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Spaziergänge durch Dublin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am11.04.20191. Auflage
Eine Ode an die Stadt Dublin. Ein sehr persönlicher Dublin-Stadtführer und zugleich eine autobiographische Reise des großen irischen Schriftstellers und Man Booker Prize-Trägers John Banville an ganz besondere Orte in der Sehnsuchtsstadt seiner Kindheit. Geboren und aufgewachsen in Wexford durfte John Banville als Kind an seinem Geburtstag die exzentrische Lieblingstante in Dublin besuchen - das für ihn so zu einem Ort der Verheißungen wurde. Nachdem er als Erwachsener dorthin gezogen war, sah Banville Dublin zwar mit realistischeren Augen, und doch blieb die Faszination, die die Stadt schon auf den Siebenjährigen ausgeübt hatte. In diesem Buch führt Banville den Leser zu bekannten und weniger bekannten Plätzen. Dabei verwebt er die Erinnerungen, die sich an bestimmte Straßen und Gebäude knüpfen, mit einer großen Kenntnis des Orts und seiner Geschichte. Das Ergebnis ist eine wunderbar eigenwillige Tour durch Dublin; eine zärtliche und imposante Ode an die Stadt und eine Fundgrube für alle Dublin-Reisenden. Ein Buch, genauso vielschichtig, reich, geistreich und überraschend wie die Romane des großen irischen Romanciers und Krimiautors.

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextEine Ode an die Stadt Dublin. Ein sehr persönlicher Dublin-Stadtführer und zugleich eine autobiographische Reise des großen irischen Schriftstellers und Man Booker Prize-Trägers John Banville an ganz besondere Orte in der Sehnsuchtsstadt seiner Kindheit. Geboren und aufgewachsen in Wexford durfte John Banville als Kind an seinem Geburtstag die exzentrische Lieblingstante in Dublin besuchen - das für ihn so zu einem Ort der Verheißungen wurde. Nachdem er als Erwachsener dorthin gezogen war, sah Banville Dublin zwar mit realistischeren Augen, und doch blieb die Faszination, die die Stadt schon auf den Siebenjährigen ausgeübt hatte. In diesem Buch führt Banville den Leser zu bekannten und weniger bekannten Plätzen. Dabei verwebt er die Erinnerungen, die sich an bestimmte Straßen und Gebäude knüpfen, mit einer großen Kenntnis des Orts und seiner Geschichte. Das Ergebnis ist eine wunderbar eigenwillige Tour durch Dublin; eine zärtliche und imposante Ode an die Stadt und eine Fundgrube für alle Dublin-Reisenden. Ein Buch, genauso vielschichtig, reich, geistreich und überraschend wie die Romane des großen irischen Romanciers und Krimiautors.

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462319576
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum11.04.2019
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse18905 Kbytes
Artikel-Nr.4033114
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1 Über Zeit


DUBLIN WAR NIE MEIN DUBLIN, was es nur umso reizvoller machte. Ich bin in Wexford geboren, einer kleinen Stadt, die zu jener Zeit noch kleiner und noch abgelegener war, im Abseits ihrer eigenen Vergangenheit. Mein Geburtstag fällt auf den achten Dezember, den Feiertag der Unbefleckten Empfängnis - für mich immer der Beleg dafür, wie lächerlich ungenau der Himmel sein kann und was für einen Pfusch er abliefert, wenn es um Geburtsdaten geht. Der Achte war sowohl ein kirchlicher als auch ein allgemeiner Feiertag - ein Tag, an dem die Leute aus der Provinz scharenweise in die Hauptstadt fuhren, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen und die weihnachtliche Festbeleuchtung zu bewundern. Und so bestand meine Geburtstagsüberraschung in der ersten Hälfte der Fünfziger über mehrere Jahre darin, dass wir mit der Bahn nach Dublin fuhren, worauf ich mich immer schon monatelang im Voraus freute - ja, es kommt mir tatsächlich so vor, als hätte ich mich jedes Mal, sobald der letzte Ausflug zu Ende war, schon wieder auf den nächsten im Jahr darauf gefreut.

