Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Amalthea Signum Verlagerschienen am17.09.20201. Auflage
Vier Millionen zufriedene Hamster. Ein Friedhof, wo es niemals regnet. Musikbegabte Skilehrer. Und eine Donau, die nie blau ist. Der bisher gründlichste Versuch, Österreich mit den Augen eines Fremdlings zu sehen. 'Österreichs bester humoristischer Schriftsteller kommt aus Polen. Sein Name lautet Radek Knapp.' Peter Pisa, 'Kurier'

Radek Knapp, geboren in Warschau, ist freier Schriftsteller. Seine literarischen Bestseller erscheinen in zahlreichen Auflagen und Sprachen, darunter der Publikumserfolg 'Herrn Kukas Empfehlungen', 'Franio', 'Reise nach Kalino', 'Der Mann, der Luft zum Frühstück aß' oder 'Gebrauchsanweisung für Polen'. Ausgezeichnet mit dem 'aspekte'-Literaturpreis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Er lebt in Wien.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextVier Millionen zufriedene Hamster. Ein Friedhof, wo es niemals regnet. Musikbegabte Skilehrer. Und eine Donau, die nie blau ist. Der bisher gründlichste Versuch, Österreich mit den Augen eines Fremdlings zu sehen. 'Österreichs bester humoristischer Schriftsteller kommt aus Polen. Sein Name lautet Radek Knapp.' Peter Pisa, 'Kurier'

Radek Knapp, geboren in Warschau, ist freier Schriftsteller. Seine literarischen Bestseller erscheinen in zahlreichen Auflagen und Sprachen, darunter der Publikumserfolg 'Herrn Kukas Empfehlungen', 'Franio', 'Reise nach Kalino', 'Der Mann, der Luft zum Frühstück aß' oder 'Gebrauchsanweisung für Polen'. Ausgezeichnet mit dem 'aspekte'-Literaturpreis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Er lebt in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783903217591
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum17.09.2020
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse959 Kbytes
Artikel-Nr.5353264
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Deutsch für Sture

Bevor mein Großvater mir Österreich aufgeschwatzt hat, wusste ich über dieses Land nur drei Dinge. Erstens, dass dort einmal ein gewisser Kaiser Franz Joseph so lange regiert hat, bis ihm derart exorbitante Bartkoteletten gewachsen waren, dass man sein Gesicht nicht mehr sah. Zweitens sollte dort ein Mann namens Niki Lauda schwere Millionen verdienen, weil er einmal pro Woche möglichst schnell im Kreis fuhr. Und drittens, dass man dort Deutsch sprach. Letzteres war an sich keine schlechte Nachricht für jemanden, der mit polnischen Kriegsfilmen aufgewachsen war, wo man immer wieder einen Satz auf Deutsch einstreute. Leider waren es hauptsächlich Sätze militärischer Natur wie »Heute erobern wir Stalingrad« oder »Nur über die Leiche unseres Generals«.

Also tauchte ich vor der Abfahrt sicherheitshalber noch in den großen Ozean deutscher Zivilausdrücke ein, um vor Ort nicht wie ein Militär oder ein Dummkopf dazustehen. Ich besorgte mir dazu das in Polen seinerzeit populäre DDR-Lehrbuch Deutsch für Sture.

Interessanterweise hatte mein Exemplar einen Druckfehler, wodurch man die Seite 1 mit der Seite 48 vertauscht hatte. So lernte ich nicht als Erstes »Ich heiße Franz und komme aus Rostock« oder »Ich bin Heike und esse gerne Erdbeereis«, sondern den rätselhaften Ausdruck »Ein Wasserrohrbruch kann sogar zwei Menschenleben kosten«, gefolgt von »Einem deutschen Klempner ist nichts zu schwer«.

