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Heißer Frühling

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am16.11.20151. Auflage
Madschids Jugendtraum war eigentlich, als Sänger berühmt zu werden. Aber auch sein jüngerer Bruder Ahmed wird durch die Ereignisse aus der Bahn geworfen. Linkisch und verträumt, interessierte er sich nur fürs Malen und Fotografieren. Nun arbeitet er als Sanitäter beim Roten Halbmond. Während die Frauen den immer schwierigeren Alltag meistern und sich um die Notleidenden kümmern, ist der sensible Ahmed zutiefst verstört. Er verschließt sich seiner Familie und seinen Freunden, wird immer radikaler in seinen Ansichten - bis er schließlich handelt. Ein Verzweiflungs- oder ein Terrorakt? Für diesen Roman hat Sahar Khalifa Tagebuchaufzeichnungen eines Presseberaters von Jassir Arafat verwendet, die während der Belagerung von Arafats Regierungssitz entstanden sind. Zudem hat sie viele Gespräche mit Frauen aus der Altstadt von Nablus geführt. Der Roman vermittelt dadurch ein authentisches Bild des Lebens im Westjordanland in den letzten Jahren.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextMadschids Jugendtraum war eigentlich, als Sänger berühmt zu werden. Aber auch sein jüngerer Bruder Ahmed wird durch die Ereignisse aus der Bahn geworfen. Linkisch und verträumt, interessierte er sich nur fürs Malen und Fotografieren. Nun arbeitet er als Sanitäter beim Roten Halbmond. Während die Frauen den immer schwierigeren Alltag meistern und sich um die Notleidenden kümmern, ist der sensible Ahmed zutiefst verstört. Er verschließt sich seiner Familie und seinen Freunden, wird immer radikaler in seinen Ansichten - bis er schließlich handelt. Ein Verzweiflungs- oder ein Terrorakt? Für diesen Roman hat Sahar Khalifa Tagebuchaufzeichnungen eines Presseberaters von Jassir Arafat verwendet, die während der Belagerung von Arafats Regierungssitz entstanden sind. Zudem hat sie viele Gespräche mit Frauen aus der Altstadt von Nablus geführt. Der Roman vermittelt dadurch ein authentisches Bild des Lebens im Westjordanland in den letzten Jahren.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293306875
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum16.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3405 Kbytes
Artikel-Nr.3421140
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe







Er hätte fliegen können! Es war Frühling, alles blühte - Anemonen, Kamille, Hornklee, Fenchel, Thymian. Wie ein Teppich lag der Boden zu seinen Füßen, gewebt aus Gräsern und Lilien, wildem Weizen und gelben, roten, blauen Blumen. Narzissengelb strahlte die Sonne, weiße Wölkchen schwebten am Himmel. Und ihr Haar flog wie Goldbrokat und wogende Seide. Früher hatte ihm seine Mutter beim Kämmen mit gurrender Stimme ein hübsches Liedchen gesungen: »Golden und fein, die seidigen Löckchen, von Ahmeds Köpfchen, so schön und so rein.« Jedes Mal, wenn der kleine Bub sie oder sonst jemanden singen hörte, brach er in Tränen aus. Die Mutter hielt inne, ihre Hand stockte. Sie glaubte, sie habe ihn an den Haaren gezogen, und kämmte lautlos und vorsichtig weiter. Da wurde er still. Kaum aber sang sie wieder von seinem seidigen Haar, begann er herzzerreißend zu weinen. Sie wunderte sich, diese Geschichte kam ihr zu merkwürdig vor. Schließlich erzählte sie seinem Vater davon. »Sieh mal deinen Sohn, sieh nur!« Sie stellte das Radio an, ein Lied erklang. Sofort runzelte der Kleine die Augenbrauen, verzog den Mund und begann zu weinen. Als das Lied zu Ende war, hörte er auf. Beim nächsten wurde es noch schlimmer, er zitterte und schluchzte vor Kummer. Verblüfft schüttelte der Vater den Kopf. »Du lieber Gott«, murmelte er, »na so etwas!« Die Mutter fühlte sich bestätigt und führte sogleich allen Freunden und Verwandten das Wunder vor. Auch sie staunten über den Kleinen, der »musikalisch« weinte. Doch dann wurde er groß und weinte nicht mehr. Dafür stotterte der Junge, er war verträumt und in sich gekehrt. Und ganz, ganz tief drinnen stiegen ihm noch immer Tränen in die Augen, wenn er Musik hörte oder etwas besonders Schönes und Ergreifendes sah: ein Vögelchen, ein Kätzchen, einen melancholischen Sonnenuntergang ... und nun ein blondes Mädchen, hübsch wie eine Puppe, mit seidigem Goldhaar, das in der Sonne glänzte. Das alte Lied seiner Mutter fiel ihm ein. Während er über Blumen und Gras schlenderte, summte er es vor sich hin: »Golden und fein, die seidigen Löckchen, von ...« Von wessen Köpfchen? Er ließ den Zoom ausfahren und holte sie heran, bis sie direkt vor ihm zu stehen schien. Was für ein hübsches Gesicht, hell und zart, das Näschen klein wie eine Pistazie, der Mund rot wie Frühlingsanemonen. Wieso war ihr Mund so rot? Vielleicht, weil sie hellhäutig und blond war?

Von fern ertönten eine Hirtenflöte und das Blöken der Schafe. Plötzlich hörte er seinen Namen rufen. Er suchte mit der Linse und erkannte Isa, den Freund seines Bruders aus dem Flüchtlingslager. Er arbeitete auf dem Gemüsefeld hinter dem Zaun, wo auch die Schaukel stand. Isa war in bitterer Armut aufgewachsen. Als sein Vater starb, war er noch ein kleiner Junge gewesen. Eine alte Frau aus seiner Verwandtschaft zog ihn groß; sie arbeitete als Dienerin bei fremden Leuten. Sobald er Achselhaare bekam und mannbar wurde, setzte sie sich zur Ruhe. Isa fand eine Anstellung, zuerst im Gemischtwarenladen, dann am Gemüsestand und schließlich beim Altwarenhändler, wo er Ballen mit amerikanischen Kleidungsstücken auszumustern hatte. Ein Teil war verwertbar, das andere taugte höchstens zu Wischlappen. Er sortierte alles auf drei Haufen. Auf den ersten kamen die einwandfreien Stücke. Mit frischen Etiketten unter Angabe von Größe und Preis versehen, wurden sie als Neuware an arme Leute und Bauern verkauft. Der zweite Haufen enthielt die passablen Sachen. Nachdem er sie aufgebügelt hatte, hängte er sie am Gehsteig unter ein mit Spinnweben und Vogeldreck geziertes Schild, auf dem zu lesen stand: »Europäische Top-Modelle!« Der dritte Haufen war Abfall. Er wurde an Autowerkstätten und Schlossereien verkauft. Auch der Polsterer am Ende des Suks nahm die Lumpen ab. Er schnippelte sie klitzeklein wie Petersilie und stopfte damit Matratzen und Bettdecken für die Bauern. Später, als die Siedlung Kirjat Scheba errichtet wurde, war Isa der Erste, der sich dort um Arbeit bewarb.

Isa winkte ihm mit seiner braunen Hand. Sein Ruf klang so laut, dass er vom Hügel widerhallte und sanft in der untergehenden Sonne erlosch. Beide Hände zum Trichter geformt, rief er lang gezogen: »Heee ... Aaaahmed!« Das Mädchen wandte sich zu ihm um. Ihre Augen im Zoom waren himmelblau, strahlend wie Narzissen, groß wie weit geöffnete Fenster zum westlichen Horizont, zu einem Blütenmeer unter lauen Winden und Sommerwolken. Ihm war, als säße er selbst auf der Schaukel. Auf und ab bewegte sich sein Körper, ja er schwebte wie ein Vogel, während sie vor der Linse hin- und herschwang. Sie war das Pendel und sein Herz die Uhr, die den Takt dazu schlug. Ticktack, ticktack. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet. Offene Sommerfenster ohne Vorhänge. Wie schön sie war, wie süß! Flog sie empor, flatterte ihr kurzer Pony im Wind, glitt sie zurück, fiel ihr seidiges Haar auf die Schultern.

»He, Ahmed! Was treibst du denn hier?«

Er sah sich nach Isa um. Die Stimme klang jetzt viel näher. Isa war die Terrassentreppen hinaufgestiegen. Durch die Linse betrachtet, stand er unmittelbar hinter dem Zaun, höchstens eine Armlänge entfernt. In Wirklichkeit befand er sich weit hinter dem Stacheldraht, der die Siedlung gegen den Felshügel abgrenzte.

Ahmed rann ein Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte, was sein Vater über diejenigen sagte, die in der Siedlung Kirjat Scheba arbeiteten. Als er damals erfuhr, dass Madschid in den Sommerferien drüben jobbte, gab es einen Riesenkrach. Er drohte ihm mit einer Tracht Prügel und Rausschmiss. »Ich sage mich los!«, schrie er. »Ich erkläre, dass du nicht mein Sohn bist, dass ich dich überhaupt nicht kenne. Eine Woche lang setze ich das in die Zeitung, damit alle Welt erfährt, dass ich nichts mit dir zu tun habe. Hast du kapiert, was ich sage?« Obwohl dieser Vorfall bereits zwei Jahre zurücklag, erinnerte sich Ahmed deutlich daran. Er hatte gezittert vor Furcht. Madschid aber nahm seine Gitarre, verließ das Haus und suchte Unterschlupf bei seiner Teta. Als der Vater ins Lager ging, um ihn heimzuholen, sah er ihn mit Isa auf der Türschwelle sitzen. Isa paffte seelenruhig seine Zigarette weiter, trank Tee und trommelte mit den Fingerkuppen gegen das Glas. Seine Hand war schwarz, sein Gesicht sonnverbrannt, die Kleidung schmutzig und zerrissen. Und seine Achselhöhlen verbreiteten einen durchdringenden Geruch von scharfem Kümmel. Seither hasste Fadl Kassam dieses Gewürz. Jedes Essen mit Kümmel widerte ihn an, weil das Aroma und Isas Schweißgestank für ihn ein und dasselbe waren.

»Alles schön und gut«, sagte der Vater, »ihr arbeitet in ihren Betrieben. Aber den Boden zu bestellen, und ausgerechnet in Ain Murdschan!« Madschid gab keine Antwort. Den Kopf gesenkt, schaute er zur Erde. Isa indes starrte ihn dreist an und fragte ungerührt: »Wo soll da ein Unterschied sein?« Die Großmutter kam heraus und blieb in der Tür stehen. Besorgt versuchte sie ihren Schwiegersohn zu besänftigen: »Lass gut sein, das sind doch kleine Jungs!« Er holte mit der Hand aus und versetzte Madschid einen Schlag in den Nacken. »Kleine Jungs? Jeder so stark wie ein Stier, von wegen kleine Jungs! Hoch mit dir, du Hundesohn! Gib mir die Gitarre, verflucht soll sie sein, zur Hölle damit! Los jetzt, geh voran, aber flott! Und wenn ich dich noch einmal drüben erwische, kannst du was erleben!« Er drehte sich zu Ahmed um und wiederholte alles, damit auch der Kleine die Lektion richtig verstand. »Ha! Für die Israelis arbeiten, und das auf unserem Land! Ihr Hundesöhne!« So schimpfte er unaufhörlich auf Madschid ein, der mit gesenktem Kopf vor ihm hertrottete. »Kapiert, was ich sage?« Dann, an den Kleinen gewandt, der mit der Gitarre seines Bruders heimwärts stolperte: »Und du auch! Hast du kapiert?« Obgleich keiner von beiden einen Mucks tat, schrie er außer sich: »Dieser Isa, dieser Hundesohn! Bei Gott, wenn ich dich auch nur mit ihm reden sehe, setzt es Prügel! Verstanden?«

Nun musste ihn ausgerechnet Isa anquatschen! Die braune Hand gegen die Sonne über den Augen, hielt er nach ihm Ausschau. »He, Ahmed, was treibst du hier?«

Isa kam dicht an den Zaun. Auch Ahmed näherte sich, seine Füße führten ihn unwillkürlich in Richtung der Schaukel. Ein seltsames Gefühl beherrschte ihn, eine Art fassungsloses Entzücken. Ihm war, als kribbelten Ameisen durch seinen Körper, und sein Herz schlug wild wie die Gitarre seines Bruders.

»Fo... fo... foto...«, stotterte er zaghaft und verlegen.

»Toller Apparat!«, sagte Isa und musterte die Kamera mit neugierigen, begehrlichen Blicken. »Lass mal sehen.«

Ahmed trat einen Schritt zurück, obwohl zwischen ihnen der Drahtzaun war und Isas Hände gar nicht durch die engen Öffnungen gepasst hätten.

»Was ist los, wovor hast du Angst?« Isa warf einen flüchtigen Blick auf das Mädchen, dann musterte er ihn mit schiefem Grinsen. »Doch nicht vor der?«

Mit einer wegwerfenden Handbewegung äußerte er seine Verachtung und Furchtlosigkeit. »Kümmere dich nicht um sie! Ich kenne die alle. Vor denen musst du keine Angst haben.«

Ahmed antwortete nicht. Die Kamera in der Hand, stand er beinahe am Zaun, seltsam aufgeregt, ein Ameisenkribbeln im ganzen Körper. Sein Herz klopfte. Er wollte etwas sagen, mit Isa sprechen. Zu gern wäre er unter dem Stacheldraht durchgekrochen, hinüber zu ihm, hinüber zu ihr. Er könnte Isa fragen, wie sie hieß, in welche Klasse sie ging und wer ihr Vater war. Trug ihr Vater ein Gewehr...



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Autor

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt