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Der Wein des Vergessens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Residenz Verlagerschienen am28.08.20181. Auflage
Ein dokumentarischer Roman, wie man ihn sich brisanter und spektakulärer nicht ausdenken könnte. 1938 befindet sich die Riede Sandgrube - eines der berühmtesten Weingüter der Wachau - im Besitz des jüdischen Geschäftsmanns Paul Robitschek sein Partner ist August Rieger. Robitschek und der angebliche Baron sind Geschäftsfreunde und zugleich ein glamouröses Liebespaar. Die Denunziationen erleichtern die Arisierung jenes Besitzes, der zur Grundlage der berühmten Winzergenossenschaft Krems wird - ein Begriff für Wein & Kultur weit über die nationalen Grenzen hinaus. Diese Arisierung ist bis heute noch nie Thema der Forschung gewesen. Die Autoren konnten einen Schatz an Dokumenten sicherstellen, mit dem sie eine unglaubliche Geschichte von Verrat und Treue, Liebe und Geschäft, Vernichtung und Verdrängung erzählen.

Bernhard Herrman, Historiker, Germanist, langjähriger Mitarbeiter von Ö1 und Autor von Radio-Features zu Literatur, bildender Kunst und Musik. Herrman lebt in Wien und stammt aus der Familie von Albert Herzog, dem Verwalter der Sandgrube und Geliebten von August Rieger. Ihm ist die Auffindung und Aufarbeitung der gesamten Korrespondenz sowie der Gerichtsakten rund um die Arisierung der Riede Sandgrube zu verdanken. Robert Streibel, geboren 1959 in Krems a. d. Donau, Studium der Geschichte u. a. in Wien, seit 1999 Direktor der Volkshochschule Hietzing. Als Historiker hat er zahlreiche Forschungsprojekte zu Nationalsozialismus, Judentum, Exil sowie zahlreiche Gedenkaktionen zu Vertreibung und Widerstand im NS-Staat durchgeführt. Im Residenz Verlag sind seine dokumentarischen Romane erschienen: 'April in Stein' (2015), 'Der Wein des Vergessens' (2018).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR27,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextEin dokumentarischer Roman, wie man ihn sich brisanter und spektakulärer nicht ausdenken könnte. 1938 befindet sich die Riede Sandgrube - eines der berühmtesten Weingüter der Wachau - im Besitz des jüdischen Geschäftsmanns Paul Robitschek sein Partner ist August Rieger. Robitschek und der angebliche Baron sind Geschäftsfreunde und zugleich ein glamouröses Liebespaar. Die Denunziationen erleichtern die Arisierung jenes Besitzes, der zur Grundlage der berühmten Winzergenossenschaft Krems wird - ein Begriff für Wein & Kultur weit über die nationalen Grenzen hinaus. Diese Arisierung ist bis heute noch nie Thema der Forschung gewesen. Die Autoren konnten einen Schatz an Dokumenten sicherstellen, mit dem sie eine unglaubliche Geschichte von Verrat und Treue, Liebe und Geschäft, Vernichtung und Verdrängung erzählen.

Bernhard Herrman, Historiker, Germanist, langjähriger Mitarbeiter von Ö1 und Autor von Radio-Features zu Literatur, bildender Kunst und Musik. Herrman lebt in Wien und stammt aus der Familie von Albert Herzog, dem Verwalter der Sandgrube und Geliebten von August Rieger. Ihm ist die Auffindung und Aufarbeitung der gesamten Korrespondenz sowie der Gerichtsakten rund um die Arisierung der Riede Sandgrube zu verdanken. Robert Streibel, geboren 1959 in Krems a. d. Donau, Studium der Geschichte u. a. in Wien, seit 1999 Direktor der Volkshochschule Hietzing. Als Historiker hat er zahlreiche Forschungsprojekte zu Nationalsozialismus, Judentum, Exil sowie zahlreiche Gedenkaktionen zu Vertreibung und Widerstand im NS-Staat durchgeführt. Im Residenz Verlag sind seine dokumentarischen Romane erschienen: 'April in Stein' (2015), 'Der Wein des Vergessens' (2018).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701745869
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum28.08.2018
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1150 Kbytes
Artikel-Nr.3947376
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1
Fronleichnam: Es liegt was in der Luft â¦

»Wir brauchen eine Aller-Weltkirche,

wo jeder seine Andacht verrichten kann nach seiner Art,

ob Christ oder Jude, Mohammedaner oder Buddhist,

es gibt nur einen einzigen Gott, der für alle ist.«

(PAUL JOSEF ROBITSCHEK, TAGEBUCH)

Die Kremser Landstraße ist mit frisch gemähtem Gras bestreut. An den Hausmauern lehnen Birkenstämme, deren grünes Laub bereits etwas verblasst und welk ist. An ein paar Stellen blitzt es blutrot aus dem Grün der Straße und dem Gezweig an den Wänden. Auch anlässlich dieses Fronleichnamsumzugs 1937 haben die Nazis wieder Flugzettel gestreut â¦

»Ankommen Krems Bahnhof Donnerstag 27. Mai mit Frühzug. Im Hotel Alte Post für 12 Uhr Tisch reservieren. Freuen uns Dich und Grete zu sehen. Alles Liebe. Gustl, Robi, Erzsi«. Albert Herzog, der Empfänger des Telegramms, hat den Auftrag sogleich ausgeführt. Er ist nicht nur der Privatsekretär des Wiener Weingroßhändlers Paul Josef Robitschek und von dessen Kompagnon August »Baron« von Rieger, sondern seit Anfang März 1937 auch ihr Verwalter für das Weingut Sandgrube in Krems.

An Telegramme wie dieses ist Albert Herzog gewöhnt. Diesmal nutzen seine Dienstherren das verlängerte Wochenende, um sich wieder einmal in Krems zu zeigen und ein wenig auszuspannen. Albert freut sich auf ihren Besuch, denn es ist schon ein paar Wochen her, dass er sie gesehen hat. Schmunzelnd fragt er sich, welch extravagante Kleidung der Herr Baron diesmal tragen wird. Ein fliederfarbenes Hemd? Den hellen Leinenanzug mit Stecktuch in dunklem Violett? Dazu vielleicht den hellen Panama oder gar den neuen cremefarbenen Borsalino? Was immer der Herr Baron auch anziehen wird, er wird an diesem hohen katholischen Feiertag garantiert ein auffälliger Farbtupfer im festlich-bunten Weichbild der Kleinstadt sein. Und sicherlich wird Paul Josef Robitschek - wie immer - einen dezent-klassischen Anzug aus feinstem, englischem Tuch tragen oder ein sportliches Knickerbocker-Ensemble.

Als Gustl und Paul, begleitet von Erszi Farkas, am Fronleichnamstag mit dem Frühzug aus Wien ankommen, warten Albert Herzog und seine Frau Margarethe bereits am Bahnsteig. Albert im Kalmuck, der Wachauer Winzerjoppe, und Gretl im Dirndlkleid. Gemeinsam wollen sie an der Fronleichnamsprozession teilnehmen, denn alle Fünf lieben Spektakel, und so ein Umzug, besonders in einer ländlichen Region, kann einem mit seinem Pomp schon sehr ans Herz greifen: die kleinen Mädchen in ihren weißen Kleidern, Rosenblätter streuend, die kleinen Buben mit Schärpen geschmückt, der Priester, die goldene Monstranz in Händen, würdevoll schreitend unter dem »Himmel«, einem reich bestickten Baldachin, den vier ernst blickende Männer tragen, Weihrauchfässer schwingende Ministranten mit vergoldeten Kruzifixen an langen Stangen. Dazu spielt die Blasmusik, und die Gläubigen, viele in Tracht, sprechen Gebete und singen Lieder: »Hier liegt vor deiner Majestät im Staub die Christenschar ⦫, »Meerstern ich dich grüße ⦠oh Maria hilf! ⦠Gottesmutter süße ⦠oh Maria hilf! ⦠Hilf uns allen ⦠in unsrer tiefen Not ⦫

