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Verborgen im Gletscher

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
365 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am31.10.20191. Aufl. 2019
In den Tiefen des Langjökull-Gletschers wird die Leiche eines seit Jahrzehnten vermissten Geschäftsmanns entdeckt. Damals wurde die Suche nach ihm eingestellt. Zwar war ein Kollege des Mannes des Mordes verdächtigt worden, aber die Beweise fehlten. Kommissar Konráð blieb jedoch stets von dessen Schuld überzeugt. Inzwischen ist Konráð pensioniert, aber der Fund des Vermissten lässt die Erinnerungen wieder wach werden. Und Konráð beschließt, den Fall noch einmal aufzurollen. Mit dramatischen Folgen ...mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
HörbuchCompact Disc
EUR16,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextIn den Tiefen des Langjökull-Gletschers wird die Leiche eines seit Jahrzehnten vermissten Geschäftsmanns entdeckt. Damals wurde die Suche nach ihm eingestellt. Zwar war ein Kollege des Mannes des Mordes verdächtigt worden, aber die Beweise fehlten. Kommissar Konráð blieb jedoch stets von dessen Schuld überzeugt. Inzwischen ist Konráð pensioniert, aber der Fund des Vermissten lässt die Erinnerungen wieder wach werden. Und Konráð beschließt, den Fall noch einmal aufzurollen. Mit dramatischen Folgen ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732577781
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum31.10.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Reihen-Nr.1
Seiten365 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4421658
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Drei

Konráð öffnete die Augen, als er sein Handy klingeln hörte. Er war noch nicht eingeschlafen. Schaffte es mal wieder nicht. Tabletten. Rotwein. Ungerichtete Meditation. Nichts half gegen die Schlaflosigkeit.

Er wusste nicht gleich, wo er das Handy gelassen hatte. Manchmal lag es auf dem Nachttisch. Manchmal steckte es in irgendeiner Hosentasche. Einmal hatte er es mehrere Tage nicht finden können und schließlich im Kofferraum entdeckt. Er stand auf, ging ins Wohnzimmer und folgte dem Klingeln in die Küche, wo das Handy auf dem Tisch lag. Vor dem Fenster stockfinstere Herbstnacht.

»Entschuldige, Konráð, ich habe dich sicher geweckt«, flüsterte eine Frauenstimme ins Telefon.

»Nein.«

»Ich glaube, du solltest ins Leichenschauhaus kommen.«

»Warum flüsterst du?«

»Tu ich das?«

Die Frau räusperte sich. Sie hieß Svanhildur und war Rechtsmedizinerin an der Uniklinik.

»Hast du die Nachrichten nicht gehört?«, fragte sie.

»Nein«, sagte Konráð und war jetzt hellwach. Er hatte sich mit alten Dokumenten aus dem Nachlass seines Vaters beschäftigt, was auch ein Grund gewesen war, warum er in dieser Nacht nicht hatte schlafen können.

»Gegen acht haben sie ihn hergebracht«, sagte Svanhildur. »Sie haben ihn gefunden.«

»Ihn gefunden? Wer hat wen gefunden?«

»Deutsche Touristen. Auf dem Langjökull. Ist aus dem Eis aufgetaucht.«

»Auf dem Langjökull?«

»Es ist Sigurvin, Konráð. Sigurvin ist gefunden worden. Sie haben seine Leiche gefunden.«

»Sigurvin?«

»Ja.«

»Sigurvin! Nein, das ... Was soll das heißen?«

»Nach all den Jahren, Konráð. Stell dir mal vor. Ich wollte wissen, ob du ihn sehen willst.«

»Ist das wirklich wahr?!«

»Ich weiß, das ist unglaublich, aber er ist es. Das steht außer Frage.«

Konráð war völlig überrumpelt. Svanhildurs Worte drangen wie aus weiter Ferne zu ihm, wie aus einem merkwürdigen, längst verblassten Traum. Er hatte aufgehört daran zu glauben, dass er diese Worte jemals hören würde. Das alles war einfach zu lange her. Und trotzdem hatte er diesen Anruf irgendwie jederzeit erwartet. Auf diese Nachricht aus der Vergangenheit gewartet, die nie vergangen war, sondern ihn wie ein Schatten begleitet hatte. Als es jetzt endlich so weit war, traf es ihn wie ein Donnerschlag.

»Konráð?«

»Das gibt´s doch nicht«, sagte er. »Sigurvin? Sigurvin wurde gefunden?«

Er sank auf einen Stuhl am Küchentisch.

»Ja. Sigurvin.«

»Deutsche Touristen?«

»Auf dem Langjökull. Wissenschaftler sagen, der Gletscher ist seit Sigurvins Verschwinden erheblich geschrumpft. Hörst du denn nie Nachrichten? Das ist der Treibhauseffekt. Ich dachte, du willst ihn vielleicht sehen, bevor hier morgen früh der Betrieb losgeht. Das Eis hat ihn gut erhalten.«

Konráð wusste überhaupt nichts mehr.

»Konráð?«

»Ja?«

»Du glaubst nicht, wie gut er aussieht.«

Geistesabwesend zog Konráð sich an. Bevor er zum Auto ging, warf er einen Blick auf die Uhr. Schon weit nach zwei. Er fuhr durch die leeren Straßen von Árbær. Svanhildur arbeitete seit mehr als dreißig Jahren an der Uniklinik. Sie kannten sich schon lange, und er war ihr dankbar, dass sie sich gemeldet hatte. Während der Fahrt dachte er an den Gletscher und Sigurvin und die Zeit seit seinem Verschwinden. Sie hatten Häfen, Küsten, Gräben und Schluchten, Häuser und Autos abgesucht, doch an die Gletscher hatte niemand gedacht. Er ging alle Personen durch, mit denen die Polizei seinerzeit gesprochen hatte, doch spontan konnte er sich nicht daran erinnern, dass es irgendeine Verbindung zu den Gletschern gegeben hätte.

Er bog auf die Miklabraut. Kein Auto war unterwegs. Anfang der Siebziger waren Erna und er in das kleine Reihenhaus in Árbær gezogen, doch er hatte sich dort nie wirklich wohlgefühlt. Er war eine Stadtratte, war im Schattenviertel im Zentrum von Reykjavík aufgewachsen. Erna aber war zufrieden und ihr gemeinsamer Sohn auch, er ging auf eine gute Schule im Viertel, fand Freunde und schuf sich eine Abenteuerwelt zwischen dem Hügel Ártúnsbrekka und dem Fluss Elliðaár. Konráð fand die Gegend zu vorstadtmäßig. Er sagte immer, das Viertel stünde mit nichts und niemandem in Verbindung, sei wie eine Insel im Hauptstadtgebiet, eine Siedlung der Gestrandeten. Auch der Kiosk-Kultur im Viertel konnte er nichts abgewinnen, obwohl das das Einzige war, was man überhaupt als eine Art Kultur bezeichnen konnte. Gemessen am Müll auf den Straßen wurden nirgendwo im Land mehr Lion-Riegel gegessen als in Árbær. Wenn Erna die Nase voll hatte von seinem Genörgel, ließ er grummelnd gelten, dass die schöne Flusslandschaft die triste Hauptverkehrsstraße, die um den Hügel führte, samt all den Abgasen und dem Lärm, fast wieder wettmache.

Er parkte vor dem Leichenschauhaus. Svanhildur erwartete ihn bereits an der Tür, hielt sie ihm auf und führte ihn schweigsam und mit ernstem Blick zu dem Raum, in dem die Leichen aufbewahrt wurden. Sie trug einen Kittel, eine weiße Schürze und eine Kopfbedeckung aus Netzstoff und Papier, die eher nach Bäckerei als nach Krankenhaus aussah. Während Konráðs Zeit bei der Kriminalpolizei hatten sie oft zusammengearbeitet.

»Sie haben das Eis um ihn herum mit ausgesägt und den kompletten Block hergebracht«, sagte sie und trat an einen der Obduktionstische.

Darauf lag ein großer Eisbrocken, der schnell schmolz und einen völlig unversehrten Körper freigab, als wäre der Mann gerade erst gestorben, wenn man von seiner merkwürdig fest wirkenden, glänzenden, nahezu weißen Haut absah. Die Arme lagen am Körper an, und der Kopf war leicht auf die Brust gesunken. Auf dem Boden hatte sich eine Pfütze aus Gletscherwasser gebildet, die über eine Rinne ablief.

»Wirst du ihn untersuchen?«, fragte Konráð.

»Ja«, antwortete Svanhildur. »Sobald das Eis geschmolzen und der Mann aufgetaut ist, schneide ich ihn auf. Ich gehe davon aus, dass er innerlich genauso unversehrt ist wie äußerlich. Es muss ein komisches Gefühl für dich sein, ihn mit eigenen Augen zu sehen.«

»Wurde er mit einem Hubschrauber geholt?«, fragte Konráð.

»Nein, sie haben ihn mit einem Wagen hergebracht«, sagte Svanhildur. »Die Umgebung der Fundstelle wurde auch abgesucht, das wird in den nächsten Tagen fortgesetzt. Hat sich denn niemand von der Polizei bei dir gemeldet?«

»Noch nicht. Das tun sie sicher morgen. Danke, dass du angerufen hast.«

»Das ist dein Mann«, sagte Svanhildur. »Keine Frage.«

»Ja, das ist Sigurvin. Komisch, ihn nach all den Jahren zu sehen, als wäre nichts geschehen.«

»Während wir gealtert sind«, sagte Svanhildur, »ist er irgendwie mit jedem Tag jünger geworden.«

»Verrückt«, murmelte Konráð. »Hast du eine Ahnung, wie er umgekommen ist?«

»Es könnte ein Schlag gegen den Kopf gewesen sein.« Sie zeigte auf den Kopf der Leiche, wo das Eis schon größtenteils geschmolzen war. Am Nacken war eine Verletzung zu sehen.

»Wurde er auf dem Gletscher getötet?«

»Das finden wir hoffentlich heraus.«

»Lag er genau so, flach auf dem Rücken?«

»Ja.«

»Ist das nicht merkwürdig?«

»Alles an diesem Fall ist merkwürdig«, sagte Svanhildur. »Das müsstest du doch am besten wissen.«

»Sieht nicht aus, als wäre er für eine Gletschertour gekleidet gewesen.«

»Nein. Was hast du jetzt vor?«

»Wie meinst du das?«

»Wirst du ihnen helfen, oder mischst du dich nicht ein?«

»Das kriegen die schon hin«, sagte Konráð. »Ich bin in Rente. Das solltest du eigentlich auch sein.«

»Ich langweile mich«, sagte Svanhildur. Sie war getrennt und sagte, der Gedanke, nicht mehr zu arbeiten, mache ihr Angst. »Wie geht es dir?«

»Gut. Abgesehen davon, dass ich nicht schlafen kann.«

Schweigend sahen sie dem Eis beim Schmelzen zu.

»Hast du mal von der britischen Franklin-Expedition gehört?«, fragte Svanhildur unvermittelt.

»Franklin ...?«

»Die Briten haben im neunzehnten Jahrhundert viele misslungene Expeditionen gestartet, um Segelpassagen durch das Eis nördlich von Kanada zu finden. Die berühmteste war die Franklin-Expedition. Hast du noch nie davon gehört?«

»Nein.«

Svanhildur fing sofort an, die Geschichte zu erzählen: Franklin war ein britischer Admiral, der mit zwei Schiffen zu jener Expedition aufbrach. Doch die Schiffe froren im Eis fest und verschwanden mit Mann und Maus. Zuvor waren bereits drei Matrosen an Bord gestorben und auf einem Geröllfeld im Permafrost begraben worden. Vor etwa dreißig Jahren wurden die Gräber der drei Männer gefunden, und als sie geöffnet wurden, stellte sich heraus, dass die Leichen außergewöhnlich gut erhalten waren. Sodass sie Informationen über das Leben auf See im neunzehnten Jahrhundert lieferten, worüber man bis dahin noch wenig wusste. Untersuchungen der sterblichen Überreste bestätigten bestehende Theorien über ein bekanntes Phänomen auf langen Seefahrten, das auch auf der Franklin-Expedition aufgetreten war. Man wusste, dass Matrosen auf solchen Fahrten, die oft länger als zwei oder drei Jahre dauerten, zunehmend kraftlos und matt wurden und irgendwann einfach zusammenbrachen und starben, ohne dass man eine Erklärung dafür fand. Dafür gab es unzählige, gut dokumentierte Beispiele, und es wurde über die unterschiedlichsten Ursachen spekuliert. Es entstanden verschiedene Theorien, darunter auch die...

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Autor

Arnaldur Indriðason, Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung. Heute ist er der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Romane erobern stets Platz 1 der isländischen Bestsellerliste und stehen auch bei uns nach ihrem Erscheinen immer auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Sie werden in 40 Sprachen übersetzt und sind mit renommierten Krimipreisen ausgezeichnet worden.
Verborgen im Gletscher

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt