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Wenn Worte meine Waffe wären

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Dressler Verlagerschienen am16.08.2018
Kämpf für dein Leben, Sheherazade! Sheherazades Mutter hat große Plane für ihre Tochter: Sie soll Ärztin werden, heiraten und ihr viele Enkel schenken. Deshalb geht Sheherazade auf eine Schule außerhalb ihres 'Ghettos'. Doch als einzige Muslima muss sie dort viel einstecken. Hinzu kommt, dass ihre Mutter verstärkt Halt im Islam sucht und ihr Vater immer noch unter den Schrecken des Krieges leidet. Und so bleibt Sheherazade nur ihr Stift, mit dem sie kunstvoll-provokative Texte und Bilder zu Papier bringt. Doch dann passiert etwas, das nicht sein darf: Sheherazade lernt ein Mädchen kennen und verliebt sich in sie. Starker Roman über die Konflikte junger Muslima in westlichen Gesellschaften, sprachlich brillant erzählt und angereichert mit collagehaften Bildern der Protagonisten.

Kristina Aamand ist die Tochter einer dänisch-katholischen Mutter und eines palästinensisch-muslimischen Vaters. Sie arbeitete u.a. als Krankenschwester und Sozialberaterin für ethnische Minderheiten und ist inzwischen hauptberuflich als Autorin tätig.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextKämpf für dein Leben, Sheherazade! Sheherazades Mutter hat große Plane für ihre Tochter: Sie soll Ärztin werden, heiraten und ihr viele Enkel schenken. Deshalb geht Sheherazade auf eine Schule außerhalb ihres 'Ghettos'. Doch als einzige Muslima muss sie dort viel einstecken. Hinzu kommt, dass ihre Mutter verstärkt Halt im Islam sucht und ihr Vater immer noch unter den Schrecken des Krieges leidet. Und so bleibt Sheherazade nur ihr Stift, mit dem sie kunstvoll-provokative Texte und Bilder zu Papier bringt. Doch dann passiert etwas, das nicht sein darf: Sheherazade lernt ein Mädchen kennen und verliebt sich in sie. Starker Roman über die Konflikte junger Muslima in westlichen Gesellschaften, sprachlich brillant erzählt und angereichert mit collagehaften Bildern der Protagonisten.

Kristina Aamand ist die Tochter einer dänisch-katholischen Mutter und eines palästinensisch-muslimischen Vaters. Sie arbeitete u.a. als Krankenschwester und Sozialberaterin für ethnische Minderheiten und ist inzwischen hauptberuflich als Autorin tätig.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862720811
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum16.08.2018
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3881263
Rubriken
Genre9200
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Inhalt/Kritik

Leseprobe
1 Krieg

Kronprinzessin Mary ist fast nackt. Ihr schwarzer Bikini verhüllt rein gar nichts. Sollten mich meine Eltern jemals in so wenig Stoff sehen, säße ich im Nullkommanichts im nächsten Flieger in das Land, wo der Pfeffer wächst. Marys Bauchmuskeln sind trainiert und angespannt.

So sieht unsere Nachbarin nach vier Kindern nicht aus. Das kann ich garantieren, obwohl ich sie noch nie nackt gesehen habe. Ihr Bauch quillt nämlich deutlich über den Bund ihres braunen Samtunterteils, wenn sie mal wieder bei uns auf dem Sofa sitzt und mit meiner Mutter Tee trinkt, während sie ihr Fotos vom neuen Haus ihrer Cousine in Konya in der Türkei zeigt.

Der Wind hat eine Strähne aus Marys Pferdeschwanz gelöst und sie streicht sie sich mit ihrer meisterhaft manikürten Hand elegant aus dem Gesicht. Rosa Nagellack. Ich lächle sie an. Was soll ich sagen? Irgendetwas, was das schöne Lächeln nicht von ihren glänzenden Lippen verschwinden lässt. Hier auf dem Wasser ist die Sonne grell, das Licht trifft die Jacht, blendet uns beide, und Mary gefällt das gar nicht. Schönheitstipp: Die Sonne ist das Böse. Mary blinzelt und runzelt die Stirn, sodass sich ihre Augenbrauen wie zwei schlanke Nacktschnecken krümmen. Sie weiß, dass man Falten bekommt, wenn man nicht aufpasst. Meine Mutter beispielsweise hat immerwährende Stirnfalten. Aber daran ist nicht die Sonne schuld! Sie war einfach nur so oft wütend, dass die Falten eines Tages beschlossen haben, dass es sich gar nicht lohnt, wieder zu verschwinden. Mama ist sauer, wenn die Nachbarn ihren Müll unten vor die Haustür kippen. Angepisst, wenn der Filipino unter uns Karaoke singt. Rasend vor Angst, wenn Papa Möbel durch die Wohnung schmeißt. Enttäuscht, wenn ich in meinem Zimmer sitze und an meinen eigenen Texten schreibe, statt Hausaufgaben zu machen. Ich schirme meine Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und eine edle Dame mit einer Burberry-Brille auf der Nase und einem breitkrempigen Sonnenhut in den Händen kommt auf mich zu.

»Frau Jenin, Sie können jetzt hineingehen.«

Ich zucke zusammen. Von der Küste ins Krankenhaus in einer Millisekunde. Mary ist weg, stattdessen steht eine lächelnde Krankenschwester mit hellem, lockigem Haar vor mir. Mit ihrem Holzclog hält sie die Tür mit dem Schild Sprechzimmer auf.

»Bitte.«

Meine Mutter erhebt sich hastig, greift nach ihrer Tasche und ihrem Mantel.

»Komm, Sheherazade«, sagt sie leise und ist bereits an der Tür. Ich lege das Klatschblatt mit der Titelseite nach oben zurück auf den Tisch. MARY UNVERHÜLLT IN AUSTRALIEN. Mary lächelt. Trägt eine Sonnenbrille, die mehr gekostet hat, als meine Eltern jeden Monat in Parkerne an Miete zahlen.

Der Arzt steht auf, als wir das Zimmer betreten, kommt um den Schreibtisch herum und streckt uns die Hand entgegen.

»Stein Pedersen, ich bin der Kardiologe.«

Er hat keine große Ähnlichkeit mit den Ärzten in weißen Kitteln, die permanent in Papas Krankenzimmer auf und ab gehen und in Diktiergeräte sprechen. Den Ärzten, die ihm Stethoskope an die Brust halten und mit besorgten Mienen lauschen. Das hellblaue Hemd von Doktor Stein ist so weit aufgeknöpft, dass man seine Brusthaare sehen kann. Also, ich meine, sein Fell. Sein Brustfell.

»Amal Jenin.« Meine Mutter schüttelt ihm die Hand und schaut dann zu mir. »Das ist meine Tochter Sheherazade. Sie ist dabei, weil â¦«

»Ja, natürlich.« Doktor Stein setzt sich wieder an seinen Schreibtisch. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er deutet auf die beiden Stühle davor.

Ich sehe, dass Mamas Hände ein bisschen zittern, während sie ihren Mantel und ihren Schal über den Stuhl hängt. Dann setzt sie sich, stellt sich die Handtasche auf den Schoß und umklammert sie fest mit beiden Händen.

Ich behalte meinen Mantel an und schaue mich im Sprechzimmer um. Hinter Stein steht ein großes Bücherregal. Vor ihm ein Adventskranz, zwei der Kerzen waren bereits angezündet, daneben eine Papierschachtel mit Taschentüchern. Er ist es sicher gewohnt, dass hier geweint wird. Aber darauf kann er bei mir lange warten! Nein, ich richte mein Kopfâtuch und prüfe, ob die kleine Nadel, die es an seinem Platz hält, auch so sitzt, wie sie sollte. Das mache ich immer, wenn ich nervös bin. Ich habe keine Lust, über meinen Vater zu sprechen, und vor allem nicht mit einem Mann, der Stein heißt. Wer bekommt denn bitte ein Kind und denkt sich: Mensch, den nennen wir Stein. Ein Stein ist hart und kalt. Das passt ja wohl gar nicht zu einem Kind. »So, dann erzählen Sie beide doch mal, wie Sie die Situation erleben.« Stein zieht seine Brille bis auf die Nasenspitze und betrachtet uns über den Rand hinweg. Was ihm wohl gerade durch den Kopf geht?


Zwei müde Kopfâtuchtrullas sprechen mit einem Stein. Auf dem Kopf ist er ganz unbehaart, trotzdem hat er einen Bart. Die anderen Haare trösten sich an seiner Brust, sie haben auch wirklich Grund zum Frust. Spricht man über so wahnsinnig schlimme Sachen, gibt es ja nicht viel zu lachen.


»Was grinst du so?« Mama stupst mich an. »Sheherazade, hör bitte einmal auf, zu träumen!« Sie schaut zu Stein und seufzt. »Wie wir das erleben, ist doch egal. Sie sind der Arzt, Sie müssen uns sagen â¦«

»Ja, ich bin der Arzt, aber Sie kennen Ihren Mann doch am allerbesten. Aus nächster Nähe, und für die Behandlung ist es wichtig, dass wir so viel wie möglich wissen.« Stein setzt sich die Brille wieder richtig auf und schaut in seine Unterlagen.

»Also, soweit ich das hier sehe â¦«, er blättert, »kam es mehrfach zu Kammerflimmern und vereinzelt auch zur Bewusstlosigkeit.«

»Wir dachten, er stirbt vor unseren Augen.« Mutter seufzt noch einmal. »Was hat er denn?«

»Tja«, Stein schaut von seiner Kartei auf, »wir glauben, Ihr Mann und dein Vater«, er schaut zu mir, »hat ein koronares Herzleiden. Man spricht auch von Arterienverkalkung.«

»Und was heißt das?« Ich sehe, dass im Regal hinter ihm mehrere Bücher zum Thema »Herz« stehen.

»Gut, dass du das fragst.« Er lächelt. »Oft ist es die Folge eines ungesunden Lebenswandels. Übergewicht, Rauchen, zu fettiges Essen. Am schlimmsten ist aber der Stress. Ihr Mann ist ja offensichtlich nicht übergewichtig.«

»Nein, und er isst viel Gemüse.« Mama fasst sich an den Kopf, wie sie es immer tut, wenn sich eine Migräne ankündigt. »Aber Stress â¦«

»Hat man auch Stress, wenn man zu viel über schlimme Dinge nachdenkt?« Ich habe den Blick auf den Tisch gesenkt. Auf der Oberfläche sind Flecken.

»Tja, Sheramsase, das kann man durchaus so sagen. Stress entsteht, wenn man Menschen zu sehr unter Druck setzt. Gab es Situationen in Ihrem Leben, die lang anhaltenden Stress ausgelöst haben könnten?« Stein lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Sheherazade.« Ich löse den Blick von den Flecken und schaue auf.

»Bitte?«

»Sheherazade. So heiße ich. Nicht Sheramsase.«

»Oh, okay, Sheharamzade. Stress kann viele Ursachen haben. Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie als Flüchtlinge nach Dänemark gekommen?«

»Ja, ich war erst sieben.«

»Es ist nicht leicht, sich in einem neuen Land zurechtzufinden. Einer neuen Kultur. Dazu noch die Narben auf der Seele, die viele Menschen aus Kriegsgebieten mitbringen.« Stein sieht ernst aus und stützt sich mit den Ellbogen auf den Tisch. »Stress kann sehr gravierende Folgen haben. Vielen Menschen fallen dann selbst die alltäglichsten Dinge schwer. Sie haben Probleme, sich zu erinnern, sich zu konzentrieren, zu schlafen. Es kann zu Wutausbrüchen kommen, und mitunter bekommt der oder die Betroffene auch das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen.«

»Ich kenne ihn auch nicht mehr«, sagt Mama leise.

»Das ist eine ganz normale Reaktion«, fährt Stein fort. »Ihr Mann ist sehr krank, wir müssen ihn behandeln. Aber ich rate Ihnen, sich mit dem zu befassen, was den Stress auslöst, vielleicht in einer Gesprächstherapie. Das könnte ihm helfen. Ihnen allen. Über das zu sprechen, was Sie erlebt haben. Vor der Flucht. Während des Kriegs. Und wir behalten seine Herzprobleme genauestens im Blick. Sie müssen sich darauf einstellen, dass er ein paar Wochen stationär behandelt werden wird.«

»Aber unsere Flucht ist doch schon so lange her.« Mama schüttelt den Kopf. »Zehn Jahre. Sheherazade war noch ein kleines Mädchen. Wieso belastet ihn das jetzt noch? Es müsste doch längst besser sein, hier herrscht schließlich kein Krieg.«

»Er schaut zu viel fern«, unterbreche ich sie. »Das macht ihn fertig. Ich würde sagen, das stresst ihn gewaltig!« Ich versuche, mit dem Zeigefinger einen der Flecken vom Tisch zu wischen. Aber er geht nicht weg. Es könnte Tinte sein. Oder Farbe.

»Wie meinst du das?«, fragt Stein.

»Er beschäftigt sich pausenlos mit dem Krieg.« Ich reibe mit dem Saum meines Ärmels an dem Fleck. »Jeden Tag wird doch im Fernsehen darüber berichtet. Über Bomben. Tote. Erwachsene und Babys. Das erträgt er nicht.«

»Nein, das erträgt er nicht«, stimmt Mama zu. »Ich habe ihm schon häufiger gesagt: Hör auf, dir das anzuschauen! Aber ich habe den Eindruck, er kann nicht damit aufâhören. Ich selbst ertrage das nicht. Mir wird davon schlecht. Aber er sagt, wir dürfen nicht die Augen vor dem verschließen, was passiert. Weil Menschen abgeschlachtet werden.«

»Hier, nimm dir eins.« Stein hält mir eine Packung Taschentücher hin.

Ich schüttle den Kopf.

»Nein, danke.« Schnell wische ich den Tropfen, der auf dem Tisch landet, mit der Hand weg. Verdammt.

»Ich kann gut verstehen, dass das schwer ist.« Er faltet die Hände...
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Kristina Aamand ist die Tochter einer dänisch-katholischen Mutter und eines palästinensisch-muslimischen Vaters.
Sie arbeitete u.a. als Krankenschwester und Sozialberaterin für ethnische Minderheiten und ist inzwischen hauptberuflich als Autorin tätig.
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