Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Artful Egg

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am26.09.2016
Als sich der neugierige indische Postbote Ramjut Pillay morgens auf dem Anwesen der berühmten oppositionellen Schriftstellerin Naomi Stride umsieht, entdeckt er ihre nackte Leiche. Schon steht Lieutenant Kramer wieder einmal vor einem Rätsel: Jeder glaubte offenbar, die weltbekannte Autorin sei längst zur Man-Booker-Preisverleihung nach London geflogen. Kramer und Zondi finden sich unvermutet im Zentrum der Anti-Apartheid-Bewegung wieder, müssen verbotene Romane lesen und sammeln ganz neue Erkenntnisse, als sie im Netzwerk des Widerstands ermitteln.

James McClure, geboren 1936 in Johannesburg, arbeitete als Fotograf und Lehrer, bevor er sich dem Schreiben widmete. Weil er offen über Polizeigewalt gegen schwarze Südafrikaner berichtete, wurde er von den Behörden überwacht und drangsaliert. 1965 emigrierte er mit seiner Familie nach England, wo er als Journalist tätig war. Bekannt wurde er mit seiner achtteiligen Krimiserie um das Ermittlerduo Kramer und Zondi. Für Steam Pig wurde er 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet. Er starb 2006 in Oxford.
mehr

Produkt

KlappentextAls sich der neugierige indische Postbote Ramjut Pillay morgens auf dem Anwesen der berühmten oppositionellen Schriftstellerin Naomi Stride umsieht, entdeckt er ihre nackte Leiche. Schon steht Lieutenant Kramer wieder einmal vor einem Rätsel: Jeder glaubte offenbar, die weltbekannte Autorin sei längst zur Man-Booker-Preisverleihung nach London geflogen. Kramer und Zondi finden sich unvermutet im Zentrum der Anti-Apartheid-Bewegung wieder, müssen verbotene Romane lesen und sammeln ganz neue Erkenntnisse, als sie im Netzwerk des Widerstands ermitteln.

James McClure, geboren 1936 in Johannesburg, arbeitete als Fotograf und Lehrer, bevor er sich dem Schreiben widmete. Weil er offen über Polizeigewalt gegen schwarze Südafrikaner berichtete, wurde er von den Behörden überwacht und drangsaliert. 1965 emigrierte er mit seiner Familie nach England, wo er als Journalist tätig war. Bekannt wurde er mit seiner achtteiligen Krimiserie um das Ermittlerduo Kramer und Zondi. Für Steam Pig wurde er 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet. Er starb 2006 in Oxford.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293309678
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum26.09.2016
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2318 Kbytes
Artikel-Nr.3421277
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1


Für ein Ei stellt eine Henne die Möglichkeit dar, ein neues Ei zu produzieren.

Das war der zentrale Gedanke im Kopf von Ramjut Pillay, indischer Postbote zweiter Klasse, zu Beginn des entsetzlichen Dienstagmorgens, der sein Leben veränderte. Er versuchte, sich jeden Morgen einem zentralen Gedanken zu widmen, aus Angst, intellektuell zu veröden durch die Art der Lektüre, die seine Arbeit ihm abverlangte:


Mrs W. M. Truscott

Jan-Smuts-Weg 4

Morningside

Trekkersburg

Natal, Südafrika


Nicht, dass auf den meisten Briefen, die am Ort aufgegeben wurden, überhaupt so viel stand. Deswegen war dieser - ein Luftpostbrief aus Cincinnati - so etwas wie eine Alltagsversion von Krieg und Frieden für ihn. Nicht, dass überhaupt je wirklich die Notwendigkeit bestanden hätte, mehr zu lesen als die ersten zwei Zeilen, denn in sein Fach kam ohnehin nur das, was schon für Morningside vorsortiert war. Aber er bildete sich etwas darauf ein, gewissenhaft zu sein.

Ramjut Pillay steckte Mrs Truscotts Luftpostbrief in den Schlitz an ihrer Haustür, wich mit gekonnter Geringschätzung ihrem Dackel aus und setzte seinen Weg fort. Heute war nichts dabei für die Familie Van der Plank in Nummer 6 und nur ein paar Rechnungen und ein Urlaubsgruß für die Trenchards in Nummer 8.

Längst las er die Postkarten nicht mehr; die Albernheit der hingekritzelten Worte war mehr, als er mit seinem beachtenswerten Verstand ertragen konnte.

»Denken wir also«, murmelte er vor sich hin, während er das Tor zum Jan-Smuts-Weg Nr. 8 aufmachte, »von Neuem und gründlicher über die teuflische Lust des zuvor erwähnten Eis und deren Folgen für das besagte arme Federvieh nach â¦«

Ramjut Pillay benutzte immer den Plural, wenn er mit sich selbst sprach, denn er war sich überdeutlich der Tatsache bewusst, dass erheblich mehr in ihm steckte, als zu sehen war - was zugegebenermaßen nicht eben viel war.

Bebrillt, 1,58 groß, etwas o-beinig und so mager wie ein Spatzenkeulchen, informierte er seine weltweiten Brieffreunde »in aller Aufrichtigkeit« darüber, dass er seinem Äußeren nach »ganz und gar gandhiähnlich« sei bis auf ein »Haupt voller herrlich gesunder Haare«. Was er seinen Brieffreunden verschwieg, war, dass die Leute oft einfach durch ihn hindurchsahen, als sei er gar nicht da, und dass ihn seine Mutter, als er noch ein Kind war, oft im Bus, in Läden oder im Hindutempel am Ende der Harber Road verloren hatte.

Einmal, als er etwa zwölf Jahre alt war, hatten ihn sein Vater und seine Mutter nach verzweifeltem Suchen bis ins entlegenste Viertel der Stadt mitten zwischen den Tempelältesten unter einem heiligen Feigenbaum sitzend gefunden. »Ramjut«, hatte seine Mutter ausgerufen, »weißt du denn nicht, welche Sorgen dein Vater und ich uns gemacht haben? Was machst du bloß hier bei den weisen alten Männern, Junge?« Worauf er erwiderte: »Feigen essen.«

Die Haustür vom Jan-Smuts-Weg 8 öffnete sich, bevor er die Post durch den Briefschlitz hineinwerfen konnte.

»Ich habe mich nur gefragt, ob â¦«, hob die rotgesichtige Mrs Trenchard an, während ihre grünen Augen die Post in seiner rechten Hand durchbohrten.

Er wusste, worauf sie wartete. Die ganze letzte Woche war es so gewesen, immer hatte sie gehofft, ihr Sohn hätte ihr vom Militärlager geschrieben. »Man hört ja dauernd diese Geschichten«, hatte sie ihm erklärt, »kaum haben sie ihre Stiefel bekommen, werden sie auch schon in den Busch nach Namibia geschickt.« Gewiss hätte ihre mütterliche Angst wieder einmal sein Mitleid erregt, wenn Ramjut Pillay ihr auch nur die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Er warf jedoch lieber einen verstohlenen Blick auf die siebzehnjährige Suzie Trenchard - der er erst vor Kurzem in lauter unverschlossenen Umschlägen die Geburtstagskarten gebracht hatte -, wie sie langsam, in ein Hochglanzmagazin vertieft, die Treppe herunterkam. Die Beine des weißen Mädchens waren nackt bis hinauf zu dem mit Rüschen besetzten Höschen, das sie unter einem kurzen Nachthemd trug. Was für Beine! Üppige Schenkel, samtige Knie und Waden von wahrhaft himmlischem Schwung. Die vollen Brüste waren ebenfalls exquisit, ein Paar runde süße Melonen, die den hauchdünnen Stoff spannten und bei jedem ihrer Schritte sanft zitterten. Es dauerte einige Sekunden, bis er zögernd seine Fassung wiedergewonnen hatte.

»Sie haben sich gefragt, Madam?«, sagte Ramjut Pillay, fächerte die Post in seiner Hand auf wie ein Zauberer und wies auf die Postkarte hin.

»Pfff«, machte Mrs Trenchard und sah kaum hin. »Was Besseres haben Sie wohl nicht.«

»Das Bild ist doch sehr hübsch und informativ«, sagte Ramjut Pillay nachdrücklich.

»Werden Sie nicht frech!«, schimpfte Mrs Trenchard. »Was ich wissen will, ist, ob Sie sonst nichts für mich haben!«

Sie hatte eigentlich keinen Grund, so grob zu sein, und deshalb gönnte er sich die kleine Freude, ihr die Rechnungen eine nach der anderen zu reichen. Dann warf er einen letzten unerlaubten Blick auf Suzie Trenchard mit ihrem köstlichen Hinterteil, die ein sattes Kichern von sich gab, während sie in Richtung Küche im Flur verschwand, wandte sich ab und setzte seinen Weg fort.

»Suzie!«, hörte er Mrs Trenchard rufen, einen Augenblick bevor die Haustür zuschlug. »Suzie, komm bitte sofort zum Frühstück herunter! Und sieh zu, dass du anständig angezogen bist, hörst du? Denk an die Hausangestellten!«

Zwei Briefe, eine Stromrechnung und ein kleines Päckchen Farbfotos glitten durch den Briefschlitz auf den Teppich im Eingangsflur vom Jan-Smuts-Weg 10.

»Für ein Ei stellt eine Henne die Möglichkeit dar â¦«

Aber sein zentraler Gedanke hatte sich verändert.

