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Rendezvous und andere Alterserscheinungen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am13.03.2021Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Die energische Beryl Dusinbery kämpft jeden Tag gegen das Vergessen, während sich Shimi Carmelli am liebsten an gar nichts mehr erinnern würde. Ein unwahrscheinlicheres Paar gab es selten, doch jede Begegnung lässt die beiden Alten ein wenig näher zusammenrücken. Eine unmögliche Liebesgeschichte im höchsten Alter, erzählt mit wunderbar dunklem Humor. Mit über neunzig vergisst Beryl Dusinbery alles Mögliche, nicht selten sogar die eigenen Kinder. Ihr Verstand ist jedoch so scharf wie eh und je, sehr zum Leidwesen ihrer Pflegerinnen, die von der alten Dame mit spitzen Kommentaren über Anstand und Benimm traktiert werden. Shimi Carmelli dagegen erinnert sich an jede noch so kleine Begebenheit seines Lebens, was ihn mit einem konstanten Schamgefühl erfüllt, das von den Witwen Nordlondons gerne mit Vornehmheit verwechselt wird. Da er zudem in der Lage ist, auch in hohem Alter seine Jacke noch selbst zuzuknöpfen, hat er sich unfreiwillig zum begehrtesten Junggesellen über achtzig entwickelt. Für beide scheint die Zukunft nicht mehr viel bereitzuhalten - ein perfekter Zeitpunkt also, um sich nochmal auf alles einzulassen, was das Leben bietet. Stimmen zum Buch: 'Dieser Roman gehört zu den Spätwerken, in denen so viel Weisheit und Einsicht stecken, dass man sich fragt, warum man überhaupt etwas von jüngeren Autoren liest.' The Times Literary Supplement

Howard Jacobson, 1942 in Manchester geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren Großbritanniens. Seine Romane erscheinen in zwanzig Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. 2010 mit dem Booker-Preis.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextDie energische Beryl Dusinbery kämpft jeden Tag gegen das Vergessen, während sich Shimi Carmelli am liebsten an gar nichts mehr erinnern würde. Ein unwahrscheinlicheres Paar gab es selten, doch jede Begegnung lässt die beiden Alten ein wenig näher zusammenrücken. Eine unmögliche Liebesgeschichte im höchsten Alter, erzählt mit wunderbar dunklem Humor. Mit über neunzig vergisst Beryl Dusinbery alles Mögliche, nicht selten sogar die eigenen Kinder. Ihr Verstand ist jedoch so scharf wie eh und je, sehr zum Leidwesen ihrer Pflegerinnen, die von der alten Dame mit spitzen Kommentaren über Anstand und Benimm traktiert werden. Shimi Carmelli dagegen erinnert sich an jede noch so kleine Begebenheit seines Lebens, was ihn mit einem konstanten Schamgefühl erfüllt, das von den Witwen Nordlondons gerne mit Vornehmheit verwechselt wird. Da er zudem in der Lage ist, auch in hohem Alter seine Jacke noch selbst zuzuknöpfen, hat er sich unfreiwillig zum begehrtesten Junggesellen über achtzig entwickelt. Für beide scheint die Zukunft nicht mehr viel bereitzuhalten - ein perfekter Zeitpunkt also, um sich nochmal auf alles einzulassen, was das Leben bietet. Stimmen zum Buch: 'Dieser Roman gehört zu den Spätwerken, in denen so viel Weisheit und Einsicht stecken, dass man sich fragt, warum man überhaupt etwas von jüngeren Autoren liest.' The Times Literary Supplement

Howard Jacobson, 1942 in Manchester geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren Großbritanniens. Seine Romane erscheinen in zwanzig Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. 2010 mit dem Booker-Preis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608120035
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum13.03.2021
AuflageDie Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5434316
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


»Mir fehlen die Worte«, erklärt die Prinzessin ihrem Sohn. Sie ist sich nicht im Klaren, welchem.

»Wieso, Mutter, was ist denn passiert?«

»Nichts ist passiert. Mir fehlen einfach die Worte, mehr nicht.«

»Hast du angerufen, um mir das zu sagen?«

»Ich denke, dir sollte klar sein«, sagt sie, »dass du mich angerufen hast.«

Sie umklammert den Telefonhörer am Ende der Schnur, als wollte sie ihm die Luft abpressen. Sie hat ihr ganzes Leben lang nichts behutsam angefasst.