Früh am Morgen fuhren wir bei winterlicher Dunkelheit vom Nordbahnhof der Stadt ab. Ich glaube, es gab damals noch Dampfzüge, obwohl Diesel bereits groß im Kommen war. Wie aufregend war es doch, noch ganz verschlafen durch die dunklen, menschenleeren Straßen zu gehen, vor mir all die Abenteuer eines langen Tages. Der Zug kam aus Rosslare Harbour und beförderte trübäugige Fahrgäste von der Nachtfähre aus Fishguard in Wales, wovon die eine Hälfte betrunken war, die andere noch gezeichnet von der eben überstandenen Seekrankheit. Dann ging es schnaufend los, das Fenster neben mir ein Spiegel aus schwarzem Glas, in dem ich mein bedrohlich verschattetes Abbild sah und mir vorstellte, ich wäre ein Agent in geheimer Mission, wie man die Spione in den Spionageromanen früher nannte, im Orientexpress, unterwegs zu einem Auftrag im finsteren, gefährlichen Osten.

Als wir irgendwo kurz vor Arklow waren, begann es hell zu werden, und das Weiß der mit Reif überzogenen Felder ging über in eine grell glitzernde Nuance von Glimmer-Pink.

Gewisse Augenblicke an gewissen Orten, beide scheinbar bedeutungslos, prägen sich dem Gedächtnis mit einer unfassbaren Lebhaftigkeit und Deutlichkeit ein - unfassbar, weil, so klar und so lebendig sie auch sind, dennoch der Verdacht aufkommt, sie müssten Erfindungen der eigenen Phantasie sein, wir hätten sie uns, kurz gesagt, nur ausgedacht. Woran ich mich bei diesen Dezemberfahrten noch erinnere oder überzeugt bin, dass ich mich daran erinnere, ist eine bestimmte Stelle, wo der Zug an der Biegung eines Flusses - der Fluss muss der Avoca gewesen sein - seine Fahrt verlangsamte; eine Stelle, die ich immer noch ganz deutlich vor meinem inneren Auge sehe und zu der ich in meinen Romanen wiederholt zurückgekehrt bin, zum Beispiel hier, in Newtons Brief:


Auf der anderen Flussseite zog sich ein flaches Feld bis an den Rand eines bewaldeten Hügels, und am Fuße dieses Hügels stand ein Haus, nicht sonderlich groß, doch einsam und wuchtig mit steilem Dach. Ich starrte auf das stumme Haus und fragte mich voll nagender Neugier, welche Leben dort gelebt wurden. Wer schichtete das Brennholz, hängte die Stechpalmkränze auf, hinterließ Spuren im Raureif auf dem Hügel? Ich kann das seltsam schmerzliche Vergnügen eines solchen Augenblicks nicht schildern. Doch wusste ich natürlich, dass dieses verborgene Leben sich kaum von meinem unterscheiden würde. Darum aber ging es gerade. Mich interessierte nicht das Exotische, sondern das Gewöhnliche, dieses merkwürdigste und flüchtigste aller Rätsel.


Dublin war natürlich alles andere als gewöhnlich; Dublin war für mich, was Moskau für Irina in Tschechows Drei Schwestern war: ein magischer, verheißungsvoller Ort, nach dem sich meine darbende junge Seele endlos verzehrte. Ich war glücklicher dran als Irina, denn die Reise von Wexford nach Dublin war vergleichsweise kurz, und ich konnte sie beliebig oft unternehmen. Dass die Stadt selbst, das wirkliche Dublin, in den von Armut gezeichneten fünfziger Jahren überwiegend grau und ohne jede Anmut war, konnte meinem Traum von ihm nichts anhaben - und ich träumte sogar dann von dieser Stadt, wenn ich mich in ihr aufhielt, sodass sich die banale Wirklichkeit fortwährend in etwas Hochromantisches verwandelte; niemand könnte romantischer sein als ein kleiner Junge, was wohl kaum einer besser wusste als Robert Louis Stevenson.

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Wann wird die Vergangenheit zur Vergangenheit? Wie viel Zeit muss vergehen, bevor das, was einfach bloß geschehen ist, auf diese mysteriöse, numinose Weise zu leuchten beginnt, die das Merkmal wirklichen Vergangenseins ist? Die prächtigen Bilder, die wir in der Erinnerung mit uns herumtragen, waren einmal einfach bloß die Gegenwart, fade und alltäglich und ganz und gar nicht bemerkenswert, außer in manchen Momenten, wenn man, sagen wir mal gerade frisch verliebt war oder im Lotto gewonnen oder der Arzt einem eine schlechte Nachricht mitgeteilt hatte. Was ist das für ein Zauber, der auf die Erfahrung einwirkt, sobald sie ins Laboratorium der Gegenwart überführt wird, um dort geformt und poliert zu werden, bis sie ihren vollendeten Glanz hat? Diese Fragen, die alle nur eine einzige Frage sind, faszinieren mich, seit ich als Kind zum ersten Mal die ungeheure Entdeckung machte, dass die Schöpfung nicht nur aus mir selbst bestand, samt allem, was zu mir gehörte - Mutter, Hunger, lieber trocken sein als nass -, sondern auf der einen Seite aus mir und auf der anderen Seite aus der Welt: der Welt der anderen Menschen, anderen Phänomene, anderen Dinge.

