerholz in einem geräumigen alten Weidenkorb; links führt eine Tür in die Küche. Sie bildet das Herzstück des Hauses: mit dem Herd, dem langen dunklen Eichentisch, dessen Schmalseite an die Wand zwischen den beiden hofseitigen Fenstern stößt, den beiden dunklen Stühlen und der niedrigen Anrichte, daneben die Spüle und der Eingang zur Speisekammer. Der Dielenboden, den man im ganzen Haus findet, ist um den Ofen und den Herd herum durch Steinplatten ersetzt. Hinter der Küche befindet sich ein kleiner Flur mit zwei Türen, die linke führt zu dem kleinen Schlafzimmer, die rechte ins Badezimmer. Mit ihrem dunklen Holz lassen Bett, Kommode und die kleine Bank vor dem nach Nordosten blickenden Fenster die Schlafkammer eng und fast bedrückend wirken. Das Badezimmer hingegen wirkt größer als es ist mit seinen Kacheln, deren Cremeweiß unmittelbar über dem Fußboden und in Schulterhöhe durch eine umlaufende blaue Leiste unterbrochen wird. Der hohe Ofen, der mehr als drei Stunden braucht, um das Wasser für ein heißes Bad zu erwärmen, und die Wanne, deren Emaillierung an einigen Stellen abgesplittert ist, stehen auf leicht geschwungenen gusseisernen Füßen. Eine blau-weiß gestreifte Gardine weht durch das offene Fenster wie eine Fahne.

2

Nach dem Essen, als es bereits dämmert, gehen Lilli und Ruth ein Stück spazieren. Die Erde ist weich und nachgiebig unter ihren Schritten. Sie nehmen den Weg, der den langgestreckten Hang hinaufführt, zwischen den niedrigen Ginsterbüschen hindurch. Nach der anstrengenden Autofahrt von Berlin hierher in die Cevennen tut es gut, auf den vertrauten Wegen unterwegs zu sein, begleitet von den Geräuschen der anbrechenden Nacht, die Müdigkeit in den Gliedern zu spüren und anzukommen.

Anfang April hatte Ruth den Brief...
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