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Das Wasser so kalt

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
368 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am21.04.20161., Aufl
Nomen ist nicht immer Omen. Das zumindest weiß Marie Glücklich sicher. Frisch verlassen, stellen- und mittellos, kehrt sie in ihre schwäbische Heimat zurück. Als eine alte Schulfreundin ihr einen Job vermittelt, lässt sie sich, wenn auch widerwillig, auf die Sache ein: Das Institut für Demoskopie in Allensbach sucht für eine Studie über den 'Einfluss des Internet auf die Partnersuche' allein stehende Männer und Frauen, die in einer Online-Kontaktbörse ein Inserat aufgeben. AAls Marie wenig später anonyme Anrufer erhält und in der Nähe ihres Hauses am Seeufer die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, ist sie allerdings nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung war.

Anja Jonuleit, 1965 in Bonn geboren, ist Übersetzerin und Dolmetscherin. Sie lebte und arbeitete in New York, Bonn, Rom, Damaskus und München. 1994 kehrte sie mit ihrer Familie an den Bodensee zurück. Sie ist Mutter von vier Kindern.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,49

Produkt

KlappentextNomen ist nicht immer Omen. Das zumindest weiß Marie Glücklich sicher. Frisch verlassen, stellen- und mittellos, kehrt sie in ihre schwäbische Heimat zurück. Als eine alte Schulfreundin ihr einen Job vermittelt, lässt sie sich, wenn auch widerwillig, auf die Sache ein: Das Institut für Demoskopie in Allensbach sucht für eine Studie über den 'Einfluss des Internet auf die Partnersuche' allein stehende Männer und Frauen, die in einer Online-Kontaktbörse ein Inserat aufgeben. AAls Marie wenig später anonyme Anrufer erhält und in der Nähe ihres Hauses am Seeufer die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, ist sie allerdings nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung war.

Anja Jonuleit, 1965 in Bonn geboren, ist Übersetzerin und Dolmetscherin. Sie lebte und arbeitete in New York, Bonn, Rom, Damaskus und München. 1994 kehrte sie mit ihrer Familie an den Bodensee zurück. Sie ist Mutter von vier Kindern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863586584
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum21.04.2016
Auflage1., Aufl
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4040 Kbytes
Artikel-Nr.3248990
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Bleiweiß

Samstag, 21. Oktober

Wie lange war es her? Fünfzehn, siebzehn, achtzehn Jahre? Marie Glücklich blickte hinaus auf den See, der irgendwo in der Ferne mit einem bleiernen Himmel verschmolz. Dicke, schwere Tropfen fielen auf die Wasseroberfläche und sahen dabei aus wie Tausende und Abertausende winziger Zirkuszelte. Die Äste der alten Weide wurden von einer Bö erfasst, einzelne Blätter wirbelten in einem wilden Tanz durch die Luft. In Maries Kopf dröhnten dumpfe Stimmen, die ihr zuraunten: Du hast Schiffbruch erlitten und kommst zurückgekrochen, eine Verliererin.

Sie wandte sich ab, und ihr Blick fiel auf die Kartons, die überall im Zimmer herumstanden. Das also war ihr nach all den Jahren geblieben. Ein Dutzend Kisten und Kartons, ihre Bilder. Ein paar Möbel und ein altes Klavier. Sie bückte sich und öffnete einen der Kartons. Farben und Pinsel. Rasch schloss sie ihn wieder. Wie lange würde diese Blockade anhalten? Seit vier Wochen hatte sie keinen Pinsel mehr angerührt. War herumgetappt wie in einem dunklen Tunnel ohne Ausgang. Müde schlug sie die nächste Kartonklappe auf. Geschirr. Die blaue Tasse mit dem geflügelten Herz. Gestern, das war wie aus einem anderen Leben.

Spät in jener Nacht, nachdem Lorenz ein paar Sachen in einen Koffer gepackt und das Haus verlassen hatte, hatte Marie die Szene immer und immer wieder durchgespielt. So, wie sie im Nachhinein gerne reagiert hätte. Wie ein distanzierter Beobachter sieht sie sich selbst auf dem schwarzen Sofa, das rote Haar umrahmt in wilden Locken ihr Gesicht; entspannt zurückgelehnt sitzt sie da, die Beine untergeschlagen, ein Glas Rotwein in der Hand.

Da ist Lorenz, abwechselnd stehend und gehend, der nervös nach den richtigen Worten sucht, sich verhaspelt, wieder von vorne beginnt.

»Was ist los?«, fragt Marie die Souveräne. Lässig, in sich ruhend.

»Ich ... ich muss mit dir sprechen. Es geht um uns.« Lorenz, unsicher und stotternd. Schließlich bricht es aus ihm heraus: »Ich glaube, wir sollten uns eine Weile trennen.«

»Wie bitte?« In Maries Stimme schwingt ein belustigter Unterton mit. Als könne sie das Gesagte auf keinen Fall ernst nehmen. Lorenz, der am Fenster steht, dreht sich um und wiederholt noch einmal denselben Satz, sicherer diesmal. Bestimmter. »Ich möchte mich von dir trennen. Eine Weile allein leben.«

Marie die Souveräne blickt Lorenz direkt in die Augen und sagt ohne mit der Wimper zu zucken: »Keine schlechte Idee. Den Gedanken hatte ich auch schon.«

Lorenz, wie vom Donner gerührt, fassungslos. Wird wieder unsicher.

»Wie? Diesen Gedanken hattest du auch schon ...«

Marie die Kalte geht nicht auf das Gestotter ein, stellt eine Gegenfrage. Denn wer fragt, führt.

»Hast du 'ne andere?« Nicht eine andere, nein, 'ne andere. Das ist cooler.

Lorenz der Verdatterte weiß nicht so recht, wie er reagieren soll.

»Ja ... ich meine, nein ...«

»Was denn nun? Beides geht ja wohl schlecht.«

»Ich habe eine Frau kennengelernt, an der Akademie. Ich brauche ein wenig Abstand, um mir über meine Gefühle klar zu werden.«

»Nun, den Abstand kannst du gerne bekommen. Wenn du wiederkommst, glaube nicht, mich noch hier vorzufinden.« Ein eisiger Blick aus grünen Augen von Marie der Coolen.

Aber so war es nicht gewesen. Und wenn sie daran zurückdachte, wie es gewesen war, fühlte sie immer noch das Elend, diese klumpige Übelkeit in sich aufsteigen, die einen dazu treibt, sich zu erbrechen. Alles aus sich herauszukotzen. Ich möchte, dass wir uns eine Weile trennen. Eine Weile trennen. Trennen. Die Worte hallten, wie von einem endlosen Echo getragen, in ihrem Kopf wider. Drückten von innen gegen die Schädeldecke und gaben ihr das Gefühl, dass ihr Kopf zu eng war, ihr Hirn zu klein, um die wahre Bedeutung des Gesagten zu erfassen. Sie saß da, auf dem schwarzen Sofa aus glattem Leder, das sie noch nie gemocht hatte, die Schultern vornübergebeugt. Mit einem Mal hatte sie keine Energie mehr. War wie leer gepumpt. Ein Reifen ohne Luft, schlaff und nutzlos, nur noch Hülle.

Von Ferne drang seine Stimme an ihr Ohr ... Eine andere Frau kennengelernt ... muss mir klar werden, was ich will ... eine Weile Abstand ... ein Haufen Klischees, wie aus einem schlechten Film, eine Szene aus einer brasilianischen Endlosserie, Folge siebenhunderteinundachtzig.

»Ich wollte nicht, dass du es so erfährst.«

»Aber ich habe es so erfahren!«

»Seit Wochen übe ich das nun schon in meiner Fantasie, wollte es dir immer wieder sagen. Aber ich konnte nicht.«

Seit Wochen. Und gestern Nacht hast du noch mit mir geschlafen, du Schwein! Sie wollte ihm die Worte entgegenschleudern, ihn in seiner Rolle als ach so verständnisvoller Vater, der ein unangenehmes, aber notwendiges Gespräch führt, erschüttern. Ihm diese Ruhe entreißen. Ihm mit der Hand ins Gesicht schlagen. Doch sie tat nichts von alledem. Sie sah, wie er sich wieder zum Fenster drehte und in den strahlend blauen Spätsommertag hinausblickte. Hinaus in ein Leben, in dem sie keinen Platz mehr hatte.

»Und wie soll es nun weitergehen?«, fragte Marie nach einer Weile, und ihre Worte klangen hohl. Als wäre der Raum bereits leer, als habe jemand die Möbel und ihr Leben schon ausgeräumt und an einen anderen Ort, den sie noch nicht kannte, verbracht.

»Ich werde mir ein Apartment nehmen. In der Nähe der Akademie. Du kannst natürlich hier wohnen bleiben. Bis du etwas anderes gefunden hast.«

»Ich will hier nicht weg«, sagte sie quengelnd, unmündig, wie ein Kind, über dessen Kopf hinweg bestimmt wird, was es zu tun hat. Und das doch schon weiß, wie die Entscheidung der Erwachsenen ausfallen wird.

»Du kannst natürlich auch hier bleiben und dir einen Untermieter nehmen.«

»Du hast gesagt, du willst dich vorübergehend von mir trennen. Wirst du zurückkommen?«

»Ich weiß es nicht.« Er sah sie bedauernd an. Bedauernd und voller Mitleid.

Ich brauche dein Mitleid nicht! Sie spürte Wut in sich aufsteigen, wusste aber nicht, was sie damit anfangen sollte. Vermutlich hätte sie blödes Zeug herausschreien sollen wie »Pack deinen Krempel und verschwinde von hier«!, »Verpiss dich und komm mir nie wieder unter die Augen!« oder »Ich bedaure, dass ich dich je kennengelernt habe, du mieser Verräter«.

Doch all das sagte sie nicht. Sie saß nur da. In diesem Gefühl, langsam im Moor zu versinken. Wenn du weißt, gleich ist es so weit, gleich quillt der Matsch dir in den Mund, in die Nasenlöcher, die Augen, in deinen Hals, deine Lungen. So ist das also, wenn man verlassen wird. So. Wie kann man sich zugleich wie ein Kind und uralt fühlen? Wohl weil Kinder und Greise eines gemein haben: die Hilflosigkeit.

Später, in der Nacht, ihrer letzten gemeinsamen Nacht, saß sie neben ihm im Bett und sah ihn an. Saß stumm da und sah ihn an und weinte. Lautlos. Sie küsste ihn verstohlen auf die Schulter. Wenn du gehst, dachte sie, wird es sein, als wärst du gestorben. Immer wieder kehrte dieser Gedanke zu ihr zurück, und sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Gegen Morgen kam noch ein anderes Gefühl dazu. Eine eigenartige Mischung aus Existenzangst und Trotz, verursacht durch den Gedanken an ihr Konto, auf dem noch genau sechshundertfünfundfünfzig Euro und dreiundzwanzig Cent waren.

*

Die Lichter am Schweizer Ufer blinkten in der Dunkelheit. Von ihrer Wohnung im neunten Stock konnte sie den ganzen See überblicken. Die Nacht war sternenklar, und ein warmer Wind strich über ihr Gesicht. Sie konnte nicht verstehen, warum so viele Leute über den Föhn klagten. Bei diesem Wetter fühlte sie sich erst richtig lebendig. Der Ausblick von ihrem Balkon entschädigte sie für die dumpfe Beklemmung, die sie immer wieder überfiel, wenn sie durch das weiße, kahle Treppenhaus zum Aufzug ging, wenn ihr Blick auf den grau gefleckten Steinboden fiel oder auf die Stahltüren des Fahrstuhls.

Sie schloss die Balkontür. Es blieben ihr noch knapp zwei Stunden, um sich auf heute Abend vorzubereiten. Sie ging ins Bad und trat vor den Spiegel. Sah in ihr Gesicht, auf dem das Leben seine ersten Spuren hinterlassen hatte, ein Gesicht, dessen Linien schon erkennen ließen, wie es im Alter einmal aussehen würde. Sie beugte sich über die Badewanne, drehte den Hahn auf, und ein heißer Strahl prasselte auf den Wannenboden. Schnell drückte sie den Stöpsel herunter. Sie sah noch einmal in den Spiegel. Aber mein Haar ist immer noch genauso schön wie vor zehn, zwanzig Jahren, dachte sie. Wie Seide, hatte ihre Mutter immer gesagt, wie reine Seide.

Bei dem Gedanken an den heutigen Abend fühlte sie Unbehagen in sich aufsteigen; spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden und sich ihr Magen zusammenzog. Dabei hatte sie sich anfangs auf den Abend gefreut. Aber das war, bevor sie den Brief erhalten hatte. Wenn sie nur lockerer sein könnte, ein bisschen unverkrampfter. Und mutiger. Aber sie ging nun einmal so selten tanzen. Erst recht auf einem Schiff. Aber immer noch besser als die anderen Fahrten, zu denen er sie überreden wollte. Wie die Heurigenfahrt von Bregenz aus. Wo sie doch überhaupt keinen Wein mochte. Oder dieses »Fondueschiff...
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