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Sieh doch die Harlekine!

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am18.12.20181. Auflage
DNabokovs vierzehnter Roman - der erste aus der Zeit nach «Lolita» - gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Sieh doch die Harlekine!», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die letzte, die tausendste Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise. Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Sieh doch die Harlekine!» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält. Nabokov lockt den Leser auf Rätselgänge, Licht des fahlen Feuers flackert von Spiegel zu Spiegel, Echos erklingen: ein Virtuosenstück, «eine Amalgamierung von Ernst und Spiel, einer anrührenden menschlichen Geschichte mit dem kühlen Kalkül einer Problemschachaufgabe». Dieter E. Zimmer

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDNabokovs vierzehnter Roman - der erste aus der Zeit nach «Lolita» - gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Sieh doch die Harlekine!», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die letzte, die tausendste Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise. Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Sieh doch die Harlekine!» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält. Nabokov lockt den Leser auf Rätselgänge, Licht des fahlen Feuers flackert von Spiegel zu Spiegel, Echos erklingen: ein Virtuosenstück, «eine Amalgamierung von Ernst und Spiel, einer anrührenden menschlichen Geschichte mit dem kühlen Kalkül einer Problemschachaufgabe». Dieter E. Zimmer

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644002296
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum18.12.2018
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1083 Kbytes
Artikel-Nr.3415798
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

«Was für eine Kindheit hattest du denn, McNab?» (wie Ivor mich zu nennen beliebte, weil ich seiner Meinung nach jenem hageren, aber gutaussehenden jungen Schauspieler glich, der diesen Namen in den letzten Jahren seines Lebens oder zumindest seines Ruhmes annahm.)

Grässlich, unausstehlich. Es sollte ein natürliches, internatürliches Gesetz gegen solche inhumanen Eröffnungen geben. Wären nicht meine krankhaften Schrecken im Alter von neun oder zehn durch abstraktere, plattere Ängste (Probleme der Unendlichkeit, Ewigkeit, Identität und so fort) ersetzt worden, hätte ich schon den Verstand verloren, noch ehe ich meine Verse fand. Es ging nicht um dunkle Räume oder qualvolle einflüglige Engel oder lange Korridore oder Albtraumspiegel, deren Reflexionen in unordentlichen Pfützen auf den Fußboden überliefen - die Art Horrorschlafzimmer war es nicht, sondern einfach, und bei weitem schrecklicher, eine gewisse hinterhältige und unnachgiebige Verbindung mit anderen Seinszuständen, nicht eigentlich «vergangenen» oder «zukünftigen», sondern entschieden verbotenen, sterblich gesprochen. Erst etliche Jahrzehnte später sollte ich mehr, viel mehr über jene schmerzlichen Bande lernen, also «lasst uns nichts vorwegnehmen», wie der Verurteilte sprach, als er die schmutzige alte Augenbinde von sich wies.

Die Wonnen der Pubertät verschafften mir zeitweise Erleichterung. Mir blieb die grämliche Phase der Selbstinitiation erspart. Gesegnet sei meine erste süße Liebe, ein Kind in einem Obstgarten, forschende Spiele - und ihre gespreizten fünf Finger, von denen Perlen der Überraschung tropften. Ein Hauslehrer ließ mich an der Naiven in meines Großonkels Privattheater teilhaben. Einmal putzten mich zwei liederliche junge Damen mit einem Spitzenhemd und einer Loreleiperücke heraus und legten mich zwischen sich schlafen, als «schüchternes Cousinchen» wie in einem Heftchenroman, während ihre Ehemänner nach der Bärenjagd im Nebenzimmer schnarchten. Die weiträumigen Häuser verschiedenster Verwandter, bei denen ich in meiner frühen Jugend unter den fahlen Sommerhimmeln dieser oder jener Provinz des alten Russland dann und wann wohnte, boten mir ebenso viele willfährige Mägde und feine Flirts, wie ich sie zwei Jahrhunderte früher in Kleiderkammern und Lauben vorgefunden hätte. Mit einem Wort, wenn die Jahre meiner Kindheit ein Thema für jene Art gelehrter Doktorarbeit hätten abgeben können, auf die ein Pädopsychologe lebenslangen Ruhm gründet, so hätten andererseits meine Jugendjahre eine hübsche Anzahl erotischer Passagen liefern können - und lieferten sie ja auch tatsächlich, verstreut wie rottende Pflaumen und braune Birnen überall in den Büchern eines alternden Romanciers. Zweifellos beziehen die vorliegenden Erinnerungen einen Großteil ihres Wertes aus der Tatsache, dass sie einen catalogue raisonné der Wurzeln und Ursprünge und amüsanten Geburtskanäle vieler Bilder in meinen russischen und vor allem meinen englischen Romanen darstellen.

Meine Eltern sah ich selten. Sie ließen sich scheiden und heirateten wieder und ließen sich von neuem mit einem derartigen Tempo scheiden, dass ich bei weniger Wachsamkeit meiner Schicksalshüter schließlich durchaus von einem Paar Fremdlingen schwedischer oder schottischer Herkunft hätte ersteigert werden können, mit traurigen Säcken unter hungrigen Augen. Eine außerordentliche Großtante, die Baronin Bredow, geborene Tolstoj, bot reichlichen Ersatz für engere Blutsbande. Als sieben- oder achtjähriges Kind, das längst die Geheimnisse eines ausgewachsenen Wahnsinnigen barg, kam ich sogar ihr (die gleichfalls weit von der Normalität entfernt war) ungebührlich launisch und träge vor; in Wirklichkeit habe ich natürlich auf die zügelloseste Art und Weise taggeträumt.

«Hör auf, Trübsal zu blasen!», rief sie dann. «Sieh doch die Harlekine!»

«Was für Harlekine? Wo?»

«Na überall. Rings um dich herum. Bäume sind Harlekine, Wörter sind Harlekine. Situationen und Summen sind´s. Zähl zwei Sachen zusammen - Späße, Bilder -, und du hast einen Dreifachharlekin. Los doch! Spiel! Erfinde die Welt! Erfinde die Wirklichkeit!»

Das tat ich. Bei Gott, ich tat´s. Ich erfand meine Großtante zu Ehren meiner ersten Tagträume, und jetzt steigt sie langsam die Marmorstufen des Portals der Erinnerung herab, seitwärts, seitwärts, die arme lahme Lady, jeden Stufenrand mit dem Gummipfropf ihres schwarzen Spazierstocks ertastend.

(Wenn sie diese vier Wörter rief, kamen sie mit flinkem lispelndem Schwung hervor, fast wie eine Verszeile, die daktylisch mit Siegespreis anhebt - zärtliche, einschmeichelnde Introduktion jener Harlekine , die mit festlichem Nachdruck auftraten, das Har in einem Ausbruch beseelter Überzeugungskraft kräftig betont und mit einem fließenden Fallen zechinensilbriger Silben im Gefolge.)

Ich war achtzehn, als die Revolution der Bolschewiki zuschlug - ein starkes und unregelmäßiges Verb, zugegeben, das hier einzig des Erzählrhythmus wegen benutzt wird. Das erneute Auftreten meiner Kindheitsverwirrung hielt mich fast den ganzen nächsten Winter und Frühling im Kaiserlichen Sanatorium von Zarskoje fest. Im Juli 1918 fand ich mich als Rekonvaleszent im Schloss eines polnischen Grundbesitzers wieder, eines entfernten Verwandten, Mstislaw Czarniecki (1880-1919?). An einem Herbstabend zeigte mir die jugendliche Mätresse des armen Mstislaw einen Märchenpfad, der sich durch einen riesigen Wald wand, wo vom ersten Czarniecki unter Johann III. (Sobieski) der letzte Auerochse mit dem Speer erlegt worden war. Mit einem Ränzel auf dem Rücken folgte ich diesem Pfad, auch - warum es nicht eingestehen? - mit einem Zittern der Reue und der Furcht in meinem jungen Herzen. Tat ich recht, meinen Cousin in der schwärzesten Stunde von Russlands schwarzer Geschichte im Stich zu lassen? Wusste ich, wie man allein in fremden Ländern überlebt? War das Diplom, das ich nach der Examinierung durch eine Sonderkommission (Vorsitzender: Mstislaws Vater, ein ehrwürdiger und korrupter Mathematiker) in Empfang genommen hatte - ein Zeugnis über alle Fächer eines Idealgymnasiums, in das ich körperlich nie gegangen war -, ausreichend für Cambridge, ohne irgendeine höllische Aufnahmeprüfung? Ich stiefelte die ganze Nacht durch ein Mondlichtlabyrinth und vernahm in meiner Einbildung das Rascheln ausgestorbener Tiere. Schließlich illuminierte das Morgengrauen meine veraltete Karte. Ich dachte schon, ich hätte die Grenze überquert, da rief mich ein barhäuptiger Soldat der Roten Armee an, einer mit einem Mongolengesicht, der am Wegrand Preiselbeeren pflückte: «Und wohin», fragte er und langte sein Käppi von einem Baumstumpf, «rollst denn du [katischsja], Äpfelchen [jablotschko]? Pokasywaj-ka dokumentiki [Zeig mal deine Papiere].»

Ich kramte in meinen Taschen, fischte heraus, was ich brauchte, und schoss ihn tot, als er sich auf mich stürzte; er fiel auf sein Gesicht, als hätte ihn auf dem Paradeplatz zu Füßen seines Königs ein Sonnenstich ereilt. Doch keiner der aufgereihten Baumstämme blickte zu ihm hin, und ich floh, während meine Hand noch immer Dagmaras reizenden kleinen Revolver umspannte. Erst eine halbe Stunde später, als ich endlich in einem anderen Teil des Waldes eine mehr oder minder konventionelle Republik erreicht hatte, erst da hörten meine Waden auf zu zittern.

Nach einer Phase des Umherbummelns in vergessenen deutschen und holländischen Städten fuhr ich hinüber nach England. Das Rembrandt , ein kleines Hotel in London, war meine nächste Adresse. Die zwei oder drei kleinen Diamanten, die ich in einem Beutel aus Sämischleder aufbewahrte, schmolzen rascher dahin als Hagelkörner. Am grauen Vorabend der Armut entdeckte der Autor, damals ein aus freien Stücken exilierter Jüngling (ich transkribiere aus einem alten Tagebuch), einen unverhofften Gönner in der Person des Grafen Starov, eines ernsten, altmodischen Freimaurers, der während einer stattlichen Spanne internationaler Beziehungen etliche große Botschaften geziert hatte und seit 1913 in London residierte. Er sprach seine Muttersprache mit pedantischer Präzision, verachtete indes keineswegs die prallen Ausdrücke des Volksmunds. Er hatte absolut keinen Sinn für irgendeine Art von Humor. Sein Diener war ein junger Malteser (ich verabscheue Tee, wagte aber nicht, einen Schnaps zu bestellen). Es hieß, Nikifor Nikodimowitsch, um seinen zungenbrecherischen Vor- mitsamt dem Vatersnamen zu gebrauchen, sei über Jahre hinweg ein Bewunderer meiner schönen, bizarren Mutter gewesen, die ich hauptsächlich aus dem Phrasenrepertoire eines anonymen Memoirenwerkes kannte. Eine grande passion kann eine bequeme Maske sein, doch andererseits vermag einzig die hingebende Erinnerung eines Gentleman an sie zu erklären, warum er mir das Studium in England bezahlte und nach seinem Tode 1927 ein bescheidenes Subsidium hinterließ (der Coup der Bolschewiki hatte ihn genauso ruiniert wie unsere gesamte Familie). Ich muss allerdings zugeben, dass mich die plötzlichen lebhaften Blicke aus seinen sonst toten Augen verwirrten - Augen, die in einem breiten, breiigen, würdevollen Gesicht standen, einem Gesicht jenes Typs, der von russischen Autoren gemeinhin als «sorgfältig rasiert» (tstschatelno wybritoje) beschrieben wurde, zweifellos weil die Geister patriarchalischer Bärte in der vermuteten Phantasie von (heute längst verstorbenen) Lesern gebannt werden mussten. Ich versuchte...
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Autor

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.Uwe Friesel, geboren 1939 in Braunschweig,  schrieb in enger Anlehnung an das Stück die Lesefassung von «Trummi kaputt», um das Thema allen zugänglich zu machen, die das Stück nicht kennen, und zum Nachlesen und Diskutieren für jene, die es gesehen haben.