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Karl Kraus: Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
marixverlagerschienen am25.09.20201. Auflage
Karl Kraus war neben Georg Christoph Lichtenberg der wohl bedeutendste deutschsprachige Satiriker. 1899 gründete er die Zeitschrift Die Fackel, die er nicht nur zu einem der führendsten Medien für Kultur- und Gesellschaftskritik, sondern auch zum 'Gewissen seiner Zeit' entwickelte. Kein Autor des 19. und 20. Jahrhunderts hat mit derart unablässiger Leidenschaft den Wörtern und Wendungen seiner Zeitgenossen, dem Umgang mit der deutschen Sprache nachgespürt, der Korruption und 'Preßdiktatur', den heuchlerischen Sittenprozessen, vor allem aber der bürgerlich-patriarchalen Doppelmoral den Kampf angesagt wie dieser einsame Meister der Ironie. Seine in Aphorismen gegossenen Ansichten, Essays und Kritiken in ihrer gewaltigen, thematischen Vielfalt faszinieren und polarisieren noch heute.

Karl Kraus (1874-1936) war ein österreichischer Satiriker. In den fast tausend Nummern seiner Zeitschrift Die Fackel entlarvte er wortgewaltig die Doppelmoral seiner Zeit, die Phraseologie der Presse und einen verkommenen Literaturbetrieb. Aufgrund seines großen Dramas über den Ersten Weltkrieg, Die letzten Tage der Menschheit, wurde er von Professoren der Pariser Sorbonne für den Friedensnobelpreis und den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextKarl Kraus war neben Georg Christoph Lichtenberg der wohl bedeutendste deutschsprachige Satiriker. 1899 gründete er die Zeitschrift Die Fackel, die er nicht nur zu einem der führendsten Medien für Kultur- und Gesellschaftskritik, sondern auch zum 'Gewissen seiner Zeit' entwickelte. Kein Autor des 19. und 20. Jahrhunderts hat mit derart unablässiger Leidenschaft den Wörtern und Wendungen seiner Zeitgenossen, dem Umgang mit der deutschen Sprache nachgespürt, der Korruption und 'Preßdiktatur', den heuchlerischen Sittenprozessen, vor allem aber der bürgerlich-patriarchalen Doppelmoral den Kampf angesagt wie dieser einsame Meister der Ironie. Seine in Aphorismen gegossenen Ansichten, Essays und Kritiken in ihrer gewaltigen, thematischen Vielfalt faszinieren und polarisieren noch heute.

Karl Kraus (1874-1936) war ein österreichischer Satiriker. In den fast tausend Nummern seiner Zeitschrift Die Fackel entlarvte er wortgewaltig die Doppelmoral seiner Zeit, die Phraseologie der Presse und einen verkommenen Literaturbetrieb. Aufgrund seines großen Dramas über den Ersten Weltkrieg, Die letzten Tage der Menschheit, wurde er von Professoren der Pariser Sorbonne für den Friedensnobelpreis und den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843806510
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum25.09.2020
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1605 Kbytes
Artikel-Nr.5370052
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
II. MORAL, CHRISTENTUM

Der Mann hat den Wildstrom weiblicher Sinnlichkeit kanalisiert. Nun überschwemmt er nicht mehr das Land. Aber er befruchtet es auch nicht mehr.

Die Gründer der Normen haben das Verhältnis der Geschlechter verkehrt: Sie haben das Geschlecht des Weibes in die Konvention geschnürt und das männliche entfesselt. So ist die Anmut vertrocknet und der Geist. Es gibt noch Sinnlichkeit in der Welt; aber sie ist nicht mehr die triumphierende Entfaltung einer Wesenheit, sondern die erbärmliche Entartung einer Funktion.

Als die Zugänglichkeit des Weibes noch eine Tugend war, wuchs dem männlichen Geiste die Kraft. Heute verzehrt er sich vor der Scheidemauer einer verbotenen Welt. Geist und Lust paaren sich wie ehedem. Aber das Weib hat den Geist an sich genommen, um dem Draufgänger Lust zu machen.

Das vom Mann verstoßene »Weibchen« rächt sich. Es ist eine Dame geworden und hat ein Männchen im Haus.

Der Philister verachtet die Frau, die sich von ihm hat lieben lassen. Wie gerne möchte man ihm recht geben, wenn man der Frau Schuld geben könnte!

Ein Bettler wurde verurteilt, weil er auf einer Bank gesessen und »traurig dreingeschaut« hatte. In dieser Weltordnung machen sich die Männer verdächtig, die traurig, und die Weiber, die lustig dreinschauen. Immerhin zieht sie die Bettler den Freudenmädchen vor. Denn die Freudenmädchen sind unehrliche Krüppel, die aus dem Körperfehler der Schönheit Gewinn ziehen.

Dass eine Kokotte nach sozialen Ehren strebt, ist eine traurige Erniedrigung; aber sie entschädigt sich wenigstens durch heimliche Freuden. Viel verwerflicher ist die Praxis jener Frauen, die durch den Schein eines Freudenlebens über ihre heimliche Ehrbarkeit zu täuschen wissen. Sie schmarotzen an einer sozialen Verachtung, die sie sich nicht verdienen; und das ist die schlimmste Art von Streberei.

Gretchen-Tragödie - welch ein Aufhebens! Die Welt steht stille, Himmel und Hölle öffnen sich, und in den Sphären klingt die Musik unendlichen Bedauerns: Nicht jedes Mädchen fällt so rein!

Liebe soll Gedanken zeugen. In der Sprache der Gesellschaftsordnung sagt die Frau: Was werden Sie von mir denken!

Wie eine lebensfähige Frau ihren faulen Frieden mit der Welt macht: Sie verzichtet auf die Persönlichkeit und bekommt dafür die Galanterien zugestanden.

Was doch die soziale Sitte vermag! Nur ein Spinnweb liegt über dem Vulkan, aber er hält sich zurück.

Im Orient haben die Frauen größere Freiheit. Sie dürfen geliebt werden.

Die Eifersucht des Mannes ist eine soziale Einrichtung, die Prostitution der Frau ist ein Naturtrieb.

Das Wesen der Prostitution beruht nicht darauf, dass sie sich s gefallen lassen müssen, sondern dass sie sich s missfallen lassen können.

Eine sittliche Prostitution fußt auf dem Prinzip der Monogamie.

Die sittliche Weltordnung ist den geheimnisvollen Fähigkeiten des Weibes, prostituiert zu werden und selbst zu prostituieren, in zwei monogamen Lebensformen gerecht geworden: Sie schuf die Maitresse und den Zuhälter.

Die Unsittlichkeit der Maitresse besteht in der Treue gegen den Besitzer.

Die Rechtsstellung des Zuhälters in der bürgerlichen Gesellschaft ist noch nicht geklärt. Er ist ihr Auswurf. Denn er achtet, wo geächtet wird; er beschützt, wo verfolgt wird. Er kann für seine Überzeugung auch Opfer bringen. Wenn er jedoch für seine Überzeugung Opfer verlangt, fügt er sich in den Rahmen einer Gesellschaftsordnung, die zwar dem Weib die Prostitution nicht verzeiht, aber die Korruption dem Manne.

Die Unmoral des Mannes triumphiert über die Nichtmoral der Frau.

Dass die bürgerliche Gesellschaft mit Verachtung auf den Zuhälter blickt, ist begreiflich; denn er ist der heroische Widerpart ihrer Unterhaltungen. Sie sind bloß die schlechteren Christen, er aber ist der bessere Teufel. Er ist der Antipolizist, der die Prostituierte sicherer vor dem Staat schützt als der Staat die Gesellschaft vor ihr. Er ist der letzte moralische Rückhalt eines Weibes, das an der guten Gesellschaft zuschanden geht. Von ihr kann sie nur reich werden, von ihm wird sie schön. Wenn er sie ausraubt, so hat sie mehr davon, als wenn die anderen sie beschenken. Weil er »zu ihr hält«, ist er missachteter als sie selbst; aber diese Missachtung ist nur ein Mantel des Neides: Die Gesellschaft muss ihre Lust bezahlen, sie empfängt Ware für Geld; aber das Weib empfängt das Geld und behält die Lust, um den Einen doppelt zu beschenken. Dort ist die Liebe eine ökonomische Angelegenheit; hier macht eine Naturgewalt die Rechnung.

Nicht jeder, der von einer Frau Geld nimmt, darf sich darum schon einbilden, ein Strizzi2 zu sein.

Ein Weib, das zur Liebe taugt, wird im Alter die Freuden einer Kupplerin genießen. Eine frigide Natur wird bloß Zimmer vermieten.

Kupplerinnen sind die Hüterinnen der Normen.

Der Zuhälter ist eine Stütze der Frau. Verliert sie ihn, so kann es leicht geschehen, dass sie herunterkommt.

Die Zweiteilung des Menschengeschlechts ist von der Wissenschaft noch nicht anerkannt worden.

Wie lernt die Menschheit schwimmen? Man sagt ihr, wo die gefährlichen Stellen sind und dass es eine Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff sei.

Die Moral ist ein so populäres Ding, dass man sie predigen kann. Aber der Unmoralprediger vergreift sich am Idealen.

Im Sexuellen wird die Freiheit mit ihren Feinden fertig, ohne der Gemeinheit als einer Bundesgenossin zu bedürfen.

Hättet ihr die Rechte des Frauenkörpers anerkannt, hättet ihr die Unterleibeigenschaft aufgehoben, wie ihr den Robot aufgehoben habt, nie wären die Frauen auf den lächerlichen Einfall gekommen, sich als Männer zu verkleiden, um als Weiber im Werte zu steigen!

Dass doch die Frauenemanzipation darauf ausginge, das Schandmal der anatomischen Ehre des Weibes zu beseitigen und männlicher Blindheit zu zeigen, dass es eine prostitutio in integrum gibt!

»Frauenrechte« sind Männerpflichten.

Ich hörte eine Frau von einer andern rühmend sagen: »Sie hat so etwas Weibliches an sich.«

Griechische Denker nahmen mit Huren vorlieb. Germanische Kommis können ohne Damen nicht leben.

Das Christentum hat die Zollschranken zwischen Geist und Geschlecht aufgehoben. Aber die Durchsetzung des Sexuallebens mit dem Gedanken ist eine dürftige Entschädigung für die Durchsetzung des Gedankenlebens mit dem Sexuellen.

Omne animal triste. Das ist die christliche Moral. Aber auch sie nur post, nicht propter hoc.

Im Kampf zwischen Natur und Sitte ist die Perversität eine Trophäe oder eine Wunde. Je nachdem, ob die Natur sie erbeutet oder die Sitte sie geschlagen hat.

Die Verbreitung der Lustseuche hat der Glaube bewirkt, dass die Lust eine Seuche sei.

Religion und Sittlichkeit. Der Katholizismus (kata und holos) geht aufs Ganze; aber das Judentum ist Mosaik.

Man setzt sich heutzutage genug Unannehmlichkeiten aus, wenn man von einem Kunstwerk sagt, dass es ein Kunstwerk sei. Aber man würde gesteinigt werden, wenn man das so laut von einem Frauenkörper sagte, wie es gesagt werden muss, um ihn neu zu beleben. Denn die Sitte will seine Zerstörung, und durch Worte kann man Anmut zusprechen.

Es ist eine schlimme Zeit, in der das Pathos der Sinnlichkeit zur Galanterie einschrumpft.

Der Schönheit sei es ein Trost, dass sich an den Mauern derselben Welt, die ihr den Quell absperrt, der Geist blutig stößt. Sie müssten sich beide verniedlichen, um erlaubt zu sein.

Die den Freudenbecher gewährt haben, sterben an dem alkoholischen Gifttrunk, den ihnen die christliche Nächstenliebe reicht.

Es war eine Flucht durch die Jahrtausende, als sie in der kältesten Winternacht von einem Theaterball halbnackt auf die Straße lief, in den tiefsten...
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Autor

Karl Kraus (1874-1936) war ein österreichischer Satiriker. In den fast tausend Nummern seiner Zeitschrift Die Fackel entlarvte er wortgewaltig die Doppelmoral seiner Zeit, die Phraseologie der Presse und einen verkommenen Literaturbetrieb. Aufgrund seines großen Dramas über den Ersten Weltkrieg, Die letzten Tage der Menschheit, wurde er von Professoren der Pariser Sorbonne für den Friedensnobelpreis und den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt