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Zusammen sind wir unendlich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Carlsen Verlag GmbHerschienen am22.03.2019Auflage
Sophia ist ein Mathegenie voller Selbstzweifel und ohne Smalltalk-Gen. Nun zieht auch noch ihre Freundin Elsie, die einzige Person, die sie versteht, zum Studium in die USA: ewige Einsamkeit vorprogrammiert. Wäre da nicht Josh, der Hobby-Magier, der schon lange in Sophia verliebt ist. In einem Anfall von Mut steckt er eine Spielkarte in ihr Federmäppchen. Die Herz Zwei. Für Josh eine eindeutige Liebeserklärung, für Sophia ein Rätsel. Er muss also deutlicher werden; zum Beispiel mit einem Feueralarm ...

Melissa Keil ist Autorin, Lektorin und hemmungslose Buchkäuferin. Ihre Bücher sind bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Nach Stationen in Minnesota, London und dem Mittleren Osten lebt sie heute wieder in ihrer Heimatstadt Melbourne.
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Produkt

KlappentextSophia ist ein Mathegenie voller Selbstzweifel und ohne Smalltalk-Gen. Nun zieht auch noch ihre Freundin Elsie, die einzige Person, die sie versteht, zum Studium in die USA: ewige Einsamkeit vorprogrammiert. Wäre da nicht Josh, der Hobby-Magier, der schon lange in Sophia verliebt ist. In einem Anfall von Mut steckt er eine Spielkarte in ihr Federmäppchen. Die Herz Zwei. Für Josh eine eindeutige Liebeserklärung, für Sophia ein Rätsel. Er muss also deutlicher werden; zum Beispiel mit einem Feueralarm ...

Melissa Keil ist Autorin, Lektorin und hemmungslose Buchkäuferin. Ihre Bücher sind bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Nach Stationen in Minnesota, London und dem Mittleren Osten lebt sie heute wieder in ihrer Heimatstadt Melbourne.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783646928129
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum22.03.2019
AuflageAuflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3029 Kbytes
Artikel-Nr.4057273
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1. KAPITEL

DIE UNSCHÄRFERELATION

Eine Grundannahme in der Teilchenphysik besagt, dass jedes aktuell existierende Atom zuvor schon in Milliarden anderen Formen existiert hat. Nichts - nicht der kleinste Teil des Universums - ist neu. Es ist also gut möglich, dass die Luftmoleküle, die man einatmet, in einem früheren Leben schon zum Kern eines Sterns gehört haben oder im Urin eines Dinosauriers geschwommen sind.

In diesem Augenblick starre ich auf den Leberfleck auf Mr Grayons linkem Nasenflügel und frage mich, wo er wohl schon überall gewesen ist. Stecken in dem Leberfleck die gleichen Atome wie in einem der Jupiter-Monde oder einem prähistorischen Faultier oder einem Stück uraltem Gipsputz oder Euklid? Himmel, gibt es einen deprimierenderen Gedanken als das? Euklid war einer der größten Mathematiker der Geschichte und seine Atome haben sich zum Muttermal eines kahl werdenden Biolehrers formiert, der eine zwölfte Klasse unterrichtet und im Moment stirnrunzelnd auf seinen Computerbildschirm starrt, als würde ihn der drehende Ladekreis des Todes hypnotisieren.

Wieso ich mich dermaßen über einen Leberfleck aufrege? Keine Ahnung. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass es irgendwelche Gründe geben muss für die mäandernden Wege, die meine Gedanken so einschlagen. Aber seit Neuestem hege ich die Vermutung, dass die meisten Sachen, die mir im Kopf herumschwirren, eher so was wie intellektuelle Essensreste sind - Dreck, der in meiner Großhirn-Suppe schwimmt und in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder an die Oberfläche kommt.

Mr Grayson kämpft mit YouTube, denn natürlich muss eine Unterrichtseinheit über Mitose von einer Computeranimation und einem rockigen Soundtrack begleitet werden. Die Überreste seines Mittagessens - ein trauriges Roggenbrot-Dreieck mit Käse und eine glitschige Banane mit braunen Flecken - liegen noch auf seinem Pult.

Fakt: Bananen besitzen eine natürliche Radioaktivität, weil sie Kalium 40 enthalten, ein radioaktives Isotop.

Fakt: Die DNA eines Menschen ist zu fünfzig Prozent mit der DNA einer Banane identisch. Elsie hat mich neulich an einem Samstag gezwungen, eine ganze Staffel Dance Moms auf Netflix zu gucken. Womit dieser Fakt nicht mehr ganz so verblüffend ist.

Fakt: Das Lied Ausgerechnet Bananen, das im Original mit dem Titel Yes, We Have No Bananas im Jahr 1923 der totale Hit war, geht auf eine tatsächliche Bananen-Knappheit zurück, für die chronische Lieferschwierigkeiten der brasilianischen Bananenpflanzer verantwortlich waren.

Na toll, jetzt habe ich diesen blöden Song als Ohrwurm!

Halt die Klappe halt die Klappe halt ...

Elsie klopft mir unter unserem Pult einmal heftig aufs Handgelenk. »Sophia. Nicht. Durchdrehen«, murmelt sie. Ihre Stimme klingt beruhigend und glatt wie Glas. In letzter Zeit setzt sie diese Stimme immer öfter ein, wenn sie mit mir redet, und ich bin mir sicher, dass das genau die Sorte Stimme ist, mit der auch potenzielle Selbstmörder bequatscht werden, um sie von der Brücke runterzuholen.

»Ich. Drehe. Nicht. Durch«, raune ich zurück.

Elsies tief liegende Augen sind in dem schwachen Licht kaum zu erkennen, aber ich mutmaße, dass sie mich gerade mit ihrem strengen Mach-keinen-Scheiß-Blick fixiert. »Doch, tust du. Mach die Augen zu, Sophia. Tief durchatmen.«

Ich habe jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich gehorche oder ich muss mich schon wieder einer Meditationssitzung mit ihrem Bruder Colin unterziehen, der vor Kurzem erst die »Kunst der Achtsamkeit« für sich entdeckt hat. Also tue ich, was sie sagt. Ich mache die Augen zu und konzentriere mich darauf, das Hämmern in meiner Brust zu verlangsamen.

Panikattacken - selbst die kleineren - sind echt zum Kotzen.

Elsie lässt ihre Hand neben meiner liegen, bis meine Atmung wieder halbwegs normal ist. Erst dann nimmt sie sie weg. Keine Ahnung, woher sie weiß, wann es so weit ist. Als ich die Augen öffne, zwinkert sie mir zu und wendet sich wieder dem Smartboard zu.

Mr Grayson hat dankenswerterweise endlich die Neustart-Funktion an seinem MacBook entdeckt und der Bildschirm wird schlagartig wieder lebendig - eukaryotische Zellen, begleitet von einer Musik, die sich anhört wie der Todeskampf eines kaputten Dalek aus Doctor Who. Ich atme ein und aus. Und schiele unwillkürlich über die Schulter zu den achtzehn Gesichtern, die hinter mir im Dunkeln lauern.

Da hätten wir Margo Cantor und Jonathan Tran, die einander mit ihren seltsamen Kuhaugen anstieren, dann Lucas Kelly, dessen Schulkrawatte unten aus dem offenen Hosenschlitz spitzelt. Hinten in der Ecke sitzt der Neue, Damien Pagono, der nur dadurch auffällt, dass er mal wieder mit dem Bleistift in der Nase bohrt. Neben ihm der Vollhonk, der ständig vor sich hin grinst. Er hält den Kopf tief über sein Buch gebeugt, und durch die dunkle Haargardine sieht man nur einen bleichen Wangenknochen.

Ich drehe den Kopf wieder zum Smartboard. Mitose. Jippie.

Ich bin kein Wunderkind, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinne. Ich habe weder die Riemann´sche Hypothese bewiesen, als ich noch ein Fötus war, noch habe ich mit zwei Jahren Sinfonien komponiert oder so. Aber ich konnte tatsächlich schon lesen, bevor ich laufen lernte. Und ich verstehe Zahlen so, wie andere Leute ihre Muttersprache verstehen. Ich habe keine Ahnung, wie hoch mein IQ ist, meine Eltern wollten nämlich nie, dass der getestet wird. Und ehrlich gesagt hat mich das auch nie so wirklich interessiert.

Um mit meiner Mutter zu sprechen: Ich bin einfach »ziemlich schlau«, aber weder »anders« noch »besonders«.

Und um mit Matt Smith zu sprechen, meinem Lieblingsarzt aus Doctor Who: »Ich denke viel nach. Manchmal ist es schwer, den Überblick zu behalten.«

Aber hier kommt das Problem: Auf jedes ehemalige Wunderkind, das sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, den Krebs zu besiegen oder einen intelligenten Sex-Bot zu bauen oder was auch immer, kommt ein weiteres ehemaliges Wunderkind, das unter der Brücke lebt, mit seinen Schuhen redet und an seinen Fußnägeln knabbert. Auf jedes jugendliche Genie, das einen Nobelpreis oder eine Fields-Medaille kriegt, kommt ein Dutzend anderer, die in der Bedeutungslosigkeit versunken sind, deren vielversprechender Start sich in Luft aufgelöst hat, wie die Berühmtheit ehemaliger Promis aus dem Podcast Who? Weekly, den Mum so liebt.

Und dann gibt es da natürlich noch mein allerliebstes prominentes Burnout-Opfer.

Grigori Perelman sollte eigentlich so was wie ein Mathe-Superheld sein. Er müsste eigentlich in einem russischen Penthouse residieren, von einer Traube Supermodels umgeben - oder wovon berühmte Typen halt sonst noch so träumen. Perelman hat nämlich die Poincaré-Vermutung bewiesen. Er war der erste Mensch in der Geschichte, der dieses bis dato als unlösbar geltende Problem gelöst hat. Die Poincaré-Vermutung trägt sozusagen dazu bei, die Gestalt des Universums zu erklären, was in gewissen Kreisen als extrem bemerkenswert gilt. Also sollte Perelman in gewissen Kreisen eigentlich als Gott gelten.

Was er hingegen nicht tun sollte, ist, mit seiner Mutter in einer kakerlakenverseuchten Wohnung zu hausen, auf Karriere, Mathe und Körperhygiene zu pfeifen und als der Einsiedler berühmt zu sein, der den Eine-Million-Dollar-Preis für die Lösung eines Rätsels abgelehnt hat - eines Rätsels, an dem sich vorher die genialsten Gehirne der Welt die Zähne ausgebissen hatten. Nicht mal Elsie, die voll auf bizarre medizinische Geschichten abfährt, kann die Größenordnung dieses Ereignisses ermessen.

In habe im Sommer einen Artikel über Perelman gelesen. Seltsamerweise war das auch ungefähr die Zeit, in der das mit meinen Panikattacken anfing.

Ich hätte das meinen Eltern gegenüber so was von nicht erwähnen sollen! Denn jetzt, in meinem letzten Highschool-Jahr, steht plötzlich »Theater« auf meinem Stundenplan. Das hat die Schulpsychologin in Absprache mit meiner Mutter und meinem Vater beschlossen.

Theaterspielen soll »kathartisch« sein. »Reinigend«.

Es soll dazu beitragen, meine »derzeitige mentale Situation« zu verbessern, indem es mich zwingt, etwas zu tun, was »außerhalb meiner gewohnten Fähigkeiten« liegt.

Und es soll »Spaß« machen.

Statt also meine Freizeit mit sinnvollen Dingen zu verbringen, zum Beispiel Schlafen oder dem Versuch, die Riemann´sche Hypothese zu beweisen, muss ich mich jetzt in dem runtergekommenen Kunstgebäude auf die Bühne stellen und so tun, als wäre ich ein Baum, im verzweifelten Versuch, auf Knopfdruck »meine Gefühle auszudrücken«.

Elsie tippt mit ihrem Stift aufs Pult, um mich in die Gegenwart zurückzuholen. »Alles okay, Rey«, murmelt sie, und es hört sich an wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.

Ich schließe die Augen und atme. Ich bin okay. Aber ich sollte eigentlich wesentlich mehr als okay sein.

Ich sollte außergewöhnlich sein.

Es klingelt. Die Lichter gehen an. Die wache Hälfte der Klasse springt auf, die andere Hälfte hievt sich schlaftrunken auf die Füße. Ich schüttele meine depressive Nabelschau-Stimmung ab und stehe ebenfalls auf.

Elsie packt ihre Sachen zusammen....


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Melissa Keil ist Autorin, Lektorin und hemmungslose Buchkäuferin. Ihre Bücher sind bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Nach Stationen in Minnesota, London und dem Mittleren Osten lebt sie heute wieder in ihrer Heimatstadt Melbourne.