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Das Tor

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am15.12.20151. Auflage
Was hat die erste Intifada den Frauen gebracht? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch den roman. Die Studentin Samar gerät zwischen die Mühlsteine, als ihr traditionalistischer Bruder sie ins Haus zurückprügelt, weil sie seine Familienehre gefährdet. Die alte Hebamme Sitt Sakija ist die Vertraute aller Frauen und kennt alle Geheimnisse des Viertels. Auch in den gefährlichsten Stunden des Ausgehverbots ist sie mit ihrem Köfferchen unterwegs. Nur die schöne Prostituierte Nasha steht zwischen allen Fronten. Für ihren Lebenswandel verachtet und doch von allen ehrenwerten Ehemännern des Viertels besucht, durchschaut sie alle Heuchelei und will in keine Parole einstimmen für diesen »Moloch Palästina, der frisst und frisst« und der ihr alles genommen hat - Familie, Freunde, Ehre.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
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Produkt

KlappentextWas hat die erste Intifada den Frauen gebracht? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch den roman. Die Studentin Samar gerät zwischen die Mühlsteine, als ihr traditionalistischer Bruder sie ins Haus zurückprügelt, weil sie seine Familienehre gefährdet. Die alte Hebamme Sitt Sakija ist die Vertraute aller Frauen und kennt alle Geheimnisse des Viertels. Auch in den gefährlichsten Stunden des Ausgehverbots ist sie mit ihrem Köfferchen unterwegs. Nur die schöne Prostituierte Nasha steht zwischen allen Fronten. Für ihren Lebenswandel verachtet und doch von allen ehrenwerten Ehemännern des Viertels besucht, durchschaut sie alle Heuchelei und will in keine Parole einstimmen für diesen »Moloch Palästina, der frisst und frisst« und der ihr alles genommen hat - Familie, Freunde, Ehre.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293306882
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.12.2015
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3684 Kbytes
Artikel-Nr.3421168
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Die Mutter der Jungs



1


Ein Andrang war das! Als strömten all diese Frauen, so wie früher, zu einem Empfang bei der Verstorbenen. Sie hatte noch in der Blüte der Jahre gestanden, trotz ihrer großen, weit verzweigten Nachkommenschaft. Hellhäutig war sie und füllig. Doch ihre Taille blieb wohlgeformt, und die Beine waren lang und schlank. Eine stolze, starke Frau war sie. Dennoch hatte sie tausenderlei Bedenken, wenn sie ihre Empfänge vorbereitete. Sie kleidete, parfümierte und schminkte sich sorgfältig und verwandelte ihr Haus in ein Paradies von Jasmin, Basilikum und Nelken, von duftendem Tabak und blinkenden Wasserpfeifen, verziert mit Gold- und Silberfäden, mit Perlen und samtenen Schläuchen. Sie ließ eine gut beleumdete Frau kommen, die unterhaltsam, dabei aber unaufdringlich und höflich war. Reihum servierte diese den Kaffee, Honigkuchen und frische Glut. In der einen Hand die Wasserpfeife, in der anderen den Schlauch, paffte sie hin und wieder daran, während sie hurtig von der Küche in den Salon lief. Sobald sie bei einer Dame anlangte, setzte sie die Pfeife zu ihren Füßen nieder, wischte das Ende des Schlauches ab und rollte es halbkreisförmig zusammen. »Wohl bekomms«, hauchte sie. Einmal wollte Frau Sakija es ihr gleichtun, damals war sie noch sehr jung. Die Frauen zwinkerten einander viel sagend zu und tauschten allerlei Bemerkungen über Länge, Stärke und Wohlgeschmack des Schlauches aus. Die Verstorbene aber eilte ihr in Duftwolken und wallendem Georgette nach, zerrte der Tochter ihres Gatten den Schlauch aus der Hand und wies sie zurecht: »So wird er angeboten!« Da rief eine hinten aus der Salonecke herüber: »Nein, ein steifer Schwanz wär besser!« Einhelliges Gelächter brach los, und das Mädchen, stolpernd vor Verlegenheit und Verblüffung, nahm Reißaus. Das waren doch alles reife, erfahrene, respektable Damen! Wie konnten die meinen, was sie da sagten! Später kam Sakija dahinter, dass das, was sie meinten und woran sie immer dachten, das Gesetz des Lebens und das Mysterium der Fortpflanzung war - die Sorge aller Frauen. Und das täglich Brot einer jeden Hebamme. Ja, gepriesen sei, der das Lebendige aus Totem und Totes aus Lebendem hervorbringt!

Umm Mohammed beugte sich mit einer Thermoskanne voll ungesüßten Kaffees zu ihr nieder und reichte ihr ein henkelloses Tässchen. »Husam erwartet dich in der Küche», raunte sie ihr zu. Sakija sprang von ihrem Platz mitten im Salon auf und lief schnell zur Küche. Er stand am Fenster, der nördliche Berg hinter ihm leuchtete in der Abenddämmerung. Sie konnte seine Züge nicht erkennen, das einfallende Licht verdunkelte seine Gestalt zum Schattenriss.

»Was soll das alles?« fragte er vorwurfsvoll.

Ängstlich streckte sie die Hand aus. »Bitte, sprich doch leise. Die Leute!«

»Ihr solltet euch was schämen vor den Angehörigen der Gefallenen!«

Flehentlich legte sie die Hände ineinander. »Ich bitte dich, denk an unseren guten Ruf.« Sie sah beunruhigt aus dem Fenster. »Hat dich jemand gesehen?«

Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Sorgst du dich nun ums Ansehen oder um mich?«

Sie antwortete nicht, spähte jedoch voller Unruhe hinaus. »Es gibt keine Macht noch Stärke außer bei Gott!« murmelte sie.

Das Haus quoll über von Beileidsbesucherinnen, Koranrezitationen und ungesüßtem Kaffee.

Mitfühlend sagte sie: »Es war deine Großmutter â¦«

»Na klar, meine Großmutter, und die Frau deines Vaters. Neunzig Jahre. Die hat ihr Leben gelebt. Aber die Jungs â¦« Er brach ab.

»Der Tod lässt keinen aus«, sagte sie ergeben.

»Und bei jedem Tod so eine Trauerfeier!«

»Sieben Tage, mehr nicht.«

Aufgebracht murrte er: »Und für die Jungs bloß drei!«

Er rannte fort, schlug die Tür hinter sich zu. Der Widerhall durchbrach die Stille der Gänge, die frommen Rezitationen, die leuchtende Dämmerung. Sie sah zu, wie sich seine Schattengestalt zwischen Weinstöcken, wilden Lilien und Kakteenhänden verlor.

Ausschau haltend, beobachtete sie ihn weiter. Er kletterte über die Einfriedung aus Feldsteinen und die Mauer, schlüpfte dann durch die Hecke mit der gestutzten Öffnung. Schließlich verschwand er zwischen Felsen und Dornengestrüpp, irgendwo in den Weiten des Berges im Norden.



2


Die Mutter der Jungs schreckt kein Dunkel!« So lief es durch das Viertel. Flüsternd wiederholten es die Vermummten, wenn sie vorbeikam. Am Khan der Händler, zwischen den Gärtchen, in den verwinkelten Gassen. Sie hob die Stimme zum Gruß, bevor sie in die Dunkelheit tauchte: »Friede mit euch und Gottes Barmherzigkeit. Friede mit euch und Gottes Gnade.« Sie wandte sich nicht um, spähte nur aus den Augenwinkeln, um sich zu vergewissern. Aus der Finsternis fragte sie ein Vermummter: »Ist Armee im Anzug, Tante Sakija?« Sie schaute nicht hin, setzte ihren Weg fort und sagte immer wieder ihren Spruch auf: »Das Haus schützt drinnen - Mensch und Dschinnen â¦ Friede sei mit euch und Gottes Barmherzigkeit. Friede mit euch und die Gnade Gottes.« Sie ging und ging, bis ein lauter Ruf sie erstarren ließ. »Halt!« Sie blieb stehen. Da kamen sie heran, die Uzi-Maschinenpistolen auf sie und ihre Tasche gerichtet.

»Aufmachen Tasche!«

Sie öffnete die Tasche, und sie besahen ihre einfachen Medikamente - Watte, Mull, Tinkturen, Desinfektionsmittel, Zäpfchen.

