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Das Aquarium

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am01.02.2019Auflage
June ist Ende 20, blond, schön - und sitzt im Rollstuhl. Seit dem Tag, an dem sie in die Wohnung gegenüber einzog, ist Barry wie elektrisiert und verfolgt jede ihrer Bewegungen. Als er zu ihr Kontakt aufnimmt, erzählt sie ihm die Geschichte ihres Lebens - die Geschichte einer außergewöhnlichen erotischen Obsession. Schritt für Schritt entführt sie ihn in eine Welt, in der sich Phantasie und Wirklichkeit zu einem bizarren Spiel vermischen. Bis aus dem Spiel tödlicher Ernst wird ...

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm die Romane »Das Glück meiner Mutter«, »Das innere Ausland« und der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück«.und zuletzt »Einer fehlt«. Thommie Bayer lebt mit seiner Frau in Staufen bei Freiburg.
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Produkt

KlappentextJune ist Ende 20, blond, schön - und sitzt im Rollstuhl. Seit dem Tag, an dem sie in die Wohnung gegenüber einzog, ist Barry wie elektrisiert und verfolgt jede ihrer Bewegungen. Als er zu ihr Kontakt aufnimmt, erzählt sie ihm die Geschichte ihres Lebens - die Geschichte einer außergewöhnlichen erotischen Obsession. Schritt für Schritt entführt sie ihn in eine Welt, in der sich Phantasie und Wirklichkeit zu einem bizarren Spiel vermischen. Bis aus dem Spiel tödlicher Ernst wird ...

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm die Romane »Das Glück meiner Mutter«, »Das innere Ausland« und der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück«.und zuletzt »Einer fehlt«. Thommie Bayer lebt mit seiner Frau in Staufen bei Freiburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492960267
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum01.02.2019
AuflageAuflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse918 Kbytes
Artikel-Nr.4128570
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Ich war aufgeregt und wußte nicht, weshalb. Mein Atem ging nur bis knapp unters Schlüsselbein, ich mußte ihn mit Bedacht und Anstrengung tiefer in mich ziehen. Es dauerte Minuten, bis ich ihn wieder im Bauch spürte und das Gefühl hatte, mein Körper entkrampfe sich. Lag das an ihren Fragen? Der Frage nach einer Frau, die auf mich wartet? Der Frage, ob ich die Stille sehen kann? Oder war es die Traurigkeit, die mir in der Erwähnung klappernder Tasten und quietschender Räder zu liegen schien? Ich stand auf und sah nach ihr.

Sie starrte an die Zimmerdecke, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und den Rücken nach hinten gebogen, so daß ihre Brüste den dünnen Stoff des T-Shirts spannten. Stille. Wenn nicht ein Wasserhahn tropfte oder der Kühlschrank ansprang, dann hörte sie jetzt außer ihrem Atem oder irgendwelchen Klängen in ihrer Phantasie nichts. Ich ging zurück zum Rechner und schrieb: Ist die Stille schlimm für dich?
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Die E-Mail mußte erst zum Server, einmal hin und einmal zurück, und es dauerte, wie schon vorher zwischen unseren Dialogen, manchmal Minuten, bis ihre Antwort kam. Minuten, in denen ich die Stille hörte. Meine Stille. Die auf einmal schwer zu ertragen war. Endlich kam der Dreiklang und die Antwort: Manchmal ja, aber jetzt nicht. Stille ist wundervoll, wenn man keine Angst hat. Und sie ist grausam, wenn man sie nicht akzeptieren kann. Du hast auf meine Fragen nicht geantwortet, soll ich dich das nicht fragen? Solche Dinge? Willst du auch schriftlich unsichtbar sein?
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Ich wäre am liebsten hinübergerannt zu ihr, hätte an ihre Tür geklopft und mich entschuldigt. Für meine Unsichtbarkeit, für meine Schwäche und Feigheit, für meine Fragen und dafür, daß ich bis zu diesem Augenblick noch nie über die Schrecken der Stille nachgedacht hatte. Zum Glück sah sie mich nicht. Meine nassen Augen hätte ich niemals erklären können. Ich wußte ja selbst nicht, was in mir vorging. Nur, daß sie Sätze schrieb, die mich wehrlos machten, die bei mir einen Nerv trafen, von dessen Existenz ich bis dahin nichts geahnt hatte.

Ich stand auf, setzte mich wieder, stand wieder auf und setzte mich wieder und schrieb: Frag alles, was du fragen willst. Ich kann immer noch rumdrucksen oder die Antwort verweigern, wenn ich nicht damit klarkomme. Keine Frau wartet auf mich und kein Kind. Eigentlich wartet niemand auf mich, und es ist mir recht so. Ich lebe zwischen zwei Zeiten. Die eine abgeschlossen und die andere noch nicht angefangen. Die abgeschlossene ist die, in der ich einen Beruf hatte, eine Frau und ... ich unterbreche mich selbst, es wird kompliziert an dieser Stelle, weil ich nicht weiß, von wem ich erzählen soll: der Frau, die nicht auf mich gewartet hat, oder der, die ... ich unterbreche mich wieder - ich finde kein gutes Wort für das, was ich sagen will.

June, ich will mich entschuldigen. Dafür, daß ich dir einfach beim Leben zugesehen habe. In den letzten Wochen bist du der Mensch geworden, der auf mich wartet. Ich weiß, das ist Unsinn, du wußtest ja nicht mal von mir, wie hättest du auf mich warten sollen. Ich will auch nicht, daß du mich für durchgedreht hältst, ich bin kein Psychopath, nur jemand, der sich bewußt aufs Warten verlegt hat, und da bist du, beim Warten und am Fenster stehend, der Mensch geworden, mit dem ich mich verbunden fühlte.

Klingt´s bescheuert?

Ich habe mich oft dabei erwischt, daß ich es eilig hatte, nach Hause zu kommen. Ich wollte nach dir sehen, es war ein Gefühl, als müßte ich wissen, ob du zurechtkommst, als hättest du Vertrauen zu mir, würdest dich auf mich verlassen, als könnte ich mal eben in den Laden rennen, wenn dir die Milch ausgeht.

Verzeih mir diese Projektion. Ich weiß, daß es Blödsinn ist. Vermutlich will ich nur verschleiern, daß ich ein Voyeur bin, der einer Frau ins Fenster glotzt. Und daß ich die Typen nicht davon abgehalten habe, dich zu schlagen und dir den Computer und deine Geschichte wegzunehmen. Dafür schäme ich mich am meisten.
@

Nach einigem Nachdenken und zweimaligem Durchlesen schickte ich den Text ab, obwohl er mir einmal unbeholfen und das andere Mal kokett vorkam. Aber ich hatte geschrieben, wie ich geredet hätte, schnell, ohne viel zu grübeln, und so sollte sie auch lesen. Mir war schlecht.

Ich beherrschte mich, und ging nicht ans Fenster. Ich würde mir nicht ansehen, wie sie meinen Brief las. Statt dessen ging ich ins Badezimmer und putzte mir die Zähne.

Dann in die Küche, um einen Espresso zu machen.

Dann mit dem Espresso zum Rechner, um dort auf ihre Antwort zu warten.

Dann endlich kam der Dreiklang: Ich wußte gleich von dir. Ich hab deine Blicke gespürt. Ich hab dich zwar nie gesehen, nur einmal ganz flüchtig, als ich einzog und es so mordsmäßig regnete. Da warst du eine Silhouette gegenüber, und ich hatte den Eindruck, du fragst dich, wer die Silhouette auf der anderen Seite sein mag. Aber schon als der Regen vorbei war und bei dir drüben kein Licht, da wußte ich, daß du herschaust. Als Frau spürt man Augen. Auch von hinten. Auch die unsichtbaren.

Schäm dich nicht. Es war mir von Anfang an recht. Du bist mein Zeuge. Und entschuldige dich nicht, du hast nichts Böses getan. Die Typen hättest du nicht allein in die Flucht schlagen können (die Silhouette, die ich am ersten Abend sah, schien mir nicht von Schwarzeneggerschen Ausmaßen). Ich habe, ohne dich zu kennen, schon irgendwie mit dir gelebt. Du solltest mir keine Milch holen, du solltest nur dasein. Hin und wieder. Und ich vertraue dir. Ich kenne dich nicht, aber ich vertraue dir. Es ist in Ordnung, daß du hersiehst. Ich will es.

Als ich dich fragte, ob du einen Beruf hast, und deine Antwort war: »Ja« - das war typisch Mann. Eine Frau hätte mir den Beruf gesagt, ein Mann wartet auf die korrekte Frage. Also: Was ist dein Beruf?
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Ich schrieb: Tontechniker. Aber ich habe aufgehört. Was meinst du damit - ich bin dein Zeuge?
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Und las: Ich glaube, das kann ich nicht gut erklären. Dieses neue Leben ist so irreal. Auf einmal alles nur mit den Armen zu machen. Die Hälfte meines Körpers hängt einfach so nach unten von mir weg. Als ich aufschrieb, wie das ist, kam mir der Text immer wieder wie gelogen vor. Wie eine Erfindung. Daß du da drüben warst und alles gesehen hast, war so was wie die Garantie, daß es doch wahr ist.
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Ich schrieb: Gut erklärt. Ich versteh´s. Vielleicht solltest du doch noch einmal alles aufschreiben. Du schreibst Sätze, die machen mir Gänsehaut.
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Ich las: Ich frag dich nicht, welche Sätze das sind. Danke. Das ist doch ein Kompliment, oder? Du brauchst jetzt nicht typisch Mann zu antworten: Ja, es ist eins. Ich weiß es auch so. Ich fang nicht von vorne an. Es ist egal, wo eine Geschichte anfängt, es ist jedenfalls bei dieser Geschichte egal, wo sie anfängt. Barry, können wir Pause machen? Ich will schreiben.
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Ich schrieb: Ja. Melde dich, wenn du wieder willst.
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Und schlagartig empfand ich nahezu schmerzhafte Langeweile. Ich hätte sie noch so vieles fragen wollen. Wie ist das passiert, seit wann lebst du schon so, warum ziehst du dich zurück, wo kommst du her, hattest du einen Beruf und, und, und. Zum erstenmal seit langem fühlte sich die Wohnung wieder leer an. Wir hatten den halben Vormittag mit unserem E-Mail-Pingpong verbracht, und es hätte meinetwegen noch stundenlang so weitergehen können. Ich wußte nichts mit mir anzufangen.
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Sie saß da und schrieb, schien ganz versunken in ihren Text, und manchmal, wenn sie innehielt und las, tat sie etwas, das ich noch nie bei ihr bemerkt hatte. Sie zupfte mit der linken Hand an ihrer Brustwarze. Sie tat es völlig gedankenverloren, ich war mir sicher, sie fühlte nichts dabei. Sie saß fast übertrieben aufrecht, die Schultern zurück, den Kopf erhoben, wie eine brave Schülerin im Anstandsunterricht. Und zupfte mit leerem Blick an ihrer Brust. Eine merkwürdige Angewohnheit. Wenn sie das auch in der Öffentlichkeit tat? Im Theater? Bei einem Vortrag? Im Hörsaal? Der arme Professor am Pult käme sicher aus dem Konzept. Ich jedenfalls war sehr irritiert von dieser Gebärde. Oder schrieb sie vielleicht irgendwas Erotisches, einen Text, der sie erregte? Dachte sie an mich? Daß ich ihr zusah? Tat sie das für mich?

Ich rauchte schon wieder. Dabei war mir schlecht vor Hunger. Als ihre Hand wieder auf den Tasten lag und sie konzentriert schrieb, nahm ich mein Jackett vom Haken und ging raus.
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Weil mir absolut nichts einfiel, wo ich hätte hingehen können, fuhr ich zum Studio. Zwar wollte ich auf dem Parkplatz wieder umdrehen, hatte, schon seit ich in Neukölln war, immer wieder abbiegen wollen, aber wieso eigentlich? Ich konnte doch mal vorbeischauen. Karel war im Büro. Er freute sich, mich zu sehen. »Laß uns was essen gehen«, sagte er, »mir fällt die Decke auf den Kopf. Sonntags ist es am schlimmsten.«

Das war mir recht. Den Blick in den Aufnahmeraum hatte ich vermieden, dort war, wie ich hörte, ein Streichquartett zugange, aber in die Regie hatte ich hineingesehen. Ein junger Mann mit Technobärtchen und polizeigrünem Hemd saß am Pult und streifte mich mit einem indifferenten Blick. Ich nickte und vermied es, die Couch anzusehen, ging schnell ins Büro und fand Karel dort, der sich offenbar langweilte. Ich war froh, gleich wieder ins Freie zu treten und die Gründerjahre-Fabriklandschaft hinter mir zu lassen.

»Wie lang warst du schon nicht mehr hier?« fragte Karel, ohne mich dabei anzusehen, und öffnete die Tür seines nagelneuen dunkelblauen Jaguars.

»Weißt du doch, oder? September bis Mai. Neun Monate ziemlich genau.«

Ich öffnete die Tür meines Smart, denn ich wollte nicht noch mal hierher. »Ich fahr...
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Autor

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm "Die gefährliche Frau", "Singvogel", der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman "Eine kurze Geschichte vom Glück" und zuletzt "Das innere Ausland".