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Wendekreis des Krebses

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am15.10.20191. Auflage
Mit diesem jahrzehntelang verketzerten und verbotenen Buch fegte der einst verfemte, heute weltberühmte Autor alle Tabus hinweg. Es war der erste heftige Angriff gegen eine Gesellschaft, die den Boden bereitet, auf dem das Laster gedeiht. Es schlug die entscheidende Bresche in eine Mauer von Heuchelei und Prüderie.

Henry Miller, der am 26. Dezember 1891 in New York geborene deutschstämmige Außenseiter der modernen amerikanischen Literatur, wuchs in Brooklyn auf. Die Dreißiger Jahre verbrachte Miller im Kreis der «American Exiles» in Paris. Sein erstes größeres Werk, das vielumstrittene «Wendekreis des Krebses», wurde - dank des Wagemuts eines Pariser Verlegers - erstmals 1934 in englischer Sprache herausgegeben. In den USA zog die Veröffentlichung eine Reihe von Prozessen nach sich; erst viel später wurde das Buch in den literarischen Kanon aufgenommen. Henry Miller starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextMit diesem jahrzehntelang verketzerten und verbotenen Buch fegte der einst verfemte, heute weltberühmte Autor alle Tabus hinweg. Es war der erste heftige Angriff gegen eine Gesellschaft, die den Boden bereitet, auf dem das Laster gedeiht. Es schlug die entscheidende Bresche in eine Mauer von Heuchelei und Prüderie.

Henry Miller, der am 26. Dezember 1891 in New York geborene deutschstämmige Außenseiter der modernen amerikanischen Literatur, wuchs in Brooklyn auf. Die Dreißiger Jahre verbrachte Miller im Kreis der «American Exiles» in Paris. Sein erstes größeres Werk, das vielumstrittene «Wendekreis des Krebses», wurde - dank des Wagemuts eines Pariser Verlegers - erstmals 1934 in englischer Sprache herausgegeben. In den USA zog die Veröffentlichung eine Reihe von Prozessen nach sich; erst viel später wurde das Buch in den literarischen Kanon aufgenommen. Henry Miller starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644005853
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum15.10.2019
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse847 Kbytes
Artikel-Nr.4887935
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Wendekreis des Krebses


An die Stelle von Romanen werden schließlich Tagebücher oder Autobiographien treten - faszinierende Bücher, wenn ein Mann es nur versteht, aus dem, was er für seine Erfahrungen hält, das auszuwählen, was wirklich seine Erfahrung ist, und die Wahrheit wahrheitsgemäß aufzuzeichnen.

Ralph Waldo Emerson


Ich wohne in der Villa Borghese. Hier ist nirgendwo eine Spur von Schmutz; kein Stuhl, der nicht an seinem Platz steht. Wir sind hier ganz allein und wie Tote.

Gestern abend entdeckte Boris, daß er verlaust war. Ich mußte seine Achselhöhlen ausrasieren, und selbst dann hörte das Jucken nicht auf. Wie kann man an einem so schönen Ort verlausen? Aber wie dem auch immer sei, jedenfalls wären wir wohl nie so intim geworden, Boris und ich, hätte es nicht diese Läuse gegeben.

Boris hat mir soeben eine Zusammenfassung seiner Ansichten gegeben. Er ist ein Wetterprophet. Das Wetter wird schlecht bleiben, sagt er. Es wird mehr Elend, mehr Tod, mehr Verzweiflung geben. Nirgends das geringste Anzeichen einer Änderung. Der Krebsschaden der Zeit frißt uns auf. Unsere Helden haben sich umgebracht oder bringen sich um. Der Held ist also nicht die Zeit, sondern die Zeitlosigkeit. Wir müssen im Schritt, im Stechschritt dem Gefängnis des Todes entgegenmarschieren. Es gibt kein Entrinnen. Das Wetter ändert sich nicht.

 

Jetzt ist es Herbst, und ich bin das zweite Jahr in Paris. Ich wurde hierhergeschickt aus einem Grunde, den ich noch nicht klar erkannt habe.

Ich habe kein Geld, keine Zuflucht, keine Hoffnungen. Ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Vor einem Jahr, vor sechs Monaten dachte ich noch, ich sei ein Künstler. Jetzt denke ich nicht mehr darüber nach, ich bin einer. Alles, was Literatur war, ist von mir abgefallen. Es gibt keine Bücher mehr, die geschrieben werden müßten, Gott sei Dank.

Und dies hier? Dies ist kein Buch. Dies ist Schmähung, Verleumdung, Diffamierung eines Charakters. Dies ist kein Buch im gewöhnlichen Sinn des Wortes. Nein, dies ist eine fortwährende Beleidigung, ein Maulvoll Spucke ins Gesicht der Kunst, ein Fußtritt für Gott, Menschheit, Schicksal, Zeit, Liebe, Schönheit ... was man will. Ich werde für euch singen, vielleicht ein bißchen falsch, aber ich will singen. Ich will singen, während ihr verröchelt, will über eurem schmutzigen Leichnam tanzen  ...

Um zu singen, mußt du zuerst den Mund auftun. Du mußt zwei Lungen haben und ein bißchen was von Musik verstehen. Ein Akkordeon oder eine Gitarre sind dazu nicht nötig. Hauptsache ist, daß man singen will. Dies ist also ein Gesang. Ich singe.

Für dich, Tania, singe ich. Ich wünschte, ich könnte besser singen, melodischer, aber dann hättest du mich vielleicht niemals angehört. Du hast andere singen hören, und sie ließen dich kalt. Sie sangen zu schön - oder nicht schön genug.

Es ist der x-undzwanzigste Oktober. Ich kümmere mich nicht mehr um das Datum. Sagt man denn: mein Traum vom letzten 14. November? Es gibt Zwischenzeiten, aber sie liegen zwischen Träumen und hinterlassen nichts in unserem Bewußtsein. Die Welt um mich löst sich auf, läßt da und dort Zeitfetzen zurück. Die Welt ist ein Krebs, der sich selbst auffrißt ... Ich glaube, wenn das große Schweigen sich auf alles und überall herabsenkt, wird endlich die Musik triumphieren. Wenn alles wieder in den Schoß der Zeit zurückgekehrt ist, wird das Chaos wieder hergestellt sein, und das Chaos ist die Tafel, die mit der Wirklichkeit beschrieben ist. Du, Tania, bist mein Chaos. Und darum singe ich. Ich bin es nicht einmal, es ist die sterbende Welt, die die Haut der Zeit abstreift. Ich lebe noch, rege mich in deinem Schoß, einer Wirklichkeit, die beschrieben werden kann.

Hindämmern. Die Physiologie der Liebe. Der Wal mit seinem im Ruhezustand sechs Fuß langen Penis. Die Fledermaus - penis libre. Tiere mit einem Knochen im Penis. Daher: hart wie ein Knochen. «Zum Glück», sagt Gourmont, «ist die Knochenversteifung beim Menschen weggefallen.» Zum Glück? Ja, zum Glück. Man stelle sich die Menschheit vor, wie sie mit einem Knochenharten herumläuft. Das Känguruh hat einen doppelten Penis - einen für die Woche und einen für die Feiertage. Dämmern. Ein Brief von einem Weibsbild, das anfragt, ob ich einen Titel für mein Buch gefunden habe. Titel? Sicher: «Liebliche Lesbierinnen.»

Dein anekdotisches Leben! Eine Redewendung Borowskis. Mittwochs esse ich immer bei Borowski. Seine Frau, die eine ausgetrocknete Kuh ist, führt den Vorsitz. Sie lernt jetzt Englisch - ihr Lieblingswort ist filthy . Man sieht sofort, was für Nervensägen die Borowskis sind. Aber wartet nur  ...

Borowski trägt Kordsamtanzüge und spielt Akkordeon. Eine unschlagbare Kombination, besonders wenn man bedenkt, daß er kein schlechter Künstler ist. Er gibt vor, Pole zu sein, aber er ist natürlich keiner. Er ist Jude, Borowski, und sein Vater war Briefmarkensammler. Tatsächlich ist fast der ganze Montparnasse jüdisch; oder halbjüdisch, was schlimmer ist. Wie Carl und Paula und Cronstadt und Boris und Tania und Sylvester und Moldorf und Lucille. Alle außer Fillmore! Henry Jordan Oswald entpuppte sich ebenfalls als Jude. Louis Nichols ist Jude. Sogar Van Norden und Chérie sind jüdisch. Frances Blake ist Jude oder vielmehr Jüdin. Titus ist Jude. Ich bin ganz eingeschneit von Juden. Dies schreibe ich für meinen Freund Carl, dessen Vater Jude ist. All das zu verstehen ist wichtig.

Die reizendste Jüdin von ihnen allen ist Tania, und ihr zuliebe würde ich selbst Jude werden. Warum nicht? Ich spreche schon wie ein Jude. Und ich bin so häßlich wie ein Jude. Außerdem, wer haßt den Juden mehr als der Jude?

 

Dämmerstunde. Indigoblau, gläsernes Wasser, die Bäume schimmern und zerfließen. Die Schienen verschwinden im Kanal bei Jaurès. Die lange Raupe mit ihren lackierten Flanken taucht ein wie ein Küstenschiff. Es ist nicht Paris. Es ist nicht Coney Island. Es ist eine dämmerige Mischung aller Städte Europas und Mittelamerikas. Die Rangierbahnhöfe unter mir, die schwarzen, spinnwebhaften Schienen, nicht in technischer Ordnung, sondern in wirrem Muster wie die düsteren Risse im Polareis, die die Kamera in Schattierungen von Schwarz festhält.

 

Essen ist eines der Dinge, die ich sehr zu schätzen weiß. Und in dieser herrlichen Villa Borghese findet sich selten eine Spur von etwas Eßbarem. Zuweilen ist es einfach schrecklich. Ich habe Boris schon so oft gebeten, Brot zum Frühstück zu bestellen, aber er vergißt es immer. Anscheinend geht er zum Frühstück aus. Und wenn er zu rückkommt, stochert er in seinen Zähnen, und in seinem Spitzbart hängt ein wenig Ei. Er ißt im Restaurant, aus Rücksicht auf mich. Er sagt, es sei ihm peinlich, eine richtige Mahlzeit zu essen, während ich zusehe.

Ich mag Van Norden, teile aber nicht seine Ansicht über sich selbst. Ich bin zum Beispiel nicht mit ihm einig, daß er ein Philosoph oder ein Denker ist. Er ist fotzennärrisch, weiter nichts. Und er wird nie ein Schriftsteller sein. Ebensowenig wird Sylvester je einer sein, wenn auch sein Name in fünftausendfacher Kerzenstärke roten Lichtes leuchten sollte. Die einzigen Schriftsteller aus meiner Umgebung, für die ich Achtung aufbringe, sind Carl und Boris. Sie sind besessen. Sie glühen innerlich mit weißer Flamme. Sie sind verrückt und unmusikalisch. Sie sind Leidende.

Moldorf dagegen, der auf seine Art auch leidet, ist nicht verrückt. Moldorf ist worttrunken. Er hat keine Adern oder Blutgefäße, weder Herz noch Nieren. Er ist ein Schrankkoffer mit unzähligen Schubfächern, und in den Schubfächern liegen Zettel, vollgeschrieben mit weißer Tinte, brauner Tinte, roter Tinte, blauer Tinte, zinnoberrot, safrangelb, malvenfarben, Sienna, Aprikose, Türkis, Onyx, Anjou, Hering, Corona, Grünspan, Gorgonzola  ...

Ich habe die Schreibmaschine ins Nebenzimmer gebracht, wo ich mich beim Sehreiben im Spiegel sehen kann.

Tania ist wie Irène. Sie erwartet dickes Kaliber. Aber es gibt noch eine andere Tania, eine Tania wie eine schwere Frucht, die überall Samen verstreut - oder, sagen wir frei nach Tolstoi, eine Stallszene, in der der Fötus ausgegraben wird. Tania ist auch ein Fieber - les voies urinaires, Café de la Liberté, Place des Vosges, grelle Krawatten auf dem Boulevard Montparnasse, dunkle Badezimmer, Porto Sec, Abdullah-Zigaretten, das Adagio der Sonate pathétique, Tonverstärker, anekdotenhafte Zusammenkünfte, sienabraune Brüste, dicke Strumpfbänder, wieviel Uhr ist es, goldbraune Fasanen mit Kastanien gefüllt, Taffetfinger, dunstiges Dämmer, das zu Stechpalmen wird, Elephantiasis, Krebs und Delirium, warme Schleier, Poker-chips, Teppiche aus Blut und weiche Schenkel. Tania sagt, daß es jeder hören kann: «Ich liebe ihn!» Und während Boris sich mit Whisky vollaufen läßt, sagt sie: «Setz dich her! O Boris ... Rußland ... was soll ich machen? Es zerreißt mich!»

Wenn ich nachts Boris' Spitzbart auf dem Kissen liegen sehe, werde ich hysterisch. O Tania, wo ist jetzt deine warme Möse, diese dicken, schweren Strumpfbänder, diese weichen, üppigen Schenkel? In meinem Pint ist ein sechs Zoll langer Knochen. Ich will jede Falte in deiner Möse aushobeln, samenträchtige Tania. Ich will dich zu deinem Sylvester heimschicken mit einem Schmerz im Bauch, den Uterus nach außen gestülpt. Dein Sylvester! Ja, er versteht ein Feuer zu machen, aber ich weiß, wie man eine Möse entflammt. Ich...
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Autor

Henry Miller, der am 26. Dezember 1891 in New York geborene deutschstämmige Außenseiter der modernen amerikanischen Literatur, wuchs in Brooklyn auf. Die Dreißiger Jahre verbrachte Miller im Kreis der «American Exiles» in Paris. Sein erstes größeres Werk, das vielumstrittene «Wendekreis des Krebses», wurde - dank des Wagemuts eines Pariser Verlegers - erstmals 1934 in englischer Sprache herausgegeben. In den USA zog die Veröffentlichung eine Reihe von Prozessen nach sich; erst viel später wurde das Buch in den literarischen Kanon aufgenommen. Henry Miller starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades, Kalifornien.