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Wolke, Burg, See

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
608 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am16.02.20211. Auflage
Erzählungen 1933-1951 Dieser Band enthält in chronologischer Reihenfolge die reifen Erzählungen Nabokovs, die während seiner wiederholten Flucht vor den Nationalsozialisten entstanden. Viele schrieb er noch immer auf Russisch, doch löste sich Nabokov von seiner Muttersprache, schrieb eine Erzählung auf Französisch und viele in englischer Sprache. Zusammen mit seinem Sohn Dmitri übersetzte er auch viele seiner eigenen Erzählungen ins Englische. Auf diesen Fassungen beruht die Mehrzahl der deutschen Übersetzungen.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextErzählungen 1933-1951 Dieser Band enthält in chronologischer Reihenfolge die reifen Erzählungen Nabokovs, die während seiner wiederholten Flucht vor den Nationalsozialisten entstanden. Viele schrieb er noch immer auf Russisch, doch löste sich Nabokov von seiner Muttersprache, schrieb eine Erzählung auf Französisch und viele in englischer Sprache. Zusammen mit seinem Sohn Dmitri übersetzte er auch viele seiner eigenen Erzählungen ins Englische. Auf diesen Fassungen beruht die Mehrzahl der deutschen Übersetzungen.

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644007338
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum16.02.2021
Auflage1. Auflage
Seiten608 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1307 Kbytes
Artikel-Nr.5168894
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Admiralitätsnadel

SIE WERDEN VERZEIHEN, Gnädigste, aber ich bin ein ungehobelter Mensch und geradheraus und sage Ihnen daher ohne jede Umschweife: Geben Sie sich keinen falschen Hoffnungen hin, dies ist alles andere als ein Verehrerbrief. Es ist ganz im Gegenteil, wie Sie gleich feststellen werden, ein recht seltsames Epistelchen, das, wer weiß, nicht nur Ihnen, sondern auch anderen hemmungslos schriftstellernden Damen ein Denkzettel sein könnte. Zunächst jedoch eile ich, mich vorzustellen, damit meine äußere Erscheinung durchschimmere wie ein Wasserzeichen; das ist weit ehrlicher, als durch Schweigen jenen falschen Schlüssen Vorschub zu leisten, die das Auge unwillkürlich aus der Kalligraphie handgeschriebener Zeilen zieht. Nein, trotz meiner schlanken Schrift, trotz des jugendlichen Elans meiner Kommata bin ich dick und fortgeschrittenen Alters; allerdings ist diese Korpulenz nicht schlaff, sondern kernig, knackig, straff. Sie hat, Gnädigste, nicht das Geringste gemein mit den Umlegekragen des Poeten Apuchtin, dieses feisten Lieblings aller Damen. Doch genug davon. Diese wenigen Andeutungen werden Ihnen als Schriftstellerin genügen, um sich ein Bild von mir zu machen. Bonjour, Madame. Und nun zur Sache.

Vor kurzem nahm ich in einer russischen Leihbibliothek, die das analphabetische Schicksal in eine trübe Berliner Seitenstraße verbannt hat, drei oder vier Neuerwerbungen zur Hand, darunter auch Ihren Roman Die Admiralitätsnadel. Ein gefälliger Titel, und sei´s auch nur aus dem einzigen Grund, dass er, nicht wahr, im Russischen einen jambischen Tetrameter bildet - admiraltéjskaja iglá - und obendrein ein berühmter Vers Puschkins ist. Aber es war ebenjene Gefälligkeit des Titels, die nichts Gutes verhieß. Dazu bin ich gewöhnlich sehr auf der Hut vor Büchern, die in den Hinterwäldern unseres Exils, in Riga oder Reval, erscheinen. Gleichwohl nahm ich, wie ich schon sagte, Ihren Roman mit.

Ach, meine teure Dame, ach, «Herr» Serge Solnzew, wie leicht errät man doch, dass der Autorenname ein Pseudonym, dass der Autor kein Mann ist! Jeder Ihrer Sätze wird links geknöpft. Ihre Vorliebe für Ausdrücke wie «die Zeit verging» oder «frileusement in Mutters Schal gekuschelt», das unvermeidliche Auftreten eines episodischen Fähnrichs (geradewegs aus den Imitationen von Krieg und Frieden), der das R wie ein G ausspricht, und schließlich Fußnoten mit der Übersetzung französischer Sprachklischees bieten ausreichende Hinweise auf Ihr literarisches Talent. Dies ist aber erst das halbe Ärgernis.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Nehmen wir an, ich sei einmal durch eine wunderbare Landschaft gewandert, wo Wasserfälle tosten und Winden die Säulen einsamer Ruinen überwucherten, und es fiele mir nach Jahren im Hause eines Fremden eine Photographie in die Hände, auf der ich geckenhaft vor etwas posiere, das unverkennbar eine Pappmachéstele ist; im Hintergrund ist der weiße Schmierfleck eines hineingepfuschten Wasserfalls, und irgendjemand hat mir mit Tusche einen Schnurrbart verpasst. Wo stammt das Ding her? Aus meinen Augen mit dieser Scheußlichkeit! Die brausenden Wasser, an die ich mich erinnere, waren echt, und, was noch dazukommt, es hat mich dort niemand photographiert.

Muss ich Ihnen das Gleichnis auslegen? Muss ich Ihnen sagen, dass mich das gleiche Gefühl, widerlicher nur und abgeschmackter, beim Lesen Ihrer hingeschluderten Handarbeit, Ihrer fürchterlichen Nadel überkam? Mein Zeigefinger riss die ungeschnittenen Seiten auf, meine Augen hasteten die Zeilen entlang, und ich wusste nicht, ob ich ihnen trauen sollte, so verblüfft war ich.

Möchten Sie gern wissen, was los war? Zu Diensten. Als Sie schwergewichtig in Ihrer Hängematte lagen und unbekümmert mit ansahen, dass Ihre Feder die Tinte nicht halten konnte (fast ein Wortspiel), schrieben Sie, Gnädigste, die Geschichte meiner ersten Liebe. Ich sprach von Verblüffung, und da ich ebenfalls schwer von Gewicht bin, kommt zur Verblüffung die Atemnot. Jetzt ringen also Sie und ich nach Luft, denn ohne jeden Zweifel sind Sie nun auch wie vom Donner gerührt durch das Erscheinen des Helden, den Sie erfanden. Nein, Letzteres nehme ich zurück! Die Beilagen sind zugegebenermaßen Ihre, auch die Füllung und die Sauce, aber der Braten (den ich, um noch ein Wortspielchen zu wagen, gleich gerochen habe), der Braten, meine Teure, ist nicht Ihrer, sondern meiner und hat meine Schrotladung im Flügel. Ich staune: Wie und wo hätte eine mir unbekannte Dame mir meine Vergangenheit stehlen sollen? Ist es möglich, dass Sie Katja kennen - gar befreundet sind mit ihr, und dass sie Ihnen, der unersättlichen Schriftstellerin, in den Dämmerstunden unter baltischen Kiefern alles ausplauderte? Aber wie konnten Sie es wagen, woher nahmen Sie die Chuzpe, nicht nur Katjas Erzählung zu verwenden, sondern sie obendrein auch noch so hoffnungslos zu verschandeln?

Seit dem Tag, an dem wir uns das letzte Mal sahen, sind sechzehn Jahre vergangen - das Alter einer Braut, eines alten Hundes oder der Sowjetunion. Da wir von der Zeit sprechen, lassen Sie mich auf die erste, keineswegs aber schlimmste Ihrer zahllosen Schlampereien aufmerksam machen: Katja und ich waren nicht gleichaltrig. Ich war fast achtzehn, sie fast zwanzig. In altbewährter Manier lassen Sie die Heldin sich vor einem mannshohen Spiegel entkleiden, woraufhin Sie dann ihr aufgelöstes Haar, das natürlich aschblond ist, und ihre jungen Formen beschreiben. Ihnen zufolge wurden ihre kornblumenblauen Augen in Momenten der Nachdenklichkeit violett - ein botanisches Wunder! Sie ließen den Schatten schwarzer Wimpern auf sie fallen, die, wenn Sie mir einen eigenen Beitrag gestatten, gegen die äußeren Augenwinkel hin länger zu sein schienen, was ihren Augen eine ganz besondere, jedoch rein imaginäre Schräge verlieh. Katjas Figur war anmutig, sie hielt sich aber nicht gerade und zog jedes Mal, wenn sie ein Zimmer betrat, die Schultern hoch. Sie machen eine stramme Maid mit Alttönen in der Stimme aus ihr.

Es ist die schiere Folter. Ich hatte eigentlich vor, Ihre Bilder zu sammeln, die allesamt einen falschen Ton haben, und Ihnen vernichtend meine unfehlbaren Beobachtungen gegenüberzustellen, aber das Ergebnis wäre nur «albtraumartiger Unsinn» gewesen, wie die richtige Katja gesagt hätte, denn der Logos, der mir verliehen wurde, verfügt nicht über genug Kraft und Schärfe, um mich aus Ihren Verstrickungen zu lösen. Im Gegenteil, ich selber kann mich von den Leimruten Ihrer konventionellen Schilderungen einfach nicht befreien und finde auch die Stärke nicht mehr, Katja vor Ihrer Feder zu retten. Gleichwohl möchte ich, wie Hamlet, meine Argumente vorbringen und werde Sie letztlich in Grund und Boden argumentieren.

Das Thema Ihres Machwerks ist die Liebe, eine leicht dekadente Liebe vor dem Hintergrund der Februarrevolution, jedenfalls aber Liebe. Katja wurde in Olga umbenannt, und aus mir wurde Leonid. So weit, so gut! Unsere erste Begegnung am Weihnachtsabend im Haus von Freunden; unsere Rendezvous bei der Jusupow-Schlittschuhbahn; ihr Zimmer mit seiner indigoblauen Tapete, seinen Mahagonimöbeln und, als einzigem Schmuckstück, einer Porzellanballerina mit gehobenem Bein - das ist alles richtig, das alles stimmt. Nur dass Sie es geschafft haben, allem den Anstrich prätentiöser Erfindung zu geben. Wenn Leonid, Schüler am Kaiserlichen Gymnasium, sich im Parisiana, einem Kino auf dem Newskij-Prospekt, auf seinem Sitz niederlässt, verstaut er seine Handschuhe in seinem Dreispitz, während er ein paar Seiten später schon in Zivilkleidung steckt: Er nimmt seinen Bowler ab, und dem Leser steht ein eleganter junger Mann gegenüber, dessen Haar à l´anglaise genau in der Mitte seines schmalen, gelackt aussehenden Kopfes gescheitelt ist und dem ein purpurnes Tuch aus der Brusttasche hängt. Und in der Tat entsinne ich mich, dass ich mich wie der Filmschauspieler Max Linder kleidete und wie die recht großzügig aufgetragene Weshetal-Lotion mir den Skalp kühlte und wie Monsieur Pierre mit seinem Kamm maßnahm und meine Haare mit dem Schwung einer Linotype hin- und herüberschnellen ließ und wie er, wenn er mit einem Ruck den Umhang entfernt hatte, einem ältlichen Mann mit Schnurrbart zurief: «Junge! Bürste den ´errn ab!» Heute reagiert meine Erinnerung mit Ironie auf das Brusttüchlein und die weißen Gamaschen von damals, kann aber andererseits in keiner Weise jene unvergesslichen Qualen adoleszenter Rasur mit der «glatten und durchsichtigen Blässe» Ihres Leonid in Einklang bringen. Und wie Ihr Gewissen mit dessen Lermontow´schen glanzlosen Augen und aristokratischem Profil fertig wird, überlasse ich Ihnen, da davon heute wegen der nicht vorauszusehenden Verfettung ohnehin nicht mehr viel zu erkennen ist.

Großer Gott, lass mich nicht im Schlamm der Prosa dieser schriftstellernden Dame versinken, die ich nicht kenne und die ich nicht kennen will, die sich aber mit erstaunlicher Unverfrorenheit der Vergangenheit einer anderen Person bemächtigt hat! Wie können Sie es wagen zu schreiben: «Der hübsche Christbaum mit seinen chatoyant Lichtern schien Ihnen Freude, helle, jubelnde, zu verheißen»? Sie haben mit Ihrem Atem den ganzen Baum auf einmal ausgelöscht, denn ein um des innigen Tons willen nachgestelltes Adjektiv genügt, um auch der schönsten Erinnerung den Garaus zu machen. Bis zur Katastrophe, das heißt bis zum Erscheinen Ihres Buchs, war es für mich eine solche Erinnerung, wie das Licht sich in Katjas Augen kräuselte und brach und wie ein kirschroter Widerschein von dem glänzenden Puppenhäuschen aus...
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Autor

Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.Dieter E. Zimmer, geb. 1934, war freier Autor und Übersetzer. Von 1959-1999 war er Redakteur bei DIE ZEIT, davon 1973-1977 Leiter des Feuilletons, danach als Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Psychologie, Biologie, Medizin und Linguistik. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er den Preis für Wissenschaftspublizistik der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Bei Rowohlt war er u. a. als Herausgeber und Übersetzer für die Nabokov-Gesamtausgabe verantwortlich.  Dieter E. Zimmer starb 2020 in Berlin.