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Freundliche Fanatiker

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am28.04.20211. Auflage
Eine erhellende Analyse der politischen Irrwege unserer Zeit - jenseits der eurozentrischen Perspektive: Der bekannte Schriftsteller und Publizist Pankaj Mishra nimmt die selbstzufriedenen Gedankengebäude des Westens in den Blick. Er zeigt, dass der Mythos vom »überlegenen Westen« bis heute nicht hinterfragt wird. Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus werden aus der Erzählung vom demokratischen Aufstieg verbannt, einfache, von Ressentiments geprägte Welterklärungen werden zum Mainstream. So entstand der Neoliberalismus aus der Angst der Weißen um ihre Vorherrschaft. Und der westliche Liberalismus ist gar nicht so liberal, denn er definiert die eigene Kultur als die maßgebliche und brandmarkt andere Entwürfe als rückständig oder autoritär. Die wahren Feinde der Demokratie aber sind jene, die angeblich ihre Werte verteidigen: Dies zeigt der in den USA tief verwurzelte Rassismus ebenso wie die Angst vor islamistischen Invasoren. Mit solchen Beispielen hält uns Mishra den Spiegel vor und macht sichtbar, wie brüchig das Fundament ist, auf dem unsere westliche Welt errichtet wurde: Eine freiheitliche Demokratie, in der Gleichheit und Menschenwürde verwirklicht sind, ist noch nicht erreicht.

Pankaj Mishra, geboren 1969 in Nordindien, schreibt seit über zehn Jahren regelmäßig für die »New York Review of Books«, den »New Yorker« und den »Guardian« über den indischen Subkontinent, über Afghanistan und China. Er gehört zu den großen Intellektuellen des modernen Asien und hat zahlreiche Essays in »Lettre International« und »Cicero« veröffentlicht; auf Deutsch sind darüber hinaus der Roman »Benares oder Eine Erziehung des Herzens« und der Essayband »Lockruf des Westens. Modernes Indien« erschienen. Pankaj Mishra war u. a. Gastprofessor am Wellesley College und am University College London. Für sein Buch »Aus den Ruinen des Empires«, das 2013 bei S. Fischer erschien, erhielt er 2014 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Bei S. Fischer sind von ihm außerdem »Begegnungen mit China und seinen Nachbarn« und »Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart« erschienen. Er lebt abwechselnd in London und in Mashobra, einem Dorf am Rande des Himalaya. Literaturpreise: 2014 Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2014 Windham Campbell Literature Prize der Yale University 2013 Crossword Book Award for Nonfiction
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEine erhellende Analyse der politischen Irrwege unserer Zeit - jenseits der eurozentrischen Perspektive: Der bekannte Schriftsteller und Publizist Pankaj Mishra nimmt die selbstzufriedenen Gedankengebäude des Westens in den Blick. Er zeigt, dass der Mythos vom »überlegenen Westen« bis heute nicht hinterfragt wird. Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus werden aus der Erzählung vom demokratischen Aufstieg verbannt, einfache, von Ressentiments geprägte Welterklärungen werden zum Mainstream. So entstand der Neoliberalismus aus der Angst der Weißen um ihre Vorherrschaft. Und der westliche Liberalismus ist gar nicht so liberal, denn er definiert die eigene Kultur als die maßgebliche und brandmarkt andere Entwürfe als rückständig oder autoritär. Die wahren Feinde der Demokratie aber sind jene, die angeblich ihre Werte verteidigen: Dies zeigt der in den USA tief verwurzelte Rassismus ebenso wie die Angst vor islamistischen Invasoren. Mit solchen Beispielen hält uns Mishra den Spiegel vor und macht sichtbar, wie brüchig das Fundament ist, auf dem unsere westliche Welt errichtet wurde: Eine freiheitliche Demokratie, in der Gleichheit und Menschenwürde verwirklicht sind, ist noch nicht erreicht.

Pankaj Mishra, geboren 1969 in Nordindien, schreibt seit über zehn Jahren regelmäßig für die »New York Review of Books«, den »New Yorker« und den »Guardian« über den indischen Subkontinent, über Afghanistan und China. Er gehört zu den großen Intellektuellen des modernen Asien und hat zahlreiche Essays in »Lettre International« und »Cicero« veröffentlicht; auf Deutsch sind darüber hinaus der Roman »Benares oder Eine Erziehung des Herzens« und der Essayband »Lockruf des Westens. Modernes Indien« erschienen. Pankaj Mishra war u. a. Gastprofessor am Wellesley College und am University College London. Für sein Buch »Aus den Ruinen des Empires«, das 2013 bei S. Fischer erschien, erhielt er 2014 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Bei S. Fischer sind von ihm außerdem »Begegnungen mit China und seinen Nachbarn« und »Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart« erschienen. Er lebt abwechselnd in London und in Mashobra, einem Dorf am Rande des Himalaya. Literaturpreise: 2014 Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2014 Windham Campbell Literature Prize der Yale University 2013 Crossword Book Award for Nonfiction
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104913711
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum28.04.2021
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1637 Kbytes
Artikel-Nr.5413723
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Einleitung



Ich möchte, dass alle Amerikaner werden.

THOMAS FRIEDMAN



Irgendwann einmal müsste man die Geschichte unserer eigenen Obskuranz, die Zähigkeit unseres Narzißmus ans Licht bringen.

ROLAND BARTHES


Die Essays in diesem Buch entstanden als Reaktion auf die angloamerikanischen Verirrungen, die im Brexit und der Wahl Donald Trumps gipfelten. Diese Verirrungen umfassten etwa den vom Economist im 19. Jahrhundert lange unterstützten Traum des imperialistisch gesinnten Liberalismus oder Henry Luces Proklamation eines vom »Freihandel« geprägten »amerikanischen Jahrhunderts«. Ebenso gehören dazu die »Modernisierungstheorie« - der Versuch amerikanischer Kalter Krieger, die postkoloniale Welt von einer kommunistischen Revolution abzuhalten und für die auf schrittweise Entwicklung gerichtete Alternative des Konsumkapitalismus und der Demokratie zu gewinnen - wie auch die katastrophalen humanitären Kriege und die demagogischen Eruptionen unserer Zeit.

»Zu den kleineren Bösewichtern der Geschichte«, schrieb Reinhold Niebuhr 1957, »gehören die freundlichen Fanatiker der westlichen Zivilisation, die die doch so sehr bedingten Leistungen unserer Kultur für die endgültige Form und Norm der menschlichen Existenz halten.« Für Niebuhr waren die größeren Bösewichter natürlich Kommunisten und Faschisten. Als überzeugter Antikommunist war der US-amerikanische Theologe anfällig für Ausdrücke wie »die moralische Überlegenheit der westlichen Zivilisation«. Dennoch sah er den seltsamen Weg, den der Liberalismus genommen hatte: »Ein Dogma, das die wirtschaftliche Freiheit des Individuums gewährleisten sollte, wurde in einer späteren Periode des Kapitalismus die Ideologie großer, körperschaftlicher Strukturen, die es nutzten und immer noch nutzen, um eine echte Kontrolle ihrer Macht zu verhindern.« Er beobachtete auch aufmerksam das fundamentalistische Credo, das unser Zeitalter prägte - Kapitalismus und liberale Demokratie westlicher Prägung würden sich nach und nach in der ganzen Welt ausbreiten, und alle Gesellschaften sollten sich, kurz zusammengefasst, in derselben Weise entwickeln wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten.

Natürlich konnte Niebuhr nicht voraussehen, dass die freundlichen Fanatiker, die den Kalten Krieg so heimtückisch machten, an dessen Ende die Weltbühne beherrschen würden. In Gestalt liberaler Internationalisten, neokonservativer Verfechter der Demokratie und Apologeten freier globalisierter Märkte sollten sie durch eine inzwischen komplexere und widerspenstigere Welt stolpern und dazu beitragen, dass weite Teile Asiens, Afrikas und Lateinamerikas aus den Fugen gerieten, bevor sie in ihren eigenen Gesellschaften politisches Chaos anrichteten.

Die Weltgeschichte der Ideologien des Liberalismus und der Demokratie nach 1945 wie auch eine umfassende Soziologie der angloamerikanischen und anglophilen oder amerikafreundlichen Intellektuellen wären erst noch zu schreiben, obwohl die Welt, die sie schufen und vernichteten, schon jetzt in ihre tückischste Phase eintritt. Die meisten von uns erwachen gerade erst mit verschlafenen Augen aus den frenetischen Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Kriegs, in denen, wie Don DeLillo schrieb, »der dramatische Anstieg des Dow Jones und die Geschwindigkeit des Internets uns alle aufforderten, permanent in der Zukunft zu leben, im utopischen Glanz des Cyberkapitals«.

Es ist jedoch bereits seit langer Zeit klar, dass die globale Wette auf unregulierte Märkte und auf militärische Interventionen zu deren Gunsten das ehrgeizigste ideologische Experiment der Moderne darstellte. Deren Anhänger, Verbündete und Unterstützer, von Griechenland bis nach Indonesien, waren zudem weitaus einflussreicher als ihre sozialistischen und kommunistischen Rivalen. Homo oeconomicus, das autonome, nach rationalen Grundsätzen handelnde, mit Rechten ausgestattete Subjekt der liberalen Philosophie, überzog alle Gesellschaften mit phantastischen Plänen zur Steigerung der Produktion und des Konsums. Das in London, New York und Washington geprägte Idiom der Moderne bestimmte den Common Sense des öffentlichen intellektuellen Lebens auf sämtlichen Kontinenten und veränderte radikal, wie weite Teile der Weltbevölkerung Gesellschaft, Wirtschaft, Nation, Zeit und individuelle wie kollektive Identität verstanden.

 

Wer versuchte, hinter die exaltierte Rhetorik der liberalen Politik und Ökonomie zu schauen, fand dort natürlich nur selten entsprechende Realitäten. Mein persönlicher Lernprozess hinsichtlich dieses fehlenden Realitätsgehalts begann mit eigenen Erfahrungen in Kaschmir, wo Indien, angeblich die größte Demokratie der Welt, zu einer Form von Hindu-Suprematismus und rassistischem Imperialismus ebenjener Art herabgesunken war, von dem das Land sich 1947 befreit hatte. Als ich 1999 dorthin ging, hatte ich viele Vorurteile hinsichtlich der befreienden »zivilisatorischen« Rolle Indiens im Gepäck und gehörte zu denen, die stillschweigend annahmen, dass die Muslime in Kaschmir mit dem »säkularen«, »liberalen« und »demokratischen« Indien besser führen als mit dem islamischen Staat Pakistan.

Die brutalen Realitäten der militärischen Besatzung Kaschmirs durch indische Truppen und die eklatanten Lügen und Täuschungen, die damit verbunden waren, zwangen mich, einen Großteil der alten Kritik am westlichen Imperialismus und der daran geknüpften Fortschrittsrhetorik wieder aufzugreifen. Als meine kritischen Artikel über Kaschmir im Jahr 2000 in The Hindu und The New York Review of Books erschienen, wurden sie in meiner Heimat am lautesten nicht von Hindu-Nationalisten, sondern von selbsternannten Wächtern der »liberalen Demokratie« Indiens attackiert. Ich hatte mich mit der einflussreichen Ideologie eines indischen Exzeptionalismus angelegt, der für Indiens einzigartig starke und vielfältige liberale Demokratie moralisches Ansehen wie auch geopolitische Bedeutung einforderte.

Viele dieser selbstgerechten Vorstellungen rochen nach der Scheinheiligkeit der oberen Kasten und nach Klassenprivilegien. Die Fetischisten einer rein formalen und verfahrensorientierten Demokratie beriefen sich frömmlerisch auf »die Idee Indien«, das Experiment eines säkularen und liberalen Staatswesens. Sie schienen sich nicht an der Tatsache zu stören, dass die Menschen in Kaschmir und den Bundesstaaten an der Nordostgrenze Indiens de facto unter einem Kriegsrecht lebten, das den Sicherheitskräften das uneingeschränkte Recht zu Massakern und Vergewaltigungen verlieh - und auch nicht an dem Umstand, dass für einen großen Teil der indischen Bevölkerung das Versprechen der Gleichheit und Würde, gestützt durch Rechtsstaatlichkeit und unparteiische Institutionen, ein fernes, fast schon phantastisches Ideal geblieben war.

Jahrzehntelang zog Indien Vorteile aus einer im Kalten Krieg verbreiteten Vorstellung von »Demokratie«, die diese Staatsform auf ein moralisch glänzendes Etikett für die Wahl der Regierenden reduzierte, statt darauf abzustellen, welche Macht sie in den Händen hielten und wie sie diese Macht ausübten. Als ein nichtkommunistisches Land, das regelmäßig Wahlen abhielt, erfreute Indien sich eines makellosen internationalen Ansehens, obwohl es ihm nicht - und sogar noch weniger als vielen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern - gelang, seinen Bürgern auch nur die elementaren Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben zu bieten. Der Heiligenschein leuchtete noch heller, als die Regierungen des Landes sich dem freien Markt zuwandten und das kommunistische China plötzlich als Herausforderer des Westens auftrat. Selbst als Indien sich dem Hindu-Nationalismus verschrieb, entwickelte sich in den angloamerikanischen Eliten ein überschwänglicher Konsens: dass die liberale Demokratie tiefe Wurzeln im indischen Boden geschlagen und ihn so für das Wachstum freier Märkte vorbereitet habe.

 

Für einen Autor mit meinem Hintergrund wurde es zwingende Notwendigkeit, diese Einmütigkeit in Frage zu stellen - zunächst in meiner Heimat und dann immer häufiger im Ausland. Die freundlichen Fanatiker Indiens, die entschlossen schienen, den Herzen und Köpfen der Kaschmiris die »Idee Indien« einzuhämmern, bereiteten mich in vielerlei Hinsicht auf das Spektakel einer liberalen Intelligenzija vor, die den Krieg für »Menschenrechte« im Irak mit jener humanitären Freiheits-, Demokratie- und Fortschrittsrhetorik feierte, die man ursprünglich von europäischen Imperialisten des 19. Jahrhunderts kannte.

Mir war schon lange klar, dass westliche Ideologien den Aufstieg des »demokratischen« Westens während des Kalten Kriegs in geradezu absurder Weise geschönt hatten. Der lange Kampf gegen den Kommunismus, der den Anspruch auf höchste moralische Tugend erhob, hatte mancherlei zweckdienliche Täuschungsmanöver verlangt. Die Jahrhunderte des Bürgerkriegs, der imperialen Eroberung, der brutalen Ausbeutung und des Völkermords wurden schlichtweg ausgelassen in historischen Darstellungen, die zeigten, wie die Menschen des Westens die moderne Welt geschaffen hatten und mit ihren liberalen Demokratien zu den Vorbildern geworden waren, denen alle anderen nachstreben sollten. Was ich allerdings nicht wusste, bevor ich im Wissensökosystem Londons und New Yorks zu leben begann, war die Tatsache, dass die Ausflüchte und Auslassungen mit der Zeit zu gewaltigen Defiziten im Wissen über den...
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Autor

Pankaj Mishra, geboren 1969 in Nordindien, ist einer der wichtigsten globalen Intellektuellen. Er ist Journalist, Essayist und Schriftsteller und schreibt für »New Yorker«, »Guardian«, »Lettre International« und »Cicero«. Sein Buch »Das Zeitalter des Zorns« war ein weltweiter Bestseller, für »Aus den Ruinen des Empires« erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Er lebt in London und Mashobra, einem Dorf am Rand des Himalaya.