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Tod im Land der tausend Seen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
279 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am13.03.20192023
Bei einer Wanderung im Müritz-Nationalpark stolpert die Buchhändlerin Lilo Glück über einen menschlichen Schädel. Untersuchungen zeigen: Das Skelett liegt bereits seit fast 30 Jahren im Wald. Was ist damals geschehen? Lilo Glück musste als Kind ihre Heimat verlassen und lebt erst seit Kurzem wieder in Neustrelitz, diesem paradiesischen Land der tausend Seen. Ihr Neuanfang verläuft jedoch alles andere als paradiesisch: Als eine weitere Leiche entdeckt wird, gilt sie schon bald als Verdächtige ...

Jana Jürß wurde 1970 in Neustrelitz (Mecklenburg/DDR) geboren, wo sie mit ihren sechs Geschwistern aufwuchs. Im Jahr 1989 flüchtete sie über Ungarn/Österreich aus der DDR. Seit 2005 arbeitet die verheiratete Mutter von zwei Kindern als Schriftstellerin und Publizistin. Jana Jürß ist Mitglied im PEN sowie im »Syndikat«.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
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Produkt

KlappentextBei einer Wanderung im Müritz-Nationalpark stolpert die Buchhändlerin Lilo Glück über einen menschlichen Schädel. Untersuchungen zeigen: Das Skelett liegt bereits seit fast 30 Jahren im Wald. Was ist damals geschehen? Lilo Glück musste als Kind ihre Heimat verlassen und lebt erst seit Kurzem wieder in Neustrelitz, diesem paradiesischen Land der tausend Seen. Ihr Neuanfang verläuft jedoch alles andere als paradiesisch: Als eine weitere Leiche entdeckt wird, gilt sie schon bald als Verdächtige ...

Jana Jürß wurde 1970 in Neustrelitz (Mecklenburg/DDR) geboren, wo sie mit ihren sechs Geschwistern aufwuchs. Im Jahr 1989 flüchtete sie über Ungarn/Österreich aus der DDR. Seit 2005 arbeitet die verheiratete Mutter von zwei Kindern als Schriftstellerin und Publizistin. Jana Jürß ist Mitglied im PEN sowie im »Syndikat«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839259504
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum13.03.2019
Auflage2023
Reihen-Nr.1
Seiten279 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4205021
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

VIER

Lilo liebte es, morgens als Erste im Laden zu sein. Sie ging dann immer die Regale entlang, schob Bücher dorthin, wo sie hingehörten, strich sanft über einzelne Buchrücken. So auch an diesem Morgen. Am Sonntag würde zwar erst der erste Advent sein, aber sie mussten bereits die ganze Woche alles, was mit Weihnachten auch nur annähernd zu tun hatte, nachordern. Andere schimpften über die merkwürdigen Kaufgewohnheiten mancher Mitbürger, sie hingegen verstand es. Welche Zeit im Jahr lockte sonst noch verschiedenste Generationen in die Geschäfte. Und dazu dann die Versuche, nicht lediglich etwas zu verschenken, sondern anderen tatsächlich eine Freude damit zu bereiten, das war eben Weihnachten. Auch Hektik gehörte dazu - in Stuttgart hatte sie als Buchhändlerin eine ganz andere Anzahl von Kunden abfertigen müssen. Hier in Neustrelitz hingegen ging alles persönlicher zu, und freundlicher.

Sie nahm ein Tuch und wischte einige Buchexemplare ab, die jeden Tag merkwürdigerweise schneller Staub ansetzten als andere. Donnerstags begannen die Menschen an die freien Abende und den Sonntag zu denken. Daran, dass eventuell ein wenig Zeit bleibt, um dem Alltag zu entfliehen und in fremde Welten einzutauchen. Gerade im Winter, wenn das Wetter so wie heute den ganzen Tag nass und kalt blieb, träumten sie sich, wenn nicht gleich in wärmere Gefilde, dann wenigstens in die warmen Jahreszeiten. Lilo mochte jede Jahreszeit. Allerdings gab es bei ihr den schwarzen Monat Januar. An einem Januartag war Chris verunglückt. Sie hatten sich an dem Morgen nicht einmal richtig verabschiedet. Er war zu spät aufgestanden und musste sich beeilen. Sie hatte ihn noch die Treppe hinunterlaufen gehört, bevor sie auf den Wecker geschaut hatte. 5.47 Uhr. Den Flughafen hatte er nie erreicht. Und sie hasste seither diese verdammte Uhrzeit. Sie stieß die Gedanken von sich, bevor sie von ihnen in die Finsternis weggetragen werden konnte.

Sie schob den Zeitungsständer an seinen Platz im Eingangsbereich, trat auf den Gehweg und sah die Strelitzer Straße hinauf in Richtung Markt. Wenige Autos fuhren an ihr vorbei. Sie achtete nicht darauf. Ein Fahrradfahrer klingelte, sie wich erschrocken zurück. Trotzdem ließ sie sich nicht vertreiben. Rituale taten ihr gut. Bald hörte sie das gute gelaunte »Guten Morgen« von Herbert Schneider, der wie gewohnt um diese Zeit an ihr vorbeilief. »Bis nachher«, sagte er, nachdem sie ihm zugenickt hatte. Er war einer der Menschen gewesen, die sie an ihrem ersten Tag begrüßt und sich mit ihr gefreut hatten. Er war mit einem Strauß gelber Rosen gekommen, sorgfältig gekleidet im dunklen Anzug, sogar eine Krawatte hatte er getragen. Seitdem kaufte er jeden Tag, nachdem er sich für sein einsames Frühstück ein Brötchen an der Ecke beim Bäcker geholt hatte, seine Zeitung bei ihr.

Lilo kehrte in den Laden zurück und ließ die Tür offen. Trotz des kühlen Wintermorgens tat ihr die frische Luft gut und sie wollte diese noch ein paar Minuten lang spüren. Sie war gespannt, ob Denise wirklich kommen würde. Eigentlich wollte sie nicht mehr an die Vergangenheit denken. Es war zu viel geschehen. Damals. Und danach. Und dann wieder. Sie überlegte, ob es Sinn machen würde, sich mittags wegzustehlen. Wenn Denise nicht ganz auf den Kopf gefallen war, würde sie begreifen, dass kein Kontakt gewünscht war. Aber - Lilo hatte ihre frühere Klassenkameradin eigentlich in guter Erinnerung. Sie wollte ihr nicht wehtun. Außerdem war es wahrscheinlich, dass sie sich immer wieder in der Schule treffen würden. Marius war zwar bald fertig, aber Sam hatte noch viele Schuljahre vor sich. Womöglich würde Denise sogar ihre Lehrerin werden. Lilo beschloss, die Begegnung auf sich zukommen zu lassen. Um ungelegte Eier, so sagte ihre Mutter oft, sollte man sich keine unnötigen Gedanken machen. Vielleicht hatte sie in diesem Fall ja recht.

Lilo sah auf die Armbanduhr, die sie nur in Ausnahmesituationen abnahm. Tom musste gleich da sein. Er tauchte meist genau in der Minute auf, in der seine Arbeitszeit begann. Sie wollte ihm längst gesagt haben, was sie von ihm erwartete. Nämlich dass er etwas eher kam, nicht erst mit dem ersten Kunden. Schließlich dauerte es bei ihm immer eine Weile, bis er endlich hinter der Kasse stand. Sie wusste, sie war zu weich und musste lernen, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Doch die Vorstufe dazu war es, die Vorstellung erst einmal klar zu formulieren. Nun ja, die Zeit wird es richten, dachte sie. Auch so ein Spruch ihrer Mutter.

In der angrenzenden kleinen Küche nahm sie sich eine Tasse vom frischgebrühten Kaffee, tat Milch und Zucker hinzu und rührte langsam um. In kleinen Schlucken trank sie davon. Ende November, dachte sie, fast wieder ein Jahr geschafft. Bin ich tapfer? Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, die Schritte von Tom näherten sich. Ohne jeden Eindruck der Eile blieb er vor ihr stehen, grinste und gab ihr die Hand.

»Du bist ja wieder mal die Erste. Guten Morgen. Kann ich auch einen haben?«

Lilo seufzte und suchte noch nach den richtigen Worten, um ihm zu sagen, dass er gefälligst ein paar Minuten eher kommen sollte, als Tom längst mit seiner Kaffeetasse an ihr vorbei in Richtung Kasse schritt. Ja, er schritt. Mit langen Schritten, in sich ruhend, wie es aussah. Sie hob die Schultern. Dann ein anderes Mal, beruhigte sie sich. Ich bin eben ein Feigling. Von wegen tapfer.

Der Vormittag verlief wie erwartet ruhig, sie hatten Zeit, Ware auszupacken, neue zu ordern und jeden Kunden in Ruhe zu beraten. Alles, was mit Weihnachten auch nur annähernd zu hatte, rissen ihr die Leute fast aus den Regalen. Nun ja, so wünschte sie es sich schließlich auch. Der Dezember war der Monat, der einige sehr magere Monate auf das Jahr verteilt ausgleichen musste. Sie hatte eine kleine Kaffeeecke eingerichtet, weil sie es selbst liebte, in Geschäften zu schmökern, sich kurz ausruhen zu können und besonders im Winter etwas Warmes zu trinken. Der Zustand der Leseexemplare verschiedenster Romane auf dem kleinen runden Tisch verriet schon nach wenigen Tagen, wie gern das Angebot von den Neustrelitzern und den Gästen von außerhalb angenommen wurde. Jetzt zur Weihnachtszeit gab es Punsch und Kakao, sie liebte diesen Geruch. Nur selten waren die kleinen Sessel unbenutzt und noch seltener ging jemand, der dort gesessen hatte, ohne ein Buch hinaus. Bis jetzt schien sie sich noch keine Fehler erlaubt zu haben, im Gegenteil. Sie könnte zufrieden sein. Doch Marius fühlte sich hier nicht wohl und irgendwie fehlte auch ihr Stuttgart. Und sie vermisste ihre Freunde, die ihr seit dem Tag im Januar vor fünf Jahren beigestanden hatten. Ach, sie mochte nicht daran denken, nicht immer wieder. Aber es ließ sie nicht los.

»Auch ein Süppchen, Chefin?«

Sie sah sich um. Tatsächlich waren sie die Einzigen im Geschäft. Trotzdem würde sie jetzt nicht essen, immer nur einer in die Pause, das hatte sie ihren Leuten von Anfang an gesagt. Der Einzige, der anscheinend lieber in Gesellschaft aß und trank und ihre Anweisung missachtete, war Tom.

»Du sollst nicht Chefin zu mir sagen und hier macht immer nur einer Pause. Wie oft soll ich das noch sagen?« Der letzte Satz kam ihr leise und zögerlich von den Lippen. Sie mochte es nicht, erwachsene Menschen zurechtzuweisen, nahm sie doch an, die müssten ihre Ansagen im Grunde von alleine verstehen und umsetzen können. Aber sie war jetzt Chefin und keine bloße Kollegin. Da gehörte Zurechtweisen anscheinend dazu.

»Schon gut, Chefin. Meinetwegen kannst du das immer wieder sagen, ich nehme es dir nicht übel.« Tom hielt ihr einen Kaffeebecher hin. »Trinke wenigstens den Kaffee hier mit mir, sobald ein Kunde kommt, verschwinde ich, um mein Süppchen zu löffeln.« Er strahlte sie an.

Der fast zwei Meter große Mann wirkte so unbekümmert, wie sie sonst keinen Menschen kannte. Sie konnte ihm nicht böse sein. »Okay, ich bin erleichtert, dass du mir nicht böse bist.« Es sollte ironisch klingen, aber sie sprach es aus, wie sie es meinte, vollkommen ernst. »Allerdings gehe ich heute zuerst in die Mittagspause.« Sie zeigte zur Tür, die sich eben öffnete. Denise kam auf Lilo zu und nahm sie einfach in die Arme.

*

»Du bist dir sehr ähnlich, also der Denise von früher.«

»Ist das ein Kompliment?«

»Ja.« Lilo nickte. »Nicht nur, was dein Aussehen betrifft. Sondern auch deine Art.«

»Ich kann nichts dafür. Ich bin, was ich bin.« Denise wurde kurz ernst, lächelte aber gleich wieder. »Jede von uns ist, was sie ist, oder?«

»Wenn du nicht das Essen meinst, stimme ich dir zu.«

Sie mussten beide loslachen. Einfach so. Weil es schön war. Weil sie sich wohlfühlten.

»Haben wir früher auch gemeinsam gelacht?«

»Das weißt du nicht mehr? Oft, sehr oft. Auch mit den anderen. Oder über andere.«

Lilo überlegte. »Irgendwie kann ich mich nur noch an wenige Dinge erinnern. Manchmal glaube ich, mein Hirn funktioniert nur dann richtig, wenn es sich an üble Dinge erinnern darf.«

»Du bist dir auch ähnlich. Du hast früher schon nicht viel gesprochen, aber wenn, dann mochte ich das, was du gesagt hast. Du warst nie gemein.«

Lilo schüttelte den Kopf. »Sicher war ich auch gemein, aber die Schwachen â¦ Das konnte ich nicht leiden, wenn es auf die losging. Du auch nicht.«

»Du erinnerst dich doch!«

»Scheint so.«

Erneut lachten beide los. Immer wieder hörte sie die Tür vorne im Laden, was Lilo sonst längst veranlasst hätte, ihre Pause abzubrechen. Heute nicht, dachte sie. Heute habe ich gern Pause und Tom wird es schon schaffen.

»Ich muss los«, sagte stattdessen...

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Autor

Jana Jürß wurde 1970 in Neustrelitz (Mecklenburg/DDR) geboren, wo sie mit ihren sechs Geschwistern aufwuchs. Im Jahr 1989 flüchtete sie über Ungarn/Österreich aus der DDR.
Seit 2005 arbeitet die verheiratete Mutter von zwei Kindern als Schriftstellerin und Publizistin. Jana Jürß ist Mitglied im PEN sowie im »Syndikat«.