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Denn es will Abend werden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am24.06.2019
Wie lebt man weiter nach einer traumatischen Erfahrung? Der Abstand zwischen Menschen, die sich lieben, die guten Absichten, die stillen Verwünschungen und missglückten Annäherungen - all das beschreibt Anna Enquist meisterhaft in ihrem neuen Roman. Nach einer traumatischen Erfahrung findet das Ehepaar Carolien und Jochem keinen Trost mehr im anderen, sie ziehen sich zurück, kapseln sich ab, kämpfen allein mit ihrer Angst und Wut. Ihre Freunde Hugo und Heleen, die das Unglück miterlebt haben, reagieren mit Verdrängung und Flucht. Sie schämen sich, weil sie einander nicht helfen konnten, aber sie reden nicht darüber. Und das Streichquartett, das den vier Musikern stets Freude bereitet und über vieles hinweggeholfen hat, gibt es nicht mehr. Doch als Carolien nach Shanghai aufbricht, wo Hugo einen neuen Job angenommen hat, empfindet sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so etwas wie Freiheit und sogar Glück. Allmählich scheint Licht ins Dunkel zu dringen ... Ein vollkommen eigenständiger Roman der großen niederländischen Autorin, der dort einsetzt, wo ihr letzter Roman »Streichquartett« ein dramatisches Ende nimmt.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextWie lebt man weiter nach einer traumatischen Erfahrung? Der Abstand zwischen Menschen, die sich lieben, die guten Absichten, die stillen Verwünschungen und missglückten Annäherungen - all das beschreibt Anna Enquist meisterhaft in ihrem neuen Roman. Nach einer traumatischen Erfahrung findet das Ehepaar Carolien und Jochem keinen Trost mehr im anderen, sie ziehen sich zurück, kapseln sich ab, kämpfen allein mit ihrer Angst und Wut. Ihre Freunde Hugo und Heleen, die das Unglück miterlebt haben, reagieren mit Verdrängung und Flucht. Sie schämen sich, weil sie einander nicht helfen konnten, aber sie reden nicht darüber. Und das Streichquartett, das den vier Musikern stets Freude bereitet und über vieles hinweggeholfen hat, gibt es nicht mehr. Doch als Carolien nach Shanghai aufbricht, wo Hugo einen neuen Job angenommen hat, empfindet sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so etwas wie Freiheit und sogar Glück. Allmählich scheint Licht ins Dunkel zu dringen ... Ein vollkommen eigenständiger Roman der großen niederländischen Autorin, der dort einsetzt, wo ihr letzter Roman »Streichquartett« ein dramatisches Ende nimmt.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641241476
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum24.06.2019
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1994 Kbytes
Artikel-Nr.4024829
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1âNichts bleibt, wie es ist, denkt Jochem, während er sich langsam um die eigene Achse dreht und den Blick durch das neue Atelier wandern lässt. Alles ändert sich, so sehr du dich auch anstrengst, den alten Zustand aufrechtzuerhalten. Ich habe große Fenster, auch wenn ich sie hinter einem neumodischen Sonnenschutz mit eleganten Lamellen verstecke, damit ich mich in dem halb unterirdischen Kabuff wähnen kann, wo ich mich zu Hause fühlte. Ich habe weiße Wände, Regale ohne jeden Kratzer, Arbeitsoberflächen aus rostfreiem Stahl und tadellose Schränke mit Schiebetüren. Dagegen ziehe ich zu Felde, bewehrt mit dem mitgebrachten Krempel: verschmierte Leimtöpfe mit eingetrockneten Resten, Beitel mit abgenutzten Griffen, steinalte Innenformen und dreckige Lappen. Um das Neue zunichtezumachen, verstreue ich überall Altes. Aber das Gleiche ist es nicht. Die Decke ist höher, die Leuchtstoffröhren sind greller. Über der Werkbank hängt eine fahrbare OP-Lampe. Nur die Schublade geht noch genauso schwer auf wie früher, darin liegen die Zahnarztspiegel und die Haken, mit denen ich in die F-Löcher komme, zwischen schmutzigen Pinseln und Harzbröckchen.

Das Atelier ist L-förmig, und am Ende vom kurzen Fuß hat es direkt etwas Wohnliches. Da sind eine Spüle und eine Anrichte mit Elektrokochplatten und Kaffeemaschine, hinter einer undurchsichtigen Glaswand Dusche und Toilette. Dazu eine Couch, auf der man schlafen könnte, und ein Esstisch, auf dem jetzt benutzte Tassen und ein Zuckertopf stehen. Dieser häusliche Teil ist durch eine hohe Regalwand vom Atelier abgetrennt. Sie ist zur Küchenseite hin mit Geschirr, Handtuchstapeln und Klamotten bestückt. Zum Arbeitsbereich hin sind die Bretter gefüllt mit Schraubgläsern zur Aufbewahrung von Lacken, Geigenbauzeitschriften in verschiedenen Sprachen und Kartons voll notwendigem Krimskrams: Dämpfer, Stege, Saiten, Stimmstöcke, Schulterstützen. Es sieht schon richtig schön voll aus, stellt er mit Befriedigung fest.

Er knipst die OP-Lampe an und besieht eine Geige, die in einer Wiege aus Schaumgummi auf der Werkbank liegt. Was fehlt dir, darf ich dich kurz untersuchen? Er ist ein freundlicher Kinderarzt. Keine Angst, es tut nicht weh, und das Licht ist nur deshalb so grell, damit ich besser sehen kann. Vorsichtig zupft er mit dem Daumen die Saiten an, eine nach der anderen. In Ordnung. Auf der einen Schulter des Instruments ist der Lack verschlissen. Der Steg steht nicht ganz gerade und sieht aus, als könnte er jeden Moment umklappen. Ein kleiner Riss unter dem rechten F-Loch? Nein, der ist dicht, eine alte Narbe. Jochem fließt über vor Fürsorge, denkt an alles, was er für die Geige tun könnte, gleichzeitig, als fächerten sich seine Gedanken in vier oder fünf verschiedene Bereiche auf. Er wiegt sich auf seinen dicken Schuhsohlen, hin und her und vor und zurück, und erwägt, womit er anfangen soll. Bevor wir uns an die Untersuchung machen, muss das Baby gebadet werden, beschließt er. Aus der Rumpelschublade nimmt er zwei Porzellanschälchen. In das eine streut er feingemahlene Diatomeenerde, in das andere gibt er ein wenig Öl. Dann windet er einen Lappen um seinen Zeigefinger, den er erst in das Öl und dann auch leicht in das Pulver tunkt. Sachte beginnt er über die Geige zu reiben.

Er erschrickt, als das Telefon klingelt. Der Apparat steht auf dem Tisch am Eingang, neben seinem Computer und einem Stapel Papiere. Jochem legt den Lappen weg und nimmt den Telefonhörer ab.

»Eine Dame für Sie, mit einem Kasten«, sagt der Pförtner. »Nach oben gehen lassen?«

»Nein, ich komme sie holen.«

Während des Gesprächs schaut er auf einen Schirm hoch, auf dem in bläulicher Tönung der Empfangsbereich des Gebäudes zu sehen ist. Eine kleine Frauengestalt mit Strickmütze auf dem Kopf steht verloren auf den Marmorfliesen, einen Gambenkasten unter den Arm geklemmt. Er wirft einen letzten Blick auf seinen Arbeitsraum: Terminkalender offen auf dem Tisch, die Verabredung mit der Gambistin steht drin. Alles stimmt. Er geht noch einmal kurz herum, prüft, ob die Tresortür abgeschlossen ist, und zieht an den enormen Schubladen eines niedrigen Schranks. In der obersten liegt großformatiges Papier, die unterste ist noch leer. In der mittleren bewahrt er Schleifpapier unterschiedlicher Stärken auf. Hinten in der rechten Ecke schimmert etwas, silbrig. Eine mittelgroße Pistole. Er nickt und schließt die Schublade.

Drei Treppen runter, dann kann er der Gambistin die Hand drücken.

»Das ist Ulrich«, sagt er, auf den Pförtner in seinem Glaskasten zeigend. Der breitschultrige Surinamer nickt der Gambenspielerin freundlich zu.

»Ich geh dir mal nach oben voraus«, sagt Jochem.

»Gibt es keinen Aufzug?«

»Um die Ecke!«, ruft Ulrich durch sein Fensterchen.

»Ich trag dir dein Instrument, komm.«

Jochem reißt ihr die Gambe aus den Händen und stiefelt die Treppen hinauf. Sie folgt ihm, sich ängstlich ans Geländer klammernd.

»So«, sagt er, als er Instrument und Spielerin hineingelotst und die schwere Tür zugemacht hat. Stiftschloss. Kette davor. »Setz dich, leg deinen Mantel ab.«

Sie zieht sich den Stuhl heran, der am Computertisch steht, knöpft ihren Mantel auf und setzt sich.

»Groß«, sagt sie, während sie im Atelier herumschaut, »viel größer als deine alte Werkstatt. Du bist schon ein gutes halbes Jahr hier, nicht? Sagt es dir zu?«

»Es ist besser. Der Eingang ist immer überwacht, niemand kann einfach reinkommen. Ich hab viel Platz und kann alles überblicken.«

»Du hast einen größeren Panzerschrank angeschafft.«

»Manchmal hab ich kostbare Instrumente hier, die kann man nicht offen rumliegen lassen, wenn man weg ist, finde ich.«

Die Gambistin schweigt. Sie schaut zu der Wäscheleine empor, an der Geigen zum Trocknen hängen, und atmet den Geruch ein.

»Du hast lackiert. Es riecht nach Lavendel. Bist du schon wieder voll in der Arbeit drin, nach allem, was passiert ist? Macht dir das Unglück noch zu schaffen?«

Jochem seufzt, holt sich den Hocker, der an der Werkbank steht, und nimmt darauf Platz. Er reibt sich über die Stirn, kratzt sich am Kopf.

»Tja, arbeiten tut gut. Das ist das Einzige, was du machen kannst. Ich hab aber auch nicht so viel abgekriegt, bloß eine Kopfwunde und ein zugeschwollenes Auge. Das war schnell verheilt. Carolien hatte mehr Pech, die hat einen Finger verloren. Und Heleen hat sich das Bein gebrochen, ganz blöd. Hugo hatte überhaupt nichts.«

»Ich hab´s in der Zeitung gelesen«, sagt die Gambistin, »und dann haben auch alle davon geredet. Dass es ein Wunder sei, dass ihr das überlebt habt. Ein Hausboot in die Luft jagen, auf dem sich Menschen befinden! Irrsinn!«

»Die Polizei musste diesen Kriminellen fassen. Der Mann war gefährlich und hat uns bedroht. Sie haben das schon überlegt gemacht, Sprengladungen vorn und hinten am Schiff. Wir befanden uns in der Mitte. Und spielten Quartett!« Jochem lacht verächtlich und zuckt die Achseln.

»Wie ist dieser Unhold eigentlich zu euch gelangt, war das Zufall?«

»Zufall, Zufall - der Mann war zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt und wollte sich aus dem Staub machen. Dass ihm das gelang, verdanken wir der logistischen Inkompetenz des Gefängniswesens. Kann man das Zufall nennen? Dass er auf dem Boot landete, war zumindest kein Zufall, denn unsere zweite Geige, Heleen, war in so ´nem idealistischen Verein und korrespondierte mit Häftlingen. Gegen die Einsamkeit. Sie hat diesem Schurken geschrieben. Durch sie wusste er, wo wir waren, was wir machten.«

»Es war also ihre Schuld? Lässt sich das wiedergutmachen? Spielt ihr denn wieder zusammen?«

Jochem wendet sich ab und klickt den Gambenkasten auf. Als er antwortet, hört sich seine Stimme verhaltener und ein bisschen heiser an. »Von zusammen spielen ist keine Rede. Steht auch nicht an. Carolien müsste neu streichen lernen, aber danach ist ihr nicht. Außerdem sind wir unsere Instrumente los. Die sind ins Wasser gefallen.«

Er hört die Frau erschrocken nach Luft schnappen. Ja, ja, das ist schlimm, denkt er, all die prächtigen, alten Instrumente durch Wasser und Dynamit zerstört. Mannomann!

»Aber die Versicherung kommt doch dafür auf, oder?«

Jochem hebt die Gambe aus dem Kasten und hält sie mit gestrecktem Arm von sich. Abstand. Schauen.

»Die anderen haben erkleckliche Summen eingestrichen. Ich hab gar nichts gekriegt. Aus den Verhören sei hervorgegangen, dass ich meine Bratsche selbst zerstört hätte. Na ja, ich hab sie auf dem Kopf dieses Kerls zertrümmert. Eigene Schuld!«

Ungläubig schüttelt die Gambistin den Kopf.

»Wie ungerecht. Das kann doch wohl nicht sein!«

Jochem schweigt. Die Frau windet sich auf dem Stuhl und ringt die Hände.

»Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich bin manchmal zu direkt, ich weiß. Wie damals, als ich diesen Prospekt von den Gruppen zur Trauerverarbeitung mitbrachte. Das war aufdringlich. Ich sollte mich nicht in alles einmischen. Es geht mir einfach nahe, und dann tue ich so etwas, ohne nachzudenken. Es tut mir leid.«

Nach dieser Ansprache verschließt sie die Lippen. Jochem presst die Zähne aufeinander, dass die Kiefermuskeln spielen, und knurrt wie ein böser Hund.

»Du meinst es gut. Auch damals. Wir hatten unsere Kinder verloren, du wolltest uns eine Hilfestellung geben. Vielleicht warst du der Meinung, dass es nach so vielen Jahren mal genug sein müsste mit der Trauer. Dass so ´ne Gruppe nichts für uns war, konntest du ja nicht wissen. Es ist oft komplizierter, als man denkt. Ob unser Quartett je wieder...

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Autor

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.