Sagen wir so: Die Gegenwart ist das, worin wir leben, die Vergangenheit hingegen das, worin wir träumen. Wenn sie jedoch ein Traum ist, dann einer mit Substanz, ein tragender. Die Vergangenheit gibt uns Auftrieb, wie ein Heißluftballon, der stillsteht und sich immer weiter ausdehnt.

Und doch, ich frage noch einmal: Was ist sie? Welche Verwandlung muss die Gegenwart durchmachen, damit sie zur Vergangenheit wird? Die Alchimie der Zeit, sie wirkt in einem hellen Abgrund.

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St Andrew´s Church, Westland Row



Der Bahnhof Westland Row Station - erst Jahre später wurde daraus Pearse Station - bestand im Wesentlichen aus einer rußgeschwärzten gläsernen Kuppel, ein paar trostlosen Bahnsteigen und einer Rampe, die hinunterführte zur Straße. Heute kommt es mir so vor, als ob es jedes Jahr am achten Dezember regnete, wenn wir dort aus dem Zug stiegen. Aber das war nicht der strömende, prasselnde Regen wie im Landesinneren, sondern eine ganz spezielle, großstädtische Variante, die Tropfen so fein und so durchdringend wie Neutrinos, diese Schauer, dieses Gewimmel von subatomaren oder sogar subsubatomaren Teilchen, die dich und mich und alle Dinge jeden Augenblick durchzucken. Das Pflaster wurde gar nicht richtig nass von diesem Regen, eher schmierig, sodass man vorsichtig laufen musste mit seinen glatten Ledersohlen.

Wandten wir uns draußen vor dem Bahnhof nach links zur Westland Row, dann sahen wir dort auch schon die Kirche St Andrew´s vor uns aufragen, die in meinen Augen so ziemlich den eigenartigsten Standort in der ganzen Stadt hat: Wie mit der himmlischen Dampframme hineingequetscht, klemmt sie mitten in einer Zeile unscheinbarer, entschieden säkularer Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert. Mir kam der Bau immer ein bisschen verrückt vor mit diesen zwei übergroßen pseudokorinthischen Säulen, der mächtigen, durchaus nicht einladenden Pforte und dem mäßig steilen Dach, an dessen höchster Stelle eine Statue des heiligen Andreas, des älteren Bruders des berühmteren Petrus, steht und in Frustration erstarrt den Arm erhoben hält, als warnte er, von niemandem beachtet, vor einer nahenden Apokalypse.[1]

Am Ende der Straße befand sich und befindet sich noch immer Kennedy´s Pub, die Stammkneipe von Samuel Beckett in seiner Zeit als Student am nahe gelegenen Trinity College. Wenden wir uns von dort nach links und dann gleich wieder nach rechts, kommen wir zum Merrion Square, wo im Haus Nummer eins, einem - zumindest äußerlich - schönen, typisch georgianischen Reihenhaus, Oscar Wilde geboren wurde, Sohn von William Wilde, der, wie es heißt, ein »ausgezeichneter Arzt« war. Oscars Mutter war die ebenso bemerkenswerte wie faszinierende Jane Francesca Wilde, geborene Elgee, die um 1840 herum unter dem Pseudonym Speranza patriotische Gedichte für die Zeitung The Nation verfasste, das Sprachrohr der Bewegung Young Ireland; ihre Verse waren so mitreißend, dass sie einmal in einer besonders turbulenten Phase um ein Haar wegen Volksverhetzung im Gefängnis gelandet wäre.

Unnötig zu sagen, dass ich zu der Zeit, über die ich hier schreibe, von alledem nicht die geringste Ahnung hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damals überhaupt schon einmal von dem armen Oscar gehört hatte, an den heute eine scheußlich bunt bemalte Statue erinnert, die ihn an der vis-à-vis von seinem Geburtshaus gelegenen Ecke des Platzes auf einem von einem Geländer umfassten Felsbrocken lümmelnd darstellt. Was für Demütigungen wir uns doch gegenüber den berühmten Toten herausnehmen! Nach Samuel Beckett, dem friedliebendsten Menschen weit und breit, haben wir einen Kampfhubschrauber...
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Autor

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.Christa Schuenke, geboren 1948, übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Englischen, u. a. Werke von Banville, Melville, Singer, Shakespeare. Sie erhielt u.a. den Wielandpreis und den Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW.