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Marilyn und ich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
HarperCollinserschienen am27.10.20201. Auflage
Reichen vier Tage, um ein Leben zu retten?
Korea 1954: Bereits seit einem Jahr herrscht eine fragile Waffenruhe in dem zerrütteten Land. Doch das Leben der Menschen ist nach wie vor überschattet von den Kriegswirren. Da wird Alice, eine junge Übersetzerin, die für die Amerikaner arbeitet, als Dolmetscherin für einen illustren Gast auserkoren: Marilyn Monroe wird vier Tage lang durch Korea reisen, um die amerikanischen Truppen zu unterhalten. Vier Tage, in denen sich der Hollywood-Star und die vom Krieg gezeichnete Übersetzerin kennen und verstehen lernen. Vier Tage, in denen Alice sich an der Seite der lebenshungrigen Schauspielerin ihren traumatischen Erinnerungen stellt. Doch wie soll Alice nach allem, was passiert ist, wieder in eine Normalität zurückkehren?
»Lees berührende Untersuchung des langen Schattens, den ein Krieg auf das Leben einer Frau wirft, bewegt beim Lesen zutiefst.«
Publishers Weekly


1974 in Seoul geboren, wuchs Ji-min Lee in einer Zeit politischer Unruhen auf. So verbrachte sie bereits als Kind viel Zeit in literarischen Parallelwelten und ging mit ihrem Studium der Literatur- und Filmwissenschaften ihrer Leidenschaft nach. Ji-min Lee schreibt Drehbücher und Romane, sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Seoul.
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Produkt

KlappentextReichen vier Tage, um ein Leben zu retten?
Korea 1954: Bereits seit einem Jahr herrscht eine fragile Waffenruhe in dem zerrütteten Land. Doch das Leben der Menschen ist nach wie vor überschattet von den Kriegswirren. Da wird Alice, eine junge Übersetzerin, die für die Amerikaner arbeitet, als Dolmetscherin für einen illustren Gast auserkoren: Marilyn Monroe wird vier Tage lang durch Korea reisen, um die amerikanischen Truppen zu unterhalten. Vier Tage, in denen sich der Hollywood-Star und die vom Krieg gezeichnete Übersetzerin kennen und verstehen lernen. Vier Tage, in denen Alice sich an der Seite der lebenshungrigen Schauspielerin ihren traumatischen Erinnerungen stellt. Doch wie soll Alice nach allem, was passiert ist, wieder in eine Normalität zurückkehren?
»Lees berührende Untersuchung des langen Schattens, den ein Krieg auf das Leben einer Frau wirft, bewegt beim Lesen zutiefst.«
Publishers Weekly


1974 in Seoul geboren, wuchs Ji-min Lee in einer Zeit politischer Unruhen auf. So verbrachte sie bereits als Kind viel Zeit in literarischen Parallelwelten und ging mit ihrem Studium der Literatur- und Filmwissenschaften ihrer Leidenschaft nach. Ji-min Lee schreibt Drehbücher und Romane, sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Seoul.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783959675871
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum27.10.2020
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5227959
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
EIN TAG IN SEOUL MIT FRÄULEIN ALICE
12. Februar 1954

Während ich zur Arbeit gehe, denke ich an den Tod.

Ich weiß, die wenigsten, die hier in Seoul zur Arbeit gehen, sind glücklich. Aber bestimmt fühlt sich kaum jemand so miserabel wie ich. Letzte Nacht suchten mich im Schlaf wieder grässliche Erinnerungen an den Tod heim. Ich wand und krümmte mich, wie eine Jungfrau, die ihre Unschuld schützen will, aber es war zwecklos. Ich wusste, dass nur eine luftige Baumwolldecke auf mir lag, dennoch strampelte ich mit den Beinen, um sie abzustreifen, als handle es sich um einen Mann, einen Sargdeckel oder die schwere Last der Erde, die in Gräber geschaufelt wird. Trost in dem Gedanken findend, dass die Nacht irgendwann enden und ich dem Tod nicht auf diese Weise gegenübertreten würde, gelang es mir, bis zur Morgendämmerung im Bett auszuharren. Nach der durchlittenen Nacht fühlte ich mich wie die Nylonstrumpfhose, die ich über den Schminktisch gelegt hatte, abgenutzt, aber zäh. Um wenigstens einigermaßen passabel auszusehen, kleisterte ich mich so grell mit Puder zu, dass sich die Dunkelheit, die mich belagerte, erschrocken verzog. Ich schlüpfte in die Strümpfe, meine Kleider und die fingerlosen Handschuhe aus schwarzer Spitze. Wie ich wohl ausgesehen habe, als ich so in aller Herrgottsfrühe auf die Straße trat, wo der eisige Februarwind meine Waden schonungslos peitschte? Hübsch wirkte diese Person wohl kaum, unter der dicken Schicht Make-up und mit Beinen, die vor Kälte zitterten wie Espenlaub. Schön war sowieso die letzte Eigenschaft, die man mit mir in Verbindung brachte. Erduldend passte besser zu mir, hübsch keinesfalls. Wer schön sein will, muss leiden, irgendwo habe ich diesen Satz gelesen, und ich befinde mich seit Jahren im Selbstversuch, wenngleich ohne große Hoffnung.

Wie gewöhnlich blicken mich die Menschen in der Straßenbahn verstohlen an. Missbilligend, versteht sich. Ich bin Alice, Alice J. Kim - meine aschgrauen Haare wasche ich mit Bier und verstecke sie unter einem violett gepunkteten Kopftuch. Ich trage einen schwarzen Wollmantel und dunkelblaue, an den Spitzen abgewetzte Schuhe aus Veloursleder, dazu Handschuhe, die an einen schwarzen Schleier erinnern, wie man ihn zu Begräbnissen aufhat und dem man nicht zu nah kommen möchte. Die Menschen mögen mich nicht, weil ich aussehe wie eine Puppe, die ein Mädchen aus dem Westen weggeworfen hat, nachdem es ihrer überdrüssig geworden ist. Wahrscheinlich, weil ich nicht in diese Stadt passe, in der vor Kurzem noch der Krieg wütete. Und weil ich zugleich ganz hervorragend zu ihr passe.

Kaum bin ich aus der Straßenbahn ausgestiegen, verfalle ich in einen raschen Schritt. Der Weg zur amerikanischen Militärbasis ist keineswegs zum müßigen Flanieren geeignet. Am Himmel über den matschigen Wegen kräuseln sich weiße Dunstschwaden. Wie Arbeiterinnen in der Hölle kochen Frauen Wäsche von amerikanischen Soldaten, den heißen Dampf, der aus halbierten Fässern aufsteigt, schweigsam hinunterschluckend. Ich wende schnell den Kopf ab, um Blickkontakt mit den Waisenkindern zu vermeiden, die gekürzte Militärkleidung tragen. Angesichts des verzweifelten Hungers in ihren klugen Augen ziehen sich mir die Eingeweide zusammen. Ich ignoriere die derben Scherze der Schuhputzer, die mich für eine Hure der Amerikaner halten, und betrete eilig den Stützpunkt. Unter den hellen morgendlichen Sonnenstrahlen glänzt Schnee auf den halbrunden Blechdächern der Nissenhütten. Sobald ich die Tür meines Büros öffne, strömt mir warme Luft entgegen. Die friedliche Behaglichkeit steht im krassen Gegensatz zur Welt da draußen. Die schwarze Underwood-Schreibmaschine thront artig auf dem Tisch und wartet wie ein Klavier darauf, dass ich die erste Taste anschlage. Zunächst setze ich jedoch Wasser auf. Eine Tasse Kaffee im Büro ist mein einziges Frühstück. Es klingt vielleicht lächerlich, aber wenn ich behauptete, der Kaffee habe nichts damit zu tun, dass ich für die amerikanische Armee arbeite, würde ich lügen. In der Ablage liegen bereits neue Dokumente, die ich heute wahlweise ins Englische oder Koreanische übertragen muss. Sie sind genau so formuliert, dass ich sie mit meinen Englischkenntnissen erledigen kann. Einfache und unwichtige Dinge. Als Erstes muss ich dem Sicherheitsministerium die Absicht mitteilen, dass die 8. Division des amerikanischen Armeekorps an den Zeremonien zum »Tag des Baums« teilnehmen will. Anschließend steht ein Bericht über die Planung des koreanisch-amerikanischen Freundschaftsturniers im Baseball an, das am amerikanischen Unabhängigkeitstag stattfinden wird. Kurz gesagt, ich tue alles Mögliche, was der Freundschaft zwischen den beiden Ländern keinen sonderlichen Nutzen bringt.

»Es ist saukalt, Alice. Seoul ist genauso kalt wie Alaska.« Hammett reißt die Tür weit auf und tritt mit seinem typischen breiten Grinsen ein.

»Alaska? Waren Sie schon mal da?«, erwidere ich, die Stirn wie immer dicht über der Schreibmaschine.

»Habe ich Ihnen nie davon erzählt? Dass ich eine Weile in Alaska stationiert war, bevor ich nach Camp Drake bei Tokio kam? Ein kleiner Vorposten war das, ein Stützpunkt namens Cold Bay. Dort war es wirklich kalt und trostlos. Genau wie hier.«

»Das will ich sehen.« Ich versuche mir eine Gegend auszumalen, die von Gott ebenso im Stich gelassen wurde wie Seoul, doch mir fehlt die Vorstellungskraft.

»Alice, ich habe großartige Neuigkeiten!«, ruft Hammett plötzlich und schlägt mit der Faust auf den Tisch.

So aufgeregt habe ich ihn noch nie gesehen. Vor Schreck drücke ich mehrfach auf die Y-Taste. Vogelspuren wandern über das Papier.

»Sie wissen doch, dass Marilyn Monroe Joe DiMaggio geheiratet hat, oder? Die beiden verbringen zurzeit ihre Flitterwochen in Japan und werden auch Korea besuchen! Das ist so gut wie gesetzt! General Christenberry hat sie um ein Konzert für die Truppe gebeten, und sie hat angeblich zugesagt! Die Monroe kommt nach Korea!«

Marilyn â¦ Monroe. Ich rufe sie mir so, wie ich sie kenne, ins Gedächtnis. Ich sehe sie vor mir, während sie wie eine Meerjungfrau, die gerade laufen lernt, über die Leinwand stakst. Sie geht, als bestünden ihre Gelenke aus Wackelpudding, und sie lächelt, als wäre ihr das Gehirn abhandengekommen. Hammett starrt mich tadelnd an, weil ich auf die frohe Botschaft nicht so begeistert reagiere, als handele es sich um die Verkündung des Kriegsendes.

»Sie hat geheiratet?«

»Ja, Joe DiMaggio. Zwei amerikanische Idole leben nun zusammen unter einem Dach. Das war eine fette Schlagzeile!«

Ich erinnere mich vage, irgendwann in einer Zeitschrift über Joe DiMaggio gelesen zu haben. Ich weiß nicht viel über ihn, außer dass er ein berühmter Profibaseballspieler ist. Aber ich weiß zumindest, dass Marilyn Monroe und das Konzept von Ehe nicht zusammenpassen.

»Und es kommt noch besser. Man hat hier eine Angehörige der Streitkräfte als Dolmetscherin für die Monroe angefordert, und da habe ich Sie empfohlen. Sie sind zwar nicht bei der Armee, aber Sie haben ja die nötige Erfahrung. Alice, Sie begleiten die Monroe vier Tage lang als Kulturattachée. Ist das nicht großartig? Am liebsten würde ich der Monroe selbst hinterherlaufen. So wie Elliott Reid in Blondinen bevorzugt!«

Ich bin wie gelähmt vor Schreck und weiß nicht, was ich sagen soll. Dann frage ich mich urplötzlich, warum sie überhaupt in dieses verdammte Land kommt, das amerikanische Soldaten am liebsten nur mit dem Hintern ansehen würden, während sie ihrem Herrn danken, dass sie nicht hier geboren sind.

»Wir haben viel zu tun. Wir müssen mit der Band sprechen, die das Konzert begleiten soll. Außerdem müssen wir Geschenke besorgen, einen Blumenstrauß und diverse Souvenirs. Was wäre wohl passend? Traditionelles Kunsthandwerk findet sich überall. Wie wäre es - nur so als Idee -, wenn Sie ein Porträt von der Monroe malen? Stars mögen so was.«

»Por⦠Porträt?«, stottere ich. »Wenn Sie wirklich ein Porträt haben wollen, können Sie in der Bilderabteilung der PX nachfragen â¦« Ich spüre, wie ich rote Flecke am Hals bekomme.

Amüsiert darüber zeigt mein Gegenüber ein schelmisches Lächeln: »Nun â¦ der beste Porträtmaler, den ich kenne, sind Sie, ja, wirklich.«

Mein Mund ist plötzlich ganz trocken. Ich bin verlegen wie eine junge Frau, die gesteht, schwanger zu sein: »Ich â¦ ich habe schon lange nichts mehr gemalt. Und â¦ ich kenne die Dame auch nicht gut.«

Hammett kommt in Fahrt und fuchtelt mit beiden Händen in der Luft herum: »Es gibt nichts Leichteres zu malen als Gesichter von Stars. Nur wer ein leicht zu malendes Gesicht hat, wird ein Star. Sie brauchen außerdem gar nichts über sie zu wissen. Die Monroe ist, was man von ihr sieht!«

Er singt ein Hohelied auf Marilyn Monroe und macht im gleichen Atemzug einen Narren aus mir. Je peinlicher mir das alles wird, desto köstlicher amüsiert sich Hammett. Als unsere Blicke sich treffen, verschwindet die Verschmitztheit abrupt aus seinem Gesicht. Der scharfe Blick hinter seinem gutmütigen Lächeln gibt schließlich das offene Geheimnis preis, dass er ein amerikanischer Nachrichtenoffizier ist.

In ernstem Ton fragt er: »Alice, warum malen Sie nicht wieder? Soweit ich mich erinnere, sind Sie eine ernsthafte Künstlerin, mehr als Sie selbst es vielleicht ahnen. Ist es nicht so?«

Ich bin verlegen, er hat mich aus dem Takt gebracht, und ich verliere die Kontrolle auf der Tastatur. Die Silben purzeln auf das weiße Blatt Papier wie...
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1974 in Seoul geboren, wuchs Ji-min Lee in einer Zeit politischer Unruhen auf. So verbrachte sie bereits als Kind viel Zeit in literarischen Parallelwelten und ging mit ihrem Studium der Literatur- und Filmwissenschaften ihrer Leidenschaft nach. Ji-min Lee schreibt Drehbücher und Romane, sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Seoul.