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Inferno

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
216 Seiten
Deutsch
Droschl, Merschienen am10.08.2018
Wien 1938: Der Anschluss Österreichs steht kurz bevor. Es ist die Zeit der Pogrome, der Opportunisten, Denunzianten und überzeugten Nazis. In dieser Welt des Umbruchs muss sich die 18-jährige Ursula zurechtfinden und entscheiden, ob sie Teil des aufkommenden Schreckenssystems wird oder Widerstand leistet. Nirgends kann man mehr sicher sein, denn »in Zukunft werden alle Wände Ohren haben und hinter jeder Tür wird einer horchen«. Ursulas Bruder versucht die Familie für die Nationalsozialisten zu gewinnen, in ihrer Malerschule haben parteitreue Dozenten das Sagen. Nur ihr Freund scheint ein Hoffnungsschimmer in diesen Zeiten zu sein, in denen nicht nur Ursulas Leben durch all die Bedrohungen zu zerfallen droht. Die atemlose Prosa spiegelt Ursulas innere Zerrissenheit, Verzweiflung und existenziellen Ängste. Zwischen 1946 und 1948 verfasste Mela Hartwig in ihrem Londoner Exil den Roman 'Inferno', der nun 70 Jahre später zum ersten Mal erscheint. Es ist bemerkenswert, wie scharfsinnig sich Hartwig unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit der NS-Zeit auseinandergesetzt hat.

Mela Hartwig, geboren 1893 in Wien, war Schauspielerin, Malerin und Autorin. Nach den Veröffentlichungen des Novellenbands 'Ekstasen' (1928) und des Romans 'Das Weib ist ein Nichts' (1929) hatte sie Schwierigkeiten, als Jüdin von einem Verlag angenommen zu werden. 1938 emigrierte sie mit ihrem Ehemann Robert Spira nach England, wo sie in den Jahren 1946 bis 1948 den Roman 'Inferno' schrieb, der zu Lebzeiten nie veröffentlicht wurde. 1967 starb sie in London. Bei Droschl wurden 'Bin ich ein überflüssiger Mensch?' (2001), 'Das Weib ist ein Nichts' (2002) und 'Das Verbrechen' (2004) publiziert.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextWien 1938: Der Anschluss Österreichs steht kurz bevor. Es ist die Zeit der Pogrome, der Opportunisten, Denunzianten und überzeugten Nazis. In dieser Welt des Umbruchs muss sich die 18-jährige Ursula zurechtfinden und entscheiden, ob sie Teil des aufkommenden Schreckenssystems wird oder Widerstand leistet. Nirgends kann man mehr sicher sein, denn »in Zukunft werden alle Wände Ohren haben und hinter jeder Tür wird einer horchen«. Ursulas Bruder versucht die Familie für die Nationalsozialisten zu gewinnen, in ihrer Malerschule haben parteitreue Dozenten das Sagen. Nur ihr Freund scheint ein Hoffnungsschimmer in diesen Zeiten zu sein, in denen nicht nur Ursulas Leben durch all die Bedrohungen zu zerfallen droht. Die atemlose Prosa spiegelt Ursulas innere Zerrissenheit, Verzweiflung und existenziellen Ängste. Zwischen 1946 und 1948 verfasste Mela Hartwig in ihrem Londoner Exil den Roman 'Inferno', der nun 70 Jahre später zum ersten Mal erscheint. Es ist bemerkenswert, wie scharfsinnig sich Hartwig unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit der NS-Zeit auseinandergesetzt hat.

Mela Hartwig, geboren 1893 in Wien, war Schauspielerin, Malerin und Autorin. Nach den Veröffentlichungen des Novellenbands 'Ekstasen' (1928) und des Romans 'Das Weib ist ein Nichts' (1929) hatte sie Schwierigkeiten, als Jüdin von einem Verlag angenommen zu werden. 1938 emigrierte sie mit ihrem Ehemann Robert Spira nach England, wo sie in den Jahren 1946 bis 1948 den Roman 'Inferno' schrieb, der zu Lebzeiten nie veröffentlicht wurde. 1967 starb sie in London. Bei Droschl wurden 'Bin ich ein überflüssiger Mensch?' (2001), 'Das Weib ist ein Nichts' (2002) und 'Das Verbrechen' (2004) publiziert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990590249
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum10.08.2018
Seiten216 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4105 Kbytes
Artikel-Nr.3833817
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Straßen

Ziellos schlenderte Ursula durch die Straßen. Ihr Ziel war die Straße selbst. Irgendeine. Sie hatte herausgefunden, daß jede ein Ausschnitt aus der Vielfalt des Lebens ist, das Fragment einer Wirklichkeit, die sich geheimnisvoll hinter undurchsichtigen Mauern vor unserer Neugierde verbirgt, unserer Phantasie jedoch keine Schranken setzt, wenn sie versucht, ein verhängtes Fenster, ein vorüberhuschendes Lächeln zu Vermutungen, Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten auszuspinnen, weil sie sich ihr niemals enthüllt und sie daher niemals widerlegt.

Von der Fassade der Häuser ließen sich Schicksale ablesen, die sich hinter den Mauern abspielten, wie man aus dem Ausdruck eines Gesichts auf die Stimmung schließen kann, die das Zusammenspiel seiner Züge bestimmt, und einem Mosaik vergleichbar setzten sich Häuser und Schicksale zur Straße zusammen, verwirrende Einzelheiten zu einer Idee der Gemeinschaft verflochten, die unaufhaltsame Bewegung der Zeit in die beruhigte Unbewegtheit von Mauern gebannt, der unendliche Raum zwischen Wänden eingefangen, wie ein wildes Tier, das man in einen Käfig sperrt, um es unschädlich zu machen.

Die Häuser in den stillen Seitenstraßen, schmucklose, zumeist dreistöckige Häuser, die bescheiden hinter winzige Vorgärten zurücktraten oder häufig, anspruchsloser noch, auf das bißchen graue Grün verzichteten und kahl den Gehsteig säumten, ließen erraten, daß hinter ihren bescheidenen Fassaden, farblos wie Federzeichnungen, ein Tag wie der andere eintönig verging, daß sie Menschen Obdach gewährten, die niemals mehr als ein Existenzminimum an Glück vom Leben verlangt und niemals mehr erhalten hatten, deren laue Herzen niemals von den Versuchungen heimgesucht wurden, mit denen Leidenschaft Herzen bedrängt, die niemals über Eitelkeiten straucheln, sich niemals in den Schlingen verstricken, die Ehrgeiz legt, die sich kaum je auch nur zu einem Wunsch versteigen, den eine magere Börse nicht erfüllen kann und die mit ihrem Los zufrieden sind, weil sie mit sich selbst zufrieden sind. An Blumentöpfen vorbei, die da und dort einen Fenstersims schmückten, an verblichenen Vorhängen aus billigem geblumtem oder gestreiftem Zeug vorbei, erlaubte zuweilen ein Fenster einem Blick, in eine der engen Stuben einzudringen, in der sich ängstlich behütete Möbel drängten, Lehnstühle und Sofa von Überzügen beschützt, erlaubte ihm über die Familienphotographien zu gleiten, die in gestanzten Rahmen steckten, die Silber vortäuschten, über Figuren aus Gips, aus billigem, farbig glasiertem Porzellan, zuweilen aus Bronze, in denen sich eine erschreckende Realität phantastisch mit Unnatur mischte, über einen Öldruck, der eine Wand schmückte, ein Hirschgeweih, über einen Vogelbauer, hinter dessen Stäben ein gelber Schimmer hin und her hüpfte, über eine Uhr, die zuweilen eine Glasglocke schützte und die der Spiegel, der ihren Hintergrund abgab, verdoppelte. Aber hinter diesem friedlichen Bild, das sich dem Blick des Vorübergehenden darbot, konnte Ursula erblicken, was Augen nicht sehen konnten, die bedrückende, die beklemmende Genügsamkeit, die sich in diesen Stuben eingenistet hatte und die, einem stehenden Wasser vergleichbar, das eine Brutstätte aller Keime ist, die Fäulnis nährt, eine Brutstätte jener furchtbaren, jener grauenhaften Zufriedenheit ist, die jede Energie, jedes Gefühl, jeden Wunsch, jeden Traum, aus denen Zukunft gesponnen wird, erstickt, die nur ein Heute ist, ein gespenstisches Heute, dem niemals ein Morgen folgt.

Die Häuser der Vorstadtstraßen, verwahrloste Zinskasernen, deren Fassaden Risse und Sprünge bedeckten, die Narben und Wunden der Not, deren Mauerwerk vergrindet war, wie Aussätzige es sind, deren klaffend geöffnete Tore den üblen Atem ausstießen, zu dem sich die Ausdünstung zusammengepferchter Menschen, Speisengerüche aus unzähligen Küchen, der ungesunde Dunst, der aus den Betten Kranker aufsteigt, und der ekelhafte Geruch, den Fusel verbreitet, mischt, die keine Heimstätten sind, sondern nur Obdach, Asyle, in denen das Elend haust, Hunger und Haß, und wie zum Sprung geduckt eine stumpfe, dumpfe Verzweiflung, diese unseligen Häuser starrten Ursula aus winzigen, trüben Fensterscheiben, die der Ruß naher Fabrikschlote verkleisterte, anklagend an. Kein Vorhang verwehrte es dem Blick, zwischen den zum Trocknen ausgehängten Wäschestücken in diese kahlen Kammern einzudringen und die nackten Wände zu betrachten, Gerümpel und Lumpen, und Gesichter, die sich wie Gesichte in der beängstigenden Enge dieser Stuben drängten, vergrämte Gesichter, in die Entbehrungen verfrühte Furchen und Runzeln eingegraben hatten, harte Gesichter, entschlossen zu einer Tat, die noch nicht reif war, verbitterte Gesichter und hoffnungslose und stumpfe, die kein Wunsch beseelte, kein Ehrgeiz, die nur wußten, daß es für sie kein Heute gibt, nur ein Morgen, an das sie noch nicht oder nicht mehr glaubten, hohlwangig alle und in der Vielfalt, in der sie unmenschlich-menschliches Elend widerspiegelten, ein Spuk, von dem sich der Blick nicht loszureißen vermochte, bis er den hungrigen Augen eines Kindes begegnete und sich beschämt senkte. Aber hinter diesen Holzschnitten der Not sah Ursula, was Augen nicht sehen konnten, sah den Tag, an dem diese Zinskasernen sich auftun werden, um die Heerscharen der Entrechteten auszuspeien, wie die Gräber sich auftun werden, um ihre Toten auszuspeien am Tag des Gerichts, den Tag, an dem Herzen aufflammen werden, wie Fackeln, und ausgemergelte Hände sich zur Faust ballen werden und Füße marschieren werden, marschieren, in das Morgen hinein.

Gußeiserne Gitter, deren Stäbe sich auf Betonsockel stützen, der in regelmäßigen Abständen Betonpfeiler aussendet, an den sich die beiden Stäbe, zwischen die er sich schiebt, anklammern, säumen die Villenstraßen. Aber es sind nicht jene Gitter, die einschließen, es sind Gitter, die ausschließen, die Barrikaden, hinter denen sich der Reichtum verschanzt und die sorgfältig verschnittenen lebenden Hecken hinter ihnen verwebten ihre Blätter zu einem dichten grünen Vorhang, der auch noch den Blicken der Vorübergehenden jeden Zutritt verwehrt. Nur da und dort gelingt es zuweilen einem unbefugten Blick, Gezweig und Laubwerk zu durchdringen und den Schimmer leuchtender Blumenbeete zu erspähen, eine Terrasse mit Korbsesseln und Liegestühlen besetzt, die freundlich zu Rast und Müßiggang einladen, einen Balkon, über dessen Einfassung die grüne Fülle wuchernder Blattpflanzen sich ergießt, ein Stück Mauer, das sich hinter einem Geflecht aus Schlingpflanzen versteckt. Aber was der Sommer verbirgt, enthüllt der Winter, der von Bäumen und Gesträuch die Blätter streift, enthüllt Fassaden, geschwätzige Fassaden, die jedes Geheimnis der Besitzer preisgeben, wenn der Beschauer es nur versteht, die Schriftzeichen aus Quadern und Säulen zu entziffern, die nicht nur den Geschmack des Eigentümers verraten und die Höhe seines Bankkontos, sondern auch noch und beredter als Worte ausplaudern, was sie verbergen sollten, das, was sich hinter ihnen, was sich in den verwöhnten Räumen abspielt, in die der Blick, von bekiesten Wegen in gebührender Distanz gehalten und von schweren Vorhängen behindert, nicht einzudringen vermag: und Ursula sah, was sie nicht sehen konnte, die Vitrinen, in denen sich die Kostbarkeiten vergangener Jahrhunderte einträchtig zusammenfanden, die Schalen, in denen sich das Licht staute und aus denen es gebändigt als gleichmäßig verteilte, gedämpfte Helle hervorsickerte und nur funkelnd und vielfarbig aufsprühte, wenn es sich in dem kostbaren Stein eines Schmuckstückes verfing, den Cézanne oder vielleicht war es ein Seurat, ein Corinth, ein Kokoschka, ein Sisley, dem der Architekt eine ganze Wand eingeräumt hatte, die Bücherregale, die fast bis zur Decke hinauf die Wände der Bibliothek verkleideten, sie hörte, was sie nicht hören konnte, die Schritte, die erlesene Teppiche dämpften, das leise Klirren von Porzellan, Glas und Kristall, das Bankette begleitet, das Knistern seidener Kleider, Musik und das unbekümmerte Lachen, in das sich auch nicht die leiseste Ahnung von dem Elend mischt, dem es seine Unbeschwertheit verdankt. Und Ursula erriet, daß sich mit Geld alles erkaufen läßt, alles, ohne Ausnahme, nicht nur Hände, die sich emsig rühren und regen, Ohren, die ehrfürchtig einer Stimme lauschen, in deren Klang sich der Klang klingender Münzen mischt, Augen, die von dem Glanz, den Gold ausstrahlt, geblendet, für Makel und Fehler erblinden und nur noch Vorzüge sehen, denen sie Bewunderung zollen dürfen, Rücken, die sich demütig krümmen, Zungen, die schmeicheln, und Lippen, die dienstfertig lächeln, auch noch willige Gehirne, die für den, der sie bezahlt, denken, auch noch schmählich willfährige Herzen, die dem, der sie bezahlt, Träume und Leidenschaften liefern. Aber Ursula erriet auch noch, was die Fassaden verschwiegen, erriet, daß für Reichtum ein Pönale zu entrichten ist, denn wir bekommen nichts geschenkt, daß teurer als mit Geld bezahlt werden muß, was Geld erkauft, die Befriedigung jeder Laune mit Langeweile, bis die Laune schal wird, die Erfüllung jedes Wunsches mit Überdruß, der den Wunsch zuletzt schon im Keim erstickt, bis die Phantasie, der nichts zu wünschen übrigbleibt, zu träumen verlernt und verkümmert. Aber furchtbarer noch, fühlte Ursula, war der Preis, der für Freundschaft, für Liebe bezahlt werden mußte, wenn nichts, nichts, nichts dem Käufer verrät, ob ein zärtlicher Blick ihm oder seiner Brieftasche gilt, wenn jedes Wort, jedes Lächeln, jedes Gefühl, das ihm beschert wird, sich in seinen Händen in gelieferte Ware verwandelt und unüberbrückbar ein Abgrund aus Mißtrauen ihn von jedem trennt, der ihm teuer ist.

Aber mehr als Ausschnitte aus dem Leben, weit mehr...

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Autor

Mela Hartwig, geboren 1893 in Wien, war Schauspielerin, Malerin und Autorin. Nach den
Veröffentlichungen des Novellenbands "Ekstasen" (1928) und des Romans "Das Weib ist ein Nichts" (1929) hatte sie Schwierigkeiten, als Jüdin von einem Verlag angenommen zu werden. 1938 emigrierte sie mit ihrem Ehemann Robert Spira nach England, wo sie in den Jahren 1946 bis 1948 den Roman "Inferno" schrieb, der zu Lebzeiten nie veröffentlicht wurde. 1967 starb sie in London.
Bei Droschl wurden "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" (2001), "Das Weib ist ein Nichts" (2002) und "Das Verbrechen" (2004) publiziert.