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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am20.08.20201. Auflage
»Ich möchte einen eigenen Atem haben.« Christoph Schlingensief. Im August 2010 verstarb Christoph Schlingensief, dessen Arbeit als Film-, Theater- und Opernregisseur, als Schauspieler, Autor, bildender Künstler, TV-Entertainer und politischer Aktivist bis heute unvergessen ist. Von Beginn an hat Christoph Schlingensief zu seinen unzähligen Projekten immer wieder und ausführlich in Interviews und Gesprächen Stellung genommen und dabei das Sprechen über seine Arbeit stets auch als wesentlichen Teil seiner vielfältigen Aktionen verstanden. Aus diesen Gesprächen hat Christoph Schlingensiefs Ehefrau und Mitarbeiterin Aino Laberenz eine Auswahl erstellt, durch die Christoph Schlingensiefs einzigartiges Verständnis von künstlerischer Arbeit und die wichtigsten Stationen seiner Künstlerbiografie sofort wieder lebendig werden: die Filme, die Theaterarbeiten, seine Parteigründung »Chance 2000«, seine Wagner-Inszenierungen in Bayreuth, seine Wiener »Ausländer raus«-Containeraktion, die »Kirche der Angst«, sein »Operndorf Afrika«.

Christoph Schlingensief, geboren 1960 in Oberhausen, gestorben 21.8.2010, begann im Alter von 12 Jahren mit Schmalfilmen zu experimentieren. Studium in München, als Assistenz von Werner Nekes erste Kurzfilme. Ab 1993 Theaterarbeiten, u.a. an der Volksbühne Berlin. Teilnahme an der documenta X (»Mein Filz, mein Fett, mein Hase«) und posthum 2011 an der Biennale in Venedig, Deutscher Pavillon (kuratiert von Susanne Gaensheimer, in Zusammenarbeit mit Aino Laberenz). Bücher bei Kiepenheuer & Witsch: »Chance 2000 - wähle Dich selbst« (mit Carl Hegemann, 1998), »Rosebud« (2002), »So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch eines Krebskranken« (2009), »Ich weiß, ich war's« (mit Aino Laberenz, 2012).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Ich möchte einen eigenen Atem haben.« Christoph Schlingensief. Im August 2010 verstarb Christoph Schlingensief, dessen Arbeit als Film-, Theater- und Opernregisseur, als Schauspieler, Autor, bildender Künstler, TV-Entertainer und politischer Aktivist bis heute unvergessen ist. Von Beginn an hat Christoph Schlingensief zu seinen unzähligen Projekten immer wieder und ausführlich in Interviews und Gesprächen Stellung genommen und dabei das Sprechen über seine Arbeit stets auch als wesentlichen Teil seiner vielfältigen Aktionen verstanden. Aus diesen Gesprächen hat Christoph Schlingensiefs Ehefrau und Mitarbeiterin Aino Laberenz eine Auswahl erstellt, durch die Christoph Schlingensiefs einzigartiges Verständnis von künstlerischer Arbeit und die wichtigsten Stationen seiner Künstlerbiografie sofort wieder lebendig werden: die Filme, die Theaterarbeiten, seine Parteigründung »Chance 2000«, seine Wagner-Inszenierungen in Bayreuth, seine Wiener »Ausländer raus«-Containeraktion, die »Kirche der Angst«, sein »Operndorf Afrika«.

Christoph Schlingensief, geboren 1960 in Oberhausen, gestorben 21.8.2010, begann im Alter von 12 Jahren mit Schmalfilmen zu experimentieren. Studium in München, als Assistenz von Werner Nekes erste Kurzfilme. Ab 1993 Theaterarbeiten, u.a. an der Volksbühne Berlin. Teilnahme an der documenta X (»Mein Filz, mein Fett, mein Hase«) und posthum 2011 an der Biennale in Venedig, Deutscher Pavillon (kuratiert von Susanne Gaensheimer, in Zusammenarbeit mit Aino Laberenz). Bücher bei Kiepenheuer & Witsch: »Chance 2000 - wähle Dich selbst« (mit Carl Hegemann, 1998), »Rosebud« (2002), »So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch eines Krebskranken« (2009), »Ich weiß, ich war's« (mit Aino Laberenz, 2012).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462321760
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum20.08.2020
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse2330 Kbytes
Artikel-Nr.5171234
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

16 Jahre Messdiener waren nicht umsonst


Anlass: »Terror 2000«

Mit Anke Leweke und Christiane Peitz

In: tip 2/93

Berlin, 1993


 

HUNDERT JAHRE ADOLF HITLER, DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSAKER und jetzt TERROR 2000 - warum diese Trilogie?

 

Ich sehe mich in der Tradition des Neuen Deutschen Films. Der ist mal angetreten mit dem Vorsatz, Filme zu Deutschland zu machen, innovativ zu sein, aber dann wurde er sehr wehleidig. Der Autor ruft mea culpa, und die Kritiker nicken. Trotzdem sehe ich mich in dieser Tradition, aber ich glaube, dass meine einzige Berechtigung im Moment in der Drastik liegt: 75 Minuten mit der Faust auf die Leinwand. Als Altkatholik - 16 Jahre Messdiener sind nicht umsonst gewesen - glaube ich an den Beichtfilm. Mein Ziel ist es, irgendwann dreißig Filme zu haben, die in unterschiedlicher Form etwas über die Jahre ihrer Entstehung sagen. Der Hitlerfilm von ´88 hatte eine ganz pure Struktur, da waren wir noch auf dem Besinnungstrip. Ich hatte schon immer vor, etwas über Hitler zu machen, weil ich Hitler nur hinter Glas kennengelernt hatte. Unter der Glasglocke wird alles bloß stilisiert, also raus damit. Das ist wie eine Hostiendemonstranz, so eine Art Projektor, ich gucke auf etwas, und das strahlt zurück.

 

Damals standen die Mauern noch. Dann kam ´89 und der Mauerfall, und ich schulterte die Handkamera, es gab Blut, Stahl, Beton, DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSAKER. TERROR 2000 funktioniert eher wie ein Fernsehspiel, fast konventionell. Alles ist möglich, alles ist machbar - das sind die 90er-Jahre.

 

Stichwort Beichtfilm: Worin besteht die Beichte? Hitler war Nazi, mein Vater war Nazi, also bin ich auch ein Nazi, pervers und kriminell?

 

Die Beichte besteht in der Erkenntnis der paranoiden Logik. Dramaturgisch ist nicht alles erklärbar, aber alles passt ins Bild und geschieht mit unheimlicher Konsequenz. Das führt nicht unbedingt zum nächsten Dritten Reich, aber es kommen immer mehr private politische Entscheidungen zum Tragen, es sind immer mehr Leute unterwegs in Deutschland, teilweise in Horden, die nicht geliebt werden, nicht akzeptiert werden, ihre Funktion nicht wissen und sich wie Adelheid Streidel einen Blumenstrauß und ein Messer kaufen, ein Attentat verüben und die Sache sozusagen selbst regeln. Auch Rössner und Degowski, die Gladbecker Geiselgangster, sind losgezogen nach dem Motto »Heute Abend sind wir in der Tagesschau«. Und der Journalist darf plötzlich Verkehrspolizist spielen.

 

Ist das nicht sehr fatalistisch? Das typische linke Totschlagargument: Wir sind eh alle Nazis ...?

 

Bei mir stehen die Leichen wieder auf, das ist der Unterschied. Am Anfang sagt Rössner, der Gladbecker Geiselgangster: »Ich habe mit dem Leben abgeschlossen«, das hat er tatsächlich gesagt, und die Antwort von Degowski lautet: »Mir juckt die Schnauze«. Das ist doch wunderschön. Ich bin kein Fatalist, sondern Katholik. Ich möchte, dass es einen Sinn macht. Und der Staat ist nicht mehr in der Lage, Sinn zu stiften.

Mauern sind nicht schlecht, als Katholik glaube ich, wir brauchen neue Mauern. Nicht die Berliner Mauer, aber die im Kopf, denn sie helfen beim Erkenntnisprozess. Im Moment habe ich den Eindruck, wir erleben die Siebzigerjahre noch einmal. Alle machen, was sie wollen. Wir können Asylantenheime überfallen, die Polizei macht was sie will, die Regierung auch. Das finde ich sehr gefährlich.

 

Das klingt ja sehr staatstragend.

 

TERROR 2000 staatstragend?

 

Klar, wenn man davon ausgeht, dass die Horden nicht zu bändigen sind, braucht man einen starken Staat.

 

Ich mache meine Filme mit einer gewissen Naivität. Wenn Rostock vorher passiert wäre, wäre der Film so nicht zustande gekommen.

 

Woher kommen die Bilder?

 

Splatterfilme kenne ich kaum; ich träume zwar sehr viel, aber ich weiß meine Träume abends nicht mehr. Ich reiße auch keine Zeitungen auseinander und klebe das in ein Poesiealbum. Aber ich mache gern ein Kino der Handgreiflichkeiten. Mich fasziniert das Gesicht von Alfred Edel eben mehr als das von Brandauer.

 

Ich gehe beim Drehen immer so vor, dass ich einen Drehort suche, der das Team isoliert und die Aufnahmesituation sehr konzentriert. Ursprünglich wollte ich in der CSFR drehen, fuhr los, hatte kein Benzin mehr, 40 km von Berlin entfernt, bin rausgefahren in Massow, Behelfsausfahrt. Da gab es eine Tankstelle, einen Quelle-Restposten-Shop, mit Fähnchen, alles ein bisschen amerikanisch. Wir haben dann dort auf ehemaligem NVA-Gelände gedreht, der Felix-Dzerzinski-Kaserne, genau da, wo wohl auch mal RAF-Leute ausgebildet wurden. Drei, vier der übrig gebliebenen NVAler haben uns unterstützt. Sie können alles besorgen, haben sie gesagt, braucht ihr einen Panzer, kein Problem. Wir haben alle dort gewohnt - 9,50 DM pro Zimmer mit Gemeinschaftsdusche, da hat sich sowohl die Baronin (Irmgard Freifrau Baronin von Berswordt-Wallrabe) geduscht als auch Peter Kern. Gegessen haben wir in der Raststätte, Schweinehack und Salatteller.

 

Wie kam die Kombination Gladbecker Geiseldrama und Asylantenhatz zustande?

 

In beiden Fällen handelt es sich um private politische Entscheidungen. Und dann ist der Film ja Wiebke gewidmet, der Geisel, die am Ende abgeknallt wird. Sie ist Geisel von Gangstern, die auch zu Geiseln werden. Auch ein Asylbewerber ist eine Geisel in unserem Land, der ausgeliefert und benutzt wird, bis er nicht mehr kann oder nicht mehr will, andererseits gilt er in seinem eigenen Land als Gangster und musste von dort fliehen. Es geht immer darum, dass man in ein System reinrutscht, in dem man nicht sein will: der Mensch als Geisel im Gestrüpp der Ereignisse.

 

TERROR 2000 ist eine Co-Produktion von WDR und NDR. Wird er im Fernsehen laufen?

 

Es ist keine reine Fernsehproduktion. Gefördert wurde TERROR 2000 vom Filmbüro Hamburg, von der Berliner Filmförderung, vom Filmbüro Nordrhein-Westfalen, vom WDR und NDR. Das Fernsehen hat von Anfang an großes Theater gemacht. WDR-Redakteur Joachim von Mengershausen, der ja auch »Heimat« betreut hat oder Wenders-Filme, mag meine Sachen und unterstützt sie als etwas Fremdartiges, etwas, was er selbst so nie machen würde. Die meisten Redakteure unterstützen nur, was auf ihrer eigenen Linie liegt, denn eigentlich möchten sie selbst Regisseure sein. Deshalb haben wir ja so viel schlechtes Fernsehen. Und dann gab es noch Eberhard Scharfenberg und Doris Heinze beim NDR. Ich bekam die Auflage, dass ein Rechtsanwalt das Drehbuch überprüft. Daraufhin schalteten wir einen neutralen Rechtsanwalt ein, der ein Gutachten erstellte, ob die Gladbeck-Nummer öffentlich-rechtliche Belange oder Persönlichkeitsrechte verletzt.

Dann gab es lange Telefonate mit dem WDR-Fernsehspiel-Chef Gunter Witte wegen der Szene mit dem Innenminister. Ursprünglich saß er im Rollstuhl, und Witte meinte, das sei ja wohl Schäuble, der sei vielleicht umstritten, aber es sei doch ehrenhaft, dass er weiter so viel tätig sei. Ich meinte: »Was halten Sie davon, wenn er auf Krücken geht?« So haben wir uns auf Krücken geeinigt.

Schließlich hieß es, ich müsse eine fernsehautorisierte Fassung erstellen. Darauf ließ ich mich ein unter der Bedingung, dass ich den Film nicht beschneiden muss, denn er funktioniert meiner Ansicht nach wie eine Sehschule. Man kommt ins Kino, ist anfangs erheitert, dann irritiert und gerät allmählich ins Netz. Das muss erhalten bleiben. Ich habe gesagt, sie sollen mir die Stellen sagen, die sie nicht mögen, darauf lege ich dann Raster wie bei Spiegel TV, mache einen Balken auf den Priester oder lösche den Ton, und dann gibt es 15 Minuten Raster plus Piepser und das um 23 Uhr oder später, ist mir alles recht. Darauf hat Witte sich eingelassen.

 

Der Film wird wirklich so, gewissermaßen zensiert, im Fernsehen laufen?

 

Das ist noch unklar. Das Theater geht seit vergangenen Mai. Es gab eine Vorführung der Roh-Kassette beim NDR, daraufhin schaltete sich dort der Programmchef ein und sagte: Horrorvideo, unsendbar. Dann machte Witte einen Rückzieher, meinte: Blasphemie, Rundfunkgesetz. Seit Kohls offenem Brief wegen Philip Grönings »Terroristen« ist nun auch der Rundfunkrat hellhörig geworden....
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Autor

Christoph Schlingensief, geboren 1960 in Oberhausen, gestorben 21.8.2010, begann im Alter von 12 Jahren mit Schmalfilmen zu experimentieren. Studium in München, als Assistenz von Werner Nekes erste Kurzfilme. Ab 1993 Theaterarbeiten, u.a. an der Volksbühne Berlin. Teilnahme an der documenta X (»Mein Filz, mein Fett, mein Hase«) und posthum 2011 an der Biennale in Venedig, Deutscher Pavillon (kuratiert von Susanne Gaensheimer, in Zusammenarbeit mit Aino Laberenz). Bücher bei Kiepenheuer & Witsch: »Chance 2000 - wähle Dich selbst« (mit Carl Hegemann, 1998), »Rosebud« (2002), »So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch eines Krebskranken« (2009), »Ich weiß, ich war's« (mit Aino Laberenz, 2012).Diedrich Diederichsen, geb. 1957 in Hamburg, ist Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In den 80er Jahren war er Redakteur bei den Musikzeitschriften Sounds und SPEX, seit den 90ern arbeitet er als Hochschullehrer u. a. in Stuttgart, Frankfurt, Wien, Pasadena, St. Louis, Los Angeles. Bei KiWi erschienen seit 1985 neun Bücher (u. a. »Sexbeat«, »Politische Korrekturen«, »Über Popmusik«).