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Überleben in Rios Straßen

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
142 Seiten
Deutsch
Engelsdorfer Verlagerschienen am12.07.20171. Auflage
Sie wollen wirklich, dass ich Ihnen mein Leben erzähle? Keine Ahnung, wen das interessiert, aber ich habe sowieso nichts Besseres zu tun und Sie wollen mir ja auch ein paar Riel dafür geben, also abgemacht. Geld kann jeder gebrauchen. Wie alt ich bin? 17, sehe jung aus, oder? 36? Sie sehen jünger aus. Wie 27. Okay, dann werde ich Sie duzen, dich meine ich. Wenn man von hier aus aufs Meer schaut und die fröhlichen Menschen am Strand sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass auch eine sehr hässliche Seite dieser Stadt existiert. Du bist der erste, der danach fragt und ich glaube, auch der letzte. Mein Leben war wirklich schlecht und dass ich noch nicht den Abflug gemacht und mich umgebracht habe, ist ein Wunder. Grund genug hatte ich auf jeden Fall. Ich traf Diego, 17 Jahre, Brasilianer, in einem Café in Rio de Janeiro. Er erzählte mir sein Leben, wie er aufwuchs, Straßenkind wurde und überlebte. Diego berichtet über Gewalt, Betteln, Diebstahl, Freundschaft, seine ersten Erfahrungen mit Mädchen und wie er mit einem Freund von ihm durchs Land tingelte auf der Suche nach Arbeit und einer Zukunft. Seine Geschichte fesselte mich so stark, dass es mir ein Anliegen war, diese aufzuschreiben.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR4,99

Produkt

KlappentextSie wollen wirklich, dass ich Ihnen mein Leben erzähle? Keine Ahnung, wen das interessiert, aber ich habe sowieso nichts Besseres zu tun und Sie wollen mir ja auch ein paar Riel dafür geben, also abgemacht. Geld kann jeder gebrauchen. Wie alt ich bin? 17, sehe jung aus, oder? 36? Sie sehen jünger aus. Wie 27. Okay, dann werde ich Sie duzen, dich meine ich. Wenn man von hier aus aufs Meer schaut und die fröhlichen Menschen am Strand sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass auch eine sehr hässliche Seite dieser Stadt existiert. Du bist der erste, der danach fragt und ich glaube, auch der letzte. Mein Leben war wirklich schlecht und dass ich noch nicht den Abflug gemacht und mich umgebracht habe, ist ein Wunder. Grund genug hatte ich auf jeden Fall. Ich traf Diego, 17 Jahre, Brasilianer, in einem Café in Rio de Janeiro. Er erzählte mir sein Leben, wie er aufwuchs, Straßenkind wurde und überlebte. Diego berichtet über Gewalt, Betteln, Diebstahl, Freundschaft, seine ersten Erfahrungen mit Mädchen und wie er mit einem Freund von ihm durchs Land tingelte auf der Suche nach Arbeit und einer Zukunft. Seine Geschichte fesselte mich so stark, dass es mir ein Anliegen war, diese aufzuschreiben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783961451449
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum12.07.2017
Auflage1. Auflage
Seiten142 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse285 Kbytes
Artikel-Nr.4690378
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Sie wollen also wirklich, dass ich Ihnen mein Leben erzähle? Keine Ahnung, wen das interessiert, aber ich habe sowieso nichts Besseres zu tun und Sie wollen mir ja auch ein paar Riel dafür geben, also abgemacht. Geld kann jeder gebrauchen. Wie alt ich bin? 17, sehe jung aus, oder? 36? Sie sehen jünger aus. Wie 27. Okay, dann werde ich Sie duzen, dich meine ich. Wenn man von hier aus aufs Meer schaut und die fröhlichen Menschen am Strand sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass auch eine sehr hässliche Seite dieser Stadt existiert. Du bist der erste, der danach fragt und ich glaube, auch der letzte. Mein Leben war wirklich schlecht und dass ich noch nicht den Abflug gemacht und mich umgebracht habe, ist ein Wunder. Grund genug hatte ich auf jeden Fall. Du siehst auch nicht besonders fröhlich aus, dein Leben war auch nicht schön? Na dann gib mir die Hand, Bruder. Meines war sicher schlechter, jede Wette, aber ich erzähle dir gleich davon. Willst du was trinken? Ich habe Saft und Wasser, setzen wir uns einfach auf den Balkon. Frag mich lieber nicht, wie ich zu dieser Wohnung kam, ich erzähle dir später davon. Also, ich stamme nicht aus dieser Stadt, sondern vom Land, wie mehr als die Hälfte aller Bewohner von Riokannst du dir vorstellen, wie viele Leute jetzt hier wohnen? Niemand weiß das genau, besonders in den Favelas kann man keine Zählung vornehmen. Seit ich vier bin, glaube ich. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt, ich wuchs bei meiner Tante auf, da sich mein Vater aus dem Staub gemacht hatte. Die war in Ordnung, aber hatte immer wechselnde Freunde. Durch die Bank Arschlöcher, glaube mir. Seit ich drei war, wurde ich regelmäßig von denen verhauen. Wegen Kleinigkeiten. Wie konnte ich mich zur Wehr setzen? Mir blieb nur die Flucht. Ich flüchtete aus der Favela, wo wir hausten. Vorher klaute ich dem Typen aber noch das wenige Geld, das er hatte und nahm einen Kleinbus Richtung Stadt. Mann, war das überwältigend! Kennst du das Gefühl, wenn du zum ersten Mal irgendwo bist und kannst deinen Mund nicht schließen? Genau so erging es mir. Am Anfang schlug ich mir erstmal den Bauch voll und lief ans Meer, spülte mir die Angst durch die Wellen weg. Glaub mir, ich war so froh, dass ich keinen Schlägen mehr ausgesetzt war. Endlich weg von allem Schlechten, wie ich hoffte. Es war herrlich, unter Wasser zu sein, so schwerelos und weit weg von dem Lärm und dem Gestank der Stadt. Bin so oft ich konnte immer zum Strand gegangen und mehr als einmal wollte ich auch im Meer bleiben- in den Armen des Ozeans. Klingt das poetisch? Aber ich habe in meinem Leben nur ein Buch gelesen, kann mich kaum konzentrieren. Jorge Amado. Die ganzen Autoren sind mir egal, von wegen Pflichtlektüre und so was. Du hast sicher mehr gelesen, als ich. Ach, auch keine Klassiker? Du wirst mir langsam sympathisch.

Wo war ich? Ach ja, am Strand, leider musste ich mir ein Versteck suchen, ich war ja so klein, habe aber bald gemerkt, dass ich nicht der einzige Rotzlöffel war, es gab so viele wie mich und natürlich auch Kämpfe ums Betteln und die besten Plätze. Wir mussten immer vor der Polizei auf der Hut sein. Die erste Woche, als ich alleine war, schloss ich mich ein paar anderen Jungs an, die in einem alten Haus wohnten. Altes Haus bedeutet, ne Bruchbude, also eher eine Ruine, wo die Pflanzen schon aus dem Boden wuchsen, alles verfallen. Aber man war dort vor den Bullen sicher. Manchmal kamen irgendwelche Obdachlosen, die einfach in dem kleinen Garten pennten. Wir behaupteten uns aber, denn wir mussten eine sichere Bleibe haben. Aber sicher war es natürlich nicht! Wo ist es schon sicher in Rio? Selbst hier muss ich immer die Wohnung verriegeln, es wurde auch schon mal eingebrochen. Der Junge? Er ist neun Jahre alt, ich hab ihn von der Straße aufgelesen, weil er mich an mich als Kind erinnerte und daran, dass mir damals niemand half. Er trug schmutzige Kleider, als ich ihn traf und schnüffelte Klebstoff. Den hab ich ihm weggenommen und kaufte ihm stattdessen eine große Portion Fisch und Reis. Alle Leute schauten doof und glotzten uns an. Ich schrie Ihnen zu, dass sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern sollten. Es regt mich immer noch so auf! Diese reichen Säcke haben alles und starren auf mich und den Jungen! Ich nahm ihn zu mir, sprach ihm gut zu- hier habe ich zwei Zimmer und er wohnt hier seit einem halben Jahr. Nein, er geht nicht zur Schule. Wenn du wüsstest, was er erlebt hat, würdest du ihn auch nicht zur Schule schicken. Sicher bin ich nicht perfekt, aber ich spiele mich nicht als sein Vater auf, er sieht mich als sein großer Bruder, ich koche, habe ihm ein paar Kleider und Schuhe gekauft und rede mit ihm. Er hat nicht mehr mit dem Klebstoff angefangen und wir spielen oft Karten. Ehrlich, das ist das Einzige, was mir momentan Spaß macht, also ihm zu helfen und zu hoffen, dass er es schafft. Er lief trotzdem zweimal weg, aber er kam immer zurück. Ich hab ihm keine Vorwürfe gemacht, das hätte sowieso nichts gebracht. Aber seit vier Monaten ist er nicht mehr fortgelaufen. Kinder der Straße mögen ihre Freiheit. Klar, vielleicht, wenn er irgendwann in die Schule will, aber alles braucht Zeit, Mann. Ich werde ihn nie zwingen. Manchmal kommt eine Nutte her, mit der hab ich dann ein bisschen Spaß. Nun schau doch nicht so, warst du etwa nie bei einer? Ich hab bei Mädchen nicht so viele Chancen, keine Ahnung warum. Hatte nur einmal eine Freundin, als ich 14 war, aber wir trennten uns bald. Später mehr dazu. Was bist du für ein Sternzeichen? Ach, genau wie ich. Warte mal, ich will ihm kurz was zu essen kochen, er hat Hunger. Komm doch rein, dann essen wir alle zusammen. Nichts Besonderes, Spaghetti. Das essen wir doch alle gern. João, das ist ein Deutscher, der meine Geschichte hören will. Verrückt, oder? Wir haben nur schlechtes zu berichten und er will ein Buch schreiben darüber. Ich mach mich nicht lustig über dich, aber ein bisschen Humor musst du mir zugestehen, in Ordnung? Ja klar, João, kannst du eine CD einlegen, irgendwas, dann fühlt er sich wie zu Hause. Er ist nett, keine Angst. Ich glaube, er findet dich auch in Ordnung. Man soll die Spaghetti nur 12 Minuten kochen, sagen einige, aber ich lass die immer 20 Minuten auf dem Herd, dann sind sie weicher. Ist das okay für dich? Super. Nein, du brauchst mir nicht zu helfen, entspann dich einfach und leg die Füße hoch. So, noch ein wenig Tomatensause und Zwiebeln, Knoblauch und Chili. Das werden etwas scharfe Spagetti, ich richte mich nach ihm, er mag es so.

Also jedenfalls wohnten wir da eine Weile. Ich freundete mich mit Rafael an, ein Junge in meinem Alter. Er hatte nicht mal Schuhe und lief meistens barfuß rum, das machte ihm aber nichts aus. Wir wurden beste Freunde und unternahmen viel. Damit meine ich, dass wir zusammen bettelten, stahlen und oftmals die Sache ausbaden mussten. Oft gab man uns nämlich ein paar Ohrfeigen oder einen Tritt in den Hintern. Aber wir hatten trotzdem Spaß, gingen oft an den Strand und lümmelten herum, einmal badeten wir sogar nackt, aber ein paar Jugendliche legten uns danach übers Knie und wir mussten nackt wegrennen, denn sie gaben uns unsere Hosen nicht mehr. Das war eine schlechte Erfahrung, aber wir lernten daraus. Was heißt lernen, ich hasse den Ausdruck, wir wurden schlauer, sagen wir es mal so. An der Copacabana war es manchmal einfacher, an Geld zu gelangen, denn die Touristen hatten oft was übrig für uns. Das schlechte Gewissen. Wir klauten aber auch viel. Wir mussten schnell sein. Wenn man uns erwischt hätte, hätte man uns in ein Erziehungsheim gesteckt und du kannst dir sicher denken, dass man dort keine Bücher zum Lesen erhält, sondern was anderes. Wir wurden nie erwischt, außer dass man uns ab und zu was auf die Ohren gab und uns dann laufen ließ. Du bist auch weggerannt? Ach wirklich. Kann ich gar nicht glauben, wenn man dich so sieht. Doch, doch, ich glaube es dir natürlich. Ach, ich denke, es ist auf der ganzen Welt gleich. Kinder werden geschlagen, rennen weg und stürzen sich ins Unglück. Die Welt ist sowieso nicht zu retten, jedes Jahr wachsen die Slums, wie sollen alle Leute Arbeit finden und anständig bezahlt werden? Du willst alles sofort wissen, aber alles der Reihe nach, meine Geschichte soll doch auch spannend sein. So, das Essen ist fertig.

Interessant, du hast es nur bis zum Flughafen geschafft. Stell dir aber mal vor, wenn es tatsächlich geklappt hätte! Dann wärst du jetzt in Südamerika, und wahrscheinlich mausetot oder würdest in der Gosse liegen. Mit 16! Aber ich versteh dich, es ist nicht zum Lachen. Vielleicht wäre das die Erfüllung deines Traumes geworden. Auch wenn du am Ende dann gestorben wärst. Du wolltest wirklich ein Straßenkind sein. Aber du hast nie auf der Straße gelebt. Es ist verdammt hart, oder João? Siehst du, wir beide wissen, was es heißt, aber wir sind auch mit dir verbunden, weil wir alle eben eine Scheiß Kindheit hatten. Komm, lassen wir uns das Essen schmecken. Gut, dass es dir schmeckt. Ich habe auch damals nie davon, geträumt die Welt zu bereisen, neue Länder kennenzulernen. Das wäre für mich idiotisch gewesen, weil ich nur ums nackte Überleben kämpfte. Weißt du eigentlich, wie viele Kinder jedes Jahr in Brasilien ermordet werden? Niemand weiß es, aber es sind viele. Angestiftet von Regierungen, die eine saubere Stadt wollen, besonders, wenn irgendwelche internationalen Veranstaltungen im Land stattfinden. Da dürfen die Touristen nicht über Straßenkinder stolpern. Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, muss man irgendwann diese ganzen Bastarde vor ein Erschießungskommando zerren, das ist meine Meinung. Viele sind schuldig, auch die Menschen, die einfach nur zusehen, wenn gepanzerte Autos vorfahren und nichts unternehmen. Das sind doch keine Menschen, die einfach die Augen verschließen. Wie...
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