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Der Hofnarr

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
200 Seiten
Deutsch
Lenos Verlagerschienen am08.05.2018
Aus einfachsten Verhältnissen stammend, steigt Muhammad dank seines einzigartigen Gedächtnisses in die höchsten Sphären der Macht auf: Er ist Geschichtenerzähler, Lyriker, Spaßmacher und geistreicher Gefährte des marokkanischen Königs - ein Hofnarr des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine schillernden Episoden aus dem Palast zeigen eine luxuriöse, vom Alltag der Bevölkerung entrückte Welt, wo der bewunderte und gefürchtete Monarch launisch und unberechenbar regiert. Seine Höflinge sind Tag und Nacht um sein Wohl und seine Gunst bemüht, doch auch Intrigen und Verrat keimen angesichts seines nahen Todes. Inspiriert vom Leben seines Vaters am Hof Hassans II., gelingt es Mahi Binebine, die Doppelbödigkeit dieses jahrhundertealten Regimes aufzuzeigen, ohne moralisch zu urteilen. Auch dieser Roman sprüht vor Fabulierlust und jener genussvollen Verknüpfung von Humor und Tragik, die sein Schreiben auszeichnen.

Mahi Binebine, geboren 1959 in Marrakesch. Studium der Mathematik in Paris. Lehrer. Hinwendung zur Literatur und Malerei. Heute gilt er als bekanntester Maler Marokkos, seine Bilder hängen u.a. im New Yorker Guggenheim-Museum. Sein schriftstellerisches Werk wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Nach Jahren in Frankreich und den USA lebt Mahi Binebine seit 2002 wieder in Marrakesch.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextAus einfachsten Verhältnissen stammend, steigt Muhammad dank seines einzigartigen Gedächtnisses in die höchsten Sphären der Macht auf: Er ist Geschichtenerzähler, Lyriker, Spaßmacher und geistreicher Gefährte des marokkanischen Königs - ein Hofnarr des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine schillernden Episoden aus dem Palast zeigen eine luxuriöse, vom Alltag der Bevölkerung entrückte Welt, wo der bewunderte und gefürchtete Monarch launisch und unberechenbar regiert. Seine Höflinge sind Tag und Nacht um sein Wohl und seine Gunst bemüht, doch auch Intrigen und Verrat keimen angesichts seines nahen Todes. Inspiriert vom Leben seines Vaters am Hof Hassans II., gelingt es Mahi Binebine, die Doppelbödigkeit dieses jahrhundertealten Regimes aufzuzeigen, ohne moralisch zu urteilen. Auch dieser Roman sprüht vor Fabulierlust und jener genussvollen Verknüpfung von Humor und Tragik, die sein Schreiben auszeichnen.

Mahi Binebine, geboren 1959 in Marrakesch. Studium der Mathematik in Paris. Lehrer. Hinwendung zur Literatur und Malerei. Heute gilt er als bekanntester Maler Marokkos, seine Bilder hängen u.a. im New Yorker Guggenheim-Museum. Sein schriftstellerisches Werk wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Nach Jahren in Frankreich und den USA lebt Mahi Binebine seit 2002 wieder in Marrakesch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783857879654
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum08.05.2018
Seiten200 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1265 Kbytes
Artikel-Nr.3425344
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Alles schien ganz normal zu sein, aber nichts war es wirklich. Im weiten Palastinnenhof hüllte eine mondlose, von einem Schweif bleicher Sterne erhellte Nacht zwei Silhouetten ein. Sidi bewegte sich langsamen Schrittes durch die mit Laternen bestandenen, von Zwergpalmen, Orangen- und Mandelbäumen gesäumten Alleen. Ich ging dicht hinter ihm wie stets, den Rücken leicht gebeugt, einen Hauch untertänig, wie es sich gehört, wenn man den König begleitet. Ein Duft von Jasmin schwebte in der feuchten Luft des Juliabends. Sidi hielt sich mit beiden Händen seinen schmerzenden Leib und stöhnte von Zeit zu Zeit dumpf auf. Er hatte Mühe, sich aufrecht zu halten, gnadenlos setzte ihm das unsichtbare Ungetüm zu, das in seinem Inneren wütete. Es schmerzte mich, ihn so leiden zu sehen, aber ich hütete mich, es zu zeigen. Ich versuchte nach Kräften, witzig zu sein, denn schliesslich ist es mein Beruf, meinen Herrn und Meister zum Lachen zu bringen. Doch Sidi stand der Sinn nach nichts. Er hörte mir zerstreut zu, während sich sein Gesicht unversehens zu einem Geflecht von Falten zusammenzog.

