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Nacht über Tanger

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.08.2018
Eine Frauenfreundschaft, die zur Obsession wird.
Tanger 1956: Alice Shipley ist ihrem Mann John nach Marokko gefolgt. Doch während John sich ins Nachtleben stürzt, verkriecht sich Alice in der gemeinsamen Wohnung. Da steht eines Tages Lucy Mason vor ihrer Tür, Alice' Zimmergenossin aus Collegezeiten, die sie seit einem mysteriösen Unfall ein Jahr zuvor nicht mehr gesehen hat.
Bald beschleicht Alice das ihr nur allzu vertraute Gefühl, von Lucys Fürsorge kontrolliert und erstickt zu werden. Als John plötzlich verschwindet, wird Alice von dem Unfall eingeholt und sie fängt an, an Lucys Vertrauenswürdigkeit und ihrem eigenen Verstand zu zweifeln.

Ein spannender Roman über eine komplexe Freundschaft, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Normalität und Wahnsinn fließend sind.

Christine Mangan, geboren 1982, hat Creative Writing studiert und am University College Dublin zur Gothic Literature promoviert. »Nacht über Tanger« ist ihr erster Roman und hat sich in 20 Länder verkauft. Die Filmrechte gingen an die Produktionsfirma von George Clooney. Christine Mangan lebt in Brooklyn, New York, und schreibt an ihrem zweiten Roman.
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Produkt

KlappentextEine Frauenfreundschaft, die zur Obsession wird.
Tanger 1956: Alice Shipley ist ihrem Mann John nach Marokko gefolgt. Doch während John sich ins Nachtleben stürzt, verkriecht sich Alice in der gemeinsamen Wohnung. Da steht eines Tages Lucy Mason vor ihrer Tür, Alice' Zimmergenossin aus Collegezeiten, die sie seit einem mysteriösen Unfall ein Jahr zuvor nicht mehr gesehen hat.
Bald beschleicht Alice das ihr nur allzu vertraute Gefühl, von Lucys Fürsorge kontrolliert und erstickt zu werden. Als John plötzlich verschwindet, wird Alice von dem Unfall eingeholt und sie fängt an, an Lucys Vertrauenswürdigkeit und ihrem eigenen Verstand zu zweifeln.

Ein spannender Roman über eine komplexe Freundschaft, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Normalität und Wahnsinn fließend sind.

Christine Mangan, geboren 1982, hat Creative Writing studiert und am University College Dublin zur Gothic Literature promoviert. »Nacht über Tanger« ist ihr erster Roman und hat sich in 20 Länder verkauft. Die Filmrechte gingen an die Produktionsfirma von George Clooney. Christine Mangan lebt in Brooklyn, New York, und schreibt an ihrem zweiten Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641217792
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum13.08.2018
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2372 Kbytes
Artikel-Nr.3400257
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

A L I C E

Dienstag war Markttag.

Nicht nur für mich, sondern für die gesamte Stadt. Zuerst kamen die Frauen aus dem Rif-Gebirge. Ihre Körbe und Karren waren prall gefüllt mit Obst und Gemüse, neben ihnen her trotteten Esel. Tanger erwachte binnen weniger Minuten zum Leben: Menschenmassen strömten herbei, in den Straßen drängten sich Männer und Frauen, sowohl Fremde als auch Einheimische, zeigten auf die gewünschten Waren, diskutierten und feilschten. Münzen wechselten den Besitzer für dieses und jenes. Die Sonne schien an jenen Tagen heller zu leuchten, heißer zu sein, und sie brannte sengend auf meinen Nacken.

Als ich am Fenster stand und auf die immer größer werdende Menge hinabblickte, wünschte ich, es wäre noch Montag. Doch war mir klar, dass der Montag immer nur eine trügerische Hoffnung war, ein trügerischer Trost. Denn der Dienstag, an dem ich in diesem Chaos bestehen müsste, würde unweigerlich kommen. Den beeindruckenden, herausgeputzten Frauen aus dem Rif-Gebirge gegenüber, die in ihren farbenprächtigen Kleidern um Aufmerksamkeit buhlten und mein tristes, gewöhnliches Kleid musterten, das mit ihrer farbenfrohen Tracht nicht mithalten konnte. Unbehagen würde in mir aufsteigen - Unbehagen darüber, dass ich viel zu viel für die Waren bezahlen würde, ohne es zu merken. Unbehagen darüber, dass ich die falsche Münze geben und etwas Falsches sagen würde. Unbehagen darüber, dass ich einen Narren aus mir machen würde und alle lachen würden und so offen zutage treten würde, wie töricht es von mir war hierherzukommen.

Marokko. Der Name des Landes beschwor in mir Bilder eines riesigen, öden Nichts und einer stechenden roten Sonne herauf. Als John ihn zum ersten Mal erwähnte, verschluckte ich mich an dem Drink, den er mir in die Hand gedrückt hatte, und musste husten. Wir hatten uns im Ritz in der Piccadilly Street getroffen, aber auch das nur auf Drängen von Tante Maude - einem Drängen, das mir in den Wochen nach meiner Rückkehr aus Bennington Kopfschmerzen verursachte, die ich nie ganz loswurde. Ich war erst vor wenigen Monaten nach England zurückgekehrt, und John kannte ich noch nicht einmal so lang. Doch in jenem Augenblick war ich mir sicher, sie zu spüren - seine Begeisterung und seine Tatkraft erfüllten den Raum und durchdrangen die warme Sommerluft. Begierig, danach zu greifen, es zu fassen zu bekommen und etwas davon in mich aufzunehmen, beugte ich mich zu ihm und ließ die Vorstellung Gestalt annehmen. Afrika. Marokko. Ein paar Wochen zuvor hätte ich mich noch gescheut, eine Woche später vielleicht nur darüber gelacht - doch an jenem Tag, in jenem Moment, als ich seinen Worten lauschte, seinen Versprechungen, seinen Träumen, kamen sie mir so real vor, so erreichbar. Zum ersten Mal seit Vermont, so wurde mir bewusst, wollte ich etwas - ich wusste nicht genau, was, und selbst in jenem Moment hatte ich den Verdacht, dass es womöglich noch nicht einmal der Mann war, der da vor mir saß, trotzdem aber wollte ich etwas. Ich nahm einen Schluck von dem Cocktail, den John mir bestellt hatte. Der Champagner war bereits warm und schal, und ich spürte die Säure auf meiner Zunge und im Magen. Ehe ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, beugte ich mich zu ihm und umklammerte seine Hand.

Auch wenn John McAllister nicht der Mann war, den ich mir einmal erträumt hatte - er war laut, gesellig, dreist und häufig unbesonnen -, hatte ich begonnen, an der Möglichkeit Gefallen zu finden, die er mir aufgezeigt hatte: an der Möglichkeit, zu vergessen und die Vergangenheit hinter mir zu lassen.

An der Möglichkeit, nicht jede einzelne Sekunde des Tages an das zu denken, was in den kalten, winterlichen Green Mountains von Vermont geschehen war.

Inzwischen war mehr als ein Jahr vergangen, und noch immer war das Labyrinth von einem Nebelschleier überzogen, der es mir unmöglich zu machen schien, meinen Weg zu finden, egal, wie lange ich herumirrte. Es ist besser so, hatte meine Tante gesagt, nachdem ich ihr von den glänzenden Schwaden erzählt hatte, die sich über meine Erinnerungen gelegt hatten, und davon, dass ich mich nicht mehr an die Einzelheiten jener schrecklichen Nacht und der Tage danach erinnern könnte. Lass die Vergangenheit ruhen, hatte sie gedrängt. Als wären meine Erinnerungen Gegenstände, die man sicher in Kisten packen konnte, die ihre Geheimnisse nie preisgeben würden.

Und irgendwie hatte ich das auch getan, ich hatte den Blick von der Vergangenheit abgewandt - und ihn stattdessen auf John, Tanger und die sengende Sonne Marokkos gerichtet. Offen für das Abenteuer, das er versprochen hatte - verbunden mit einem Heiratsantrag und einem angemessenen Ring, jedoch ohne richtige Feier, nur ein unterschriebenes Stück Papier.

»Aber wir können doch nicht heiraten«, hatte ich zuerst protestiert. »Wir kennen uns doch kaum.«

»Natürlich können wir heiraten«, hatte er mir versichert. »Unsere Familien sind praktisch miteinander verwandt. Wenn überhaupt, dann kennen wir uns vielleicht zu gut«, hatte er lachend hinzugefügt und mich dabei schelmisch angegrinst. Meinen Namen würde ich nicht ändern - diesbezüglich war ich unerbittlich. Irgendwie schien es mir wichtig, einen Teil meines Selbst, meiner Familie, zu bewahren, nach allem, was geschehen war. Aber es ging mir auch noch um etwas anderes, etwas, das ich weniger gut erklären konnte, nicht einmal mir selbst. Obwohl die Vormundschaft meiner Tante durch meine Heirat praktisch erlöschen würde, würde sie weiterhin treuhänderisch über mein Vermögen verfügen, bis ich einundzwanzig war; dann würde der Nachlass meiner Eltern auf mich übergehen. Die Vorstellung, doppelt abgedeckt zu sein, schüchterte mich viel zu sehr ein, und deswegen stand in meinem Pass immer noch »Alice Shipley«.

Anfangs sagte ich mir, Tanger würde gar nicht so schrecklich werden. Ich malte mir aus, wie ich meine Tage damit verbringen würde, unter der heißen, marokkanischen Sonne Tennis zu spielen, umgeben von einer kleinen Heerschar von Angestellten, die uns von vorne bis hinten bediente, als Mitglieder der diversen Privatklubs der Stadt. Ich wusste, dass das Leben schlimmer sein könnte. Doch dann wollte John das wahre Marokko und das wahre Tanger erleben. Während seine Kollegen billige, marokkanische Haushaltshilfen einstellten und ihre Frauen die Tage damit verbrachten, sich am Pool zu vergnügen oder Partys zu planen, verzichtete er auf all das. Stattdessen vergnügten er und sein Freund sich in der Stadt, verbrachten Stunden im Hamam oder auf den Märkten und rauchten Kif in den Hinterzimmern der Cafés, stets bemüht, sich eher bei den Einheimischen beliebt zu machen als bei ihren Arbeitskollegen und Landsleuten. Charlie hatte John überhaupt erst dazu überredet, nach Tanger zu kommen. Er hatte ihn so lange mit Geschichten über das Land bestürmt - über seine Schönheit und Gesetzlosigkeit -, bis John sich mehr oder weniger in einen Ort verliebt hatte, den er gar nicht kannte. Anfangs gab ich mir alle Mühe, ihn zu den Möbelflohmärkten zu begleiten und in den Suks für das Abendessen einzukaufen. Ich saß im Café neben ihm, nippte an meinem Café au lait und versuchte, meine Zukunft in dieser heißen, staubigen Stadt neu zu schreiben, in die er sich auf den ersten Blick verliebt hatte, die sich mir jedoch weiterhin entzog.

Doch dann geschah dieser Vorfall auf dem Flohmarkt.

In einem wilden Durcheinander aus Verkäufern, Ständen und wahllos nebeneinandergestapelten Antiquitäten und Trödel drehte ich mich um und stellte fest, dass John weg war. Fremde schoben sich an mir vorbei, stießen mich herum, und meine Hände begannen feucht zu werden von der mir bereits so vertrauten Panik. Schatten tauchten vor mir auf, am Rand meines Sichtfelds - jene seltsamen flüchtigen Erscheinungen, die die Ärzte in raunendem Ton nur als Wahnvorstellungen diagnostiziert hatten. Doch sie kamen mir real vor, gegenständlich, greifbar, schienen zu wachsen, bis ich nichts mehr sehen konnte als ihre dunklen Gestalten. In dem Moment wurde mir schlagartig bewusst, wie weit ich von zu Hause und dem Leben entfernt war, das ich mir einmal vorgestellt hatte.

John lachte später darüber und bestand darauf, dass er nur einen Moment lang weg gewesen wäre. Doch als er mich das nächste Mal fragte, ob ich ihn begleiten würde, schüttelte ich den Kopf. Und danach fand ich eine andere Ausrede. Ich verbrachte stattdessen Stunden damit - lange, einsame, ermüdende Stunden -, Tanger von unserer Wohnung aus zu erkunden, dem Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Nach der ersten Woche wusste ich, wie viele Schritte ich vom einen Ende bis zum anderen Ende brauchte - fünfundvierzig, manchmal mehr, je nachdem, wie groß die Schritte waren.

Schließlich begann ich, Johns Bedauern zu spüren. Es ragte über uns auf und wuchs beständig. Unsere Gespräche beschränkten sich auf praktische Dinge, auf finanzielle Angelegenheiten, auf den Unterhalt, den ich bezog und der unsere Haupteinnahmequelle war. John konnte nicht gut mit Geld umgehen, das hatte er mir mit einem Grinsen im Gesicht verraten. Ich hatte gelächelt und gedacht, das bedeute, dass er sich nichts aus Geld machte. Doch wie ich bald herausfand, bedeutete es vielmehr, dass das Vermögen seiner Familie fast aufgebraucht war und der Rest gerade noch dazu reichte, ihn gut genug zu kleiden, um den Wohlstand vorzutäuschen, den er einmal besessen hatte. Den Wohlstand, in den er hineingeboren worden war und von dem er noch immer glaubte, dass er ihm rechtmäßig zustand. Eine Illusion, wie ich bald begriff....

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Autor

Christine Mangan, geboren 1982, hat Creative Writing studiert und am University College Dublin zur Gothic Literature promoviert. »Nacht über Tanger« ist ihr erster Roman und hat sich in 20 Länder verkauft. Die Filmrechte gingen an die Produktionsfirma von George Clooney. Christine Mangan lebt in Brooklyn, New York, und schreibt an ihrem zweiten Roman.