Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Das Erbe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am16.11.20151. Auflage
Sena ist in Brooklyn als Tochter eines palästinensischen Krämers aufgewachsen. Sie ist erfolgreiche Anthropologin, hat zwei Autos, trainiert Aerobic, besucht Partys auf Jachten, in Botschaften, an Swimming-Pools. Eines Tages erhält sie eine Nachricht aus dem Westjordanland: Ihr seit langem verschollener Vater liegt im Sterben. Kurz entschlossen packt sie die Koffer und fährt zurück in ihr Land, das sie nicht kennt und von dem sie nicht weiß, ob es ihre Heimat ist. Die Wirklichkeit bricht über sie herein. Das Land ist in Aufruhr, die Menschen sind aufgewühlt. Ihre weitverzweigte Sippe bestaunt die angereiste Fremde, fürchtet um die Erbschaft des reichen Vaters.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSena ist in Brooklyn als Tochter eines palästinensischen Krämers aufgewachsen. Sie ist erfolgreiche Anthropologin, hat zwei Autos, trainiert Aerobic, besucht Partys auf Jachten, in Botschaften, an Swimming-Pools. Eines Tages erhält sie eine Nachricht aus dem Westjordanland: Ihr seit langem verschollener Vater liegt im Sterben. Kurz entschlossen packt sie die Koffer und fährt zurück in ihr Land, das sie nicht kennt und von dem sie nicht weiß, ob es ihre Heimat ist. Die Wirklichkeit bricht über sie herein. Das Land ist in Aufruhr, die Menschen sind aufgewühlt. Ihre weitverzweigte Sippe bestaunt die angereiste Fremde, fürchtet um die Erbschaft des reichen Vaters.

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293306851
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum16.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4025 Kbytes
Artikel-Nr.3421151
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe







Ich kam ins Westjordanland auf der Suche nach ihm, auf der Suche nach ihnen, auf der Suche nach meinem Gesicht in der Fremde. Um zu erfahren, wie es weitergehen würde. Ich hatte einen Brief von einem Mann erhalten, der mir schrieb, er sei mein Onkel väterlicherseits und mein Vater befinde sich an einem Ort namens Wadi al-Raihan. Was immerhin bedeutete, dass er am Leben und gut aufgehoben war.

Wie groß ist der Unterschied, wie weit die Entfernung zwischen New York oder Washington und Wadi al-Raihan! In meiner Erinnerung war Wadi al-Raihan das genaue Gegenteil von New York. Ein kleiner, sauberer Ort, die Einwohner einfache Leute, die ihre Mitmenschen und die Natur liebten. Eben ganz im Gegensatz zu den New-Yorkern.

Als ich meinen Vater an jenem Abend davon reden hörte, rannte ich jubelnd die Treppenstufen hinauf: »Wir kehren in die Heimat zurück, wir kehren zurück, zurück!« Doch wir fuhren niemals zurück, weil mein Vater vor mir floh, besser gesagt, ich flüchtete vor ihm.

Die Geschichte begann, als mein Vater aus seinem Dorf anreiste, eine amerikanische Frau heiratete - meine Mutter selbstverständlich - und die Green Card erhielt. Dann kam es zur Scheidung, wie gewöhnlich, darauf folgten neue Ehefrauen und eine ganze Herde Kinder. Zunächst war mein Vater fliegender Händler gewesen, der seine Ware auf dem Rücken schleppte und die Wohnungen abklapperte. Er verkaufte Dinge aus aller Herren Ländern, als handele es sich um Reliquien aus heiligen Gefilden. Er füllte kleine Flaschen mit Wasser und Sand und pries sie an: »Heiliger Sand und heiliges Wasser vom heiligen Strom! Du kennst Jordan, Frau? Heiliges Wasser und Taufe von Jesus Christus. Habt ihr Taufe? Wir haben viel, viel Taufe. Jeden Tag wir taufen. Ich von Jerusalem, und bringe Wasser von Jordan.«

Er sprach nur gebrochen Englisch, wusste sich jedoch mit orientalischer Gewandtheit zu helfen. Er breitete seine Artikel aus - glitzernde Gewänder, Haarnadeln und Zwirn - und redete auf eine amerikanische Hausfrau ein: »Schau, Lady, wie schön! Dieser Kaftan gearbeitet von Hand in Arabia, dort drüben. Du kennst Arabia? Wüste, Kamele und Datteln, Weihrauch und Moschus und Koran. Du kennst Mekka?«

Die amerikanische Hausfrau fand den Mann und seine Waren interessant und exotisch und rief voller Begeisterung: »Aber natürlich! Lassen Sie sehen, zeigen Sie her!«

»Langsam, langsam, Lady. Schau dies und dies und dies auch.«

Danach zog er, als sei es ihm eben zufällig in die Hände geraten, ein altes, vergilbtes Bild von König Husain I. hervor. »Siehst du, Lady? Das Bild von meinem Vater, war großer Emir. Ist tot. Beduinenstamm klaut sein Emirat, und ich noch kleiner Junge, nach Jerusalem geflohen, und dann Kairo, und dann Marrakesch, und von dort mit Schiff direkt nach Amerika. Siehst du, Lady? Ich bin armer Bettler, aber mein Vater war großer Emir.«

Die Frau reißt die Augen auf und starrt auf das Bild: ein edles Gesicht mit weißem Bart, ein großer Turban bedeckt das Haupt.

Darauf er, ein Mann mit gebrochenem Herzen: »Mein Vater war großer Emir, aber ich, o Jammer, nur armer Bettler.«

»Nein, nein, durchaus nicht!« Ihre Blicke wandern zwischen dem Mann und dem Bild hin und her. »Nein, nein, Sie sind kein Bettler.« Nachdenklich schaut sie ihm ins Gesicht: schwarze Augen, pechschwarz schimmernder Schnurrbart. Überwältigt stammelt sie: »Sie sehen wie ein Emir aus. Ich wette, Sie sind ein Emir!«

Nun legt er los: »Und du auch eine Emira, eine Sultanin, Königin der Schönheit, beim allmächtigen Gott!«

Er kramt ein Stück Stoff hervor, bindet es um ihre Hüften und schwört, sich dreimal scheiden zu lassen - beim Propheten Muhammad, dem Herrn der Propheten und Gesandten! -, wenn sie nicht das leibhaftige Ebenbild Scheherezades in all ihrer Pracht und Herrlichkeit sei, ja das Juwel aller Araber und Muslime - die reine Wahrheit, beim allmächtigen Gott! Diese Prozedur wiederholt er ein ums andere Mal. Und jedes Mal sagt er: »Probieren wir noch mal dies, und dies noch mal, und dies.« 

Auf diese Weise gelang es ihm, die Billigwaren aus Hongkong, hergestellt von Lumpenemiren seinesgleichen, als Reliquien aus heiligen Gefilden zu verkaufen. Nach wenigen Jahren konnte er in Brooklyn den Kramladen aufmachen, der alles enthielt, was man sich denken kann: Brot, Kämme und Haarklemmen, Nadeln und Zwirn, Gewürze, Ikonen und bunten Sand, Bilder mit Maria und ihrem kleinen Sohn, schwarze Oliven und getrocknete Muluchija, eingelegte Gurken und Damaszener Kaugummi, alte Gebetsketten und was einem sonst in den Sinn kommt.

Er war zweifellos erfolgreich, doch das Geheimnis lag nicht in seinem Englisch und seiner Zungenfertigkeit; es lag vielmehr in seinen Augen, seinem Schnurrbart und seiner außergewöhnlichen Fähigkeit, Geschichten und Fabeleien zu erfinden.

All das habe ich geerbt. Ich wurde eine angesehene Autorin in der Wissenschaft vom Menschen und den Zivilisationen, das heißt Anthropologin. Doch bevor ich werden konnte, was ich bin, musste ich mir erst einmal die Tricks meines Vaters aneignen. Alles begann an dem Tag, als ich zwei schmerzhafte Knöllchen in meiner Brust spürte. Die Frau meines Vaters schob die Sache auf eine unheilbare Erbkrankheit in unserer Familie. Doch die Symptome entwickelten und vergrößerten sich, und schon bald begann ich, heimlich durch die Schlüssellöcher und Fensterritzen zu lugen.

Als ich eines Tages auf dem Flachdach stand, um zwei Verliebte zu beobachten, die in der Dunkelheit miteinander schmusten, ertappte mich mein Vater in flagranti, sodass mir gar nichts anderes übrig blieb, als eine Geschichte zu erfinden. Ich behauptete, zu fasten und dort oben auf den Gebetsruf zu warten. Dann fragte ich unschuldig: »Wann ist denn das Fastenbrechen? Bilal lässt sich aber Zeit mit dem Ruf.«

Bilal war unser närrischer, törichter Nachbar, der sich ehrlich mühte, Amerika auf den Weg zum Islam zu führen, indem er fünfmal am Tag seine Stimme zum Gebetsruf erschallen ließ. Mein Vater schaute mich prüfend an, dann entschied er sich, mir zu glauben. Ich glaubte mir ja selber. Als sei ich vor Hunger den Tränen nahe, stieß ich mit erstickter Stimme hervor: »Ich bin hungrig, sehr hungrig!«

In der Nacht hörte ich, wie mein Vater seiner Frau Vorwürfe machte: »Du solltest dich schämen, das Mädchen kommt noch um vom vielen Fasten! Sieh nur, wie klein und schmächtig sie ist. Geht es denn an, dass sie jeden Tag fünfmal betet, im Ramadan fastet und auch noch die versäumten Tage nachholt?«

Die Frau meines Vaters warf sich im Bett herum, dass die Sprungfedern unter ihrem gewaltigen Gewicht krachten: »Willst du es nicht so haben?«

»Aber doch nicht die versäumten Tage vom Ramadan nachholen!«, erwiderte er empört.

Ärgerlich begehrte sie auf: »Fastet denn deine Tochter überhaupt, mein Lieber? Die frisst doch wie die Heuschrecken. Vor dem Mittagessen futtert sie in einem Atemzug sieben Maiskolben. Ich wollte sie zurückhalten, aber es war aussichtslos. Lieber Gott, was ist sie störrisch, nicht zum Aushalten! Störrisch und verlogen und verrückt, niemals erzählt sie eine Geschichte wahrheitsgemäß. Gott bewahre uns vor diesem Mädchen! Ich fürchte, dass sie was anstellt wie Huda und vor allen Nachbarn Schande über uns bringt!«

Huda war die Tochter unserer Nachbarn vom selben Block und wie ich eine halbe Amerikanerin. Mit fünfzehn wurde sie schwanger, und wir sahen zu, als ihr Vater sie auf der Straße verfolgte - wie ein wütender Stier, in der Hand ein langes Messer. Mein Vater holte ihn ein und versuchte, ihn zu stoppen. Doch vergeblich. Erst mithilfe zweier Nachbarn gelang es, ihn daran zu hindern, dass er sie erstach.

»Abgeschlachtet gehörte sie«, wiederholte mein Vater bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor mir. »Sie hat seinen Namen in den Schmutz gezogen und seine Ehre befleckt. Nun muss er vor den Leuten den Kopf einziehen. Ich an seiner Stelle hätte sie bis an die Pforten der Hölle verfolgt.«

Doch Huda konnte fliehen. Sie fand bei ihrer amerikanischen Großmutter Unterschlupf, und wir sahen sie nicht mehr in Brooklyn. Seit diesem Tag hörten wir nur noch Gerüchte über sie. Manche Leute sagten, sie habe das Neugeborene behalten, andere erzählten, sie habe es zur Adoption freigegeben, und wieder andere behaupteten, sie habe abgetrieben. Doch wie weit auch die Meinungen über Huda und ihr Baby auseinander gingen, in einem waren sich alle einig: Hudas Vater war kein richtiger Mann mehr.

Ich hörte meinen Vater im Schlafzimmer murmeln: »Gott behüte, Gott behüte! Sie wartet auf den Gebetsruf, sagt sie! Und ich stehe daneben wie ein dummer Ziegenbock, fehlte nur noch der Strick.«

Am nächsten Morgen hörte ich meinen Vater die neueste Nachricht verkünden: »Ich furz auf Amerika und die Amerikaner! Schluss aus, ich kehre in die Heimat zurück!«

Er saß mit zwei Nachbarn vor dem Laden, sie rauchten Wasserpfeife. Ich stand in einem Winkel, um sie zu beobachten und zu belauschen. Sobald ich das Wort »Heimat« vernahm, vollführte ich einen Freudensprung und rannte, ja flog förmlich die Treppenstufen hinauf, in den ersten Stock. »Heimat«, das klang mir wie ein Lied in den Ohren, zauberhaft wie das Märchen von Aladin und der Wunderlampe oder vom Geist aus der Flasche. Wie eine von meines...



mehr

Autor

Sahar Khalifa, geboren 1941 in Nablus, Palästina, ging mit achtzehn Jahren eine traditionelle Ehe ein, die dreizehn Jahre dauerte. Nach der Scheidung begann sie sich verstärkt dem Schreiben zu widmen, studierte in den USA und arbeitete als Dozentin an der Universität Bir Zeit. In Nablus gründete sie ein palästinensisches Frauenzentrum, das sie neben ihrer schriftstellerischen Arbeit leitet. Sie lebt in Nablus und Amman.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt