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Gelächter im Dunkel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am23.10.20181. Auflage
Es war einmal ein Mann, der hieß Albinus und lebte in der deutschen Stadt Berlin. Er war reich, angesehen und glücklich; um eines jungen Mädchens willen verließ er eines Tages seine Frau; er liebte; wurde nicht geliebt; und sein Leben endete in einer Katastrophe... Vladimir Nabokovs berühmter Roman aus dem Berlin der zwanziger Jahre, eins der letzten Werke, die er auf Russisch verfasste.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEs war einmal ein Mann, der hieß Albinus und lebte in der deutschen Stadt Berlin. Er war reich, angesehen und glücklich; um eines jungen Mädchens willen verließ er eines Tages seine Frau; er liebte; wurde nicht geliebt; und sein Leben endete in einer Katastrophe... Vladimir Nabokovs berühmter Roman aus dem Berlin der zwanziger Jahre, eins der letzten Werke, die er auf Russisch verfasste.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644002302
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum23.10.2018
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse923 Kbytes
Artikel-Nr.4045922
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2

Albinus hatte nie viel Glück gehabt in Herzensdingen. Obwohl er gut aussah, auf eine ruhige, wohlerzogene Art, war es ihm irgendwie nie gelungen, seine Anziehungskraft auf Frauen praktisch zu nutzen - denn sein freundliches Lächeln und die sanften blauen Augen, die ein wenig hervortraten, wenn er angestrengt nachdachte (und da er langsam im Begreifen war, geschah dies öfter als angebracht), hatten etwas durchaus Einnehmendes. Er war ein guter Unterhalter, mit jenem ganz leichten Stocken in seiner Sprechweise, nahezu einem Stottern, das selbst der abgestandensten Phrase frischen Charme verleiht. Last but not least (denn er war in einer gemütlichen deutschen Welt zuhause) hatte ihm sein Vater ein solide investiertes Vermögen hinterlassen; dennoch pflegten Romanzen irgendwie platt zu werden, sobald sie seinen Weg kreuzten.

In seiner Studentenzeit hatte er eine langweilige Liaison der schwergewichtigen Art mit einer traurigen, ältlichen Dame, die ihm später, während des Krieges, purpurrote Socken an die Front schickte, juckende Wollsachen, enorme leidenschaftliche Briefe, mit Höchstgeschwindigkeit in einer wilden, unleserlichen Handschrift auf Pergamentpapier geschrieben. Dann war da die Affäre mit der Frau des Herrn Professors, die er am Rhein getroffen hatte; sie war hübsch, wenn man sie aus einem bestimmten Blickwinkel und in einem bestimmten Licht betrachtete, aber so kalt und spröde, dass er sie bald fallen ließ. Schließlich gab es da in Berlin, kurz vor seiner Heirat, eine magere, trübselige Frau mit hausbackenem Gesicht, die an jedem Samstagabend zu kommen pflegte und ihm dann ihre gesamte Vergangenheit in allen Einzelheiten berichtete, immer wieder die gleichen gottverdammten Sachen, matt in seinen Umarmungen seufzte und stets mit der einzigen französischen Redewendung endete, die sie kannte: «C´est la vie.» Schnitzer, Missgriffe, Enttäuschung; sicher war der Cupido, der ihm zu dienen suchte, ein Linkshänder mit fliehendem Kinn und ohne Phantasie. Und neben diesen blassen Romanzen hatte es Hunderte von jungen Frauen gegeben, von denen er geträumt, die er aber niemals kennen gelernt hatte; sie waren einfach an ihm vorbeigegangen und hatten ein oder zwei Tage lang jenes hoffnungslose Gefühl hinterlassen, das Schönheit zu dem macht, was sie ist: ein ferner einsamer Baum vor goldenen Himmeln; Lichtkringel an der Innenbeuge einer Brücke; etwas, das sich nicht fangen lässt.

Er heiratete, und obwohl er Elisabeth in gewisser Weise liebte, blieb sie ihm jenen Reiz schuldig, nach dem zu verlangen er müde geworden war. Sie war die Tochter eines bekannten Theaterdirektors, ein geschmeidiges, schmächtiges, blondes Fräulein mit farblosen Augen und rührenden Pickelchen genau über einer kleinen Nase von jener Art, die englische Romanschriftstellerinnen «retroussée» nennen (man beachte das sicherheitshalber angehängte zweite e). Ihre Haut war so zart, dass die leichteste Berührung einen rosa Fleck auf ihr hinterließ, der nur langsam verblasste.

Er heiratete sie, weil es sich einfach so ergab. Die Hauptverantwortung für ihre Ehe trug ein Ausflug in die Berge mit ihr samt ihrem fetten Bruder und einer bemerkenswert athletischen Cousine, die sich schließlich in Pontresina gottseidank den Fuß verstauchte. Es war etwas so Zartes, so Ätherisches um Elisabeth, und sie hatte ein so gutmütiges Lachen. Sie wurden in München getraut, um dem Ansturm ihrer zahlreichen Berliner Bekannten zu entgehen. Die Kastanien standen in voller Blüte. Ein sorgsam gehütetes Zigarettenetui ging in einem vergessenen Garten verloren. Einer der Ober im Hotel konnte sieben Sprachen. An Elisabeth zeigte sich, dass sie eine zarte kleine Narbe hatte - die Folge einer Blinddarmentzündung.

Sie war eine anhängliche kleine Seele, fügsam und sanft. Ihre Liebe war von der Lilienart; aber dann und wann entflammte sie, und in solchen Augenblicken wurde Albinus zu dem Glauben verleitet, dass er gar keine andere Liebespartnerin mehr brauchte.

Als sie schwanger wurde, nahmen ihre Augen einen leeren Ausdruck von Zufriedenheit an, als ob sie über jene neue Welt in ihrem Innern nachsänne; ihr achtloser Gang wandelte sich in ein achtsames Watscheln, und gierig verschlang sie eine Handvoll Schnee nach der anderen, die sie eilig zusammenkratzte, wenn gerade niemand hinsah. Albinus versorgte sie, so gut er nur konnte; nahm sie mit auf lange, langsame Spaziergänge; passte auf, dass sie früh zu Bett ging und dass Haushaltsgegenstände mit scharfen Kanten sanft zu ihr waren, wenn sie sich umherbewegte; aber nachts träumte er davon, an einem heißen, einsamen Strand einem Mädchen zu begegnen, das sich im Sande rekelte, und gewöhnlich überfiel ihn in solchen Träumen eine plötzliche Angst, von seiner Frau ertappt zu werden. Am Morgen betrachtete Elisabeth ihren aufgeschwollenen Körper im Spiegel des Kleiderschranks und lächelte ein befriedigtes und geheimnisvolles Lächeln. Dann wurde sie eines Tages in ein Entbindungsheim gebracht, und Albinus lebte drei Wochen lang allein. Er wusste nichts mit sich anzufangen; trank ziemlich viel Brandy; wurde von zwei dunklen Gedanken gequält, jeder von einer anderen Art von Dunkelheit; der eine war, dass seine Frau sterben könnte, und der andere, dass er, wenn er nur ein bisschen beherzter wäre, ein entgegenkommendes Mädchen finden und sie in sein leeres Schlafzimmer mitnehmen könnte.

Würde das Kind je zur Welt kommen? Albinus ging auf und ab in dem langen, weiß gestrichenen, weiß emaillierten Korridor mit der Albtraumpalme im Blumentopf oben auf dem Treppenabsatz; alles war ihm verhasst, die hoffnungslose Weiße des Hauses und die rotbackigen, raschelnden Krankenschwestern mit weiß beflügelten Köpfen, die ihn ständig zu vertreiben suchten. Endlich tauchte der Assistenzarzt auf und sagte düster: «So, es ist alles vorüber.» Vor Albinus´ Augen erschien ein feiner, dunkler Regen, wie das Flimmern eines sehr alten Films (1910, ein munterer, ruckweise gehender Leichenzug, dessen Beine sich zu schnell bewegen). Er stürzte ins Krankenzimmer. Elisabeth war glücklich von einer Tochter entbunden.

Das Baby war zuerst rot und runzlig wie ein Spielzeugballon, dem die Luft ausgeht. Bald jedoch glättete sich sein Gesicht, und nach einem Jahr begann es zu sprechen. Jetzt, im Alter von acht Jahren, war das Mädchen viel weniger zungenfertig, denn es hatte die zurückhaltende Natur seiner Mutter geerbt. Auch seine Heiterkeit war die seiner Mutter - eine seltsam unaufdringliche Heiterkeit. Es war einfach ein stilles Entzücken am eigenen Dasein, mit einem Schuss humorvollen Erstaunens, überhaupt am Leben zu sein - ja, das war der Tenor: todesbewusste Heiterkeit.

Und all diese Jahre hindurch blieb Albinus treu, obgleich ihn die Zwiespältigkeit seiner Gefühle reichlich verwirrte. Er fühlte, dass er seine Frau aufrichtig und zärtlich liebte - sosehr er eben imstande war, ein menschliches Wesen zu lieben; und er war völlig offen zu ihr in allen Dingen, bis auf jenes törichte Verlangen, jenen Traum, jene Begierde, die ein Loch in sein Leben brannte. Sie las alle Briefe, die er schrieb oder erhielt, ließ sich gerne über die Einzelheiten seiner Geschäfte unterrichten - besonders über jene, die den Umgang mit alten, düsteren Bildern betrafen, zwischen deren Rissen man die weiße Kruppe eines Pferdes oder ein dämmerndes Lächeln erkennen konnte. Sie machten ein paar herrliche Auslandsreisen, und es gab viele wunderbar stille Abende zuhause, an denen er mit ihr auf dem Balkon saß hoch über den blauen Straßen, deren Drähte und Schornsteine wie in chinesischer Tusche über den Sonnenuntergang gemalt waren, und darüber nachdachte, dass er tatsächlich glücklicher war, als er es verdiente.

Eines Abends (eine Woche vor dem Gespräch über Axel Rex) bemerkte er auf dem Weg zu einem Café, in dem er eine geschäftliche Verabredung hatte, dass seine Uhr Amok lief (auch dies geschah nicht zum ersten Mal) und dass er noch eine ganze Stunde Zeit hatte, ein Geschenk, das irgendwie genutzt werden musste. Natürlich war es sinnlos, nach Hause zurückzukehren, ans andere Ende der Stadt, doch hatte er auch keine Lust, herumzusitzen und zu warten: Der Anblick anderer Männer mit Freundinnen regte ihn immer auf. So schlenderte er ziellos umher und kam an einem kleinen Kino vorbei, dessen Lichter einen scharlachroten Schein über den Schnee warfen. Er blickte flüchtig auf das Plakat (das einen Mann zeigte, der zu einem Fensterrahmen aufschaute, in dem ein Kind im Nachthemd stand), zögerte - und kaufte eine Eintrittskarte.

Kaum hatte er die samtene Dunkelheit betreten, als auch schon der ovale Strahl einer Taschenlampe auf ihn zuglitt (wie das so üblich ist) und ihn nicht weniger rasch und zügig den dunklen, sacht abfallenden Gang hinabführte. Gerade als das Licht auf die Eintrittskarte in seiner Hand fiel, sah Albinus das geneigte Gesicht des Mädchens, und während er hinter ihr herging, konnte er im Dämmer ihre schmale Gestalt erkennen und die ebenmäßige Schnelligkeit ihrer leidenschaftslosen Bewegungen. Während er sich auf seinen Platz schob, schaute er zu ihr auf, und da zufällig das Licht darauf fiel, sah er wieder den klaren Schimmer ihres Auges und den schmelzenden Umriss einer Wange, die aussah, als wäre sie von einem großen Künstler gegen einen schweren, dunklen Hintergrund gemalt worden. Es war an alldem nichts Außergewöhnliches: Solche Dinge waren ihm schon öfter widerfahren, und er wusste, dass es unklug war, dabei zu verweilen. Sie ging fort, wurde von der Dunkelheit verschluckt, und plötzlich fühlte er sich gelangweilt und traurig. Er war zum...
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Autor

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.