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Die Jungfrau von 18 Karat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
252 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am19.10.20181. Auflage
Pitigrilli lesen! In den zwanziger Jahren von Moralisten ebenso wütend geschmäht wie von weltoffeneren Geistern enthusiastisch gefeiert, beweist dieser Autor eine seltene literarische Qualität: ohne einschlägiges Vokabular und abgenutzte Bilder zu strapazieren, verströmen seine Bücher von der ersten bis zur letzten Seite kluge Sinnlichkeit und subtile Erotik. Ebenso geistvoll wie herzerfrischend trivial, gleichermaßen menschlich einfühlsam wie beißend ironisch, zieht uns ein geborener Erzähler in den Bann seiner schillernden Figuren.

PITIGRILLI, eigentlich Dino Segre, wurde 1893 in Turin geboren, wo er auch 1975 starb. Der promovierte Rechtswissenschaftler arbeitete als Redakteur für verschiedene Zeitungen. Bevor er 1940 Lina Furlan heiratete, Italiens erste Rechtsanwältin an einem Schwurgericht, galt Pitigrilli als Salonlöwe. Die zwanziger Jahre verbrachte er als Zeitungskorrespondent in Paris, wo auch seine ersten, heftig diskutierten Bücher entstanden. Als 1939 auch in Italien die Rassengesetze in Kraft traten, musste er auswandern, zunächst in die Schweiz, dann nach Argentinien.
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Produkt

KlappentextPitigrilli lesen! In den zwanziger Jahren von Moralisten ebenso wütend geschmäht wie von weltoffeneren Geistern enthusiastisch gefeiert, beweist dieser Autor eine seltene literarische Qualität: ohne einschlägiges Vokabular und abgenutzte Bilder zu strapazieren, verströmen seine Bücher von der ersten bis zur letzten Seite kluge Sinnlichkeit und subtile Erotik. Ebenso geistvoll wie herzerfrischend trivial, gleichermaßen menschlich einfühlsam wie beißend ironisch, zieht uns ein geborener Erzähler in den Bann seiner schillernden Figuren.

PITIGRILLI, eigentlich Dino Segre, wurde 1893 in Turin geboren, wo er auch 1975 starb. Der promovierte Rechtswissenschaftler arbeitete als Redakteur für verschiedene Zeitungen. Bevor er 1940 Lina Furlan heiratete, Italiens erste Rechtsanwältin an einem Schwurgericht, galt Pitigrilli als Salonlöwe. Die zwanziger Jahre verbrachte er als Zeitungskorrespondent in Paris, wo auch seine ersten, heftig diskutierten Bücher entstanden. Als 1939 auch in Italien die Rassengesetze in Kraft traten, musste er auswandern, zunächst in die Schweiz, dann nach Argentinien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688115679
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum19.10.2018
Auflage1. Auflage
Seiten252 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse790 Kbytes
Artikel-Nr.4017417
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

«Ein Jahr wird unsere Liebe dauern.»

«Noch ein Jahr?»

«Ein Jahr, die Leidenszeit mit eingerechnet.»

Aus dem Schweigen der Mittagsstille gingen die Liebenden in den geräuschvollen Speisesaal, wo der ölige und dünkelhafte Hausmeister mit seinem süßesten Lächeln ihnen entgegenkam, ihnen die Stühle zurechtrückte und die Weinkarte vorlegte.

Der Eintritt der Schauspielerin erregte lebhafte Bewegung, geschwätziges, neugieriges Flüstern.

In der vorhergehenden Nacht, nach der letzten Aufführung der Saison und nach mehrstündiger Automobilfahrt, hatte sie sich mit dem Geliebten getroffen, um einen Monat der Ruhe in diesem Hochgebirgsort zu verbringen, wo die Herbstzeitlose im Juli blüht, in dem ein wenig ländlichen Gutshof, der prächtig geschmückt war von drei unvergleichlichen Künstlern; Salpeter, Moos und Flechte.

Sie setzte sich, ohne um sich zu blicken, wie jemand, der Widerwillen hat gegen Speisen und gegen Menschen. Der Freund machte eine allgemeine halbkreisförmige Verbeugung, auf die man hier und dort antwortete, von den kleinen mit roten Lilien und wilden Orchideen verzierten Tischen.

«Hast du schon Intrigen angezettelt?» fragte sie ihn mit einer gewissen Insinuation, indem sie unlustig einige Essigfrüchte auf den Teller nahm. «Wer ist die Dame dort allein, die liest?»

«Eine Ägypterin.»

«Eine authentische?»

«Wie ein Krokodil.»

«Mit den mostrichfarbenen Haaren?»

«Eben deswegen. Wenn sie eine Imitation wäre, hätte sie sich die Mühe genommen, sie sich schwarz zu färben, der Echtheit wegen.»

«Was treibt sie?»

«Ich weiß nicht, ob sie lernt oder lehrt. Ob sie sich amüsiert oder die anderen.»

«Wer ist ihr Liebhaber?»

«Der am schwersten Verdächtigte ist der Herr dort mit dem runden, roten Kopf wie ein Holländer Käse; er ist mit vierzig Atmosphären aufgeblasen, weil er reiche Wolframgruben in Schweden besitzt und ein Teerpräparat herstellt - Nitrobenzol -, das seine Kleider mit einem unerträglichen Geruch von bitteren Mandeln durchtränkt; um diesem Geruch zu entgehen, kommt seine Frau zur Sommerfrische auch in dieses Gebirge, aber auf den entgegengesetzten Abhang.»

«Und die drei gleichgekleideten jungen Damen mit den sieben Reihen Perlmutterknöpfen, die dasitzen wie die Orgelpfeifen?»

«Drei undeflorierbare Schwestern: ich habe sie im vergangenen Winter kennengelernt im Komitee für die Ehrenrettung der jugendlichen Anthropophagen oder ich weiß nicht in welchem anderen Freudenhaus der Wohltätigkeit: sie sind näher dem Altjungfertum als der Pubertät und haben eine lächerliche Sorte von Vater, der beständig den steifen Hut auf dem Kopf behält, um sich vor den ultravioletten Strahlen zu schützen; er beteiligt sich mit verhältnismäßiger Bußfreudigkeit an ihren Gesellschaftsspielen, die darin besteht, daß er sich mit drei Drehungen auf einem Fuß um einen Tisch bewegt oder einen Herrn, der friedlich in seine Zeitung vertieft ist, in unartiger Weise belästigt. Oh, sie sind überaus geistreich. Unter all den kläglichen Bildern, die ich auf meinen kurzen Streifereien durch die Welt beobachte, hat nur eine einzige Seite mich gefreut: die Jungfrauen altern, sich aufreiben, verzehren zu sehen, in der vergeblichen Erwartung eines vermeintlichen Freiers, wie es dem Geizhals ergeht, der sich aufhängt, weil eines schönen Tages sein Geld nichts mehr wert ist.»

Die Dame vom Theater ließ sich zu einem Lächeln herbei.

«Mich hingegen stimmen sie traurig», gestand sie melancholisch, «obgleich ich mich frage, wer mehr zu beklagen ist, ob jene alten Mädchen, die, um einen Mann einzufangen, sich niemals hingegeben haben, oder diejenigen, denen, weil sie sich jedesmal, wenn sie die Lust verspürten, hingaben, es nie gelungen ist, sich einen Ehemann zu sichern.»

Sketch antwortete nicht. Sketch war Besitzer eines Vornamens und eines Nachnamens, aber wie alle Geliebten nannte man ihn mit einem Kosenamen.

Die große Schauspielerin, die ganz jung zur Berühmtheit gelangt war, die Frau, die die Düfte aller Treibhausblumen der Welt kannte - denn auf allen Meridianen und Parallelkreisen hatte sie vor begeisterten Massen die Geheimnisse ihrer Kunst offenbart, die schöne Tragödin, Heldin von Geschichten und Legenden, die im Ruf lesbischer Liebschaften stand, verdächtig war, die Leidenschaften von Königen erregt und Spionage während der Kriegszeit getrieben zu haben, das Weib, das alle Seelenerregungen durchkostet hatte, nährte einen einzigen Wunsch, ein einziges Verlangen: nach einem Haus, einem alten Landhaus mit einem großen Kamin, an dem ein Großvater, ein anbetenswerter Plauderer seine außerordentlichen Abenteuer zu Lande und zu Wasser erzählte.

«Alle sind wir verfehlte Existenzen», äußerte sie in trübsinnigen Stunden, «weil wir etwas anderes sein möchten, als wir geworden sind. Vielleicht sind die untergeordneten Menschen mit armseligen Idealen und von niedrigem Flug, die am Sonntag spazierengehen, den Spazierstock in der Hand, die Füllfeder in der Westentasche und am Arm die fruchtbare Gattin, glücklich. Ich, die vielbeneidete Frau, finde mich weniger beneidenswert als alle Frauen der Welt.»

«Hier gibt es keine interessanten Personen», fuhr Sketch fort, geschickt die schwermütige Parenthese schließend, indem er die anderen Tischgenossen Revue passieren ließ, «Neureiche, die schief am Tisch sitzen, sich den Schnurrbart mit dem Handrücken abwischen, fortgehen mit dem Zahnstocher im Mundwinkel und verkünden, daß der Wein das beste Mineralwasser ist.»

«Und der junge Mann dort?»

«Ein sehr moderner Herr: das Schickste, was es gibt: aber er hat eine etwas schwere Zunge, man müßte sein Inneres einmal schmieren: ein Mangel, der ihn zwingt, weniger Dummheiten zu sagen, als er möchte.»

«Er verschlingt mit den Augen seine Nachbarin, das junge Mädchen dort ganz allein.»

«Es wird ihm nicht schwer werden, sie auch ganz zu verschlingen: sie ist ein kleines Dirnchen jüngsten Datums, aber es fehlt ihr die Patina der Zeit.»

«Von wem wird sie unterhalten?»

«Jeden Abend werden die Karten gelegt, um zu erfahren, ob der anbrechende Tag ihr die Geldanweisung bringen wird. Ihr Geschäft ist noch nicht konsolidiert; jedoch hat sie Sinn für die Öffentlichkeit: sie verteilt mit großer Bereitwilligkeit GratisKußreklamen.»

«Auch dir?»

«Mir warf sie lächelnde Mahnungsblicke zu. Die andere dort, die mit dem Kaffeelöffel trockene kalligraphische Übungen auf dem Tischtuch ausführt, ist eine Jungfrau, eine echte Jungfrau, die Standard-Jungfrau: die Jungfrau von achtzehn Karat.»

«Kennst du sie?»

«Nein.»

Die große Künstlerin faßte dieses bündige Nein als eine schamlose Bejahung auf.

Der Kellner füllte eine Brühe auf, wäßrig wie ein psychologischer Roman, als eine keifende Stimme protestierte: «Das ist keine Suppe, das ist Spülwasser.»

Die Schauspielerin warf einen Seitenblick nach der Sprecherin und wandte sich dann wieder Sketch zu:

«Sie ist recht töricht, deine Jungfrau!»

«Meine? Eine Jungfrau? Es liegt nicht in meinem Temperament ... Bahnbrecher zu sein.»

Sketch hatte die Existenz des unbedeutenden jungen Mädchens kaum bemerkt, und schon hatte seine Freundin, mittels der wunderbaren Intuition der Frauen, die dunklen Strömungen herausgefühlt, die die beiden zueinander hinzogen.

«Ist sie allein hier?»

«Ja, eines Tages kam ihr Vater her, um sie zu besuchen. Ein schöner, stattlicher Mann, blond wie sie, von ungefähr fünfundfünfzig Jahren; Typus des freiwilligen Polygamen, energisch, zielbewußt: einer jener Männer, die du jeden Augenblick erwartest, im Senat zu sehen oder im Schwurgericht, auf deren Koffern man die Reklamezettel der ersten Hotels der Welt geklebt findet und die Stempelmarken von vierzig Zollämtern. Ein anderes Mal erhielt sie den Besuch einer guten Dame, süß und dickbäuchig wie eine Zuckerschale, die aber schleunigst mit dem nächsten Zug wieder abreiste.»

«Und wieso läßt man sie allein?»

«Englische Erziehung. Sieht man sie zum erstenmal, so erscheint sie einem wie ein kleines Mädchen im ungünstigen Alter, eine törichte Vierzehnjährige.»

«Was die Deutschen einen Backfisch nennen?»

«Ganz recht.»

«Und die Amerikaner ein weiches Küken, spring chicken.»

«Sie ist aber zwanzig Jahre alt und ist nicht albern. Sie tanzt nicht und verursacht daher keinen Staub: sie hat den großen Vorzug, nicht auf der Geige zu kratzen noch Klavier oder ein anderes Musikinstrument zu klimpern.»

«Kurz: sie gefällt dir.»

«Sie hat einen schönen Mund. Wie ein rotes Siegel.»

«Auf einer Bazillenphiole. Du hast eine Schwäche für die Leichen auf Urlaub, für jene Sanatoriumsaspiranten. Damit eine Frau dir gefällt, muß sie magere Schulterblätter haben.»

«Die klassische Schönheit befriedigt mich nicht. Ein großer Fehler der klassischen Kunst ist die Gesundheit. Hätten die zahllosen Junos an gastrischen Zuständen und die Madonna an Nierensteinen gelitten, es würden gewisse Statuen und gewisse Bilder heute noch erträglich sein.»

«Aber deine Jungfrau ist keine Museumsschönheit.»

«Sie ist schön wie alle jungen Damen ihres Alters.»

«Damit willst du zu verstehen geben, daß ich alt bin.»

«Schreibe mir nicht Worte zu, die ich nicht sage, und Dinge, die ich nicht denke.»

«Du denkst sie und sagst sie.»

«Das sind deine Einbildungen.»

«Beschimpfe mich jetzt noch!»

«Sprich nicht so laut. Man beobachtet dich.»

«Darauf pfeife ich.»

«Du hast recht darin; aber lebt man in einer engen...
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Autor

PITIGRILLI, eigentlich Dino Segre, wurde 1893 in Turin geboren, wo er auch 1975 starb. Der promovierte Rechtswissenschaftler arbeitete als Redakteur für verschiedene Zeitungen. Bevor er 1940 Lina Furlan heiratete, Italiens erste Rechtsanwältin an einem Schwurgericht, galt Pitigrilli als Salonlöwe. Die zwanziger Jahre verbrachte er als Zeitungskorrespondent in Paris, wo auch seine ersten, heftig diskutierten Bücher entstanden. Als 1939 auch in Italien die Rassengesetze in Kraft traten, musste er auswandern, zunächst in die Schweiz, dann nach Argentinien.