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Fröhliche Scholastik

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
514 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am18.09.20181. Auflage
Im Hochmittelalter ereignete sich in Europa eine Revolution, die bis heute unser Leben bestimmt. Gelehrte befreiten sich von den Glaubensgewissheiten ihrer Zeit und gingen ihren eigenen Fragen nach. Frank Rexroth lässt in seinem Buch so anschaulich und quellennah wie nie zuvor das Leben der mittelalterlichen Gelehrten, ihre neuartigen Schulen, ihre Emotionen, Ideen und Entdeckungen lebendig werden und zeigt, wie schließlich das entstand, was wir heute Wissenschaft nennen. Als Peter Abaelard im 12. Jahrhundert de n Vorrang der Vernunft in allen Fragen verkündete (und noch dazu ein Verhältnis mit seiner Schülerin Heloise begann), war das ein Skandal. Doch er war nicht der einzige, der eigensinnig sein Wissen selbst erforschen und sein Leben dem neuen Projekt des «scholastischen» Wissens verschreiben wollte. Frank Rexroth erzählt, wie sich Schüler zu neuen Gruppen und Schulen zusammenfanden, beobachtet ihre Treue zum Lehrer, ihre Rangstreitigkeiten und ihre lebenslangen Bindungen und zeigt auf faszinierende Weise, wie Hand in Hand mit der neuen Lebensweise intellektuelle Veränderungen vor sich gingen, die bis heute fortwirken: Gelehrtes Wissen musste nun unabhängig von religiösen Dogmen wahr und nützlich sein und fächerte sich in unterschiedliche Disziplinen auf. Am Ende dieser grundlegenden Transformation europäischer Intellektualität steht die Geburt der Universität.


Frank Rexroth ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR29,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR22,99

Produkt

KlappentextIm Hochmittelalter ereignete sich in Europa eine Revolution, die bis heute unser Leben bestimmt. Gelehrte befreiten sich von den Glaubensgewissheiten ihrer Zeit und gingen ihren eigenen Fragen nach. Frank Rexroth lässt in seinem Buch so anschaulich und quellennah wie nie zuvor das Leben der mittelalterlichen Gelehrten, ihre neuartigen Schulen, ihre Emotionen, Ideen und Entdeckungen lebendig werden und zeigt, wie schließlich das entstand, was wir heute Wissenschaft nennen. Als Peter Abaelard im 12. Jahrhundert de n Vorrang der Vernunft in allen Fragen verkündete (und noch dazu ein Verhältnis mit seiner Schülerin Heloise begann), war das ein Skandal. Doch er war nicht der einzige, der eigensinnig sein Wissen selbst erforschen und sein Leben dem neuen Projekt des «scholastischen» Wissens verschreiben wollte. Frank Rexroth erzählt, wie sich Schüler zu neuen Gruppen und Schulen zusammenfanden, beobachtet ihre Treue zum Lehrer, ihre Rangstreitigkeiten und ihre lebenslangen Bindungen und zeigt auf faszinierende Weise, wie Hand in Hand mit der neuen Lebensweise intellektuelle Veränderungen vor sich gingen, die bis heute fortwirken: Gelehrtes Wissen musste nun unabhängig von religiösen Dogmen wahr und nützlich sein und fächerte sich in unterschiedliche Disziplinen auf. Am Ende dieser grundlegenden Transformation europäischer Intellektualität steht die Geburt der Universität.


Frank Rexroth ist Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406725227
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum18.09.2018
Auflage1. Auflage
Seiten514 Seiten
SpracheDeutsch
Illustrationenmit 8 Abbildungen und 6 Karten
Artikel-Nr.3868924
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;514
4;Über den Autor;514
5;Impressum;4
6;Widmung;5
7;Inhalt;7
8;Vorwort;13
9;I. Gegen die Zeit;19
9.1;1. Ein produktiver Anachronismus;20
9.1.1;Bisherige Erklärungen: Heroisierende Meistererzählungen;21
9.1.2;⦠epochale Grenzsteinversetzungen â¦;23
9.1.3;⦠und lehrhafte Parabeln;27
9.2;2. Die Scholastik: Gelehrtes Wissen bezieht sich erstmals auf sich selbst;33
9.2.1;Gelehrter Eigensinn;33
9.2.2;Scholastik als die Kultur von Schulen;37
10;II. Schule der Loyalität: Lehren und Lernen im früheren Mittelalter;43
10.1;1. Studieren, um ein guter Christ zu sein? Schulen im früheren Mittelalter;44
10.1.1;Lesen lernen;44
10.1.2;Kloster- und Kathedralschulen;50
10.2;2. Lieben müssen: Normen für das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern;53
10.2.1;Alles richtig machen: Wissen wird vom Lehrer an den Schüler weitergegeben;53
10.2.2;Körper-Sprache und ein überforderter Pädagoge;61
10.3;3. Soziale Gruppen und Intimität;65
10.3.1;Esoterik, Agon und Gruppenbildung;65
10.3.2;Freundschaft und Liebe;70
10.3.3;Intimität;74
11;III. Gruppen von Enthusiasten: Die Schule als utopischer Ort in der Ära der Kirchenreform;79
11.1;1. Ein dritter Weg: Die freien Schulen;80
11.1.1;Verknappung von Aufmerksamkeit;80
11.1.2;Die Sieben freien Künste unterwegs;83
11.1.3;Wanderlehrer und was so verwerflich an ihnen erschien;88
11.2;2. Leben in Gruppen: Persönliche Bedürfnisse und kollektive Lösungen in der Umwelt der Schulen;98
11.2.1;Die Apostel der Ordnung und der Verlust der klaren Kategorien;98
11.2.2;Persönliche Entscheidungen, Folgen für das Kollektiv: Gruppen von Eremiten;108
11.2.3;Meister und Schüler - ein utopisches Projekt;111
12;IV. Die Renaissance des wissenschaftlichen Denkens und Wissens (um 1070 - 1115);119
12.1;1. Das gelehrte Wissen wird eigensinnig;120
12.1.1;Lehren, ein Lebensentwurf: Wilhelm von Champeaux um 1111;120
12.2;2. Höheres Wissen: Neu verstanden, neu gebraucht;127
12.2.1;Schul-Betrieb;127
12.2.2;Anfänge wissenschaftlicher Kommunikation;132
12.3;3. Eine neue Episteme im Werden;136
12.3.1;Reflexivität, Disziplinarität, Zeitindex, operativer Begriff von «Wahr» und «Falsch»;136
12.3.2;Wahrheitstreue und ritualisierter Widerspruch: Transformationen der Schüler-Lehrer-Intimität;146
13;V. Peter Abaelard und die neue Wissenschaft;153
13.1;1. Traditionen beschleunigen;154
13.1.1;Der Ausnahme-Magister;154
13.1.2;Leben und Werk;159
13.2;2. Das neue Wissen und seine erneuerten Bedingungen;167
13.2.1;Übernahmen und Katalysen;167
13.2.2;Neue Zuordnungen: Begabt gegen fleißig, jung gegen alt, wahrheitstreu gegen lehrertreu;173
13.3;3. Sic et Non: Die Domestizierung des Irrtums und die Apologie des Zweifels;178
13.3.1;Verschieden und durchaus gegeneinander gerichtet;178
13.3.2;Theorie und Praxis der Respektlosigkeit;183
14;VI. Abaelards Schulen: Eine Sozialgeschichte der Wahrheit;185
14.1;1. Schulen, lebenslang;186
14.1.1;Die Anfänge;186
14.1.2;Wie entstehen die Schulen?;189
14.1.3;Was tun Lehrer und Schüler, was tun Schüler unter sich?;192
14.2;2. Wahrheit, Wahrscheinlichkeit, Frechheit: Disputative Annäherung an das Unerreichbare;194
14.2.1;Am Ardusson;194
14.2.2;Philosophieren, eine Lebensform;197
14.2.3;Frechheit in Demut: Die Intimität zwischen Schülern, Lehrern und dem Gegenstand des Forschens;199
14.3;3. Die neue Wissenschaft in der Kritik;205
14.3.1;Walter von Mortagne und Abaelard;205
14.3.2;Wilhelm von Saint-Thierry und Bernhard von Clairvaux;206
15;VII. Das Milieu der Schulen in Paris;215
15.1;1. Andere Köpfe, andere Horizonte;216
15.1.1;Alternative Wege des Denkens und Arbeitens;216
15.1.2;Abschied vom eremitischen Ideal: Stadt, Antiken-Imaginationen und die Einsamkeit unter den Menschen;223
15.2;2. Die erstaunlichste Stadt des scholastischen Universums;226
15.2.1;Doppelter Aufschwung: Zentrum der Monarchie, Zentrum der Wissenschaft;226
15.2.2;Paris, ein Mnemotopos;235
15.2.3;Eine Außenperspektive: Die Deutschen und die neue Wissenschaft;239
15.3;3. Europa nach 1150: Wissen wird dienstbar und anschlussfähig;245
15.3.1;Generationenwechsel: Die Macht fängt an, mit der Wissenschaft zu rechnen;245
15.3.2;Die Schulen und das jüdisch-muslimische Wissen: Toledo;248
16;VIII. Wissen erzeugt und ordnet die Dinge der Welt;253
16.1;1. Gelehrte und Ungelehrte, Wissenschaft und Laienverstand;254
16.2;2. Schule und Kloster: Wechselseitige Zuschreibungen;257
16.2.1;Habituelle Nähe: Mönche und Gelehrte;257
16.2.2;Distanzgesten. Die Arroganten, die Naiven und die Oberflächlichen;261
16.3;3. Scholastischer Wissenschafts- und humanistischer Bildungsdiskurs;264
16.3.1;Eine «Renaissance des 12. Jahrhunderts»?;264
16.3.2;Humanismus, Bildung, Briefkultur;267
16.3.3;Zweierlei Lebensentwürfe;272
16.3.4;Die Humanisten und die scholastischen Techniken;278
16.3.5;Expertenbriefe, Experten, Expertenkulturen;280
17;IX. Wahrheit und Nützlichkeit;285
17.1;1. Experten der Nützlichkeit: Jura und Juristen;286
17.1.1;Reisen befremdet: Die Scholastiker und die neue Wissenschaft vom Recht;286
17.1.2;Funktionale Wissenschaft: Legistik und Kanonistik;291
17.2;2. Wechselseitige Wahrnehmungen prägen den Habitus;299
17.2.1;Nähe und Differenz;299
17.2.2;Abgrenzungsgesten: Die Kopfmenschen und die Schönlinge;304
18;X. «Wir, die Universität»: Die Gelehrtengilde;311
18.1;1. Paris, gleich nach 1200;312
18.1.1;Zellteilungen und Amalgame;312
18.1.2;Die Gilde der Magister und der Scholaren;315
18.2;2. Die Universität der Gegensätze;320
18.2.1;Die konservative Revolution: Ordnung, Gruppenzwang, Präsenzpflicht;320
18.2.2;⦠und innere Freiheit;325
18.2.3;Bologna, Oxford und die Ausbreitung der Universitäten;329
18.2.4;Exzellenzwettbewerbe;338
19;Epilog;343
20;Anhang;351
20.1;Dank;352
20.2;Anmerkungen;355
20.3;Abkürzungen;435
20.4;Quellen;437
20.5;Literatur;448
20.6;Nachweis der Abbildungen und Karten;495
20.7;Personenregister;496
20.8;Ortsregister;502
21;Tafeln;506
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Leseprobe

Vorwort


Ich war schon eine Weile mit den Vorarbeiten zu diesem Buch beschäftigt, als mir aufging, wie lange mich dessen Thema schon umgetrieben hatte: wissenschaftlicher Eigensinn und seine sozialen Verankerungen. Als ich mich 1980 in Freiburg im Breisgau immatrikuliert hatte, war alles neu für mich, denn in meiner Familie wusste man wenig von der Wissenschaft und der Universität. Wieso wurde ich dort der «Philosophischen Fakultät» zugeteilt? Ich wollte doch Deutsch und Geschichte studieren. Was, bitteschön, war ein «Historisches Seminar»: ein Institut oder eine bestimmte Versammlungsform, hier gravitätisch «Lehrveranstaltung» genannt?

Ganz offensichtlich war Professor nicht gleich Professor, denn Dozenten unterschieden sich sowohl nach ihren Würdegraden als auch nach ihrem Äußeren. Die einen, offenbar auf einer niedrigeren Hierarchiestufe zu Hause, trugen Parka und lange Bärte, und ihre Kurse behandelten im zyklischen Wechsel die Bände von Marxens Kapital. Andere wiederum trugen Anzug und Krawatte und waren immer sauber gescheitelt. Waren sie verkappte Kleriker? Immerhin wurden sie altertümlich als «Ordinarien» bezeichnet. Verbissen hatte der Direktor meines Gymnasiums die Fiktion verteidigt, dass es für uns keinen Unterschied mache, ob wir bei Herrn Eitel oder Frau Fehltag in Geschichte unterrichtet würden. Hier nun wurde uns ganz im Gegenteil nahegelegt, auf die Eigenarten, Schwerpunkte und Vorlieben der Lehrenden zu achten und uns unsere Stundenpläne (hier ein verpöntes Wort) danach zusammenzustellen, ob wir uns von ihnen angesprochen fühlten oder nicht.

Wie viele andere Novizen aus nichtakademischen Familien betrachtete ich das akademische Treiben fasziniert und zugleich mit einer gewissen Reserve. Was mir den Einstieg letztlich doch leicht machte, war, dass sich das Studieren statt über den Stoff, den ich mir aneignen sollte, über die Lebensform begreifen ließ, die mit ihm einherging. Zu dieser Lebensform gehörten Seminare, Bibliotheken und Referate, aber durchaus auch Kino, Theater und Konzert sowie die Kneipendiskussion über das gerade Gelesene. So gestärkt, konnte man der Fremdheit der akademischen Formen recht schnell etwas Individuelles entgegensetzen und sich behutsam darauf einlassen.

Als ich Jahre später vom «anthropologischen Blick» hörte, ahnte ich gleich, was gemeint war. Vor allem war zu beobachten, dass bestimmte Wissenschaften einen jeweils eigenen Geschmack ausprägten - oder doch Leute anzogen, die für sie bereits eine habituelle Präferenz mitbrachten. Wenn man sich im Campus-Café die Studierenden und ihr Auftreten ansah, konnte man sie schon bald mit einiger Treffsicherheit bestimmten Fächern oder Fachrichtungen zuordnen. Soziologinnen trugen gewöhnlich Jeans und Pullis, Jurastudentinnen (von uns «Perlhühner» genannt) Blusen mit hochgestelltem Kragen und Halsketten, die wie Erbstücke aussahen. Historiker nahmen eine Mittelstellung zwischen den Gediegenen und den Hausbesetzern ein: relativ bodenständige Macher-Typen in Cordjacken, die sicher auftraten, nicht zu Demonstrationen gingen, aber immerhin eine Meinung zu diesen hatten. Über ihre berufliche Zukunft sprachen sie mit mehr Zuversicht als andere sogenannte Geisteswissenschaftler.

Bald reizte es mich, diejenige Sphäre näher kennenzulernen, die ich in meinem ersten Seminar bei Michael Borgolte kennenlernte: die Forschung. Denn sie folgte einer wunderbar verschwenderischen Ökonomie, nach der man so viel Zeit wie möglich ins Interessanteste investierte, Geld für Bücher ausgab statt für Essen. Je deutlicher der Gedanke der Forschung, desto größer die Distanz zu dem, was ich als bürgerliche Lebensform ansah. Rein äußerlich näherte ich mich wohl einer Untergruppe der nachlässig Gekleideten an, doch ein wenig verschämt trug ich schließlich an dem Tag, an dem ich mein Promotionsstipendium antrat, in der Tat zum ersten Mal in meinem Leben an einem Werktag ein Sakko. Ich war ja jetzt irgendwie staatlich approbierter Forscher, und Faserschreiber und Zettelkastenzettel brauchten eben ihren Platz.

Anfechtungen und Verunsicherungen blieben im Lauf der folgenden Jahre nicht aus. Nach dem Examen, der Promotion und erst recht der Habilitation drückte die Ungewissheit, wie es weitergehen würde. Nach Aufenthalten in London, Berlin und Bielefeld gerade in Göttingen zu landen, war auch mit Irritationen verbunden, denn anders als an den früheren Orten lag der Forschersinn hier mit dem Geist des Bürgertums keineswegs im Wettstreit. Wissenschaft zu treiben meinte in Göttingen keine Negation bürgerlicher Lebensführung, eher war es eine Steigerungsform davon.