Ja, religiöse Feste gehen den Fünf zu Herzen, sei es ein katholisches Hochamt im Stephansdom mit Weihrauchschwaden und Orgelbrausen, seien es die Gesänge des Kantors in der großen Synagoge in Wien, sei es eine erbauliche Predigt in der evangelischen Kirche in der Dorotheergasse, gehalten von Pfarrer Hans Rieger, dem Bruder des Herrn Baron, oder eben eine Prozession wie diese in Krems. In Wien besucht man nach der religiösen Erbauung stets einen Heurigen. Hier in Krems werden sie nach dem Umzug in die »Alte Post« gehen. Dort, davon ist Albert überzeugt, wird es sicher wieder heiter werden, wenn der Paul und der Gustl Schnurren aus dem Wiener Gesellschaftsleben erzählen und die Erszi mit ihrem Lachen alle Gespräche im Speisesaal übertönt.

Und so reihen sich die Fünf in die Prozession ein, knieen manchmal mit den Gläubigen vor den Birkenaltären nieder, schlagen das Kreuzzeichen, singen Lieder mit und senden Gebete zu Gott und Jesus Christus, dem göttlichen Erlöser, weniger aus religiöser Ergriffenheit, denn der feierlichen Stimmung wegen. Aber, wenn man genauer schaut, kann man sehen, dass manche in der Schar der Gläubigen neben Jesus, dem jüdischen Erlöser aus Nazareth, noch eine andere Lichtgestalt verehren, einen Erlöser aus Deutschland mit Polterstimme und rechteckigem Schnauzer unter der Nase. In der Menge hat Robitschek einige dieser »Doppelgläubigen«, wie Gustl diese katholischen Nazis einmal genannt hat, an winzigen Hakenkreuzansteckern erkannt, die sie - obwohl verboten - kaum sichtbar am Rockrevers tragen. Ihm scheint, dass sie die Worte im »Vaterunser«: »â¦ Dein Reich komme, Dein Wille geschehe ⦫ mit besonderer Inbrunst sprechen.

Ja, wenn der Jude Paul Josef Robitschek und der Protestant August Rieger so einträchtig nebeneinandergehen, spürt man, dass sie einander auf besondere Weise zugetan sind. Und seit ein paar Monaten ist Albert Herzog, der Katholik, der Dritte in ihrem Männerbund. Wo die modisch auffällig gekleideten Herren auftreten, da schenkt kaum noch jemand den beiden hübschen Frauen in ihrer Begleitung Beachtung. Das wird auch heute so sein. Da helfen selbst die tief dekolletierten Dirndlkleider von Erszi und Gretl als Blickfang nichts. Bei manchen Tischgesellschaften sind Frauen die Zierde der Herrenrunden, hier sind sie Aufputz und Alibi zugleich.

Müde vom frühen Aufstehen und von der Zugfahrt und hungrig nach der Prozession, begeben sich die Fünf nach dem Schlusssegen zum Essen in die »Alte Post«. Der Gasthof ist eine gute Wahl. Denn der Besitzer ist immerhin bei der Vaterländischen Front und - als glühender Anhänger von Kanzler Kurt Schuschnigg - ein Feind der Nazis.

Als Erster betritt Gustl den Gastraum. Er hat die Lässigkeit zu warten, bis die Blicke der Anwesenden auf ihn gerichtet sind. Das ist immer und überall so. Auch in Krems war es bisher nie anders. Eilfertig ist ein Kellner zur Stelle und geleitet die kleine Feiertagsgesellschaft zum reservierten Tisch. Gustl, ob seiner Kleidung und seines vornehmen Gebarens von den Gästen verstohlen, aber interessiert beäugt, geht voran. Aber die Blicke hier in der Wachau sind nicht stumm, und so ist eine geflüsterte Bemerkung deutlich vernehmbar: »Die Warmen sind wieder da! Und so ein G wand an so einem Feiertag! Wärmer geht s nicht mehr! Das Arschloch sollt man ihnen zunähen!« Mit der ihm eigenen Noblesse ignoriert August Rieger die Worte und tut, als habe er nichts nicht gehört. Die heitere Stimmung soll nicht getrübt werden. Man nimmt Platz, grüßt mit freundlichem Nicken die Gäste an den Nachbartischen und bestellt zu essen und zu trinken. An einem der Tische erblickt er den Weinbauern Franz Aigner mit einigen Freunden. »Sonderbar«, denkt Rieger, als er den Aigner erblickt, »dass die Nazis jetzt auch schon in der Alten Post sitzen ⦫ Einer aus Aigners Tischrunde kann es sich nicht verkneifen, zu Robitschek hinzustänkern: »Irgendwann werden die Juden nichts mehr zu bestellen haben! Auch hier in Krems nicht mehr!« Schlagartig ersterben Wortgeraune und Besteckgeklimper. Die meisten Gäste senken die Köpfe und starren auf ihre Teller. Die Luft im Speisesaal fühlt sich plötzlich eisig an, als wäre ein Frostschauer durch Türen und Fenster gegangen. Unausgesprochen hängt die Frage im Raum: Wie wird der Angepöbelte reagieren? Paul Robitschek erhebt sich langsam vom Sessel, nimmt - Brust heraus, Bauch hinein - stramme militärische Haltung an, reißt den rechten Arm hoch und ruft im Kasernenhofton, Hitlers Sprechduktus nachahmend, zu Aigner und seiner Männerrunde hin: »Jaaawolll, mein Führer!« Erlösendes Gelächter erfüllt den Gastraum. Robitscheks kleines, rechteckiges Oberlippenbärtchen, jenem von Hitler nicht unähnlich, hat der Parodie Authentizität verliehen. Die Munterkeit ist zurück, die Essbestecke klimpern und die Gespräche nehmen wieder ihren Lauf. In der Tat, Paul Josef Robitschek ist nicht nur ein guter Weinhändler, sondern besitzt auch schauspielerisches Talent. Bei Gesellschaften in Gustls Wohnung in Wien warten die Gäste in den letzten Jahren immer schon darauf, dass er zu vorgerückter Stunde wieder den Hitler gibt. Diese Verhöhnung und Beleidigung des Führers, tönt es erbost von Aigners Tisch her, noch dazu durch einen Juden, die wird dem Herrn Robitschek und auch dem Herrn Baron noch leidtun! Darauf können sie Gift nehmen! Und auch der Herr Sandgruben-Verwalter brauche nicht so blöd zu grinsen und die Damen schon gar nicht! Heute mögen sie sich in aller Öffentlichkeit noch einen Jux auf Kosten des Führers erlauben und über ihn lachen. Aber der Tag wird kommen, da wird ihnen allen, wie sie da sitzen, das Lachen gründlich...
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Autor

Bernhard Herrman, Historiker, Germanist, langjähriger Mitarbeiter von Ö1 und Autor von Radio-Features zu Literatur, bildender Kunst und Musik. Herrman lebt in Wien und stammt aus der Familie von Albert Herzog, dem Verwalter der Sandgrube und Geliebten von August Rieger. Ihm ist die Auffindung und Aufarbeitung der gesamten Korrespondenz sowie der Gerichtsakten rund um die Arisierung der Riede Sandgrube zu verdanken.

Robert Streibel, geboren 1959 in Krems a. d. Donau, Studium der Geschichte u. a. in Wien, seit 1999 Direktor der Volkshochschule Hietzing. Als Historiker hat er zahlreiche Forschungsprojekte zu Nationalsozialismus, Judentum, Exil sowie zahlreiche Gedenkaktionen zu Vertreibung und Widerstand im NS-Staat durchgeführt. Im Residenz Verlag sind seine dokumentarischen Romane erschienen: "April in Stein" (2015), "Der Wein des Vergessens" (2018).
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