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Wir sehen uns unter den Linden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
528 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am27.03.20191. Auflage
Ein aufwühlender Roman über den Mauerbau, das Leben in der jungen DDR und über zerrissene Familien und Freundschaften von der Bestseller-Autorin Charlotte Roth Berlin nach dem 2. Weltkrieg: Von ihrem geliebten Vater Volker, einem Lehrer, hat Susanne gelernt, an den Sozialismus zu glauben. Ohne je das Vertrauen in die Menschheit zu verlieren, hat er gegen das Naziregime gekämpft - und wurde vor den Augen seiner sechzehnjährigen Tochter kurz vor Kriegsende erschossen. Nie hat Susanne dieses Erlebnis vergessen, das sie für ihr Leben geprägt hat.. Um das Vermächtnis des Vaters zu erfüllen, widmet sich Susanne von ganzem Herzen dem Aufbau eines besseren Deutschland. Erst als sie den lebenslustigen Koch Kelmi kennen- und liebenlernt, beginnt sie allmählich zu begreifen, was um sie herum passiert. Zu tief jedoch ist der Glaube an den Sozialismus im Osten Deutschlands in ihr verwurzelt, zu stark das Band, das sie mit dem toten Vater verbindet. Dann kommt der 13. August, und plötzlich verstellt die Mauer Susanne jegliche Möglichkeit einer Alternative ... »Eine berührende Liebesgeschichte und eine erschütternde Familientragödie, spannend geschrieben.« Mechtild Borrmann, Autorin des SPIEGEL-Bestsellers Trümmerkind

Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit zehn Jahren freiberuflich als Autorin tätig. Charlotte Roth hat Globetrotter-Blut und zieht mit Mann und Kindern durch Europa. Sie lebt heute in London, liebt aber ihre Geburtsstadt Berlin über alles. Ihr Debüt, 'Als wir unsterblich waren', war ein Bestseller, dem seitdem zahlreiche weitere Romane über Frauenschicksale vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte folgten.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin aufwühlender Roman über den Mauerbau, das Leben in der jungen DDR und über zerrissene Familien und Freundschaften von der Bestseller-Autorin Charlotte Roth Berlin nach dem 2. Weltkrieg: Von ihrem geliebten Vater Volker, einem Lehrer, hat Susanne gelernt, an den Sozialismus zu glauben. Ohne je das Vertrauen in die Menschheit zu verlieren, hat er gegen das Naziregime gekämpft - und wurde vor den Augen seiner sechzehnjährigen Tochter kurz vor Kriegsende erschossen. Nie hat Susanne dieses Erlebnis vergessen, das sie für ihr Leben geprägt hat.. Um das Vermächtnis des Vaters zu erfüllen, widmet sich Susanne von ganzem Herzen dem Aufbau eines besseren Deutschland. Erst als sie den lebenslustigen Koch Kelmi kennen- und liebenlernt, beginnt sie allmählich zu begreifen, was um sie herum passiert. Zu tief jedoch ist der Glaube an den Sozialismus im Osten Deutschlands in ihr verwurzelt, zu stark das Band, das sie mit dem toten Vater verbindet. Dann kommt der 13. August, und plötzlich verstellt die Mauer Susanne jegliche Möglichkeit einer Alternative ... »Eine berührende Liebesgeschichte und eine erschütternde Familientragödie, spannend geschrieben.« Mechtild Borrmann, Autorin des SPIEGEL-Bestsellers Trümmerkind

Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit zehn Jahren freiberuflich als Autorin tätig. Charlotte Roth hat Globetrotter-Blut und zieht mit Mann und Kindern durch Europa. Sie lebt heute in London, liebt aber ihre Geburtsstadt Berlin über alles. Ihr Debüt, 'Als wir unsterblich waren', war ein Bestseller, dem seitdem zahlreiche weitere Romane über Frauenschicksale vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte folgten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426451366
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum27.03.2019
Auflage1. Auflage
Seiten528 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2214 Kbytes
Artikel-Nr.4275931
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1945


Die Wohnung in der Adalbertstraße, zwei Stuben und Küche im obersten Stock, war ihre Höhle. Als kleines Kind - vier Jahre war sie damals gewesen - hatte Suse sich vorgestellt, sie und ihre Eltern wären drei Bären aus einer Geschichte, die ihre Mutter ihr vorgelesen hatte. Die drei Bären hatten auf drei Stühlen um den Küchentisch gesessen und beim Suppelöffeln Abzählreime aufgesagt, wie der Vater, die Mutter und Suse es taten, sie hatten in drei Betten nebeneinander geschlafen und sich im Dunkeln Geschichten erzählt. Im Sommer waren sie zum Picknicken in den Wald gewandert, hatten aus Astlöchern Honig und aus Buschwerk Waldmeister gesammelt, und im Winter hatten sie sich mit ihrem Mensch-ärgere-dich-nicht-Brett an den Kachelofen gesetzt, in dessen Rauchabzug Bratäpfeln krachend die Schale platzte.

Und sie waren glücklich gewesen, die drei Bären in ihrer Höhle, so glücklich, wie drei Bären - ein großer mit Brille, ein mittlerer im rosa Kleid und ein kleiner, der an ihren Händen hüpfte - überhaupt nur sein können, bis das böse Goldlöckchen gekommen war und das ganze Glück kaputt gemacht hatte.

Das böse Goldlöckchen hatte gelbe Haare wie das Mädchen auf den Plakaten im Glaskasten. Als Kind hatte Suse vor diesem gelbhaarigen Bösen solche Angst gehabt, dass sie in Tränen ausgebrochen war und sich die Ohren zugehalten hatte.

»Nun komm schon«, hatte die Mutter sie gedrängt. »Du wirst doch wohl wissen wollen, wie es ausgeht.«

Aber gerade das hatte Suse ganz und gar nicht gewollt.

Ihre Mutter hatte darüber gelacht. Sie lachte damals immer, war fröhlich, redete auf den Vater ein, er solle das Leben nicht so schwer nehmen. »Was bist du nur für ein komisches Liebchen«, sagte sie zu Suse. »Ich hätte mich als Kind vor den Bären gefürchtet, aber doch nicht vor dem niedlichen Goldlöckchen.«

An den Bären war nichts zum Fürchten, fand Suse. Die lebten friedlich ihr Leben und taten niemandem etwas zuleide.

Das Bilderbuch, eine prächtige Ausgabe, die von Kiepert am Knie stammte, hatte Großmutter Konya zu Suses Geburtstag geschickt, und ihre Mutter wünschte sich, dass Suse es gern mochte. Aber Suse mochte es nicht gern. Wild entschlossen hatte sie nach ihrem dicksten Buntstift gegriffen und versucht, das Goldlöckchen, das den Stuhl des Bärenkindes zerbrach, seine Schüssel mit Haferbrei leer aß und sich in sein Bett legte, zu übermalen.

Ihre Mutter hatte ihr das Buch weggerissen. »Was ist denn mit dir los? Die Großmutter hat es gut gemeint, sie wollte dir eine Freude machen, und du verdirbst die schönen Bilder.«

Suse hatte nicht aufhören können zu weinen. Sie wusste das noch, obwohl es zwölf Jahre her war. Das Bärenkind, das nichts ahnend in sein Zuhause kam und seinen Stuhl zerbrochen, seinen Teller leer und sein Bett besetzt fand, hatte ihr entsetzlich leidgetan, und die Angst, auch in ihre Wohnung in der Adalbertstraße könne sich eine böse Zerstörerin einschleichen, hatte sie wie eine Welle überrollt.

Ihr Vater hatte sie verstanden. Er verstand sie immer - oder besser, er hatte es immer getan, solange sie ein Kind gewesen war. Er hatte den Arm um sie gelegt und ihr versichert: »In unsere Wohnung kommt kein Goldlöckchen. Wir haben ja ein Schloss an der Tür und lassen nur Leute herein, die wir bei uns haben wollen. Tante Hillchen. Eugen und Sido. Niemanden, der uns Böses will.«

Jetzt war Suse kein Kind mehr. Sie wurde in diesem Jahr sechzehn, ging aufs Gymnasium, konzentrierte sich auf die Schule, solange es Lehrer gab und Räume, die für den Unterricht benutzt werden konnten. Den Westflügel mit der Aula hatte eine Brandbombe in einen hohlen Riesenzahn verwandelt, und in ihrer Klasse, in der einst dreiundzwanzig Jungen und sieben Mädchen gesessen hatten, waren sie nur noch zu sechst. Man bekam kaum Schreibpapier und für einen Bleistift, der bis auf den letzten Stummel angespitzt war, keinen Ersatz. Auf der Landkarte mit den Fähnchen wurden am Morgen Lügen eingetragen, und wohin Herr Kurth, der Erdkundelehrer, verschwunden war, durfte niemand fragen.

»Geh trotzdem hin«, sagte der Vater. »Versuch an jedem Tag, an dem sie dich lassen, etwas zu lernen. Schule ist das Wichtigste, Suse. Vergiss das nicht.« Ihr Vater war Lehrer. Er war Lehrer gewesen, bis sie ihn nicht mehr gelassen hatten, und im Innern war er es wohl noch immer.

Ein Lehrer ohne Schüler.

Suse hatte wahrhaftig andere Sorgen als halb vergessene Kindergeschichten, und das Buch mit dem Goldlöckchen, das sie einst in solchen Schrecken versetzt hatte, war längst in einer Kiste auf dem Hängeboden und dann anderswohin verschwunden. Dennoch packte sie jeden Tag auf dem Heimweg die alte Angst.

Es war kalt und wurde schon dunkel, Wind, der ihr entgegenpfiff, biss sich in ihren Wangen fest. Dennoch lief ihr der Schweiß unter dem Mantel, den Tante Hille ihr zurechtgenäht hatte und der nicht mehr richtig warm hielt. Sie lief die lange Friedrichstraße hinunter, und mit jedem Schritt, den sie ihrem Zuhause näher kam, schwoll die Angst. Immer größer und schwerer hing sie Suse vom Rücken, wollte sie zurückhalten, vor dem Schrecken bewahren, der in ihrer Wohnung auf sie wartete. Dennoch lief Suse weiter, schneller und schneller, wie in der Hoffnung, es ließe sich noch etwas verhindern. Wir haben ein Schloss an der Tür, versuchte sie sich zu beruhigen, wir lassen keinen, der uns Böses will, herein.

Wie von selbst bekamen ihre Gedanken einen Rhythmus, formten sich zu Abzählreimen wie die, die sie früher beim Essen aufgesagt und über die sie sich und die Mutter vor Lachen ausgeschüttet hatten:

 


Keiner, der

Böses will,

Darf zu uns

Herein.


 

Mit der Mutter zu lachen war schön. Es war wie ein Aufatmen, weil wieder einmal nichts passiert war und auch nichts passieren würde, weil Suses Hirn -»das hast du von deinem Vater, ihr seid meine zwei Schwarzseher« - alles überzeichnete, weil, falls es an der Tür schellte, niemand als Eugen oder Tante Hille davorstehen würde. Nur kam Eugen nicht mehr oft, und Tante Hille hatte einen Schlüssel. Suse sprang von einem Hügel aus Schneematsch in den nächsten, und mit dem Platschen ihrer Sohlen hallten die Silben des Abzählreims:

 


Keiner, der

Böses will,

Darf zu uns

Herein.


 

Es würde Bratkartoffeln geben. Spätestens wenn sie den Absatz im dritten Stock erreichte, würden Schwaden des Duftes ihr entgegenquellen. Die Mutter war eine lausige Köchin. »Ich kann Stullen schmieren, alles andere macht meine Schwägerin«, pflegte sie zu sagen, aber ihr, nicht Tante Hille, gelang es noch immer, Kartoffeln, Eier und irgendeine Art von Fett aufzutreiben. Seit sie alle ständig Hunger hatten, schmeckten ihre Bratkartoffeln köstlich. Suse würde an der Tür der Wernickes vorbeiflitzen, und wenn Frau Wernicke den Kopf in den Spalt steckte und irgendetwas keifte, würde sie so tun, als hätte sie nichts bemerkt.

Suse fiel ins Rennen. Endlich erreichte sie die Straßenecke, Patzenhofers Destille, wo sie früher mit den Eltern eingekehrt war, wenn sie von einem Ausflug heimgekommen waren. »Jemand Lust auf dicke Bockwurst mit Erbsen?«, hatte die Mutter gefragt. »Wochenende mit euch ist zu schön, um es am Herd zu vergeuden.« Sie hatten sich über die dampfenden Teller hergemacht und sich wie Könige gefühlt, hatten beim Essen ein Spiel gespielt, das Ich packe meinen Koffer hieß, und sich die Reisen ausgemalt, die sie eines Tages wieder machen wollten, an die Ostsee und anderswohin.

»Ich packe in meinen Koffer Suses blaues Badekostüm.«

»Das ist zu klein.«

»Dann eben ein neues. Und einen großen Spaten für die Sandburg.«

Später hatte Suse sich bei Patzenhofer manchmal Fassbrause holen dürfen, für die Eugen ihr einen Groschen in die Hand gedrückt hatte: »Sei ein Schatz, Kleinmensch, geh und kauf dir an der Ecke Brause. Dein Vater und ich haben zu reden, da können wir kein Fräulein Naseweis, das lange Ohren macht, brauchen.«

Suse hatte die Emaillekanne aus der Küche geholt und war losgelaufen. Sooft Eugen mit ihm zu reden hatte, legte sich die Stirn des Vaters in Falten, und sie wollte es ihm nicht noch schwerer machen. Irgendwann hatten sich die Falten in seiner Stirn nicht mehr geglättet, und wenn Eugen jetzt überhaupt noch kam, sagte er Dinge wie: »Mit dir darüber zu reden war doch müßig« oder »Der, der weiß, wann es zu spät war, bin ja wohl ich.« Die Mühe, Suse einen Groschen für Patzenhofer zuzustecken, machte er sich längst nicht mehr, und dass es dort noch Fassbrause gab, bezweifelte Suse. Es gab ja nirgends mehr etwas. Zumindest aber war Patzenhofer nicht ausgebombt.

Die Adalbertstraße mit ihren vom Schneeregen geschwärzten vierstöckigen Häusern war eine der wenigen, die noch aussah wie vor dem Krieg. Als hätte der Krieg um sie einen Bogen gemacht. »Das bleibt bis zum Schluss so«, sagte Suses Mutter, wenn sie hinter den verdunkelten Fenstern unter dem Küchentisch kauerten und sich aneinander festhielten, während die Dielen bebten und die Scheiben in den Rahmen rasselten. »Es lässt uns aus. Wir sind noch da, wenn der Spuk vorbei ist.«

Suse ballte im Laufen die Fäuste. Es würde so kommen, und es würde nicht mehr lange dauern. Man durfte das nicht sagen, aber jeder wusste es. Die Angst vor dem Ende war überall spürbar, in vielsagenden Blicken, im Murmeln mit gesenkten Köpfen, im jäh verstummenden Geflüster. Aber Suse und ihre Eltern gehörten...
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Autor

Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit zehn Jahren freiberuflich als Autorin tätig. Charlotte Roth hat Globetrotter-Blut und zieht mit Mann und Kindern durch Europa. Sie lebt heute in London, liebt aber ihre Geburtsstadt Berlin über alles. Ihr Debüt, "Als wir unsterblich waren", war ein Bestseller, dem seitdem zahlreiche weitere Romane über Frauenschicksale vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte folgten.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt