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Sternstunden der Bedeutungslosigkeit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am18.02.20191. Auflage
Der Dorfpunk ist ein Stadtbewohner geworden. Kein glücklicher allerdings. Ein Kunststudent, der die Kunst hasst: arm, arbeitslos, überflüssig. Nachts zieht er auf dem Hamburger Kiez durch die Kneipen, tagsüber schlägt er verkatert die Zeit tot, schreibt Gedichte oder geht zum Psychologen - das Leben ist für ihn eine Beleidigung. Seine einzige Hoffnung ist die Frau von gegenüber, die ihm beängstigend schöne Augen macht. Doch als es schließlich funkt, ergreift er die Flucht und geht mit einer drittklassigen Rockband auf Tournee. Blöd nur: Als Roadie hat er bei den Groupies kaum Chancen. ?Sternstunden der Bedeutungslosigkeit? erzählt vom Alltag in der Warteschleife des Lebens. Der Held der Geschichte ist ein Loser, wie ihn nur Rocko Schamoni erfinden kann. Das Leben hat er zu seinem persönlichen Feind erklärt und liefert sich mit ihm ein irrwitziges Duell. Zwischen liebenswert kaputten Gestalten treibt Rocko Schamoni seinen unkaputtbaren Helden immer aufs Neue in Situationen, in denen nichts mehr hilft als sein verzweifelt trockener Witz.

Rocko Schamoni, 1966 in Deutschland geboren, veröffentlichte zahlreiche CDs, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde. Er veröffentlichte die Romane 'Risiko des Ruhms' (2000), 'Dorfpunks' (2004) und 'Sternstunden der Bedeutungslosigkeit' (DuMont 2007).
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDer Dorfpunk ist ein Stadtbewohner geworden. Kein glücklicher allerdings. Ein Kunststudent, der die Kunst hasst: arm, arbeitslos, überflüssig. Nachts zieht er auf dem Hamburger Kiez durch die Kneipen, tagsüber schlägt er verkatert die Zeit tot, schreibt Gedichte oder geht zum Psychologen - das Leben ist für ihn eine Beleidigung. Seine einzige Hoffnung ist die Frau von gegenüber, die ihm beängstigend schöne Augen macht. Doch als es schließlich funkt, ergreift er die Flucht und geht mit einer drittklassigen Rockband auf Tournee. Blöd nur: Als Roadie hat er bei den Groupies kaum Chancen. ?Sternstunden der Bedeutungslosigkeit? erzählt vom Alltag in der Warteschleife des Lebens. Der Held der Geschichte ist ein Loser, wie ihn nur Rocko Schamoni erfinden kann. Das Leben hat er zu seinem persönlichen Feind erklärt und liefert sich mit ihm ein irrwitziges Duell. Zwischen liebenswert kaputten Gestalten treibt Rocko Schamoni seinen unkaputtbaren Helden immer aufs Neue in Situationen, in denen nichts mehr hilft als sein verzweifelt trockener Witz.

Rocko Schamoni, 1966 in Deutschland geboren, veröffentlichte zahlreiche CDs, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde. Er veröffentlichte die Romane 'Risiko des Ruhms' (2000), 'Dorfpunks' (2004) und 'Sternstunden der Bedeutungslosigkeit' (DuMont 2007).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832184650
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum18.02.2019
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4133741
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
4

Am nächsten Morgen wache ich auf. Die Bauchschmerzen sind wieder da. Schon beim Aufwachen. Wie nervig. Ob der Fisch noch in mir lebt? Vielleicht lebt er jetzt für immer in mir. Vielleicht ernährt er sich von all den Speisen, die dort unten landen. Verhungern muss er jedenfalls nicht. Es ist zu früh für Maloxan. Also quäl ich mich aus dem Bett und mache mir in der Küche einen Kamillentee. Ekelhaftes Zeug, aber es hilft ein klein wenig. Brunos Tür steht offen, alle möglichen Dinge liegen bei ihm auf dem Boden herum: Schallplatten, Essensreste, alte Unterhosen, eine Perücke, er selber ist abwesend. Die Wände sind kahl, an der Decke hängt eine nackte Glühbirne. Mein Gott, wie wir hier leben. Die totale Achtlosigkeit. Ich gehe in mein Zimmer und räume auf, um den Anschein von Ordnung zu wahren. Platten sortieren, Kleidung ins Billy-Regal, Teppich saugen, den Kaffee bewegen und das Bett machen. Dann wieder hinlegen. Um elf Uhr ist der Fernseher an, und ich esse einen Teller Haferflocken. Der Zonk mit meinem Lieblingsmoderator Jörg Draeger. Einmal wie Jörg Draeger sein, nur einen Tag lang. Ich stelle es mir in Jörg Draeger sehr gemütlich vor. Irgendwie ausgeglichen und zufrieden. Ich schaue in den Spiegel und grinse mich als Jörg an. Meine Zähne blitzen sauber und weiß, mein Schnurrbart ist gut frisiert und die Haare liegen seidig weich um meinen selbstsicheren Schädel. In letzter Zeit spannt mein Showjackett ein wenig um die Taille, aber das steht mir gut. Ich bin ein charmanter Spieler, und die Frauen wollen mich gerne anfassen. Ich fühle mich ein wenig wie Gott, wenn ich vor den Kameras das Schicksal ganz nach meinem Gusto zuschlagen lasse, und ich bin sogar in der Lage, daraus sexuellen Profit zu schlagen, denn diejenigen, die ich gewinnen lasse, zahlen nach der Show auch gerne ein wenig zurück.

Die Wahrheit sieht anders aus: Ich sitze in einer verdreckten Wohnung im Schanzenviertel und angle im Nichts. Wie viele Stunden von solchen Shows habe ich bereits konsumiert? Vor allem amerikanische Fernsehshows. Die Amis halten den absoluten Rekord im Weltlebenszeitvernichten. Sie nehmen uns unsere verbrauchte Zeit günstig ab, wir - die Überflüssigen - können ja sowieso nichts damit anfangen. Wir haben die quälenden, sinnlosen Stunden über, sie nehmen sie ab, vernichten sie, und wir zahlen durch den Kauf beworbener Konsumgüter. Das ist ein fairer Deal. Auch die Holländer haben mir schon Wochen abgenommen. Engländer und Spanier nicht so viel. Und die Türken so gut wie gar nichts. Dafür kaufe ich ihr Obst, bei mir kommt jeder auf seine Kosten. Ich überlege, ob ich zum Lidl gehen soll, um etwas zu essen zu kaufen, dann fällt mir ein, dass ich keinen Pfennig auf der Naht habe. Der verdammte Dispo ist knietief ausgereizt. Ein Job ist nicht in Sicht, Alhi dauert noch und meine Eltern kann ich nicht schon wieder anpumpen. Was soll ich tun? Hab nichts gelernt, bin nicht qualifiziert, bin Kunststudent, der nicht studiert. Ich hasse die Kunst und noch viel mehr den Kunstmarkt, bin ein Überflüssiger, hab kaum Ambitionen. Immerhin: Ich bin ein guter Zeichner, habe unendlich viele bescheuerte Ideen, und Schriftsteller oder Dichter würde ich auch gerne sein. Neuerdings schreibe ich jeden Morgen beim Frühstück ein Gedicht. Eines wie dieses:


Da ist nichts!

Wo nichts ist

da ist nichts

schaut meinetwegen noch mal nach

da war nichts und da ist nichts

nicht unter den Kissen

nicht unter dem Bett

nicht in dem Ärmel

oder unter dem Sack

da ist nichts, seht es doch endlich ein

da ist verdammt nichts

ich habe selber schon geschaut

ich habe nichts gefunden

nun lasst es endlich sein

ihr plagt euch umsonst ab

ihr steht da umsonst rum

ihr seid umsonst gekommen

ich habe jeden Stein hochgehoben

ich habe jedes Staubkorn weggeblasen

da ist nichts, rein gar nichts

verdammt nichts

ihr Idioten

ihr wollt es nicht begreifen

und eure Söhne und Töchter werden

weitersuchen

aber ich werde hier gewesen sein

und ich werde es euch allen gesagt haben

da ist nichts und da wird nichts sein!


Von Gedichten kann man nicht leben.

Nachmittags ruft Maff an. Endlich, die Erlösung.

»Hörma, Sonntag, ick brauch dich heute. Haste Zeit?«, fragt mich seine ranzige Stimme am Telefon.

»Hm, lass ma überlegen, ich könnte wohl was frei machen. Wann denn?«

»Heute Abend, sagen wir mal ab neun, komm zum Schuppen«, lockt er mich. Super, der Tag ist gelaufen, jetzt kann ich machen, was ich will, es gibt eine Entschuldigung, ich kann mich hängen lassen, denn heute Abend gibts Arbeit. Maff hat ne kleine Plakatfirma und plakatiert wild für alle möglichen Auftraggeber. Er hat einen alten Kombi, fährt mich rum, und ich knall den Kram an die Wände. Wenn die Bullen kommen, haut er ab. Dafür krieg ich aber auch mehr als die anderen Plakatierer.

Maff ist Nasendrogist. Bei ihm gibts ab und zu etwas abzustauben. Ich vertrödle den Tag, glotze noch ein paar Stunden und geh dann spazieren. Vielleicht treffe ich jemanden, der mich einlädt. Auf dem Schulterblatt treffe ich Sina. Sie kommt mir mit einem Omaeinkaufsroller entgegen. Sie trägt bunte Plastikklamotten und riecht nach Alkohol. Weil sie mich mag und ich ihr einige Liebesdienste erwiesen habe, lädt sie mich auf ein Sandwich ein. Sex gegen Thunfischsemmel. Sie ist wirklich süß. Kleiner gelber Vogel. Aber ich kann nicht bei ihr bleiben, ich muss alleine sein. Ich laufe ziellos durch das Viertel und vergammle die Zeit bis zum Abend. Menschen beobachten. Langsam in Spiralen nähere ich mich meinem Ziel, und pünktlich um neun Uhr tauche ich bei Maffs Schuppen auf. Es ist bereits dunkel, nur ein Neonlicht weist mir den Weg durch einen vermüllten Vorgarten. Maff hat sein Lager im Bogen einer S-Bahn-Überführung. Das hohe Tor ist aus alten Brettern zusammengenagelt und nur angelehnt. Ich trete vorsichtig ein, drinnen stehen Regale quer im Raum, Neonröhren leuchten an der Decke und überall liegen Plakate herum. Plakate aus verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Künstlern und Anlässen. Vergangene, anzukündigende, freudvolle Ereignisse. Irgendwas stinkt alt, feucht und muffig. Ich sehe mich um, kann niemanden entdecken, mich fröstelt. Wie aus dem Nichts steht auf einmal Maff vor mir. Vielleicht hat er auf dem Boden gehockt oder ist hinter einem Regal hervorgesprungen? Ich weiche einen Schritt zurück. Maff ist bereits älter, vielleicht vierzig. Er hat eine ausgetrocknete Haut, schmale Lippen und spitze Zähne. Seine Augen sind geädert, und die dünnen Haare hängen ihm wirr vom Kopf. Er trägt einen Jeansoverall. Soll wohl cool aussehen.

»Pünktlich wie die Sau, typisch Sonntag!«, kräht er mich an. Jetzt weiß ich, was hier stinkt: Es ist sein Mundgeruch, der die ganze Halle ausfüllt.

»Klar, wie immer, Maff. Was gibts zu tun, Maff?«, frage ich müde, während ich einen weiteren Schritt zurückweiche.

»Du, ne janze Menge, haha, ne janze Menge. Wenn du Power hast, kannste heute Nacht tausend Plakate an die Wände ballern, haha, iss allet dabei: Motörhead, Chris Norman, Axel Zwingenberger, Senta Berger und lauter sone Scheiße, haha.« Er schmeißt alles in einen Topf. Maff ist egal, für wen und was er plakatiert, und mir muss es demnach auch egal sein, »Hauptsache, die Scheiße klebt, wie ick immer zu sagen pflege, haha.« Er berlinert meistens, obwohl er aus Braunschweig kommt. Das soll ebenfalls cool und großstädtisch wirken. Außerdem presst er in jeden Satz ein paar Lacher, so als ob er etwas Lustiges vermerkt hätte. Hat er aber nie. Maff öffnet die Klappe seines Opel Kombi, und wir verladen die schweren Stapel. Der Wagen sackt merklich ab. Als er bis unters Dach gefüllt ist, fahren wir los. Maff hat seine festen Touren: einmal durchs ganze Schanzenviertel, dann das Karoviertel, Innenstadt, St. Georg, dann St. Pauli und schließlich Altona. Das dauert viele Stunden. Maff sitzt am Steuer, fährt etwa fünfhundert Meter bis zum nächsten voll plakatierten Eckladen, ich spring raus, Eimer, Kleister, vier Plakate, zwei oben, zwei unten, fertig, dreihundert Meter weiter. Bei großen Wänden gibt mir Maff auch mal acht oder zehn Plakate raus. Heute Nacht läuft alles gut, ich achte wie immer drauf, nur abgelaufene Ereignisse zu überkleben, sonst gibts Ärger. Nach drei Stunden Geacker hält er an einer ruhigen Ecke.

»Hast du Bock auf ne Nase?«, fragt er.

»Was gibts denn heute?«

»Du, Jeschwindigkeit, kennst mich doch, haha, ick steh uff Jeschwindigkeit, is jutes Zeug, hab ick schon öfter jefahren, wirklich prima, ick jeb ne Runde aus, komm, Atze.«

Maff mag am liebsten Speed. Ich hab jetzt keinen Bock auf Speed. Plakatieren und Speed passt für mich sowieso schwer zusammen, weil Plakatieren so ein niederes Geschäft ist. Und dann auch noch die euphorischen Gefühle mit Maff teilen, lieber nicht.

»Nee, Maff, iss noch zu früh, vielen Dank, vielleicht nachher.« Er lässt den Wagen an und fährt ein Stück weiter. Ich denke schon, dass er es sich selber auch anders überlegt hat, doch plötzlich bremst er unvermittelt, reißt das Handschuhfach auf, greift sich ein schmales Briefchen, öffnet es und zieht mit einem gewaltigen Geräusch seine Nase hindurch. Ich schaue ihn erstaunt an, während er mit einem Gewinnerlächeln zurückgrinst.

»Du, ick kann das...
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Autor

Rocko Schamoni, 1966 in Deutschland geboren, veröffentlichte zahlreiche CDs, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde. Er veröffentlichte die Romane "Risiko des Ruhms" (2000), "Dorfpunks" (2004) und "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" (DuMont 2007).