Alles schien ganz normal zu sein, aber nichts ist normal, wenn der Löwe auf die Knie gezwungen wird, wenn seine Pranken nur noch stumpfe Holzstücke sind, vor denen niemand mehr erbebt, das ersterbende Feuer seines Blicks eher Mitleid als Schrecken einflösst; ein kraftloser Blick, nach innen gekehrt, ins Dunkel eines zerstörten, gebrochenen Körpers, wo aus dem Gebrüll von einst das zaghafte Echo eines Lebens wurde, das von beiden Enden her brannte, von Exzessen jeglicher Art erfüllt: bitterer Reue und uneingestandenen Niederlagen, schallenden Halbsiegen und tönenden Freuden, tiefstem Leid, Entsagung und Gewissensbissen; eines wildbewegten Lebens, auf dessen gewundenen, dornigen Pfaden einvernehmlich Engel und Dämonen wandeln und wo das grausige Gesetz des Sensenmanns herrscht.

Alles schien ganz normal zu sein, aber tief in der Brust spürte ich einen Kloss. Bekümmert flehte ich früh und spät zu Gott, er möge meinen Gebieter von seinem Leid erlösen und es mir aufbürden, wenn es denn sein müsse, es keinen anderen Ausweg gebe. Ich war bereit, seinen physischen Schmerz auf mich zu nehmen, die Krämpfe, die in seinen Eingeweiden tobten, die spitzen Gabeln, die ihm die Seiten durchstachen. War ich nicht fünfunddreissig Jahre lang sein ergebener Diener gewesen, sein Spassmacher mit der nie versiegenden Phantasie und sein offiziell bestallter Theologe, wenngleich er selber den Titel »Befehlshaber der Gläubigen« trug. Sein literarischer Ratgeber war ich gewesen, seine unbestrittene Autorität in der fabelhaften Welt der Poesie, Zeuge einer Epoche, da die Araber sich im dichterischen Wettstreit mit Vierzeilern bekriegten, die Grammatiker monatelang über Fragen der Vokalisierung, der Deklinationsform oder einen unbedeutenden Akzent stritten, da mathematische oder astrologische Formeln den Platz der Religion einnahmen ⦠jener gesegneten Epoche, die niemals existiert zu haben scheint.

Alles schien ganz normal zu sein, aber nichts war normal für meine Wenigkeit, Muhammad bin Muhammad, den fauligen Abschaum und Bodensatz der Stadt Marrakesch, den nichts dazu vorherbestimmt hatte, Seite an Seite mit den Auserwählten zu leben, der ich den tiefsten Verliesen und Kellergeschossen des Menschseins entflohen war und mich an diesem Juliabend nun hier, hinter meinem sterbenden Gebieter, befand und in meinem Herzen das furchtbare Verdikt des Leibarztes bewegte: »Zwei oder drei Tage höchstens, und wir sind alle Waisenkinder!«

Sidis Aufmerksamkeit wurde von einem ungewöhnlichen Lichtschein angezogen, der aus dem Saal der Geschenke drang: einer immensen Lagerhalle, in der sich Tausende nie ausgepackter Geschenke türmten, die Seiner Erhabenen Majestät von Fest zu Fest dargebracht worden waren.

»Komm«, sprach der König zu mir, »lass uns mal nachsehen, was da los ist!«

»Es ist schon spät, Sidi. Wir sollten zurückkehren, die Nacht ist ein wenig frisch.«

»Nicht bevor wir den Kerl gestellt haben, der mich schon zu Lebzeiten ausplündert«, knurrte er und setzte seinen Weg fort.

»Vermutlich wird da drinnen nur geputzt, Sidi.«

»Um diese Zeit?«

Ich verstummte. Der König schien entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

Wenn man abends im Palast umhergeht, ist das Gefühl, allein zu sein, ein trügerisches. Dutzende von Augenpaaren beobachten einen, spionieren einem nach, verfolgen jede deiner Gesten und Bewegungen. Das wusste ich, weil ich mehrere Jahrzehnte zwischen diesen Mauern mit den die Sinne verwirrenden Mosaiken verbracht hatte, inmitten dieser Gärten, in denen Springbrunnen prangten, die an jeder Wegkreuzung denselben Refrain murmelten. Einerseits erschien es mir unglaublich, dass ein Waghalsiger sich erdreisten könnte, im Herzen des Hofes einen Diebstahl zu begehen. Auf der anderen Seite war es keinem verborgen geblieben, dass der dahinsiechende König nur noch der Schatten seiner selbst war, und von daher fühlte mancher sich schon jetzt so frei, die schlimmsten Verrücktheiten zu unternehmen.

Mit Müh und Not erreichten wir den Nordflügel des Palastes, erklommen einige Stufen, bogen in einen langen, überwölbten Korridor ein, der dem Personal vorbehalten war, und erblickten die Tür zur Höhle Ali Babas, die angelehnt war. Sidi stiess sie sachte auf, schob seinen Kopf durch den Türschlitz hindurch und verharrte einen Moment lang reglos. Dann trat er geräuschlos ein. Ich ihm nach. Das Schauspiel, das sich uns bot, war zumindest ergötzlich, einige Wochen zuvor indes noch ganz undenkbar: Ein alter Sklave hatte den Saum seiner Dschellaba zusammengerafft und stopfte in dieses improvisierte Bündel, so viel er nur konnte an kostbaren Kästchen, Schmuckschatullen und Gegenständen jeder Art. Er musste wohl schwerhörig sein, um unsere Anwesenheit so gar nicht zu bemerken. Als Sidi sich vernehmlich räusperte, drehte der Mann sich um, zuckte gehörig zusammen und wäre, als er sich unverhofft dem König gegenübersah, fast in Ohnmacht gefallen. Wie er so vor uns stand, erstarrt und zugleich bebend, schien er etwas sagen zu wollen, aber kein Ton drang aus seinem Mund. Das Ebenholz seines Teints hatte sich ins Violette verfärbt, dessen Glanz, von den Schweissperlen auf seiner Stirn noch verstärkt, Reflexe abgrundtiefen Entsetzens zurückwarf. So wie ich Sidi kannte, hätte ich für die Haut dieses Frechdachses, der noch immer die Beute gegen seinen Brustkorb presste, nicht viel gegeben. Im besten Fall, sagte ich mir, würde er hundert Peitschenhiebe einstecken, die von den allseits gefürchteten Feuersklaven verabreicht werden. Und war für Peitschen das waren! Geflochtener Ochsenschwanz, in Eiswasser getaucht, dessen klatschender Ton für sich allein schon eine Bestrafung darstellt. Ans Schlimmste wagte ich gar nicht zu denken. Doch der König war durchaus unvorhersehbar, niemand konnte seine Reaktionen mit Bestimmtheit voraussagen: Zwar konnte er irgendein Bagatellvergehen mit brutalster Härte strafen, andererseits war er imstande, über schwerste Fehler einfach so hinwegzusehen. Dies stellte er auch an jenem Abend wieder unter Beweis.

»Los«, ermunterte er den Dieb, »beeil dich, und lauf schnell davon! Wenn du das Pech hast, von den königlichen Wachen erwischt zu werden, dann bist du reif für den Galgen.«

Der Sklave wusste nicht ein noch aus, hatte keine Ahnung, ob er dem Herrscher nun glauben sollte oder nicht. Da er sich nicht vom Fleck rührte, ging ich auf ihn zu, schnappte mir aus seinem Bündel, was nach dem Etui einer wertvollen Uhr aussah, und liess es in der Kapuze meiner Dschellaba verschwinden.

»Hab wenigstens so viel Anstand, anderen was von deiner Beute abzugeben, du Fettwanst! Und mach dich davon, bevor Sidi es sich anders überlegt!« Als ich den Anflug eines Lächelns auf den königlichen Gesichtszügen keimen sah, fuhr ich sogleich fort: »Du kannst dich glücklich schätzen, dass Sidi heute Abend guter Laune ist, meiner unmassgeblichen Meinung nach solltest du die Gunst der Stunde nutzen und ihn rasch noch um andere Dinge bitten.«

Der Sklave musterte mich ungläubig, derweil der König lächelte.

»Vielleicht um eine Transportlizenz, irgendeine Konzession, um deine alten Tage finanziell abzusichern.«

»Welcherart Konzession?«, fragte der König belustigt.

Ich näherte mich dem Sklaven und flüsterte ihm ins Ohr: »Eine Transportlizenz für den Bahnverkehr!«

»Bahnverkehr, mein Gebieter!«, stammelte der Unglückliche, ohne nachzudenken.

Und der König brach in herzliches Gelächter aus, das seinen Schmerz erneut aufflammen liess, aber er hörte trotzdem nicht auf. Er lachte und lachte, und es war, als flattere ein Schmetterlingsschwarm davon.

Und ich lachte auch und setzte noch einen drauf: »Eine Lizenz für den Luftverkehr wäre für unseren guten Mann vielleicht...
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Mahi Binebine, geboren 1959 in Marrakesch. Studium der Mathematik in Paris. Lehrer. Hinwendung zur Literatur und Malerei. Heute gilt er als bekanntester Maler Marokkos, seine Bilder hängen u.a. im New Yorker Guggenheim-Museum. Sein schriftstellerisches Werk wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Nach Jahren in Frankreich und den USA lebt Mahi Binebine seit 2002 wieder in Marrakesch.