»Du Doktor?«

»Nein, Hebamme.«

»Chibame? Was Chibame?«

»Na, Wehmutter.«

»Weimoter? Was Weimoter?«

»Das heißt, ich helfe den Frauen und bring die Babychen zur Welt.«

»Bäbieschen? Bäbieschen!«

Sie hörte zu, wie sie das Wort wiederholten und lachten: »Bäbieschen, Bäbieschen.«

Nur der Posten lachte nicht. Barsch befahl er: »Stell Tasche hier.«

Sie setzte die Tasche auf den Boden. Er trat ein paar Schritte zurück, seine Maschinenpistole und die der beiden anderen zielten auf sie und ihre Tasche.

»Kippen Tasche!« befahl er.

Verständnislos sah sie ihn an.

Er brüllte aufgeregt: »Tasche auskippen!«

Die ganze Straße vibrierte, die nächtlichen Gebäude und dunklen Schatten bebten.

Er trat nach der Tasche und sprang rasch beiseite. Von Weitem beobachtete er, wie Sakija die Medikamente auspackte und dabei murmelte: »Es gibt keine Macht noch Stärke außer bei Gott. Es gibt keine Macht noch â¦«

»Was dies?«

»Eine Klistierspritze.« Sie nahm die Gummikugel, presste sie zusammen. Er wich einen weiteren Schritt zurück und schrie: »Stell auf Boden!«

Sie legte die Spritze auf die Erde, und er schleuderte sie mit einem Fußtritt fort.

Sie musste lächeln. Die fürchteten sich doch wirklich vor allem, sogar vor einer Klistierspritze. Jedem Geschöpf begegneten sie mit Argwohn, und sei es bloß eine Katze.

An den geschlossenen Läden strich eine Katze vorbei, Richtung Abfalltonne. Sie schaute ihr nach, bis sie den orangenen Lichtkreis der Straßenlaterne verlassen hatte. Da entdeckte sie hinter der Abfalltonne dunkle, schemenhafte Gestalten! Ihr Herz begann zu rasen, beinahe hätte sie der Schlag getroffen. Was nun, wenn sie einen Stein warfen? Oder einen Molotowcocktail? Wenn es zwischen beiden Seiten zum Gerangel käme, während sie noch auf der Straße stand! Wäre es denn wirklich möglich, dass sie so etwas anstellten, wo sie doch hier, mitten auf der Straße, war?

Sie kam bei dem Haus an, unaufhörlich die Macht und Stärke Gottes beschwörend. Die Gebärende lag noch immer in Wehen, die Öffnung war gerade mal drei Finger breit. Geschwind wusch sie sich die Hände und sah nach, ob alles bereitstand: Wasser, Tücher, Sachen fürs Kind. Nach Atem ringend, setzte sie sich nieder und seufzte: »Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.« Sie bat um eine Wasserpfeife, und sie wurde ihr im Nu gerichtet. Auf dem Balkon sitzend, wartete sie die weitere Eröffnung und die Austreibung ab.

Vom Berg aus glich Nablus einem Feuerofen, die Lichter glänzten wie ausgeklopfte Körner. Dennoch, diese Finsternis, die Seufzer, die Parolen der Jungs! Husam der Gejagte, wo würde er wohl schlafen? Erst im Morgengrauen kam er zurück, mit dem Gebetsruf in der Frühe. Er trommelt an das oberste Fenster und ruft, noch hinter den Läden: »Guten Morgen, Tante!« - »Schönsten Morgen, ohne Sorgen!« antwortet sie dann immer. »Licht und Freude sei dein Tag! Nur herein, mein lieber Neffe. Herein mit dir, und nimm eine Mütze Schlaf.« Sie steht auf, er schlüpft in ihr Bett und schläft bis in den Vormittag.

Einmal hat er einen Freund mitgebracht. Ausgehungert wie streunende Kater waren die beiden. Sie verschlangen das ganze Brot und wollten mehr. Ein paar Tage später kam er mit demselben Freund, seine Brust war von einem Dumdumgeschoss zerfetzt. Der Junge starb ihr unter den Händen weg, Husam weinte im Dunkeln. Nachher stellte er sich aufs Dach und pfiff. Wie Dschinnen traten sie aus der Nacht. Sie schleppten den Toten fort und begruben ihn im Handumdrehen, ohne dass...



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Autor

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt