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Alan, der Glückspilz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
172 Seiten
Deutsch
Tropenerschienen am09.11.20191. Aufl. 2019
'Lethem ist ein König der Sätze. Sein Talent ist riesig und sein Blick so scharf wie eh und je.' New York Times 'Alan, der Glückspilz' ist ein wilder Ritt ins Land der glücklosen Außenseiter. Mit gewohnt scharfem Blick und überbordendem Erfindungsreichtum schickt Jonathan Lethem seine Figuren ins Herz Manhattans und an die Steilklippen der Weltmeere. In neun betörenden, manchmal absurden und immer herzzerreißend komischen Geschichten wagt sich Jonathan Lethem vor auf das wahnwitzige Terrain bedrohter Existenzen. Familienväter in der Sinnkrise müssen sich dem drohenden Kontrollverlust genauso stellen wie berühmte Theaterregisseure in Manhattan und vergessene Comicfiguren auf einer verlassenen Insel. Wie in seinen gefeierten Romanen lauert bei Lethem das Unheimliche im Banalen, der schleichende Verlust des Selbst tröpfelt durch die hehren Zielsetzungen seiner Figuren, bis man sie auswringen kann wie einen nassen Schwamm. Dabei kostet der Autor in vertrauter Fabulierlust die Klaviatur des Erfindungsreichtums bis zur letzten Note aus.

Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane 'Motherless Brooklyn' und 'Die Festung der Einsamkeit'. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den 'National Book Critic's Circle Award', den 'Gold Dagger' und das 'MacArthur Fellowship'. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien.
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Produkt

Klappentext'Lethem ist ein König der Sätze. Sein Talent ist riesig und sein Blick so scharf wie eh und je.' New York Times 'Alan, der Glückspilz' ist ein wilder Ritt ins Land der glücklosen Außenseiter. Mit gewohnt scharfem Blick und überbordendem Erfindungsreichtum schickt Jonathan Lethem seine Figuren ins Herz Manhattans und an die Steilklippen der Weltmeere. In neun betörenden, manchmal absurden und immer herzzerreißend komischen Geschichten wagt sich Jonathan Lethem vor auf das wahnwitzige Terrain bedrohter Existenzen. Familienväter in der Sinnkrise müssen sich dem drohenden Kontrollverlust genauso stellen wie berühmte Theaterregisseure in Manhattan und vergessene Comicfiguren auf einer verlassenen Insel. Wie in seinen gefeierten Romanen lauert bei Lethem das Unheimliche im Banalen, der schleichende Verlust des Selbst tröpfelt durch die hehren Zielsetzungen seiner Figuren, bis man sie auswringen kann wie einen nassen Schwamm. Dabei kostet der Autor in vertrauter Fabulierlust die Klaviatur des Erfindungsreichtums bis zur letzten Note aus.

Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane 'Motherless Brooklyn' und 'Die Festung der Einsamkeit'. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den 'National Book Critic's Circle Award', den 'Gold Dagger' und das 'MacArthur Fellowship'. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608191950
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum09.11.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten172 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4595399
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Alan, der Glückspilz


In den Monaten, nachdem ich bei ihm vorgesprochen hatte, begegnete ich dem legendären Theaterregisseur Sigismund Blondy im Kino, in beinahe leeren Donnerstagsmatineen, wo mittelmäßige Filme ihre Erstaufführung erlebten - Kaltes Land, Die Hochzeits-Chrasher - in den verfallenden Sälen der Upper East Side, wo wir beide lebten: dem Crown, dem Clearview, dem Gemini; große Räume, in asymetrische Hälften gehackt oder durch den Balkon sogar gevierteilt. Blondy sah sich jeden Nachmittag einen Film an, so sagte er, und konnte zu jedem Titel, der einem nur einfiel, eine peinlich genaue Bewertung abgeben - meist vernichtender Natur, obgleich ich mich seiner feierlich-anerkennenden Worte zu A Sound of Thunder entsinne, einem Zeitreise-Film mit Ben Kingsley, dessen Spiel ihm gefallen hatte. Ich sah Blondy, wenn das Licht wieder anging - allein, den roten Schal und fahl-eleganten Mantel über den Sitz neben sich ausgebreitet, die langen Beine über Kreuz - unverhohlen erfreut, mir bereits zuwinkend, wenn er mich zuerst gesichtet hatte. Blondy trug Graubraun und Pastelltöne, Cordhosen oder Pluderhosen wie ein Tänzer; im Winter hatte er Löcher in den Strickhandschuhen, im Sommer trug er einen billigen Panamahut. Er ragte hoch auf, bewegte sich geschmeidig und plötzlich und verschwand für gewöhnlich, bestand das Risiko, dass man ihn jemandem vorstellen könnte. Bald fing ich an, nach Blondy Ausschau zu halten, wann immer ich ein Kino betrat, egal ob allein oder nicht. Häufig entdeckte ich ihn. Nebeneinander saßen wir nie.

Falls sein Dasein als Multiplex-Stammgast nicht so recht zu Blondys Ruf als verehrtem Maestro einer speziellen Form des Miniatur-Theaters passte (namentlich Krapps letztes Tonband, aufgeführt im Fahrstuhl eines Bürogebäudes aus der Vorkriegszeit, der während der Vorstellung auf- und abfuhr, mit Blondy selbst als Krapp, für ein zusammengepferchtes Publikum von jeweils fünf oder sechs), spielte das keine Rolle, da dieser Ruf kaum in Blüte stand. Ich hatte bei ihm vorgesprochen - mich eigentlich eher bloß mit ihm unterhalten - für eine Rolle in einer Repertoire-Produktion einiger der One Thousand Avant-Garde Plays von Kenneth Koch. Dianne West saß mit uns im Hinterzimmer des italienischen Restaurants in SoHo, wo der Koch-Zyklus aufgeführt werden sollte und wo dieses evaluative Tête-à-Tête stattfand. Nüchtern verfolgte sie unser Gespräch, ihre nicht weiter kommentierte Anwesenheit war symptomatisch für Blondys Zelig-artige Infiltration der kulturellen Stadtlandschaft. Nur Wochen später erfuhr ich, dass Blondy sich mit dem Eigentümer des Restaurants überworfen und damit das Vorhaben auf Grund gesetzt hatte. Ich hatte gewartet, monatelang, war davon ausgegangen, dass das Projekt wiederbelebt werden würde. Irgendwann hatte ich dann angenommen, ersetzt worden zu sein und mit einem halben Auge die Times im Blick behalten und auf eine Ankündigung gewartet. Aber der Koch war nirgends aufgetaucht und auch nichts anderes. Womöglich war Blondys Lauf zu Ende. Vielleicht hing er aber auch nur vorübergehend in der Luft, vollständig in seinen Grübeleien verloren. Und dann, in den darauffolgenden Monaten, war er nach und nach zu meinem Kino-Doppelgänger geworden.

Offiziell besiegelt wurde das Ritual, als er mich zum ersten Mal nach dem Film auf ein Glas Rotwein einlud, so als ginge es an diesem Nachmittag ohnehin eigentlich just darum. Zur Schlummerstunde saßen wir in irgendeiner Weinbar an der Madison oder Second Avenue, unvermeidbarerweise neben jenen, die auf ihre Verabredungen zum Abendessen warteten, jenen, die selbst mir das Gefühl gaben, alt zu sein. Ob Blondy sich je alt fühlte, konnte ich nicht abschätzen. Seine Pomphaftigkeit, die Kehrtwende-Anekdoten, seine Verachtung gegenüber naheliegenden Meinungen, legte dies nicht nahe, sondern führte bloß dazu, ihm höchste Bewunderung zu zollen. Was ich tat. Blondy glich einem Schlittschuhläufer, der seinen eigenen Fluss hinaufglitt, ein gefrorenes Band, auf das der Rest von uns womöglich einen Blick erhaschte, von der Eisbahn aus, wo wir zu blecherner Musik im Kreis fuhren. Als wir zum ersten Mal gemeinsam aus dem Kino kamen, noch bevor wir ein Glas geleert hatten, erzählte ich ihm, ich hätte mit der Schauspielerei aufgehört. Blondys vertrauliches Lächeln schien, auf nicht unsympathische Weise, sagen zu wollen, dass das sicher das Beste war. Wir sprachen selten über den Film, den wir gerade gesehen hatten; stattdessen diskutierten wir große Kunstwerke - die Rothko-Retrospektive, Fassbinders Berlin Alexanderplatz, Durells Alexandria-Quartett, was auch immer Gegenstand seiner derzeitigen Obsession war. Nachdem ich nach zwei oder drei Gläsern auf leeren Magen beduselt war - Blondy ließ sich nie eine Wirkung anmerken -, verabschiedeten wir uns auf dem Gehsteig.

Als mir irgendwann auffiel, dass ich Sigismund Blondy eine Weile nicht mehr gesehen hatte, hätte ich nicht sagen können, wie lange das nun her war. Vier Monate? Acht? Mir schien, als wäre er im Löchrige-Handschuhe-und-roter-Schal-Modus gewesen, als wir zum letzten Mal aus einem Kino hinaus- und in eine Bar hineingehuscht waren, was aber nicht sonderlich bei der Eingrenzung half. Auch jetzt bewegten wir uns erneut auf Schal-Wetter zu. Vielleicht hatte Blondy den Sommer irgendwo anders verbracht - Provincetown? - und sich entschieden, nicht zurückzukehren, und eine ortsansässige Gruppe engagiert, um in einer Hafenarbeiterkneipe oder im Foyer einer Kegelbahn Theaterstücke zu inszenieren. Sig Blondy, der große Fisch in einem kleinen Teich? Mir war kein vollkommenerer New Yorker bekannt, weshalb ich anfing, mir Sorgen zu machen.

Unsere beiden gemeinsamen Bekannten konnten unmöglich wissen, dass der Regisseur und ich gemeinsam Nachmittage verbrachten, aber als ich sie anrief - der erste hatte Blondys Nummer nicht und der zweite eine, die er für »die alte Nummer« hielt, doch dann fand er eine weitere, die er zu probieren empfahl -, war keiner auch nur interessiert genug, um nachzufragen, warum ich ihn überhaupt aufstöbern wollte. Vielleicht erinnerte man sich in letzter Zeit weniger gut an Blondy, als ich vermutet hatte. Blondy, höchstwahrscheinlich Anfang sechzig, war mir immer beängstigend vital erschienen, aber in dem Alter konnte es auch plötzlich bergab gehen. War ich, ohne es zu merken, auf irgendein stilles Abkommen gestoßen, geschlossen zwischen den stolzen Junggesellen Manhattans, sich gegenseitig Rückendeckung zu geben? In meiner rasch erblühenden Phantasie wurde aus Blondy ein armer Tropf, aus mir selbst ein Retter in der Not. Ich wählte die Nummer. Blondys Anrufbeantworter sprang gleich beim ersten Klingeln an. Ich hatte mir schon gedacht, dass er eher alte Schule war und erstmal horchte, wer überhaupt anrief.

»Grahame«, sagte er und unterbrach meine Nachricht. Sein Tonfall war generös, so als gratuliere er mir zu meinem Namen.

Ich hatte um Worte gerungen, um meine Besorgnis bündig zum Ausdruck zu bringen, versuchte nun aber, in die Defensive gedrängt, einen Witz zusammenzustoppeln. Sein Vergnügen, den Hörer mitten in meinem Gestammel abgehoben zu haben, hatte etwas von seiner Freude über unsere früheren, doppelbödigen Begegnungen in Kino-Foyers, bevor wir begonnen hatten, miteinander etwas trinken zu gehen. Was ich nun sagte, war: »Gehen Sie überhaupt nicht mehr ins Kino, oder ist Ihnen der Seniorenrabatt peinlich?«

»Oh, und ob ich gehe. Jeden Nachmittag. Bloß nicht mehr im alten Gähn-tri-Viertel.«

»Sie fehlen mir«, platzte ich heraus.

Er sei nach Downtown gezogen, erklärte er, in die Minetta Street. Versteckspiel vor aller Augen, so nannte er es. In der Vergangenheit hatte er immer wieder von seiner innigen Zuneigung zu dem Block an der Seventy-eighth Street gesprochen, wo er jahrzehntelang in einer Schnäppchenwohnung mit stabiler Miete die Stellung gehalten hatte, von seinem anhaltenden Entzücken über die Völker der Hundeausführer und Kindermädchen, mit denen er dort Kontakt gehabt habe, und einmal die Upper East Side als »die letzte Bastion des wahren Manhattan« bezeichnet. Aber ich bekam keine Gelegenheit, mich zu erkundigen, warum er ihr den Rücken gekehrt hatte. »Ich habe ein paar Fragen an Sie«, sagte er. »Wann könnten Sie hier sein?«

»Fragen?«

»Besser als das, einen questionnaire. Sie werden schon sehen.«

»Sie möchten, dass ich in die Minetta Street komme? Heute?«

»Nun, das Film Forum bringt heute Mizoguchi - Ugetsu - Erzählungen unter dem Regenmond. Schon mal gesehen?« Etwas in seinem Drangsalieren und Bezirzen erinnerte an den Regisseur...
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Autor

Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane »Motherless Brooklyn« und »Die Festung der Einsamkeit«. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den »National Book Critics Award«, den »Gold Dagger« und das »MacArthur Fellowship«. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien.

Weitere Informationen zu Jonathan Lethem finden Sie auf seiner Website www.jonathanlethem.com