Nicht nötig zu sagen, dass mir diese beiden Sätze später viel nützlicher waren als die Information über Heikes Eisvorlieben. Aber egal, welche Seite ich in Deutsch für Sture auch aufschlug, eines blieb immer gleich: Deutsch verschwendete überhaupt keine Zeit. Was immer man in dieser Sprache sagte, sie gab einem nicht nur das Gefühl, etwas gespart zu haben, sondern erinnerte einen auch daran: »Das Leben ist kurz, also fasse dich lieber kurz.« Ganz anders als das Polnische, wo bei jeder Bemerkung automatisch mitschwang: »Was ich jetzt sage, kann ich auch morgen sagen. Müssen wir eigentlich überhaupt darüber reden?«

Diese geradezu sadistische Sparsamkeit verzauberte mich. Hörte man einem Slawen eine halbe Stunde zu, musste man das Gehörte nachher wie einen Schwamm in der Hand zusammendrücken, um die Essenz herauszupressen. Drückte man das Deutsche zusammen, war es so, als würde man einen Stein zusammenpressen. Ein deutscher Satz war ein Satz, dem man nichts mehr hinzuzufügen brauchte.

Nachdem ich die erfrischende Sparsamkeit der deutschen Sprache verinnerlicht hatte, konnte ich es kaum erwarten, mein Wissen auszuprobieren. Sobald ich aber österreichischen Boden berührte, bereitete mir der kleine längliche Kaffeefleck schon die erste Überraschung: Nämlich, dass man hier gar nicht Deutsch sprach.

Ich weiß noch, wie ich, kurz nachdem ich aus dem Zug gestiegen war, in eine Bahnhofskneipe ging und schon von der Schwelle den merkwürdigen Satz hörte: »Geh bodn (gehe baden)!« Es war keine Aufforderung, das nächstgelegene Schwimmbad aufzusuchen, sondern die Kneipe recht flott wieder zu verlassen. Abgesehen davon, dass es sich um eine originelle Begrüßung handelte, kam es mir vor, als hätte mir eine fremde Macht einen üblen Streich gespielt. Nicht nur mein ganzer Deutschunterricht war umsonst, das Wienerische fiel in eine seltsame Undeutlichkeit zurück, die mir verdächtig slawisch vorkam. Wenig später bestätigte sich ein weiterer Verdacht. Der Wiener hatte den Wiener Dialekt eindeutig nur deshalb erfunden, um sofort jeden Nichtwiener zu entlarven. Er ließ sich unmöglich nachmachen und zu alldem herrschte hier eine Dialektvielfalt wie im Kongobecken.

Wie alle Verzweifelten, die vor einer unlösbaren Aufgabe stehen, schlug ich zuerst den Weg des geringsten Widerstandes ein. Im Laufe der nächsten Wochen konzentrierte ich mich nur auf Worte, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Ich freute mich wie ein Kind, als jemand eines Tages »Tschopperl« zu mir sagte. Es bedeutete zwar, dass ich geistig nicht auf dem letzten Stand war, aber dafür stammte das Tschopperl von »Äapek« ab, was im Tschechischen »kleiner Storch« heißt.

Noch glücklicher war ich, als ich den Ausdruck »auf Lepschi gehen« aufschnappte, was ungefähr so viel bedeutete wie »ausgehen«. Das Wort »lepsi« kam auch aus dem Slawischen und bedeutete »besser«, was wohl zu verstehen gab, dass das Ausgehen in Wien eine besonders angenehme Handlung sein musste.

Wäre ich Italiener, wäre mir überhaupt eine Menge Lernarbeit erspart worden, weil man hier die meisten Vokabeln geklaut hatte. »Gspusi« bedeutete zum Beispiel auf Wienerisch eine Affäre und kam von »sposa«, dem italienischen Wort für Ehefrau. »Büsln« kam aus dem italienischen »pisolare« - ein Nickerchen machen. Und das Wort »Tschick« kam von »cicca«, was einen Zigarettenstummel umschrieb. Somit konnte sogar der unterbelichtetste Italiener den ersten Satz auf Wienerisch bauen, den er nicht nur verstand, sondern auch sicherlich guthieß: »Zuerst kleine Gspusi, dann bissi büsln und danach Tschick.«

Die endgültige Rettung brachte mir aber die allseits beliebte Kronen Zeitung. Sie führte mich mindestens genauso gründlich in den Wiener Dialekt ein wie zuvor das Deutsch für Sture in die Sprache Goethes. Aus diesem formidablen Blatt, das ich regelmäßig am Sonntag mitgehen ließ, erfuhr man nicht nur überaus nützliche Dinge wie zum Beispiel, dass Wale zuerst zwei Mal im Kreis schwimmen, bevor sie Geschlechtsverkehr haben, oder dass man in einer Stadt namens Linz zum wiederholten Male die längste Hundeleine der Welt (44 Meter) konfisziert hatte. Es gab dort vor allem eine horizonterweiternde Rubrik namens »Heiteres Bezirksgericht«, die im reinsten Wiener Dialekt verfasst wurde. Sie präsentierte in einer skurrilen Tonart die interessantesten Gerichtsfälle Wiens. Ziemlich schnell hatte ich solche wichtigen Worte drauf wie »Amtsschimmel« oder »Trottelrichter«. Ganz zu schweigen von weiteren Aufforderungen zum Sichentfernen, von denen es in dieser gastfreundlichen Stadt erstaunlich viele gab, wie zum Beispiel »Moch a Servas« (Winke ein letztes Mal und verschwinde) oder das wieder stark in Mode kommende, weil arabisch klingende »Hau di iba di Hoisa« (Suche das Weite über den Häusern).

Auf diese Weise machte ich nicht nur schnell Fortschritte, sondern lernte auch Vokabeln und Ausdrücke, die sogar einen Einblick in die philosophische Seite der österreichischen Seele erlaubten.

Der Ausdruck »Schau ma mal, dann wer ma sehen« (Schauen wir mal, dann werden wir sehen) war da besonders aufschlussreich. Zuerst glaubte ich, es wäre eine buddhistische Aufforderung, einen Gegenstand so lange zu betrachten, bis man sein Innerstes erblickt. In Wirklichkeit war es ein uraltes österreichisches Rezept, Probleme aller Art zu lösen. Das »Heitere Bezirksgericht« schilderte den Fall eines Trafikanten, der mehreren Leuten Geld schuldete und vor den Richter kam.

»Wann werden Sie Ihrem Arbeitgeber die fällige Schuld zurückzahlen?«, fragte der Richter, worauf der Trafikant antwortete: »Schau ma mal, dann wer ma sehen.«

»Wann zahlen Sie Ihrer Frau Alimente?«, lautete die nächste Frage.

»Schau ma mal, dann wer ma sehen«, lautete wieder die Antwort. Auf jede weitere Frage antwortete der Trafikant immer wieder nur »Schau ma mal, dann wer ma sehen«.

Er wurde noch am selben Tag freigesprochen.

Ein weiteres sprachliches Meisterwerk lautete: »Bevor ma randalieren, mach ma lieba a zweite Kassa auf« (statt uns zu prügeln, machen wir lieber eine zweite Kassa auf). Hier glaubte ich zuerst, dass es um eine Supermarkt-Richtlinie ging. Als Ostblockmensch wusste ich nur zu gut, dass zu langes Schlangestehen sogar aus dem zivilisiertesten Volk eine primitive und aggressive Masse machen kann. Als Wien zum Beispiel von der Corona-Plage heimgesucht wurde und jeder für sich herausfinden musste, wie viel Klopapier er täglich brauchte, wurde es eindrucksvoll bewiesen.

Wieder erleuchtete mich das »Heitere Bezirksgericht«. In einem Billa-Supermarkt war ein Pensionist unerwartet handgreiflich geworden, indem er sich mit dem Schlachtruf »Mach ma endlich eine zweite Kassa auf!« auf einen Angestellten stürzte. Ihm drohte ein Monat Gefängnis wegen versuchter Körperverletzung. Seine Verteidigung war horizonterweiternd: »Ich habe nie vorgehabt, jemanden zu verletzen«, plädierte er, »im Gegenteil. Ich appellierte an die zwei Kassen in meinem Gehirn.«

»Was soll das heißen?«, staunte der Richter.

»Die erste Kassa steht für Aggression und Kampflust. Die zweite Kassa ist friedliebend. Das Problem bei mir ist; die erste Kassa hat immer offen. Die zweite Kassa nie.«

Er wurde noch schneller freigesprochen als der...
mehr

Autor

Radek Knapp, geboren in Warschau, ist freier Schriftsteller. Seine literarischen Bestseller erscheinen in zahlreichen Auflagen und Sprachen, darunter
der Publikumserfolg "Herrn Kukas Empfehlungen", "Franio", "Reise nach Kalino", "Der Mann, der Luft zum Frühstück aß" oder "Gebrauchsanweisung für Polen". Ausgezeichnet mit dem "aspekte"-Literaturpreis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Er lebt in Wien.