So war es immer, wenn Ramjut Pillay ein Kribbeln in den Lenden verspürte, ein Zustand, der seinen Geist im Allgemeinen zu noch größeren Höhenflügen anregte und ihn an seine tiefe Wesensverwandtschaft mit dem Mahatma erinnerte.

»Brahmacharya â¦«, flüsterte er ehrfürchtig, ohne zu bemerken, dass er die Post für die Hausnummern 14 und 16 alle beim Jan-Smuts-Weg 12 eingeworfen hatte, so stark war er in diesem Augenblick von Höherem eingenommen.

Die Brahmacharya-Experimente hatten, wie jeder Anhänger Mohandas Karamchand Gandhis sehr wohl wusste, darin bestanden, dass der Mahatma die ganze Nacht lang neben nackten jungen Mädchen lag und damit seinen Willen zur Enthaltsamkeit prüfte. Wie es hieß, war Gandhi nie schwach geworden, und Ramjut Pillay war sich sicher, es ebenso wenig zu werden, wenn er einmal die Gelegenheit zu einer ähnlichen Feuerprobe bekommen sollte.

»Die Sache hat einen Haken«, sagte er zu sich selbst, während er den Weg entlangeilte. »Einen abscheulichen Haken â¦«

Der Haken war einfach der, dass Ramjut Pillay trotz aller Anstrengungen erst noch ein junges Mädchen in Trekkersburg finden musste, das bereit war, die ganze Nacht nackt neben ihm zu liegen. Einmal hatte er es fast geschafft, es dem Mahatma gleichzutun, daran bestand kein Zweifel - obwohl ihr Vater es immer noch anders sah und Ramjut seitdem einen Umweg von zwei Blocks machen musste, wenn er zufällig in jenen Stadtteil kam. Und nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass zarte Jugend keine absolut notwendige Voraussetzung für ein Brahmacharya-Experiment war, hatte er es einmal eine Nacht mit Sophia, einer Tamilendame mittleren Alters, versucht, die allseits bekannt war für ihre Gefälligkeit. Die erste Stunde war es sehr gut gegangen; doch dann war Sophia unruhig geworden, hatte einen tiefen Seufzer von sich gegeben und sich plötzlich auf ihn gehievt.

»He«, rief der alte Major MacTaggart von seiner Veranda am Jan-Smuts-Weg 14 herab, »zum Kuckuck noch mal, ich erwarte heute Morgen meine Ausgabe der Clubzeitung. Sie wollen doch nicht etwa vorbeilatschen, oder?«

»M-Major?«

»Ein großer brauner Umschlag.«

Ramjut schien es, als könne er sich an einen großen braunen Umschlag in seinem Bündel für den Jan-Smuts-Weg erinnern, doch bei schneller Durchsicht stellte er fest, dass sein Gedächtnis, das sonst in jeder Hinsicht perfekt funktionierte, ihm einen Streich gespielt haben musste. »Tut mir sehr leid, Major«, sagte er, »heute kann ich nichts für Sie tun.«

»Ha«, schnaubte Major MacTaggart unfreundlich, »ich habe so meine Zweifel, was Sie als Postkuli taugen, Pillay, ernste Zweifel. Und jetzt stehen Sie nicht so beleidigt da herum, Sie alter krummbeiniger Gauner - Sie sind spät genug dran.«

Zutiefst empört, aber ebenso wenig in der Lage zu protestieren wie damals, als Sophia ihm den Mund mit der Hand zugehalten hatte, ehe sie energisch zur Sache ging, setzte Ramjut Pillay seine Runde durch den Jan-Smuts-Weg fort.

Unglaublich, wie die Welt mit einem eingeschworenen Pazifisten umsprang!

»Eine verdammte Henne«, sagte er ärgerlich, »stellt für ein Ei die Möglichkeit â¦«

Es ging nicht. Man konnte einfach nicht von ihm erwarten, sich zu konzentrieren, zumindest nicht unter diesen Umständen. Postkuli? Was für eine unverschämte Gemeinheit! Konnte man so mit einem hoch gebildeten Mann sprechen, der auf vielen Gebieten versiert war?...


mehr

Autor

James McClure, geboren 1936 in Johannesburg, arbeitete als Fotograf und Lehrer, bevor er sich dem Schreiben widmete. Weil er offen über Polizeigewalt gegen schwarze Südafrikaner berichtete, wurde er von den Behörden überwacht und drangsaliert. 1965 emigrierte er mit seiner Familie nach England, wo er als Journalist tätig war. Bekannt wurde er mit seiner achtteiligen Krimiserie um das Ermittlerduo Kramer und Zondi. Für Steam Pig wurde er 1971 mit dem CWA Gold Dagger ausgezeichnet. Er starb 2006 in Oxford.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt