Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Altai

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Assoziation Aerschienen am26.08.20161. Auflage
Venedig 1569. Eine gewaltige Detonation erschüttert die Nacht, der Himmel lastet rot auf der Lagune. Das Arsenal, die Werft der Serenissima, steht in Flammen, die Jagd auf die Schuldigen wird eröffnet. Ein Agent des Consigliere wird zu Unrecht verdächtigt und flieht nach Istanbul. Hier trifft er Joseph Nasi, der von einer Heimstätte für die verfolgten Juden träumt. 'Altai' ist ein Roman über Macht, Verfolgung, religiöse Toleranz und das Verhältnis von Mitteln und Zwecken. Dem italienischen Autorenkollektiv Wu Ming ist mit 'Altai' ein spannender Folgeband für den Roman 'Q' gelungen.

Seit 1994 trat unter dem Phantomnamen Luther Blissett eine Gruppe subkultureller Aktivisten aus Bologna auf, die nach zahlreichen spektakulären Aktionen im Stile der Kommunikationsguerilla ihr Tätigkeitsfeld auf die Literatur verlegten. Mit ihrem Reformationsepos 'Q' gelang ihnen ein Überraschungserfolg. Der historische Thriller wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und avancierte zum internationalen Bestseller. Anschließend setzten die Autoren ihre Arbeit unter dem Namen 'Wu Ming' fort. Seitdem hat das Kollektiv mehrere Romane veröffentlicht, denen gemein ist, die offizielle Geschichte gegen den Strich zu bürsten, um gegen das Kontinuum der Herrschaft Räume der Utopie zu öffnen.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextVenedig 1569. Eine gewaltige Detonation erschüttert die Nacht, der Himmel lastet rot auf der Lagune. Das Arsenal, die Werft der Serenissima, steht in Flammen, die Jagd auf die Schuldigen wird eröffnet. Ein Agent des Consigliere wird zu Unrecht verdächtigt und flieht nach Istanbul. Hier trifft er Joseph Nasi, der von einer Heimstätte für die verfolgten Juden träumt. 'Altai' ist ein Roman über Macht, Verfolgung, religiöse Toleranz und das Verhältnis von Mitteln und Zwecken. Dem italienischen Autorenkollektiv Wu Ming ist mit 'Altai' ein spannender Folgeband für den Roman 'Q' gelungen.

Seit 1994 trat unter dem Phantomnamen Luther Blissett eine Gruppe subkultureller Aktivisten aus Bologna auf, die nach zahlreichen spektakulären Aktionen im Stile der Kommunikationsguerilla ihr Tätigkeitsfeld auf die Literatur verlegten. Mit ihrem Reformationsepos 'Q' gelang ihnen ein Überraschungserfolg. Der historische Thriller wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und avancierte zum internationalen Bestseller. Anschließend setzten die Autoren ihre Arbeit unter dem Namen 'Wu Ming' fort. Seitdem hat das Kollektiv mehrere Romane veröffentlicht, denen gemein ist, die offizielle Geschichte gegen den Strich zu bürsten, um gegen das Kontinuum der Herrschaft Räume der Utopie zu öffnen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862416202
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum26.08.2016
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1190 Kbytes
Artikel-Nr.3264034
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
ERSTER TEIL

Mi star (Der bin ich)
13. September - 10. Dezember 1569
1.

Als es krachte, war ich noch wach. Ich saß bei Kerzenlicht am Tisch, blätterte in Anzeigen und Anschuldigungen und lernte Namen und Adressen von Spionen auswendig. Meine Trommelfelle schienen zu platzen, der Fußboden bebte und ein Hagel aus Glassplittern und Putz ging auf mich nieder, wovon ich noch Tage später Reste in meinen Haaren fand.

Im Zimmer war es jetzt dunkel. Nur in der Fensteröffnung war ein heller Lichtschein wie beim Sonnenaufgang zu sehen, obwohl es tiefe Nacht war. Der Wind trug den Geruch von Pulver und Kanonen herein.

Ich beugte mich aus dem Fenster und sah eine riesige Feuerfackel hinter der Turmspitze von San Francesco bis zu den Sternen hinauflodern.

Das müssen die Tezoni, die Hallen für die Salpetergewinnung, sein, fuhr es mir durch den Kopf, die Docks, das Gebäude des Arsenals. Das Herz der Serenissima stand in Flammen.

Hals über Kopf stürzte ich die Treppe hinunter. Das Eingangstor war aus den Angeln gebrochen, wurde aber von einem Trümmerhaufen aufrecht gehalten. Durch einen schmalen Spalt schlüpfte ich ins Freie. Auf der Straße herrschte bedrohliche Stille, entsetzte Gesichter schauten sich fragend an. Besonders Mutige flüsterten etwas von Erdbeben oder Apokalypse, Familien verließen ihre Häuser, ein paar Menschen sprangen von Balkonen wie von der Bordwand eines untergehenden Schiffes.

Die zweite Explosion trieb die Menge in einer Wolke aus Asche und Geschrei wieder auseinander. Ich sprang mitten auf die Straße, um einer Lawine aus Dachziegeln auszuweichen. Als ich nach oben blickte, sah ich sie: Zwei Gondeln taumelten wie verletzte Vögel mit brennenden Flügeln in einer unregelmäßigen Kurve über den Himmel Venedigs. Die erste zerschellte am Glockenturm, der unentwegt Feueralarm läutete, die zweite verschwand hinter den Dächern aus meinem Blickfeld.

In den folgenden Stunden und Tagen hörte ich unzählige Geschichten aus jener Nacht, in denen stets andere Dinge vom Himmel fielen: Eichenstämme, Salpetermahlsteine, Säcke voller Pech, verbrannte Kadaver von Menschen und Pferden stürzten herab, Sterne explodierten, Drachen, Kometen, die Heilige Jungfrau, Luzifer und wahlweise der gekreuzigte oder der auferstandene Christus rasten über den roten Himmel.

Ich musste sofort zum Arsenal und meine Männer zusammentrommeln, um so viele Menschen wie möglich zu befragen. Meine Beine rannten los und mit den Ellenbogen bahnte ich mir einen Weg durch die Menge. Graue Schleier legten sich auf Stadt und Menschen, auf Verletzte, die wie umgestürzte Statuen aussahen, auf die Kanäle von Castello, die voller Asche und Trümmer waren und deren Wasser aussah, als wäre es Stein. Sie legten sich auf Träger, die Weinfässer in Sicherheit brachten, auf Alte, die stumm auf die Skelette ihrer Häuser starrten, auf am Boden ausgestreckte Körper, die nur aussahen wie Leichen, aber keineswegs tot waren. Es hatte etwa zwanzig Tote gegeben, aber viele Menschen waren aus Angst, der Himmel stürze auf sie herab, unfähig sich zu erheben.

Ich überquerte den Campo San Francesco und stieg über Männer und Frauen hinweg, die auf Knien Psalmen sangen und das Jüngste Gericht erwarteten. Ich weiß nicht, ob es meine staubverklebten müden Augen, die rauchgeschwängerte Luft oder einfach nur Einbildung war, aber ich weiß noch, dass ich den Kirchturm anschaute und mir einen kurzen Moment sicher war, dass er sich vom Boden löste und in die Luft erhob. Ich war kurz davor, mich ebenfalls auf die Knie zu werfen, von Wundern zu faseln und meine Pflichten zu vergessen.

Schließlich erreichte ich die Porta da Terra. Die kalte Eleganz des Marmors rahmte ein wirres Durcheinander aus Stoßen, Schieben, Rennen und Geschrei ein. Von oben betrachtete der Löwe von San Marco das Gewühl mit halb geöffnetem Rachen und der Pranke auf dem Evangelium.

Ich durchquerte das Atrium und verschaffte mir mit den Armen Platz. Das Feuer breitete sich auf der gegenüberliegenden Seite aus, dort wo das Pulverlager war.

Ich rannte an Kalfaterern und Freiwilligen vorbei, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten und Eimer und Lederschläuche weiterreichten. Überall verstreut lagen Balken und Metallteile, aber die Hauptgebäude waren anscheinend unbeschädigt geblieben. Der Wind hatte die Flammen über die Begrenzungsmauer hinaus in Richtung der Wohnhäuser und des Celestia-Klosters getrieben.

Ich wurde von den Flammen angezogen wie die Motte vom Licht, obwohl die Hitze auf meinem Gesicht brannte und mein Körper kochte und schweißgebadet war. Rußgeschwärzte Zimmerleute trugen große Bretter aus einer vom Feuer bedrohten Werkstatt.

In diesem Augenblick hörte ich zum ersten Mal, dass jemand den Namen Giuseppe Nasi rief, und bald sollte er überall zu hören sein. Er war es gewesen! Das Judenschwein, der Speichellecker des Sultans und Erzfeind der Serenissima. Sein teuflisches Hirn sollte diese Katastrophe ausgebrütet haben.

Ich erreichte das Becken der Galeassen. Das Feuer verzehrte zwei weitere Tezoni, und die von der Explosion aufgepeitschten Wellen hatten eine Galeere aus der Werft herausgespült. Sie dümpelte jetzt brennend auf dem Wasser des Beckens, aber man kam nicht nahe genug an sie heran, um den Brand zu löschen.

Als die Kaimauer einstürzte, loderten die Flammen hoch auf, und das jetzt rasch eindringende Wasser der Lagune lud die Galeere zu einer Reise ein. Der brennende Schiffskörper schwebte langsam davon; die Flammen schienen aus dem Meer zu steigen und züngelten an Masten, Tauwerk und Segeln empor und bewegten sich wie Standarten im Wind.

Sie war ein Sinnbild für das, was die kommenden Tage bringen sollten.
2.

Wir trieben über ein regloses, trübes Meer. Ein Blatt Papier trieb auf uns zu, ein Ruderschlag brachte es näher heran. Ich beugte mich aus dem Boot und nahm es an mich. Es war die Seite eines Buches, dessen verbrannte Ränder Tintenschlieren umrahmten; nur ein Satz war noch lesbar.

Et tulerunt Ionam et miserunt in mare; et stetit mare a fervore suo.

(Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer; da stand das Meer still von seinem Wüten. Jonas 1, 15.)

Die Bibel, das Buch Jonas. Jonas Schiff gerät in einen Seesturm. Er wendet sich an die Mannschaft und verlangt, ins Meer geworfen zu werden. Er allein trage die Schuld an dem Sturm, weil er dem Herrn ungehorsam gewesen sei. Sie tun, wie er befohlen hat, und das Meer beruhigt sich sofort.

Vielleicht konnte mir dieses Orakel helfen. Auch ich musste einen Sturm besänftigen, dem Consigliere einen Schuldigen präsentieren, Venedig von der Angst befreien.

Ich musste nach Bruchstücken suchen, nach Bausteinen, aus denen sich das Mosaik der Katastrophe zusammensetzen ließ.

Der Kanal der Galeassen war ein einziges Trümmerfeld: Eichenstämme, Balken, zerbrochene Kisten, zerfetzte Segel, Leinwände, Schiffszwieback, Tauwerk, verkohlte und zerfetzte Kadaver von Maultieren und Pferden und die Leiche eines Mannes, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.

Die Szene ließ an eine Seeschlacht denken, wenn die letzten Schiffe mit Ruderkraft oder vom Wind getrieben den Ort des Grauens verlassen haben und nur noch Überbleibsel, Fragmente und Körper als Erinnerung an vergangene Grausamkeiten zurückbleiben.

An Land dagegen herrschte große Aufregung. Überall waren Werftarbeiter und Neugierige zu sehen, Leute, die schimpften und sich beschwerten und denen im Weg standen, die Arbeiten zu erledigen hatten. Deshalb waren wir im Boot unterwegs. Vom Wasser aus konnte ich mir einen besseren Überblick verschaffen, nachdenken und mit meinen Männern reden, die mich durch die Trümmer ruderten.

Stille. Die vom Ufer herüberdringenden Geräusche erstarben im Klatschen der Wellen an der Bordwand. Man hörte nur das heftige Atmen Tavosanis , des Mannes aus Friaul. Ich atmete mit offenem Mund im selben Rhythmus, als ruderten wir gemeinsam.

»Was für ein Chaos!«, murmelte Rizzi, der Mann aus Rovigo, und ließ seinen Blick übers Wasser schweifen, auf dem es aussah, als sei die Apokalypse angebrochen. Ein Blick nach oben jedoch genügte, um festzustellen, dass es so tragisch auch wieder nicht war. Das Feuer hatte drei Lagerhallen vernichtet, über deren Trümmern schwarze Rauchsäulen standen, aber die anderen Gebäude am Hafenbecken waren zum größten Teil unbeschädigt geblieben. Geplatzte Fensterscheiben, aus den Angeln gehobene Eingangstore, wenig mehr.

Vielleicht hatte das Wasser verhindert, dass sich das Feuer stärker ausbreitete. Ich musste penibel genau ermitteln und Schritt für Schritt versuchen, das Unglück zu verstehen. Ich musste den eigentlichen Ort der Explosion genau unter die Lupe nehmen.

Dort war die Mauer, die den Bereich der Schwarzpulverherstellung in diesem abgelegenen Bereich des Arsenals umschloss.

Auf Höhe der drei niedergebrannten Lagerhallen sprang ich an Land. Auf dem...
mehr

Autor

Seit 1994 trat unter dem Phantomnamen Luther Blissett eine Gruppe subkultureller Aktivisten aus Bologna auf, die nach zahlreichen spektakulären Aktionen im Stile der Kommunikationsguerilla ihr Tätigkeitsfeld auf die Literatur verlegten. Mit ihrem Reformationsepos "Q" gelang ihnen ein Überraschungserfolg. Der historische Thriller wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und avancierte zum internationalen Bestseller. Anschließend setzten die Autoren ihre Arbeit unter dem Namen "Wu Ming" fort. Seitdem hat das Kollektiv mehrere Romane veröffentlicht, denen gemein ist, die offizielle Geschichte gegen den Strich zu bürsten, um gegen das Kontinuum der Herrschaft Räume der Utopie zu öffnen.