Doch die Anfechtungen, die zu etwas Bedenklichem zusammenwuchsen und die dieses Buchvorhaben in seine Bahnen hoben, kamen aus einer anderen Richtung. Erkennbar wurden sie seit circa 2005, als meine Alma Mater wie andere auch mehr und mehr Wert auf gute Stimmung, positives Denken und ihre eigene «Corporate identity» legte. Gigantische wettbewerbsförmige Initiativen standen an und gaben Anlass, die wissenschaftlichen Kernbereiche wie Markenzeichen, erfolgreiche Köpfe wie Champions, Forschungsschwerpunkte wie Exportprodukte zu behandeln. «Corporate colours» wurden normiert, ebenso das Design von Internetauftritten und Briefpapier - konkurrierende Universitäten versahen dieses sogar mit fragwürdigen Mottos. Die Folgen ließen nicht auf sich warten: Immer häufiger begannen Kolleginnen und Kollegen zu offiziellen Anlässen Krawatten und Schals mit Hochschul-Logo zu tragen. Universitäre Forschungsmagazine, bisher biedere Verlautbarungsblätter, waren plötzlich das technisch-designerisch Feinste, was die Universitäten zu bieten hatten.

Versuchte ich, dies alles mit Rekurs auf politische Großwetterlagen und Vorgaben zu verstehen, war eine gewisse Logik in diesen Tendenzen nicht zu verkennen. Denn schon seit Roman Herzog Bundespräsident gewesen war, war in Deutschland immer wieder von der Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Bildungsanstrengung die Rede gewesen. Deutschland, so Herzogs Nachfolger Horst Köhler in seiner Antrittsrede 2004, war «zu langsam auf dem Weg in die Wissensgesellschaft», jetzt solle es ein «Land der Ideen» werden. Naturgemäß waren die Universitäten dabei besonders gefordert: Neugier und die Freude am Experimentieren waren gefragt, ebenso Mut, Kreativität und die Lust auf Neues. Während in der Finanzkrise von 2008 anderswo das nackte Grauen regierte, konnte man sich an einer deutschen Universität seiner Sache einigermaßen sicher sein. Hochschulen wurden von der Gesellschaft gebraucht, ja sie standen nach Zeiten der Schmähung in dem Ruf, das Gut zu verwalten, auf das es gegenwärtig am meisten ankam: Wissen. Die Universitäten dankten all dies der Gesellschaft, indem sie signalisierten: Schaut her, wir sind schon so, wie du es erst noch werden sollst: bunt, flexibel und zukunftsfroh.

Hier setzten die Zweifel ein. Gehörte zum wissenschaftlichen Wissen, wie ich es mir seit jenen glücklichen Freiburger Jahren angeeignet hatte, nicht unverzichtbar die Skepsis, die gesunde Respektlosigkeit? Wo war von ihnen die Rede? Die Alltagspraxis des Forschers, der sich mit dem Menschen und den Aggregatzuständen seiner Vergemeinschaftung beschäftigt, beruhte doch darauf, dass er sich an vermeintlichen Gewissheiten abarbeitet, an Ergebnissen, Methoden und Theorien der Vorgänger. Das Hand- und Lehrbuchwissen, das sich Studienanfänger zuerst mühsam aneignen, wird dem Fortgeschrittenen zum Anlass für erneutes Fragen und Weiterforschen unter neuen Voraussetzungen und Blickrichtungen. Die Novizen der Wissenschaft initiiert man in die Denkgemeinschaften der jeweiligen Disziplinen, indem ihnen die bereits Eingeweihten den Gestus des Bezweifelns und des Widerspruchs antrainieren. Gelingt dieser Sozialisationsprozess, haben sie ihr Wissen in drei Dimensionen konditioniert, denn fortan strebt es nach Expansion, Systematik und Reflexivität zugleich. Dies bedeutet eben auch, dass das Wissen gelernt hat, die Prämissen, unter denen es steht, als ein ständiges Problem mit zu bedenken.

Der Wissenschaftler: eigentlich eine Spezies von professionellen Zweiflern und In-Frage-Stellern. Ein Professor, so hatte man nur zwei Generationen vor mir in Deutschland gespottet, ist «ein Mensch, der anderer Meinung ist».[1] Wie vertrug sich das mit der akademischen «Alle-mitmachen»-Attitüde des jungen 21. Jahrhunderts? Muss die Universität nicht im Gegenteil auf ihrem Eigensinn beharren, darauf, dass man, solange man ihr angehört, der Logik der Skeptiker und nicht derjenigen der Stimmungskanonen zu folgen hat?

Schließlich die Wissenschaft von den Menschen in Vergangenheit und Gegenwart: Um Aussagen über sie, über soziale Gruppen und Großgruppen wie Gesellschaften...
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