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Allerseelenschlacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am12.06.20192023
Mai 2012: US-Veteran Ray Bell reist nach Belgien, um seinen Kameraden Eric und Gerald am Memorial Day auf dem amerikanischen Militärfriedhof in Henri-Chapelle zu gedenken. Ende des II. Weltkriegs kämpften sie gemeinsam in der Eifel und den Ardennen. Beide wurden damals von drei SS-Soldaten grausam ermordet. Paul Verhoven, einer der Täter, treibt nun, kurz vor dem Memorial Day, tot im Stausee von Obermaubach. Der Aachener Kommissar Fett übernimmt den Fall, dessen Spuren ihn bis nach Maastricht und Reims führen.

Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Olaf Müller hält Vorträge u.a. zum Thema Heimat und Identität. Als Segelflieger kennt er die Eifel aus der Luft. Im Gmeiner-Verlag sind von Olaf Müller erschienen: »Rurschatten«, »Allerseelenschlacht« und »Die Macht am Rhein« (gemeinsam mit Maren Friedlaender).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextMai 2012: US-Veteran Ray Bell reist nach Belgien, um seinen Kameraden Eric und Gerald am Memorial Day auf dem amerikanischen Militärfriedhof in Henri-Chapelle zu gedenken. Ende des II. Weltkriegs kämpften sie gemeinsam in der Eifel und den Ardennen. Beide wurden damals von drei SS-Soldaten grausam ermordet. Paul Verhoven, einer der Täter, treibt nun, kurz vor dem Memorial Day, tot im Stausee von Obermaubach. Der Aachener Kommissar Fett übernimmt den Fall, dessen Spuren ihn bis nach Maastricht und Reims führen.

Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Olaf Müller hält Vorträge u.a. zum Thema Heimat und Identität. Als Segelflieger kennt er die Eifel aus der Luft. Im Gmeiner-Verlag sind von Olaf Müller erschienen: »Rurschatten«, »Allerseelenschlacht« und »Die Macht am Rhein« (gemeinsam mit Maren Friedlaender).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839261484
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum12.06.2019
Auflage2023
Reihen-Nr.2
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4312826
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Denn die einen sind im Dunkeln

Fett und Schmelzer machten Feierabend. Fett nahm seinen roten Alfa Romeo und fuhr zum Templergraben. Er schaute auf das Nummernschild des weißen Mercedes vor ihm. Der Schattenriss der Insel Sylt klebte daneben. Was sagt mir das, fragte sich Fett. Er kann es sich leisten, nach Sylt zu fahren, schaut, ich bin auf Sylt gewesen, »Hallo! Ich kann mir Sylt leisten.«, er liebt Sylt, er kommt von Sylt. Sylt, Sylt, Sylt. Wenn man manche Wörter oft hintereinander ausspricht, werden sie fremd. Jedenfalls unterscheidet er sich von anderen Autofahrern, die nicht Sylt auf dem Heck kleben haben, die mit einer Bierwerbung darauf hinweisen, dass sie Hopfenteetrinker sind oder ihre Kinder an Bord haben. Jemand hatte den bösen Aufkleber entworfen: »Die Namen eurer dicken Kinder interessieren mich nicht.« Der Ton im Land wurde härter. Angela Merkel regierte in der Schwarz-Gelben Koalition. Die CDU hatte am 13. Mai 2012 die vorgezogene Landtagswahl in NRW verloren. Guttenberg war vor einem Jahr zurückgetreten. Die Auswirkungen der Bankenkrise waren jeden Abend Thema eins in den Nachrichten. Griechenland kam nicht zur Ruhe.

Fast hätte Fett wegen Sylt die Abzweigung an der Wüllnerstraße verpasst. Er ließ den Alfa rollen, bog links in den Templergraben ein und fand sofort einen Parkplatz. Bingo.

Von dort aus ging er zu seinem Lieblingsdiscounter, in dem er die Kassiererinnen seit Jahren kannte und sich freute, wenn sie nach dem Ausflug in eine andere Filiale zurückkehrten.

Zwei Frauen mit Kopftuch, Röcken, die an Tischdecken der 50er-Jahre erinnerten und halbhohen Filzstiefeln à la Doktor Schiwago standen stumm neben den Mülltonnen am Eingang. Sie hielten beseelt eine Zeitung hoch. »Erwachet!«, lautete die Headline. Zeugen Jehovas. Neben den beiden wollte Fett nicht unbedingt beim Jüngsten Gericht erwachen. Er nickte aufmunternd, die beiden Frauen lächelten ihn meditativ und freundlich an. Chacun à son gouÌt, dachte Fett - jeder nach seinem Geschmack.

Ein Dosensammler mit fleckiger Hose hing bis zum Oberkörper im Müllcontainer und schmiss leere Flaschen und Getränkedosen in seinen Rucksack. Am Eingang saß ein trommelnder Flötist, der mit einer undefinierbaren Klangsoße Almosen sammelte.

»Wenn die Schlange aus der Kiste kommt«, rief Fett ihm zu und zeigte auf den Karton, auf dem der Virtuose hockte. Der Flötist verstand den Witz nicht.

»Liebe Kunden, wir schließen Kasse drei. Bitte nicht mehr anstellen«, erklang es aus den Lautsprechern, als er von der Kühltheke mit italienischem Schinken, Cola light, Schwarzbrot und Lütticher Waffeln Richtung Kasse steuerte.

»Wie, keine Eier?« Der Muskelmann mit Nackentattoo in der Schlange verstand die Welt nicht mehr.

»Wir haben die Eier zurückgeschickt. Da war was drin. Mit Chemie und so.« Die Kassiererin musste den Satz an diesem Montag bereits dutzendmal gesagt haben.

»Wie, was drin? Logo, was drin. Keine Eier. Wat soll der Scheiß?« Der Vorstadt-Catcher wurde unruhig.

»Dann tausch ich jetzt die Trainingshose um. Dat Sonderangebot von die letzte Woche. Passt mir nicht. Zu klein.«

»Oder Sie zu dick«, patzte die Kassiererin, die an diesem Tag bereits drei Trainingshosen und fünf Leggings zurückgenommen hatte. Die Menschen gingen halt aus dem Leim. Aber mit Tattoo am Arsch.

»Zu dick! Alles Muskelmasse, junge Frau«, grunzte der Catcher und zeigte seine Muskeln.

»Zweite Kasse aufmachen!«, dröhnte es hinter Fett. Ein hyperaktiver Typ jonglierte mehrere Büchsen Bier und eine Flasche Wodka. Schwerer Fall von Entzug, dachte Fett.

Dingdong. »Liebe Kunden, wir öffnen Kasse drei für Sie.«

Fett stand wie immer in der falschen Schlange, und der eiersuchende Muskelmann vor ihm kramte frustriert seine EC-Karte aus der alten Trainingshose, um Tiefkühlpizzen und Energiedrinks zu bezahlen. Er hatte sein Deodorant mit WC-Reinigungsspray verwechselt. So kam es Fett vor.

Woher kam dieser härtere Ton, die Verwahrlosung ganzer Gruppen, die Alkohol- und Drogensucht? Menschen ließen sich zunehmend gehen, verloren Halt, kippten aus dem System. Manche ruhig, andere mit lautem Knall. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, kam Fett in den Sinn, von Kurt Weill und Bertolt Brecht. Hatte er im Stadttheater gesehen. Als er dienstlich in Berlin war, besuchte er das Grab von Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße. Ein Ruhepunkt, dieser Friedhof. Allein das Grab von Konditormeister Egon Mraschny, schräg gegenüber von Johannes Rau, gab ihm zu denken. Der Konditor und der Bundespräsident schauten sich Tag und Nacht an. Wer in der subversiven Friedhofsverwaltung hatte sich das ausgedacht?

Draußen lächelte der Flötist versonnen und trommelte monotone Endlosrhythmen. Geprägt von starker Erdanziehungskraft näherte sich mit versetzten Schritten eine Gruppe harter Trinker. Zerfurchte Gesichter, verbrannte Nasen, gerötete Augen. Sie schrammten an Fetts Einkaufswagen vorbei und murmelten gutturale Laute. Eine Wolke aus Alkohol kam im Nachgang, vermischt mit saurem Schweiß und Nikotin.

Abseits des Sonnenscheins, da waren lange Schatten, Verwerfungen, Opfer. Die Gesellschaftsmaschine brauchte sie nicht mehr. Sie lebten up and away. Fett dachte an das Grundgesetz, Artikel 1, die Würde des Menschen und so weiter.

Nach den Szenen aus dem Alltag sprang er kurz in seine Wohnung, aß ein paar Scheiben italienischen Schinken und ging danach zum Ratskeller, der auf der Rückseite des Rathauses eine Terrasse besaß. Er brauchte Luft, Menschen, normale Gesichter, buntes Gewimmel, frischen Wind und ein Erfrischungsgetränk. Um die Uhrzeit schickte die Sonne noch ein paar Strahlen. Ein Platz in der hinteren Reihe gewährte Blick auf Dom, Katschhof und die Menschen an den Tischen vor ihm. Auf den Ehemann im Kurzarmhemd und seine Frau in einem zu knapp geschnittenen Rock, auf die beiden Freundinnen, die den dritten Hugo rasch verputzten, die Köpfe zusammensteckten und ab und an einen Blick zu ihm herüber warfen.

»Er fehlt mir«, sagte die Dunkelblonde in einem unförmigen Sackkleid.

»Ich kann das gut verstehen«, meinte die Hellblonde, »nach der langen Zeit.«

»Ja, sogar das Bett habe ich gewechselt. Dabei habe ich es so gemocht. Ich bin einfach nicht so weit.«

»Ich denk mal, das hast du gut gemacht, bestimmt wäre auch ein Therapeut nicht schlecht. Du musst achtsam mit dir sein, auch mit deiner Tochter Rosi. Sieh es einfach ganzheitlich.«

Fett dachte an den Verlust des Lebenspartners und war bereit, den Therapeutenjargon zu akzeptieren.

»Wir mochten Purzel sehr. Er war ein Teil von uns«, sagte da die Dunkelblonde.

Hunde sind die besseren Menschen - das Bonmot schoss Fett durch den Kopf. Armer Purzel. Hoffentlich findet sie einen ganzheitlichen Purzel-Therapeuten.

Er bestellte einen Crémant, wählte die Nummer von Iska Sonntag, seiner Freundin in Bonn, die dort das Sondereinsatzkommando leitete. »Iska Sonntag. Nachrichten nach dem Signalton.« Fett hauchte ein »Kiss, Michael« auf die Mailbox. Sie war im Einsatz. Er nahm einen Schluck des eiskalten Getränks, ohne zu wissen, dass ein neuer Fall auf ihn zukam, ein Fall, der ihn weit in die Vergangenheit zurückführen würde.

»Darf es noch etwas sein?« Die Kellnerin lächelte freundlich.

»Wenn Sie mich so fragen, bitte einen Espresso.«

»Einfach oder doppio?« Sie betonte auf dem ersten o , der Rest klang nach piu .

»Einfach, junge Frau. In meinem Alter muss man auf das Herz achten, dazu Ihr Anblick.«

Lachend verschwand sie im Ratskeller, Fett schaute auf das Oktogon des Doms oder Münsters oder der Kathedrale oder der Marienkirche. Immer stieß er auf die verschiedenen Bezeichnungen, wenn er für seine Freunde eine Führung vorbereitete. Anscheinend schrieben die Autoren voneinander ab. Auf den braunen Schildern an der Autobahn stand »Kaiserdom«. Woher die Bezeichnung kam, erklärte ihm niemand. Kaiserdom, so ein Quatsch. Er hatte sich angewöhnt, nach der Herkunft der Wörter zu fragen. Kaiserdom - Fehlanzeige. Keiner der vom Beten erschöpften Herren des Domkapitels konnte aufklären.

Eine Rollatorenreisegruppe ruckelte über das Kopfsteinpflaster des Katschhofes. Alle Köpfe nach links, alle Köpfe nach rechts. Gehhilfen in verschiedenen Variationen. Beige Übergangsjacken dominierten bei den alten Männern mit Krückstock, Freizeitjacken mit gefährlich vielen Schnüren bei den betagten Frauen. Gruppenausflug des Seniorenheims »Himmelsleiter« aus Roetgen. Ein programmatischer Name. »Himmelsleiter« und Seniorenwohnheim. Wäre eher eine Eins-a-Bezeichnung für ein Beerdigungsinstitut. Würde Fett eines Tages so durch eine Stadt wackeln? Entmündigt von einer jungen Führerin - »Ich bin die Steffi« -, immer auf der Suche nach einem öffentlichen WC, Butterbrote in der Plastiktüte, Pillen in einem Schächtelchen, Bockwurst vom Busfahrer, eine Wolke von 4711. Er bedauerte die Alten, die den Schutt weggeräumt hatten, die vom Krieg traumatisiert waren, nur gab es das Wort damals nicht. Reisebusse spuckten sie aus, warfen sie in die Stadt. Eisbein mit Sauerkraut wartete auf sie. Wieder ein Tag rum. Nächste Woche Moselfahrt; Traben-Trarbach für 34,90 Euro. Moselforelle inklusive. Zum Abschluss ein Schrumpfbembel mit Stadtlogo.

»Einfacher Espresso gegen die Herzschmerzen.«

»Ah, danke, wenn ich Sie sehe, geht es direkt besser.«

»Sie können ja noch was bestellen, dann sehen Sie mich öfters«, meinte die Kellnerin und legte beim Lächeln noch einen drauf.

»Gute Idee, bringen...

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Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA), Kostroma (Russland) und Reims (Frankreich). Olaf Müller hält Vorträge u.a. zum Thema Heimat und Identität. Als Segelflieger kennt er die Eifel aus der Luft. Im Gmeiner-Verlag sind von Olaf Müller erschienen: »Rurschatten«, »Allerseelenschlacht« und »Die Macht am Rhein« (gemeinsam mit Maren Friedlaender).