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Handwerker, Kaufleute, Bankiers

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
212 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am31.08.20181. Auflage
In den aufstrebenden frühneuzeitlichen Städten veränderten Innovationen das Leben der Menschen. Gegen den Widerstand der Zünfte gaben nun die neuartigen Manufakturbetriebe den Ton an. Wichtige Handelshäuser bedienten sich - Hand in Hand mit expandierenden Banken - der neuen Techniken auch in Kommunikation und Geldverkehr und wandelten sich zu weltweit operierenden Wirtschaftsimperien. Die Städte wuchsen so zu ökonomischen und politischen Machtzentren heran - auf Kosten ihrer agrarischen Umgebung. Ein aufregendes Kapitel europäischer Wirtschaftsgeschichte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Helga Schultz, geboren 1941 in Schwerin, studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Rostock. Sie lehrte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Helga Schultz starb 2016 in Berlin.
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Produkt

KlappentextIn den aufstrebenden frühneuzeitlichen Städten veränderten Innovationen das Leben der Menschen. Gegen den Widerstand der Zünfte gaben nun die neuartigen Manufakturbetriebe den Ton an. Wichtige Handelshäuser bedienten sich - Hand in Hand mit expandierenden Banken - der neuen Techniken auch in Kommunikation und Geldverkehr und wandelten sich zu weltweit operierenden Wirtschaftsimperien. Die Städte wuchsen so zu ökonomischen und politischen Machtzentren heran - auf Kosten ihrer agrarischen Umgebung. Ein aufregendes Kapitel europäischer Wirtschaftsgeschichte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Helga Schultz, geboren 1941 in Schwerin, studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Rostock. Sie lehrte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Helga Schultz starb 2016 in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105621967
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum31.08.2018
Auflage1. Auflage
Seiten212 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.3942709
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Wunder Europa

Europa unterlag also während der Frühen Neuzeit noch in vielfacher Weise den Zwängen der agrarischen Gesellschaften. Und doch reiften in dieser Zeit alle die Anlagen heran, aus denen sich am Ende des 18. Jahrhunderts die moderne bürgerliche Industriegesellschaft entfaltete. Der eigentliche Übergang geschah gleichsam in einem Quantensprung, in der industriellen Revolution und der politischen bürgerlichen Revolution. Doch nicht dieser revolutionäre Sprung ist es, der die Wirtschaftshistoriker beschäftigt, wenn sie über das Wunder Europa debattieren.

Das Interesse gilt vor allem der Vorgeschichte; gefragt wird nach den besonderen Voraussetzungen der europäischen agrarischen Gesellschaft, nach dem historischen Ort, an dem die Wege sich gabelten. Erstaunlich erscheint ganz allgemein, daß der Menschheit überhaupt die Überwindung der zehntausend Jahre bestehenden agrarischen Gesellschaft gelang. Denn die agrarischen Gesellschaften verkörperten offenbar labile Gleichgewichtszustände, sie erlebten wiederkehrende Zyklen des Wachstums und des Aufstiegs großer Reiche, denen Übervölkerung, Katastrophen, Aufstände und Zusammenbrüche großen Ausmaßes folgten. Nicht Entwicklungslinien, sondern Kreisläufe, die Teufelskreisen glichen, wären das entsprechende Modell. In den Agrargesellschaften lauerten demzufolge innere Fallen, die jede Entwicklung blockierten. Dazu gehörte einmal die malthusianische Falle aus Übervölkerung und Knappheit, zum andern die Falle der Despotien von Priestern und Monarchen, die Neuerungen zu ersticken.

Was ist naheliegender als die Frage, warum die Überwindung des agrarischen Gesellschaftssystems ausgerechnet den Europäern gelang, standen sie doch noch um 1500 keineswegs an der Spitze der Weltzivilisationen.

Drei andere große Zivilisationen gab es zu dieser Zeit: das China der Ming-Dynastie, das in der Mitte des 17. Jahrhunderts unter die Herrschaft der mongolischen Mandschu kam; das islamisierte Indien, das seit 1526 unter den mongolischen Mogulherrschern zentralisiert wurde; das Osmanische Reich der Türken, die ebenfalls aus dem Innern Asiens stammten. Die Osmanen hatten sich auf den eroberten arabischen und byzantinischen Gebieten um das Mittelmeer etabliert und die islamische Kultur der Unterworfenen übernommen. Die Geschichte Europas vollzog sich in stetiger Auseinandersetzung und im Austausch vor allem mit dem benachbarten arabisch-islamischen Raum. Von dorther übernahmen die Europäer die indischen Zahlen mit der Null - eine Notwendigkeit für Bankwesen und Handel -, von dorther empfingen sie das weiterentwickelte antike Erbe in Chemie und Medizin, und auf diesem Wege kamen Neuerungen der Schmiedekunst, der Glasproduktion und des Schiffbaus nach Europa.

Seit Marco Polos abenteuerlichen Reisen gab es auch direkte Beziehungen ins ferne China. China kannte lange vor Europa den Kompaß, das Schießpulver und den Buchdruck mit beweglichen Lettern, also jene drei Schlüsseltechnologien für Handel und Schiffahrt, Kriegführung und Literarisierung, die für die europäische Frühe Neuzeit unentbehrlich waren. Es kannte Jahrhunderte früher das Papier, das Porzellan und das Papiergeld. Wieweit alle diese Dinge in Europa übernommen oder selbständig noch einmal erfunden wurden, läßt sich nur bei späten Innovationen wie dem Porzellan genau nachvollziehen. Der technologische Vorsprung der asiatischen Zivilisationen war während des Mittelalters beträchtlich. Man geht davon aus, daß Europa am Ende des 15. Jahrhunderts aufholte, als es die meisten jener Erfindungen in seinen Besitz gebracht hatte und sie erfolgreicher anzuwenden begann als die alten Zivilisationen.

Warum konnte dies gelingen? Warum führte die Kenntnis des Kompasses und des Schießpulvers die Chinesen nicht zur Entdeckung und Eroberung der Welt? Im 14. bis 16. Jahrhundert hatten die Chinesen den ganzen Indischen Ozean befahren und Kolonien an der Küste Indochinas, der Westküste Indiens und am Persischen Golf gegründet. Mit dem Zerfall des Ming-Reiches fand diese Expansion plötzlich ein Ende. Warum zog der Buchdruck dort nicht die Literarisierung der Massen, die Rationalisierung der Welt und die Säkularisierung der Gesellschaft nach sich? Warum löste das Papiergeld in China nicht traditionelle Bindungen zugunsten der gefühllosen baren Zahlung auf? Ein pauschaler Hinweis auf die zerstörerischen Mongoleneinfälle und die lähmende Wirkung der mongolischen Reichsbildungen für die asiatischen Zivilisationen löst das Rätsel nicht, auch wenn es zu den Glücksfällen Europas gehört, daß der Mongolensturm in der Mitte des 13. Jahrhunderts haltmachte, nachdem er schon ganz Polen und Ungarn durchquert und Mähren und Schlesien erreicht hatte.

Die verheerende Wirkung der Mongolenkriege für Asien wird in ihrer langfristigen Wirkung oftmals überschätzt. Die Eroberungen der zentralasiatischen Steppenvölker brachten den unterworfenen Zivilisationen ungeheure Verwüstungen, doch die Fähigkeit zur Regeneration ist in agrarischen Gesellschaften groß. Die mongolische Herrschaft hemmte keineswegs jegliche weitere Dynamik, und auch das China der Mandschu-Herrscher kannte seine Renaissancen und Aufklärungen. China erreichte auf seiner riesigen Fläche um 1800 eine Dichte von 80 Einwohnern pro Quadratkilometer, eine Bevölkerungsdichte, wie sie Europa nur im hoch urbanisierten Holland kannte. Der Anteil Asiens an der Weltbevölkerung war zwischen 1500 und 1800 von etwa der Hälfte auf rund zwei Drittel gewachsen, während Europa recht gleichbleibend ein knappes Fünftel der Menschheit trug. Da Dichte und Dynamik der Bevölkerung in agrarischen Gesellschaften ein guter Indikator für die Wirtschaftstätigkeit sind, müßten wir das Zentrum der Weltentwicklung auch für diesen Zeitraum noch in Asien vermuten. Wenn wir vom Wunder Europa in der Frühneuzeit sprechen, kann diese bedeutsame quantitative Seite der Zivilisation nicht gemeint sein.

Auch unsere Vorstellungen von einem Vorsprung der europäischen Stadtentwicklung werden durch neuere Forschungen korrigiert.[9] Der Anteil der Stadtbevölkerung erwies sich vor 1800 in allen eurasischen Zivilisationen als erstaunlich gleichmäßig zwischen 13 % und 16 % liegend, wenn man die Siedlungen mit mehr als 2000 Einwohnern zählt. Damit war das Maß des unter den Bedingungen der agrarischen Gesellschaften Möglichen wohl erreicht. Hinsichtlich der sehr großen Städte mit mehr als 200000 Einwohnern wies Europa lange einen Rückstand auf. Erst um 1700, als unter den 20 Metropolen der Welt die vier europäischen Städte Paris, London, Amsterdam und Neapel waren, entsprach dies dem europäischen Anteil an der Weltbevölkerung. Der Vorsprung der asiatischen Zivilisationen hing hier natürlich wesentlich mit den zentralisierten großen Reichen zusammen, die entsprechende Zentren der Verwaltung und Konsumtion benötigten. Das europäische Wunder erweist sich auch aus dieser Sicht nicht als eines der Zahl, sondern als eines der Institutionen. Paul Bairoch formuliert das in aller Vorsicht so:


»Die Städte des christlichen Europa scheinen im allgemeinen stärker nach außen gerichtet in ihrer Wirtschaftstätigkeit, von stärkerer Eigenart und Verschiedenheit in Stadtbild und Architektur, bevölkert von besser gebildeten Bürgern gewesen zu sein, und so bildeten sie schließlich eine freiere Welt.«[10]




1 Entwicklung der Weltbevölkerung 1500-1800



Als Gegenstück zu dem europäischen Rechtssatz »Stadtluft macht frei« zitiert der Autor einen Kenner der chinesischen Geschichte: »Chinas Luft macht niemanden frei.«[11] Nicht nach den Quellen des Wachstums ist also zu fragen, sondern nach jener besonderen europäischen Freiheit, die offenbar der Motor einer Dynamik war, die schließlich den Quantensprung zur Industriegesellschaft auslöste. Sichten wir die Antworten, die schon gegeben sind.

Die Gunst der Geographie ist oft bemüht worden. Ein erstrangiges Argument sind die reich gegliederten langen Küsten der westlichen eurasischen Landmasse, die ihre Bewohner auf das Meer hinlenkten, auf Seeschiffahrt und Fernhandel. Der Expansionsdruck der Großreiche im Osten und Süden hat diese Ausrichtung wohl noch verstärkt. Die Nähe zum Meer hat die Mentalität der Europäer geprägt. Seit jeher scheinen seefahrende Völker individualistischer, unternehmender und freier als die Völker im Binnenland, die nach Meinung von Beobachtern den Vorrang der Gemeinschaft betonten, eher autoritär verfaßt waren und zu hierarchischer Organisation neigten.[12] Darin mag mehr als ein Körnchen Wahrheit liegen. Agierten nicht die Reiche der Mandschu, der Moguln und der Osmanen, die aus den Invasionen der Steppenvölker hervorgegangen waren, gleichsam mit dem Rücken zum Meer? Und bewegten sich nicht die Zentren der europäischen Wirtschaftsentwicklung immer entlang der Küsten, erst des Mittelmeeres, dann des Atlantik?

Begünstigend für Europas Entwicklung scheint auch das kühlere Klima gewesen zu sein, die kurzen Vegetationsperioden und die schweren und nassen Böden. Dies erforderte eine intensive und individuelle Bodenbearbeitung im Unterschied zu den extensiven Anstrengungen in den fruchtbaren Stromtälern Asiens.[13] Die Vielfalt der asiatischen Ackerbausysteme sollte allerdings nicht auf die kollektiven Anstrengungen bei der Bewässerung reduziert werden, will man nicht der überholten Vorstellung von einer...
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