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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am23.12.20191. Auflage
Wer die Heimat verrät Der Alltag in der jungen DDR ist beschwerlich. Es fehlt an allem, die SED-Regierung verfolgt gnadenlos ihre Kritiker, und die Zahl derer, die das Land verlassen, steigt unaufhörlich. Am 17. Juni 1953 eskaliert die politische Lage. Landesweit kommt es zu gewalttätigen Protesten. In dieser Nacht wird Kommissar Max Heller zu einem Dresdner Isolierungsbetrieb gerufen. Der frühere Eigentümer wurde brutal mit Glaswolle erstickt. Ist er ein Opfer der Aufständischen geworden? Aber Heller hat einen anderen Verdacht. Während er in den Wirren des Volksaufstandes einen unberechenbaren Mörder sucht, drängt Karin auf eine Entscheidung: Sollen sie ihre Heimat verlassen und in den Westen gehen oder sollen sie ausharren?

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
HörbuchCompact Disc
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWer die Heimat verrät Der Alltag in der jungen DDR ist beschwerlich. Es fehlt an allem, die SED-Regierung verfolgt gnadenlos ihre Kritiker, und die Zahl derer, die das Land verlassen, steigt unaufhörlich. Am 17. Juni 1953 eskaliert die politische Lage. Landesweit kommt es zu gewalttätigen Protesten. In dieser Nacht wird Kommissar Max Heller zu einem Dresdner Isolierungsbetrieb gerufen. Der frühere Eigentümer wurde brutal mit Glaswolle erstickt. Ist er ein Opfer der Aufständischen geworden? Aber Heller hat einen anderen Verdacht. Während er in den Wirren des Volksaufstandes einen unberechenbaren Mörder sucht, drängt Karin auf eine Entscheidung: Sollen sie ihre Heimat verlassen und in den Westen gehen oder sollen sie ausharren?

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423436014
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum23.12.2019
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.5
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1612 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.4369874
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

18. Juni 1953, früher Vormittag

Es schien eine gewisse Dissonanz zu herrschen zwischen den Verwaltungsangestellten in Zivil und den Arbeitern, die sich gemeinsam im großen Frühstücksraum aufhielten. Sie hatten sich getrennt voneinander hingesetzt. Doch auch unter den Arbeitern war die Stimmung gemischt. Mürrisch schienen die einen zu sein, aufgeregt die anderen, manche wirkten zurückhaltend. Es waren etwa dreißig Leute, auch Frauen unter ihnen. Einige rauchten. Andere aßen Stullen und tranken Muckefuck. Richtigen Kaffee hatte Heller nicht gerochen. Am Tisch der Verwaltungsleute befanden sich zwei Frauen, die leise, aber unaufhörlich weinten. In einem Punkt schienen sich alle einig zu sein: Alle bereuten es, hier zu sein.

Heller stand am Fenster und wartete auf Reimann. Vom ersten Obergeschoss blickte er hinunter auf den Lagerplatz, wo Wracks mehrerer ausgebrannter Fahrzeuge standen. Draußen hatte sich schon wieder eine ganze Anzahl Männer versammelt. Bestimmt mehr als es Angestellte in diesem Betrieb gab. Die Hände in den Taschen warteten sie, sprachen kaum, rauchten. Weder Transparente noch Schilder hatten sie dabei und wussten anscheinend nicht, ob sie arbeiten oder streiken sollten. Es fehlte ihnen ein Anführer. Ein Furchtloser, ein Held oder Märtyrer würden die einen sagen, ein Einpeitscher und Hetzer die anderen.

Immer schien sich alles zu wiederholen, dachte sich Heller.

Es juckte ihn, buchstäblich, im Hemdkragen, auf dem Rücken, an den Händen, zwischen den Fingern. Seine Augen brannten. Bestimmt war ein Teil davon nur Einbildung, doch er hatte die Fasern in der Luft fliegen sehen. Bestimmt war hier alles voll davon. Was für ein qualvoller Tod musste es gewesen sein, versunken in diesem Behälter mikroskopisch kleiner Glasnadeln, die Lunge voll davon, der Hals, die Augen. Man konnte Baumgart nur wünschen, dass er schon tot gewesen war oder wenigstens bewusstlos.

Heller rieb sich die Schultern im Jackett. Endlich erschien der Buchhalter, unter dem Arm einen Ordner. Einige der Arbeiter gaben bei Reimanns Anblick abschätzige Geräusche von sich. Reimann tat, als würde er das nicht bemerken.

»Wir können«, sagte er zu Heller.

»Gehen wir nach nebenan!«

Heller durchquerte den großen Raum und spürte die Blicke der Anwesenden auf sich gerichtet. Zehn bewaffnete Uniformierte waren inzwischen auf dem Gelände, einer stand unten im Erdgeschoss an der Tür. Heller glaubte sich nicht in Gefahr. Er hatte absichtlich in diesem Raum gewartet, hatte sich als Kriminalpolizist vorgestellt, der den Tod des Betriebsleiters aufklären sollte, wollte ihnen zu verstehen geben, dass sie in einem Boot saßen.

 

Langsam durchquerten sie den langen Gang, vorbei an Brandflecken auf dem Boden, an eingetretenen Türen, durch die Heller verwüstete Zimmer sehen konnte, an umgeworfenen Schränken und überall verteiltem Papier. In einem Büro weiter hinten, außer Hörweite der Angestellten, setzten sie sich. Reimann an den Schreibtisch, Heller auf einen gepolsterten Stuhl seitlich davon.

»Ist das Ihr Büro?«, fragte Heller und betrachtete die Wimpel von SED, FDGB und FDJ, eine kleine Fahne der DDR und eine der UdSSR auf dem Schreibtisch, einige Fotos an der Wand: Pieck, Grotewohl, Stalin mit Trauerflor.

War Hitlers Tod vielen nicht einmal mehr ein Schulterzucken wert gewesen, so hatte Stalins Tod manchem entsetzt den Atem stocken lassen, bei anderen wiederum Hoffnungen geweckt. Sie sollten sich alle getäuscht haben. Denn hatte man bis dahin geglaubt, die Regierung der DDR agierte unter der Knute Stalins, war in den letzten Monaten offenkundig geworden, dass sie stellenweise eine noch viel härtere Gangart als die Sowjets an den Tag legte. Das eilige Zurückrudern in den letzten Tagen, in denen der Aufstand eskaliert war, schien vielen der reinste Hohn.

In diesem Zimmer war jedenfalls nicht gewütet worden, stellte Heller fest.

»Das ist Kruppas Büro«, sagte Reimann, »der ist Parteifunktionär.«

»Seit wann genau ist Herr Kruppa überfällig?«

»Gestern Nachmittag sah man ihn zum letzten Mal.« Reimann nahm die Brille ab, legte sie auf den Tisch, rieb sich die Nasenwurzel. »Darf ich ...?«, fragte er und verstummte gleich wieder.

Heller wusste nicht, worauf diese Frage hinauslaufen sollte und schwieg.

»Darf ich offen reden?«, fragte Reimann leise.

»Jederzeit.«

»Es musste so weit kommen«, sagte Reimann fast flüsternd. »Ich frage mich, wie blind und taub man eigentlich sein kann. Wir selbst, Martin und ich, sprechen seit Jahren schon bei Parteisitzungen die Probleme der Arbeiter an, die Versorgungsnot, die Verteuerung der Lebensmittel. Niemand wollte das hören! Es wurden immer nur die neuen Beschlüsse nach unten weitergegeben. Von unseren Zulieferern wussten wir, dass die Transportunternehmen zwangsverstaatlicht wurden. Nicht offiziell, aber man verteuerte ihnen den Treibstoff oder wies ihnen zu wenig zu. Und nach den neuen Steuergesetzen blieb ihnen kaum noch Gewinn. Den Besitzer von Voss-Transporte haben sie sogar eingesperrt, wegen Veruntreuung und Bereicherung. Das sollte eine Abschreckung sein. Und uns sehen die Arbeiter an, als seien wir daran schuld!«

»Sie und Baumgart?«

»Ja, wir waren dann auch diejenigen, die den Leuten die Normerhöhungen beibringen mussten. Kruppa war da nicht sehr hilfreich.«

»Kruppa ist der Leiter der Betriebsparteiorganisation?«

»Ja, eigentlich ist er ja Ingenieur, aber mit der Parteiarbeit ist er vollkommen ausgelastet.«

»Wie stehen die Leute zu ihm?«

»Er ist nicht sehr beliebt. Sämtliche freiwillige Arbeitseinsätze sind von ihm initiiert. Es vergeht kaum eine Woche ohne Sitzungen oder Parteiveranstaltungen. Letztlich entscheidet er über Einstellung, Entlassung und Urlaub. Angeblich war er es, der beim Rat des Bezirkes vorgeschlagen hat, Lohnkürzungen vorzunehmen, weil die Normen wiederholt nicht erfüllt werden konnten. Zehn Prozent mussten wir den Leuten abziehen. Zweiunddreißig Mark. Sie können sich denken, dass die nicht gerade begeistert waren.«

»Wir müssen also mit einem zweiten Toten rechnen?« Heller sah Reimann unverwandt an.

Reimann setzte die Brille wieder auf. »Ich weiß es nicht. Auf dem Gelände kann er eigentlich nicht mehr sein. Wir haben alles abgesucht. Alles. Daheim ist er aber auch nicht. Möglich, dass er geflohen ist.«

»In den Westen?«

»Nein, das glaube ich nicht. Er versteckt sich vielleicht und wartet ab, wie sich die Lage entwickelt. Es war nicht ungefährlich gestern. Da waren einige dabei, denen hätte ich alles zugetraut.«

»Von Ihrer Belegschaft?«

»Nein, das waren Fremde ...« Reimann sah zum Fenster, in ihm arbeitete es »... aber auch von unseren Leuten waren welche dabei.«

»Tat sich jemand besonders hervor?«

Reimann nickte, und ohne, dass Heller ihn dazu aufgefordert hatte, erhob er sich und brachte ihm ein Blatt, auf dem einige Namen standen. Dann setzte er sich wieder.

Heller las die Namen, legte den Zettel dann vor sich auf den Tisch und tat Notizbuch und Stift dazu. Er versuchte das unerträgliche Jucken zu ignorieren. Doch es wurde schlimmer mit jedem Mal, wenn er daran dachte.

»Herr Reimann, beginnen wir von vorn. Berichten Sie mir, was gestern hier auf dem Gelände geschah.«

Reimann zuckte mit den Schultern. »Eigentlich ist das schnell erzählt. Zuerst lief der Betrieb ganz normal, wie jeden Morgen. Man spürte zwar, dass es in den Leuten gärte, aber das tat es schon lange. Einige wussten, dass es in Berlin und anderswo schon Streiks gegeben hatte. Aber zur Frühstückszeit erfuhr jemand, dass es im Sachsenwerk eine spontane Versammlung gegeben hatte. Von den Sachsenwerkern waren wohl einige als Delegierte in Berlin gewesen und hatten die Proteste dort gesehen. Gegen neun, halb zehn kam eine Gruppe Arbeiter aus der Schreibmaschine zu uns rüber. Mitten hinein in die Produktion und begannen zu diskutieren. Manche wollten zu den Sachsenwerkern rüber, man hatte gehört, sie wollten losmarschieren. Einigen war das zu weit, sie fürchteten, zu wenige zu sein, und hatten Sorge, die Sowjets würden sie unterwegs zusammenschießen. So versammelten sie sich hier, und es wurden immer mehr. Martin und ich saßen im Büro und überlegten, was zu tun sei.« Reimann hielt jetzt inne, aber Heller machte umgehend eine auffordernde Handbewegung, damit er weitersprach.

»Kruppa rief im Rathaus an und forderte bewaffnete Polizei. Er weigerte sich, mit den Leuten zu reden, auch als man ihn seitens der Partei dazu aufforderte. Also gingen wir hinüber, Martin und ich.« Reimann unterbrach wieder. Stockend sprach er weiter.

»Wir versuchten die Leute zu beruhigen. Wir sagten ihnen, dass wir auf ihrer Seite stünden, aber man ließ uns kaum zu Wort kommen. Ein paar von den Männern waren entschlossen zu handeln, und aus der Menge rief sogar jemand, man solle uns aufhängen. Wir gingen weg. Also ... wir sind nicht geflohen, falls Sie das denken.« Reimann sah Heller an. »Wir haben uns einfach zurückgezogen, unsere beiden Sekretärinnen haben wir heimgeschickt. Kruppa war dann weg. Er kam erst viel später noch einmal, nachmittags. Ich weiß nicht, wo er gewesen ist, aber ich glaube, er hat sich versteckt gehalten.«

Heller sah Reimann wieder auffordernd an. »Und dann? Was geschah dann?«

»Die Stimmung heizte sich immer mehr auf, spätestens als vorn an der Hamburger zwei Laster der KVP hielten. Martins Auto wurde zertrümmert, mit Hämmern und Eisenstangen, Kruppas Wagen haben sie umgekippt. Dann gingen sie auf die Straße, den Polizisten entgegen, wollten mit denen reden. Das war wohl schon Mittag. Dann hieß es auf einmal,...
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