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Schöne Monster

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am13.09.20191. Auflage
»Heute bin ich seit sechzehn Jahren auf dieser heißen, schrecklichen Erde«, lautet der erste Satz dieses fulminanten Debütromans aus dem brodelnden Herzen Singapurs - und dann wird alles noch viel heißer und schrecklicher. »Schöne Monster« erzählt die Geschichte von drei Frauen, eine Geschichte von Betrug und Trauer, Erinnerung und der dunklen Kraft der Schönheit. Die Sprache, die Sharlene Teo dafür findet, ist hypnotisch. Und so klebrig wie die Hitze Singapurs. »Ein bemerkenswertes, außergewöhnliches Buch - Figuren voller Leben und Witz.« Ian McEwan



Sharlene Teo wurde 1987 in Singapur geboren. Sie studierte Jura und Creative Writing und wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Booker Prize Nachwuchspreis. Für »Schöne Monster« erhielt sie den Deborah Rogers Writers Award.
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Produkt

Klappentext»Heute bin ich seit sechzehn Jahren auf dieser heißen, schrecklichen Erde«, lautet der erste Satz dieses fulminanten Debütromans aus dem brodelnden Herzen Singapurs - und dann wird alles noch viel heißer und schrecklicher. »Schöne Monster« erzählt die Geschichte von drei Frauen, eine Geschichte von Betrug und Trauer, Erinnerung und der dunklen Kraft der Schönheit. Die Sprache, die Sharlene Teo dafür findet, ist hypnotisch. Und so klebrig wie die Hitze Singapurs. »Ein bemerkenswertes, außergewöhnliches Buch - Figuren voller Leben und Witz.« Ian McEwan



Sharlene Teo wurde 1987 in Singapur geboren. Sie studierte Jura und Creative Writing und wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Booker Prize Nachwuchspreis. Für »Schöne Monster« erhielt sie den Deborah Rogers Writers Award.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841218506
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum13.09.2019
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4408069
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1
Szu - 2003

Heute bin ich seit genau sechzehn Jahren auf dieser heißen, schrecklichen Erde. Ich stecke in der Schule fest. Ich drücke meine Handflächen so stark gegen die grüne Wand, dass mir die Finger weh tun. In Scham und Schande klebe ich an dieser Wand.

Ich stecke bis zum Hals in Schwierigkeiten. Und das nicht zum ersten Mal. So was passiert mir ständig. Es dauert Wochen, bis ich mich da wieder herausgearbeitet habe. Mein Gesicht hat etwas Unehrliches an sich, selbst wenn ich die Wahrheit sage. Was soll man machen, wenn man mit dem falschen Gesicht geboren wird? Ich glaube, das ist der Grund, warum die meisten Leute mich nicht sympathisch finden. Sie mögen mich nicht, sie werden nicht mit mir warm. Die anderen Mädchen auf der Schule freunden sich in Sekundenschnelle miteinander an und lachen über ihre gemeinsamen Witze.

Mit elf hoffte ich noch, dass ich mich in der Pubertät verpuppen und irgendwann zu voller Schönheit erblüht aus dem Kokon kriechen würde. Von wegen! Stattdessen Akne. Fettige Haare. Blut. Ich scheine nach der Seite meines Vaters zu kommen, den hässlichen, aschfahlen Ngs, einer Familie von Spielern und Trickbetrügern, Schmugglern und Rumtreibern. Menschen sind oberflächlich, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Ich würde hier keine Strafstunde absolvieren, wenn ich meiner Mutter auch nur das kleinste bisschen ähnlich sähe. Sie ist ein Monster, aber so schön, dass sie mit allem durchkommt. Selbst wenn sie nicht in der Nähe ist, spüre ich ihren bohrenden Blick im Rücken.

Echten Horrorfans ist sie unter ihrem Künstlernamen Amisa Tan bekannt. Sie ist die Art Frau, die nie schwitzt und auch noch nie geschwitzt hat, die nie im Leben mit vollem Mund reden würde. Sie isst wie ein Vögelchen und raucht wie ein Schlot. Als sie das Haus noch häufiger verlassen hat, wurden ihr von stammelnden Männern jeden Alters auf dem Markt Obst und Blumen dargebracht, als sei sie eine animistische Gottheit, auch ihre Einkaufstaschen wollten die Männer unbedingt tragen. Die Geschenke nahm meine Mutter entgegen, aber helfen lassen wollte sie sich nicht; die Einkäufe musste ich nach Hause schleppen. Den ganzen Heimweg über verlangsamten Vorbeifahrende das Tempo, wenn meine Mutter die Straße entlanglief - ich mit den Tüten hinterher. Die ausgeleierten Plastikgriffe gruben sich in meine Handflächen, Schultern und Unterarme schmerzten.

Momentan starre ich die Wand an, weil ich sonst einschlafe, im Stehen, wie ein Pferd. Die Wandfarbe erinnert mich an Reiseübelkeit und chemisch grüne Eiskrem. Hinter mir ist das Lehrerzimmer. Ich höre, wie die Lehrerinnen durch die schwingende Holztür ein- und ausgehen. Wenn ich aufmerksam lausche, meine ich, das Kratzen der Kugelschreiber zu hören. Kritzekratz, Antwort falsch, durchgefallen. Madame Goh und Mrs Fok und Mr Singh korrigieren gerade unsere Tests, Muttersprache und Mathematik und Chemie. Ich weiß es jetzt schon: Meine Ergebnisse werden nicht gut aussehen. Wie so oft habe ich ein richtig mieses Gefühl. Deine Noten lassen zu wünschen übrig, Szu. Du musst dich mehr anstrengen, bekomme ich von Mrs Fok zu hören, und das ist einer der Gründe für die Strafe jetzt. Außerdem störe ich angeblich den Unterricht und bin zu alt, meint Mrs Fok, um meinen Mitschülerinnen so viel dummes Zeug zu erzählen.

Elizabeth Kwee ist die Neue, die vor zwei Wochen von der St.-Magdalen-Schule zu uns gewechselt ist. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich und so süß und künstlich wie japanisches Konfekt. Mitten auf ihrer rechten Wange blüht eine Ansammlung reifer Pickel, an denen möglicherweise ein schmutziges Kopfkissen und die immer gleiche Schlafhaltung schuld sind. Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht Freundinnen werden könnten. Aber sie hat Mrs Fok gepetzt, ich würde Lügen erzählen und ihr den ganzen Tag lang »seltsame, gruselige Sachen« ins Ohr flüstern.

Das mit dem Flüstern ist wahr, besonders während des todlangweiligen Nachmittagsunterrichts. Aber »seltsam« kann ich daran nichts finden. Ich bin der normalste Mensch, den ich kenne.

Singapur liegt nur einen Breitengrad nördlich des Äquators. Die Sonne will uns umbringen, und wir leben im Zentrum des Beschusses ihrer wütenden Pfeile. Nachmittags heizt sich unser Schulgebäude auf wie die Kupferspirale in einem Backofen. Im Klassenzimmer wird es so heiß, dass jede der dreiunddreißig Schülerinnen die Hälfte ihres Körpergewichts ausschwitzt, eine Form des Leidens, die nur von den total essgestörten Mädchen als positiv und entschlackend angesehen wird. Im überhitzten Klassenzimmer riecht es nach Impulse-Deo und benutzten Damenbinden. Durch den Schweiß werden unsere gestärkten weißen Blusen durchsichtig wie Zwiebelhäute und kleben an der Haut. Grelle BH-Träger und Körbchenumrisse treten zutage wie ein Lackmustest: Neonrosa, Giftgrün, Schlafzimmerrot - unorthodoxe Farben für eine hochanständige Mädchenschule wie die unsrige. Meine BHs sind hautfarben.

Mrs Chan, unsere Seelsorgerin, hat mich dieses Schuljahr schon fünfmal umgesetzt. Alle haben die Nase voll von mir. Meine Klassenkameradinnen nennen mich Sadako, nach dem ertrunkenen Mädchen in Ring - Das Original, und wollen so wenig wie möglich mit mir zu tun haben. Allerdings nur, bis sie sich so schrecklich langweilen, dass sie beschließen, ihren Frust an mir auszulassen. Momentan tun zum Glück selbst die grausamen, perfekten Mädchen so, als wäre ich Luft.

Clara Chua, Lee Meixi und Trissy Kwok sind ein Traum aus langen Schwanenhälsen und reiner Haut, Markenrucksäcken und beiläufiger sexueller Erfahrenheit. Sie sind gefährlicher als dösende Krokodile. Unergründlich und unbesiegbar. Ihre träge blinzelnden Augen glitzern und verurteilen. Jeden Morgen vollführen sie im selben Takt dieselbe Geste: Sie drehen ihre Shampoowerbung-Haarpracht sanft zwischen den Fingern und werfen sie über die Schulter wie den Gurt eines Gewehrs.

Wir gehen auf die katholische Mädchenschule des Whampoa-Klosters der Ewig Gesegneten, aber das, was Mädchen einander antun, hat auch bei uns nichts Frommes an sich. Bloß dass hier nicht aus den Außenseiterinnen Hackfleisch gemacht wird, den komischen Trullas, mit denen niemand was zu tun haben will, sondern aus den finanziell Schlechtergestellten: denen, die sich keine schicken Schultaschen oder Turnschuhe leisten können, den Schwächlingen, den Heulsusen, die es immer allen recht machen wollen. Ich habe miterlebt, wie Mädchen fertiggemacht wurden, weil sie das Falsche gut fanden; ich habe gesehen, wie weinende Mädchen bis auf die Unterhose ausgezogen und auf die dreckigste Toilette gedrückt wurden, nur weil sie eins der Krokodile oder deren Dunstkreis beleidigt hatten. Immer ging es um fast unmerkliche Beleidigungen - die Schuldigen hatten so lange geblinzelt, dass es abwertend gewirkt hatte, hatten ironisch gehustet oder irgendetwas gesagt, das sie sich nicht gut genug überlegt hatten.

An den Heiligen Geist glaube ich nicht, aber anfangs, als ich auf die Schule kam (vor drei endlosen Jahren, im unglückverheißenden Alter von dreizehn), sagte ich jeden Morgen vor dem Durchschreiten des Tors im Rhythmus meiner Schritte dieses Gebet auf:

Ich bitte dich, Vogelscheiße,

Ich bitte euch, Bäume,

Ich bitte dich, Bürgersteig,

Ich bitte euch, Baukräne.

Möge heute niemand böse zu mir sein,

möge ich überleben.

Amen, Amen, Amen.

Das schmiedeeiserne Schultor ist im Farbton von Schaumzuckerbananen gestrichen; wahrscheinlich soll es einladend süß aussehen, dabei gibt es in Wirklichkeit kein Entkommen aus unserer Schule. Das Gebäude ist in einer brechreizerregenden Palette von Bonbonfarben gehalten, die das darin herrschende Grauen vertuschen sollen: minzgrüne Wände am Lehrerzimmer, senile Fliederfarben am Schulhof, Rougerosa und Himmelblau an den hohen, peinlichen Turmspitzen, die den Ost- und den Westflügel krönen. An dieser Schule verbringe ich mehr Zeit als an jedem anderen Ort. Ich wünschte, sie würde abbrennen, während ich schlafe.

* * *

Gestern habe ich eine Fata Morgana an der weißen Tafel gesehen. Wäre ich religiös, würde ich es eine Vision nennen. Die Schnörkel von Mrs Foks Filzstift fingen auf der Tafel an zu zucken und zu flackern wie die Lautstärkeanzeige einer Stereoanlage. Ich fühlte mich, als müsste ich entweder ohnmächtig werden oder vom Stuhl aufspringen und tanzen. In meinem Blut gab es Wallungen, in meinen Knochen kochte es vor Vorfreude, als würde etwas, auf das ich mein ganzes Leben gewartet hatte, endlich passieren - ohne dass ich dieses Etwas näher hätte benennen können. Der unstillbare Drang, mich mit Elizabeth Kwee zu unterhalten, überkam mich. Ihr rosa Öhrchen war ein Empfänger endloser Weisheit. Obwohl mein ganzer Körper hoffnungslos überhitzt war, hatte ich kalte Hände und Füße.

»Hey, Elizabeth, ich muss dir was erzählen«, flüsterte ich.

Sie hielt den Blick unverwandt auf die Tafel gerichtet.

»Hey, kann ich dir was Cooles erzählen?«

»Nein«, zischte Elizabeth. Sie trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf den Kunststofftisch. Auf der Handfläche hatte sie überall Tintenflecke. Ich lehnte mich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr.

»Meine Mutter ist ein Monster«, wisperte ich. Ich war Elizabeth ganz nah. Ich wusste, dass ich in der gnadenlosen Vierzehn-Uhr-dreißig-Hitze schrecklichen, heißen Mundgeruch hatte. Hinter uns rutschte eine...
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Sharlene Teo wurde 1987 in Singapur geboren. Sie studierte Jura und Creative Writing und wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Booker Prize Nachwuchspreis. Für »Schöne Monster« erhielt sie den Deborah Rogers Writers Award.