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Auf einen Kaffee mit Kant

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am18.11.2019
Ob man nun bei Ikea verzweifelt, der erste Besuch der Schwiegereltern droht, man versetzt wird, mit einem pubertierenden Teenie unter einem Dach lebt oder es beim Feiern etwas übertrieben hat - Situationen, die einen aus dem Gleichgewicht bringen, gibt es genug. Doch wie übersteht man sie ohne Nervenzusammenbruch oder Weinkrampf? Ganz einfach - Rat suchen bei den größten Denkern der Geschichte: Was würde Kant auf eine Trennungs-SMS antworten? Wie würde Aristoteles mit einem Kater umgehen? Ist das Gras grüner bei Epikur? Endlich kommen die Philosophen raus aus den Bibliotheken und rein in den Alltag!

Marie Robert lehrt Philosophie und Französisch an der Universität sowie am Gymnasium. Zudem gründete sie in Marseille eine eigene Grundschule mit angegliedertem Kindergarten, die nach der Montessori-Pädagogik ausgerichtet sind.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextOb man nun bei Ikea verzweifelt, der erste Besuch der Schwiegereltern droht, man versetzt wird, mit einem pubertierenden Teenie unter einem Dach lebt oder es beim Feiern etwas übertrieben hat - Situationen, die einen aus dem Gleichgewicht bringen, gibt es genug. Doch wie übersteht man sie ohne Nervenzusammenbruch oder Weinkrampf? Ganz einfach - Rat suchen bei den größten Denkern der Geschichte: Was würde Kant auf eine Trennungs-SMS antworten? Wie würde Aristoteles mit einem Kater umgehen? Ist das Gras grüner bei Epikur? Endlich kommen die Philosophen raus aus den Bibliotheken und rein in den Alltag!

Marie Robert lehrt Philosophie und Französisch an der Universität sowie am Gymnasium. Zudem gründete sie in Marseille eine eigene Grundschule mit angegliedertem Kindergarten, die nach der Montessori-Pädagogik ausgerichtet sind.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641242053
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum18.11.2019
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3308 Kbytes
Artikel-Nr.4279721
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Samstag, 09:54 Uhr. Sie sind mit dem tröstlichen Gefühl erwacht, die nächsten achtundvierzig Stunden ganz für sich zu haben. Zwei volle Tage puren Müßiggangs, genüsslich geschlürften Kaffees, inspirierender Lektüre, geselliger Abendessen und von Schuldgefühlen befreiter sportlicher Betätigung. Noch völlig erfüllt von der süßen Woge dieser Erkenntnis, fällt Ihnen auf, dass Billy, Ihr treues, kostbares Bücherregal, bald unter der Last der in ihm ruhenden Schätze zusammenbrechen wird. Das liegt sicher an den zwölf Meditationsbüchern, die Sie im letzten Jahr erworben haben, an den Fotoalben aus der Schulzeit, den indischen Souvenirs aus dem Sommer 1998 und den Nachschlagewerken, die bislang keine Internetseite verdrängen konnte. Die beste Lösung wäre sicherlich, das Regal auszumisten, aber Sie hängen an all diesen Dingen und wollen sich nicht von ihnen trennen. Wozu auch - es lässt sich ja problemlos weiterer Stauraum schaffen, direkt daneben, und da finden dann wunderbar die künftigen Erinnerungsstücke Platz.

Voller Tatendrang überzeugen Sie Ihren Partner, im Vergnügungstempel für Erwachsene brunchen zu gehen. Ikea. Tröstliche, vertraute Buchstaben, treue Begleiter seit ersten Studentenbudenzeiten. Warmes Holz, ausgefeilte Konzepte, auf sympathische Weise unaussprechliche Namen, schwedische Fürsorge - kurz: das perfekte Programm. Der Wagen steht vor der Tür, der Kofferraum ist leergeräumt und willig, frisch eroberte Schätze aufzunehmen. Ihnen ist nämlich aufgefallen, dass Sie nicht nur ein weiteres Bücherregal benötigen, auch das Topfsortiment könnte überholt werden, die Bettwäsche ebenso. Das TV-Möbel hat ebenfalls ausgedient, und im Wohnzimmer würde sich ein schmucker Couchtisch gut machen. Sie haben im Katalog gewissenhaft die Seiten mit den Produkten markiert, die Sie interessieren, und Sie haben den Katalog natürlich dabei, als Sie den Laden betreten. Sie lächeln glückselig angesichts all der Möglichkeiten, die sich hinter den blauen Blechwänden verbergen. Der Rundgang beginnt. Sie folgen den Pfeilen auf dem Boden, dem vorgegebenen Weg, und nehmen es hin, dass man Ihnen somit den freien Willen nimmt. In der ersten Kurve greifen Sie mit kindlicher Begeisterung nach einem kleinen Holzbleistift. Anerkennend staunen Sie über die Modellwohnungen, die unter mannigfacher Beweisführung veranschaulichen, dass es sich auf achtzehn Quadratmetern ebenso gut leben lässt wie in einem Loft und dass das Glück allein von ein paar eleganten, Stauraum schaffenden Kunstgriffen abhängt.

Lasziv schlendern Sie durch die Gänge, wobei Sie sich einer gewissen Faszination für die Bettwäsche-Abteilung nicht erwehren können. Sie ist durch ein Plakat abgetrennt, dessen Aufschrift ein Mantra oder der Ratschlag eines Familientherapeuten sein könnte: »Das Schlafzimmer? Grenzen Sie sich einfach ab, ganz ohne Wände.« In der Kinderabteilung angekommen machen Ihre Beine schlapp. Zwei Stunden schieben Sie sich jetzt schon im Schneckentempo voran. In Ihrer Einkaufstasche befinden sich ein Plaid aus Synthetikfasern, drei Päckchen Servietten mit Rentiermotiv und zwei Plastikschöpfkellen, die sich zweifellos als nützlich erweisen werden, sollten Sie eines Tages auf eine Monodiät in Suppenform setzen. Dieses unbändige Verlangen, dieser Elan, der Sie glauben macht, Ihre ganze Existenz hinge davon ab, nur jetzt nicht aufzugeben, nur jetzt bloß nicht die Lust am Geldausgeben zu verlieren, treibt Sie weiter an. Sie nehmen sich fest vor, einen Gang zuzulegen, verfallen dann jedoch dem Blick eines hinreißenden Plüschkrokodils. Der Tonfall Ihres Partners legt an Schärfe zu. »Soll das auch so enden wie das vom letzten Jahr? Im hintersten Kellereck? Ab in die Motten-WG?« Gekränkt versuchen Sie Ihren Frust zu bezwingen und rollen ihm den Wagen über die Füße. Seinen Schmerzensschrei ignorieren Sie. Dann, in einem plötzlichen Drang nach Effizienz, verlassen Sie forsch den vorgegebenen Pfad, steigen über einen dreibeinigen Designerstuhl hinweg und dringen in die Büroabteilung vor. In der Lampenabteilung läuft Ihnen vor Wut und Hitze der Schweiß runter. Auf dem Bleistift herumzukauen bringt kaum noch Erleichterung.

Nach einer kurzen Phase des ziellosen Umherirrens ist es höchste Zeit für die Abteilung mit den Aufbewahrungssystemen. Der Katalog mit den vorab gekennzeichneten Produkten ist längst verlegt, Sie haben ihn auf einem Stapel Handtuchhalter mit Fertigbausatz vergessen. Unwirsch greifen Sie wahllos nach irgendwelchen Gegenständen. Doch nichts scheint Ihren Unmut jetzt noch beschwichtigen zu können. Als Ihr Partner fragt, wer das eigentlich alles in die Wohnung hochtragen soll, stehen Sie kurz vor der Trennung und reißen mit einem Gefühl von Befreiung einen Akkuschrauber an sich. Was ist eigentlich los? Sie sind vollkommen aus dem Gleichgewicht. Die Macht, die Sie in sich aufsteigen spüren, lässt sich nicht mehr bändigen, vergeblich mühen Sie sich noch mit einer Art Vortrag über die Konsumgesellschaft ab; dabei ist jetzt, in diesem Moment, Ihre Begierde grenzenlos und ein Ende nicht abzusehen.

Das Chaos beginnt. Der Couchtisch hat Sie hinters Licht geführt, die Maße stimmen nicht. Im Hintergrund hören Sie jemanden höhnen: »Hast du das nicht ausgemessen, oder was?« Das TV-Möbel, das auf Hochglanzpapier so edel wirkte, stellt unverhohlen sein Sperrholzdasein zur Schau, und bei der tollen Garderobe stellen Sie fest, dass Sie sie bereits im Büro und in der letzten Airbnb-Wohnung gesehen haben. Sie wettern gegen die Gleichförmigkeit. Was Sie nicht daran hindert, tobend nach vier Duftkerzen Rote Früchte/Vanille, zwei weiteren Päckchen Servietten und einer Plastikpalme zu greifen und sie hastig in der gelben Einkaufstasche verschwinden zu lassen. Es ist völlig unklar, wohin Ihr Rausch Sie noch führen wird. Ihre Begleitung mustert Sie abschätzig, und als sie eine Halogenbirne in den Wagen pfeffert und diese dabei zu Bruch geht, muss Ihre eigene Verachtung keinen Vergleich scheuen. Der Kampf findet schließlich in der SB-Halle ein Ende, wo Sie inmitten der hallenhohen Regale das Gefühl vollkommener Bedeutungslosigkeit übermannt, zwischen all den Paketen, die sich aufreihen, so weit das Auge reicht, diesen Verheißungen abendfüllenden linkischen Herumhantierens mit dem Inbusschlüssel. Die Sachen, die Sie haben wollen, liegen irgendwo zwischen Gang B18 und Gang D24. Sie sind fest von der nahenden Erlösung überzeugt, greifen nach dem Handy, um die abgespeicherten Angaben abzurufen. Doch das Display ist schwarz, der Akku ist alle. Sie können nun die Expedition von vorne antreten oder sich von dem gewünschten Mobiliar verabschieden. Ihre Begierde wird ungestillt bleiben. Die folgenden Minuten spielen sich in einer Art Trancezustand ab, untermalt von Schluchzern, Schimpftiraden, dem Gefühl der Ausweglosigkeit und einem Kassenzettel über 236,80 Euro für Dinge, deren Nutzen im Dunkeln liegt. Völlig ausgelaugt setzen Sie sich ans Steuer Ihres Wagens. Ihr Partner ist kurz davor zu implodieren - dabei wollten Sie doch eigentlich nur ein neues Bücherregal kaufen. Es ist 19:14 Uhr, Sie stecken im Stau fest und haben ausreichend Zeit, sich Ihrer müden Beine, Ihres Schweißgeruchs, der unendlichen Verzweiflung und des abgrundtiefen Hasses auf die Farben Gelb und Blau gewahr zu werden.

Was sagt Spinoza dazu?

Zugegeben: Baruch de Spinoza hat zeit seines Lebens nicht ein einziges Mal mit dem Gedanken gespielt, ein Billy-Regal zu kaufen. Die Begriffe Begierde, Tugend, »Not des Menschen« und alles, was daraus folgt, waren ihm aber durchaus vertraut, und er hat sein Bestes getan, damit Sie sich heute von Schuldgefühlen befreien können.

Im Falle einer Post-Ikea-Depression können wir mit Spinoza die Mechanismen unseres Menschseins und damit unseres Handelns begreifen. In aller Gelassenheit erläutert der Philosoph, dass jeder von uns einen »Conatus« in sich trägt. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und beschreibt nichts weiter als den Drang (den Impuls, die Kraft), der uns morgens aufstehen und uns des Lebens erfreuen lässt. Fassen wir zusammen, worum es in unserem Fall geht. Für Spinoza ist der Mensch Teil der von Gott geschaffenen Natur. Folglich ist jeder von uns ein Vertreter der göttlichen Superkräfte und als solcher erfüllt von einer lebhaften Energie, die direkt vom Himmel kommt. Sie zu erhalten ist allererstes Gebot, koste es noch so große Anstrengung. Denn der Conatus ist unser geschützter Bereich, er macht uns zu Geschöpfen der Natur (und nicht zu Protagonisten eines Videospiels).

Der Begriff Conatus ist unter dem Synonym Begierde eher geläufig und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Und an dieser Stelle wird Spinoza zu einem Spitzentherapeuten, wie man ihn am liebsten bei jeder Shoppingtour als Podcast im Ohr dabeihätte. Seiner Philosophie zufolge entstammen die Begierde, der Appetit, der Wille und der Drang ganz universellen Werten, die unsere wahre Natur ausmachen und uns antreiben. Dagegen anzukämpfen ist zwecklos, zeigt die Begierde doch gerade, dass wir am Leben sind. Wie sollte man sie also abschütteln? Wer begehrt, hat nicht etwa einen Makel, sondern gehört zur VIP-Riege der menschlichen Gemeinschaft. Spinoza geht sogar noch einen Schritt weiter: »Die Begierde ist das eigentliche Wesen des Menschen«, schreibt er. Logisch, dass man diese Begierde nicht einfach auf Eis legen kann, dass sie sich weder fassen noch planen lässt, denn sie ist nun mal grenzenlos. Nur der Tod kann sie aufhalten - ein etwas zu überzogenes Konto oder eine ohnehin schon völlig überfrachtete Wohnung sicher nicht. Die Begierde ist Zeugin unserer Lebendigkeit. Jedoch zeigt sie sich nicht einfach so, nur weil...

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Autor

Marie Robert lehrt Philosophie und Französisch an der Universität sowie am Gymnasium. Zudem gründete sie in Marseille eine eigene Grundschule mit angegliedertem Kindergarten, die nach der Montessori-Pädagogik ausgerichtet sind.