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Fräulein Gold: Scheunenkinder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am13.10.20201. Auflage
Band 2 der gefeierten Bestsellerreihe um die Hebamme Hulda Gold, die im Berlin der 1920er Jahre in rätselhafte Todesfälle verstrickt wird. 1923: Die Berliner Hebamme Hulda Gold wird zu einer Geburt ins Scheunenviertel nach Mitte gerufen. Obwohl die ju?dische Familie dort nach ihren ganz eigenen, strengen Regeln lebt, gewinnt Hulda das Vertrauen der jungen Mutter. Und als das Neugeborene nach wenigen Tagen verschwindet, macht sich Hulda auf die Suche nach ihm. Wie kann ein Kind in dieser engen Gemeinschaft einfach so verlorengehen? Je hartnäckiger Hulda den Spuren folgt, desto stärker stößt sie auf Widerstand, denn die Bewohner des Viertels haben ihre gut gehüteten Geheimnisse. Bald zeigt sich, dass die Berliner Polizei zur gleichen Zeit nach Kinderhändlern fahndet, und Hulda ahnt einen Zusammenhang. Kann Kommissar Karl North ihr helfen, das Neugeborene zu finden? Doch dann entlädt sich im Scheunenviertel der Judenhass in einem Pogrom, und Hulda selbst gerät in ho?chste Gefahr. Wo Glanz ist, ist auch Schatten: Hebamme Hulda Gold begegnet dem neuen Leben - und immer wieder auch dem Tod.

Anne Stern ist promovierte Germanistin und Historikerin und lebt in Berlin. Ihre Reihe um die Berliner Hebamme «Fräulein Gold» ist ein großer Erfolg, jeder Band ein Spiegel-Bestseller.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextBand 2 der gefeierten Bestsellerreihe um die Hebamme Hulda Gold, die im Berlin der 1920er Jahre in rätselhafte Todesfälle verstrickt wird. 1923: Die Berliner Hebamme Hulda Gold wird zu einer Geburt ins Scheunenviertel nach Mitte gerufen. Obwohl die ju?dische Familie dort nach ihren ganz eigenen, strengen Regeln lebt, gewinnt Hulda das Vertrauen der jungen Mutter. Und als das Neugeborene nach wenigen Tagen verschwindet, macht sich Hulda auf die Suche nach ihm. Wie kann ein Kind in dieser engen Gemeinschaft einfach so verlorengehen? Je hartnäckiger Hulda den Spuren folgt, desto stärker stößt sie auf Widerstand, denn die Bewohner des Viertels haben ihre gut gehüteten Geheimnisse. Bald zeigt sich, dass die Berliner Polizei zur gleichen Zeit nach Kinderhändlern fahndet, und Hulda ahnt einen Zusammenhang. Kann Kommissar Karl North ihr helfen, das Neugeborene zu finden? Doch dann entlädt sich im Scheunenviertel der Judenhass in einem Pogrom, und Hulda selbst gerät in ho?chste Gefahr. Wo Glanz ist, ist auch Schatten: Hebamme Hulda Gold begegnet dem neuen Leben - und immer wieder auch dem Tod.

Anne Stern ist promovierte Germanistin und Historikerin und lebt in Berlin. Ihre Reihe um die Berliner Hebamme «Fräulein Gold» ist ein großer Erfolg, jeder Band ein Spiegel-Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644007802
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum13.10.2020
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8845 Kbytes
Artikel-Nr.5106502
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

Sonntag, 21. Oktober 1923


«Fräulein Hulda!», rief Bert, der Zeitungsverkäufer vom Winterfeldtplatz, und winkte aufgeregt mit den Armen. Wie immer trug er ausgesuchte Kleidung, einen Flanellanzug mit passendem Bowler Hat und, da es um diese Zeit im Jahr in seinem ungeheizten Pavillon schon frisch wurde, einen schwarzen Samtmantel über der Jacke. Am Hals leuchtete die dunkelrote Seidenfliege, die anzeigte, dass heute Sonntag war.

Er wirkte, dachte Hulda und schmunzelte, als wäre er zu einem Galadiner eingeladen anstatt bei Wind und Wetter Zeitungen auf dem Platz zu verkaufen. Allerdings sah sie im Näherkommen die schäbigen Stellen auf dem weichen Stoff, die abgewetzten Ärmel des alten Mantels. Auch vor Bert machte die Krise nun einmal nicht halt. Die Not, die eigentlich bereits seit dem Beginn des Krieges anhielt, selbst wenn der längst zu Ende war, betraf auch ihn.

«Was macht die Kunst?», fragte sie, als sie bei ihm angelangt war. Die schwere Ledertasche stellte sie auf den Boden. Sie arbeitete als Hebamme im Viertel und trug ständig eine halbe Arztpraxis mit sich herum, so kam es ihr vor. Lauter Mittelchen, Tinkturen, das Hörrohr, Kompressen und Leibbinden. Auch am Sonntag, wenn andere Leute frei hatten, lief sie umher und kümmerte sich um die Wöchnerinnen, denn Neugeborene hielten sich nicht an den Kalender, und der Feierabend einer Hebamme war dem neuen Leben, das sich Bahn brach, herzlich egal. Sie rieb sich die Finger, wo der Ledergriff ihr in die Haut geschnitten hatte.

Bert kam extra aus seiner Bude heraus, verbeugte sich und küsste ihr die Hand, als wäre sie seine Ballkönigin.

«Hier geht es zu wie im Tollhaus», sagte er und strich sich über den gepflegten Moustache. «Diese Zeiten sind völlig verrückt. Es gibt schon wieder neue Geldscheine, ist das zu glauben? Also ...» Er kramte in seiner Manteltasche und hielt ihr eine Banknote hin. «Eigentlich ist es ein alter Schein. Aber der Aufdruck ist brandneu.»

Hulda nahm ihm das Geld ab und betrachtete es ungläubig. Ursprünglich war die Aufschrift 1000 Mark darauf gedruckt, doch nun stand in dicker roter Schrift 10 Milliarden darüber. Sie schnaubte, es sah absurd aus. Wie das Spielgeld eines verrückt gewordenen phantastischen Landes. Doch es war deutsches Geld, wirklich und zahlungskräftig, jedenfalls in Maßen.

Denn während noch vor wenigen Monaten niemand im Land eine solche Summe in seiner Tasche herumgetragen hätte, bekam man heute dafür gerade einmal die notwendigsten Lebensmittel.

«Ein Kunde von mir arbeitet in der Geldauslieferungsstelle in der Reichsbank», sagte Bert und schüttelte den Kopf. «Er sagt, dass sie dort das Papiergeld turmhoch auf den Tischen stapeln. Die Kuriere bringen es in Lastwagen fort. Bald ist es billiger, mit den Scheinen seine Wohnung zu tapezieren oder den Ofen anzuheizen, als etwas dafür zu kaufen.»

«Warum macht die Politik denn nichts?», fragte Hulda und runzelte die Stirn. «Wie lange soll das so weitergehen?»

«Die Politiker verbringen ihre Zeit damit, über die Lösungsmöglichkeiten zu streiten», sagte Bert. «Stresemann hat immerhin diesen unseligen Ruhrstreik beendet. Aber jetzt muss dringend eine Stabilisierung des Geldes her, sonst geht hier alles vor die Hunde.»

«Ich verstehe das nicht», sagte Hulda und fühlte sich kleinlaut, wie meistens, wenn es um die Hyperinflation ging, deren Logik ihr verschlossen blieb. Politik war ihr schon immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen, ebenso die Welt der Zahlen. Doch in diesen Zeiten war es unmöglich, der Politik auszuweichen, sie durchtränkte das Leben der kleinen wie großen Leute, ob sie es wollten oder nicht.

«Wie hat es nur so weit kommen können?», fragte sie und überflog die Schlagzeilen in Berts Auslage. Die Blätter flatterten auf Metallbügeln im Herbstwind.

«Das Geld ist wie ein Lebewesen, das uns durch die Finger schlüpft», sagte Bert. «Es lebt nach seinen eigenen Gesetzen, und wir Menschen haben diese gründlich missachtet. Der Wert der Mark ist dermaßen im Keller, dass er bald auf den Erdkern treffen dürfte.»

«Ich dachte, Stresemann würde jetzt einen Riegel vorschieben?» Irgendwo hatte Hulda davon gelesen und war beinahe stolz auf diesen kleinen Brocken Wissen, den sie in den Ring werfen konnte.

«Er ist unsere letzte Hoffnung», sagte Bert, und Hulda sah, dass seine Augen sorgenvoll und düster blickten, was nicht zu seinem freundlichen Gemüt zu passen schien. «Er muss das Ruder jetzt endlich herumreißen und dafür sorgen, dass das Land nicht wie unter einem gewaltigen Erdrutsch versinkt. Sonst weiß ich nicht, was mit uns allen geschehen wird.»

Hulda fühlte sich unbehaglich. Sie bemühte sich zumeist, das alles von sich fernzuhalten. Ihr Leben war ohnehin schon angefüllt mit den Sorgen um ihre Wöchnerinnen, mit zu viel Arbeit und Müdigkeit und Geldmangel. Und dann war da noch Karl, der geheimnisvolle Kommissar, mit dem sie im vergangenen Jahr eine Verbindung eingegangen war, die schwankte wie ein Schilfrohr im Wind. Ganz schlau wurde sie immer noch nicht aus ihm, und seine Launen wechselten wie das Berliner Wetter im April. Sie dachte an seine hellen Augen hinter den Brillengläsern mit dem Sprung, die er aus Nachlässigkeit nie ersetzte, und musste lächeln. Dann fühlte sie, wie Berts Blick auf ihr ruhte, und lief rot an.

«Eine Billion Mark für Ihre Gedanken», sagte er und lachte sein hintergründiges leises Lachen, das sie so mochte und von dem sie gleichzeitig fürchtete, dass es mal wieder auf ihre Kosten ging. Sie kannten sich, seit Hulda ein kleines Mädchen gewesen war, und nie gelang es ihr, das Kind in sich abzuschütteln, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Als könnte sie seiner spöttischen Fürsorge niemals entgehen, selbst wenn sie hundert Jahre alt würde.

«Verzeihung, Bert. Was sagten Sie gerade?»

«Nichts weiter, als dass ich für unser schönes Land Chaos und Anarchie erwarte, unzählige Tote und einen Kampf auf Leben und Tod.»

Hulda sah ihn prüfend an. War das ein Witz oder sein Ernst? Offenbar beides gleichzeitig, dachte sie alarmiert.

«Fräulein Hulda», sagte Bert freundlich und legte ihr eine Hand auf den Arm. «Ich wollte Sie nicht erschrecken. Irgendwie wird es schon weitergehen. Das muss es ja schließlich, oder?»

Sie nickte, wenig überzeugt, und sah über den Platz hinüber, wo aus der Matthiaskirche die Sonntagsgemeinde tröpfelte. Einen Moment stutzte sie, war nicht sicher, ob sie richtig sah. Dann erkannte sie den Pfarrer in der schwarzen Soutane. Er hatte einen riesigen Wäschekorb neben sich gestellt, in den seine Schäfchen beim Hinausgehen massenweise Geldscheine warfen, als wären sie welkes Laub.

«Pfarrer von Galen sammelt die Kollekte ein», sagte Bert und blinzelte in die spärliche Oktobersonne, die sich sogleich wieder hinter grauen Wolken verbarg. «Der Klingelbeutel hat ausgedient. Und am nächsten Sonntag, wer weiß, braucht er vielleicht eine Badewanne oder gleich einen Lastwagen.»

Hulda kicherte, das Bild war zu verrückt. Doch das Lachen blieb ihr gleich darauf im Halse stecken, als sie das Paar erkannte, das nun aus der Kirche trat. Ein kräftiger Mann im braunen Anzug, der seine Schiebermütze in der Hand trug und an seinem Arm eine zierliche Blondine führte.

«Ach, der Herr Winter junior», sagte Bert, in dessen Stimme schon wieder dieses kleine Lachen schwang. «Und die entzückende Helene.»

«Das schönste Paar am Platz», erwiderte Hulda spöttisch und wandte sich scheinbar uninteressiert ab.

Doch Bert konnte sie nichts vormachen. «Blutet das Herz etwa immer noch?», fragte er mit hochgezogenen Brauen.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ein überzeugtes Gesicht aufzusetzen. «Vorbei ist vorbei.»

«Sie wiederholen sich, Fräulein», sagte Bert. «Und wer sich wiederholt, lügt, wissen Sie das denn nicht?»

«Himmel, was wollen Sie eigentlich von mir?», fragte Hulda aufgebracht. «Sie wissen doch, dass diese Geschichte mit Felix einen solchen Bart hat.» Sie zeigte mit einer Geste, wie lang der Bart war. «Außerdem bin ich ebenfalls längst vergeben.»

«Der schöne Kommissar, ich weiß schon. Wann wird er mir eigentlich offiziell vorgestellt?»

«Sie kennen ihn doch», sagte Hulda und hörte selbst, wie trotzig ihre Stimme klang.

«Aber bei dieser einen Zufallsbegegnung vor über einem Jahr, als meine Wenigkeit ihm den Weg zu Ihnen gewiesen hat, ist es geblieben.» Bert strich ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem Ärmel. «Seitdem hat man ihn hier äußerst selten zu Gesicht bekommen. Finden Sie nicht, dass ich als Ihr guter alter Freund es verdient habe, den Mann Ihres Herzens besser kennenzulernen? Es sei denn ...» Er brach ab und sah sie mit bedeutungsvollem Schweigen an.

«Was?», fragte Hulda ungeduldig und wusste doch schon, dass sie es nicht hören wollte.

«Es sei denn, Sie beide sind sich gar nicht sicher, wie es um Ihre Herzen wirklich bestellt ist.»

«Papperlapapp», sagte sie ärgerlich und winkte ab. «Sie sind eine ebenso schlimme Klatschtante wie meine Wirtin.»

«Ah, Frau Wunderlich.» In seine Augen trat ein träumerischer Ausdruck. «Sie ist eben eine Dame mit dem richtigen Gespür für die Dinge.»

«Mit Verlaub, Bert, aber ich pfeife auf Frau Wunderlichs Gespür. Und auf Ihres ebenfalls.»

Mit diesen Worten griff Hulda nach ihrer Tasche, wandte sich ab und stapfte an Berts Kiosk vorbei. Doch schon im nächsten Moment bereute sie ihren rüden Abgang, denn sie wäre beinahe mit Felix Winter zusammenstoßen, mit dem sie vor vielen Jahren verlobt gewesen war und der soeben...
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