»Nein, das ist nicht der Fall, Mutter.« Auch er ist ein Abwürger, ein Kostendrücker von Berufs wegen, und unterdrückt ein Gähnen, will, dass sie den Schlaf in seiner Stimme hört. »Ich würde dich nie um zwei Uhr nachts anrufen.«

»Übertreib mal nicht. Es ist nicht zwei Uhr.«

»Es fühlt sich wie zwei Uhr an. Und ich habe dich nicht angerufen. Vielleicht hätte ich sollen, aber ich habe nicht. Wie auch immer â¦«

»Was, wie auch immer?«

»Warum hast du angerufen?«

»Hör auf, im Fernsehen diese Unterhemden zu tragen.«

»Du meinst sicher Pen. Ich glaube, er würde sagen, das sei kein Unterhemd, sondern ein T-Shirt.«

»Egal, wie das heißt, du solltest dein Hemd zuknöpfen.«

»Sag das Pen, nicht mir.«

»Wer ist Pen?«

»Dein Sohn.«

»Du bist mein Sohn.«

»Du hast mehr als einen.«

»Welcher davon ist er?«

»Der pfäffische.«

»Und welcher bist du dann?«

»Der verlorene.«

Er weiß, dass sie es weiß.

»Nun, ich habe keinen von euch großgezogen, damit er im Fernsehen ein Unterhemd trägt«, sagt sie.

»Du hast keinen von uns großgezogen, damit wir Anarcho-Syndikalisten werden. Es ist das Privatvergnügen meines geliebten Bruderherzes, dieses ideologische Statement zu machen.«

»Indem er ein Unterhemd trägt?«

»Es ist ein T-Shirt. Die Null-Bock-Generation ist begeistert davon, einen alten Politiker in einem T-Shirt zu sehen.«

»Ja, jetzt, wo du es sagst, erinnere ich mich, dass es mir auch so ging. Pens Vater - es muss ja wohl sein Vater gewesen sein, oder? - hatte einen ganzen Schrank voller Unterhemden. Seinen Unterhemdler nannte ich es. Die schmutzigen warf er aufs Bett, damit ich sie wasche. Pen wurde auf einem Nest aus Unterhemden gezeugt, ich sollte mich also wohl nicht wundern, denke ich.«

»Mutter!«

»Sei doch nicht so empfindlich. Du wurdest auf der Rückbank eines Rolls gezeugt.«

»Ich lege jetzt auf, wenn du nur angerufen hast, um mir das zu sagen.«

»Findest du Unterhemden denn nicht schlampig?«

»Nein, sie sind schlimmer als schlampig, sie sind hinterlistig. Sie verführen die Leichtgläubigen. Hat bei dir ja schließlich auch funktioniert.«

»So spricht man nicht mit seiner Mutter. Wenn du nur angerufen hast, um mir das zu sagen â¦«

»Ich habe dich nicht angerufen, um dir irgendetwas zu sagen. Du hast mich angerufen.«

»Das glaube ich kaum.«

In Wahrheit aber kann die Prinzessin sich nicht mehr erinnern, wer nun wen angerufen hat.

*

Sie ist keine richtige Prinzessin. Das ist bloß so eine Marotte von ihr. Prinzessin Schweppessodawasser. Ihr richtiger Name, ihr Geburtsname, ist Beryl Dusinbery. Sie hat nie eingewilligt, ihn für einen Mann zu ändern. Prinzessin Schweppessodawasser ist, wie sie sagt, ihr nom d oubli, nach der Heldin aus Tausendundeiner Nacht, deren tatsächlicher Name ihr immer wieder entfällt. Schh⦠du weißt schon wer. Sie hatte gedacht, die Anspielung würde ihre Kinder amüsieren - sie sind alt genug, um sich an die Werbekampagne aus den Sechzigern zu erinnern -, aber ihre Kinder amüsiert gar nichts. Dafür machen sie sie verantwortlich. »Du hast nie zugelassen, dass Heiterkeit in unseren Leben eine Rolle spielte«, ermahnen sie sie. »Es ist schon ein starkes Stück zu denken, du kannst jetzt mit uns deine Scherze treiben. Ehrlich gesagt, es ist peinlich. Du bist die unlustigste Mutter, die je gelebt hat.«

»Ach, ist das tatsächlich so?«

»Ist das tatsächlich so! Da hat man s. Jede andere Mutter hätte einfach echt? gesagt.«

»In Zeiten des Sprachverfalls habe ich euch dazu erzogen, euch immer korrekt auszudrücken. Ihr solltet dankbar sein, Kinder einer Lehrerin zu sein und nicht die eines Waschmädchens.«

»Was ist denn ein Waschmädchen?«

Die Prinzessin lobt sich dafür, nicht zu sagen: Du hast eines geheiratet.

»Deine Unkenntnis bestätigt meine Systematik«, sagt sie stattdessen. »Genau wie ich meine Schüler für Höheres ausgebildet habe, habe ich auch euch ausgebildet.«

»Wir waren nicht deine Schüler, Mutter â¦«

»Ich bin noch nicht fertig.«

»Gehört das jetzt wieder zu deinen Scherzen?«

»Ich habe nie behauptet, lustig zu sein. Es liegt in der Natur der Väter, sich um diesen Bereich zu kümmern.«

»Unsere Väter waren nie da.«

»Auch das liegt in der Natur der Väter. Aber um die Neugierde einer alten Frau zu stillen. Ihr sagtet, ich sei die unlustigste Mutter gewesen, die je gelebt habe. Von wie vielen Müttern seid ihr denn aufgezogen worden?«

»Man kann davon ausgehen, dass sich wohl keine andere Mutter geweigert hat, Gutenachtgeschichten vorzulesen, weil sie sie geistlos fand. Du hast tatsächlich dieses Wort verwendet - geistlos, Herrgott noch mal!«

»Da habt ihr es - ich habe euch ein Wort beigebracht, an das ihr euch noch immer erinnert â¦«

»Das aber niemand verwendet.«

»Dann versucht, euch in gebildeteren Kreisen zu bewegen.«

»Ich sitze im House of Lords, Mutter.«

»Eben.«

»Das Leben besteht nicht nur aus Worten â¦«

»Und ob es das tut.«

»Es gibt auch noch Gefühle.«

»Gefühle! Und was sind Gefühle ohne die Worte, sie auszudrücken? Man grunzt, bis man ein Wort dafür hat, das bezeichnet, warum man grunzt. Und aus diesem Grund wissen Schweine nichts von Weltschmerz oder nostalgie de la boue.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil sie nie davon sprechen.«

»Wenn man aus Angst grunzt, weiß man, dass man sich fürchtet. Wir haben nie artikuliert, dass wir uns fürchteten. Aber das haben wir.«

»Gefürchtet, weil ihr bedroht wart, oder gefürchtet, weil ihr von Natur aus ängstlich wart?«

»Wir hatten nie die Möglichkeit, das herauszufinden. Du hast uns vom Augenblick unserer Geburt an das Fürchten gelehrt. Du hast uns vor dem Schlafengehen Grimms Märchen und Struwwelpeter vorgelesen - auf Deutsch.«

»Ich?«

»Du! Ich wache noch immer nachts schreiend auf, weil der Schneider hereinkommt und mir klipp und klapp mit der Scher den Daumen abschneiden will.«

»Es war nötig, um euch an die Gefahr zu erinnern, die die Deutschen darstellten. Ich habe euren Vater durch sie verloren, falls ihr euch erinnert.«

»Mein Vater war es nicht.«

»Es herrschten verwirrende Zeiten.«

»Genau wie jetzt. Und was zur Verwirrung auch noch beiträgt, ist, wenn du dich plötzlich entscheidest, die Fröhliche zu spielen. Du hast uns mit Strenge erzogen, und uns wäre es lieber, wenn du so bliebest. Es steht dir nicht, dich plötzlich so mädchenhaft zu geben.«

»Mir fehlen die Worte«, sagte sie.

Dies ist nicht die Mitschrift eines echten Telefongesprächs mit einem echten Kind, sondern die Zusammenfassung vieler. Im Nachhinein bedauerten die Kinder ihre harten Worte. Mütter ziehen einen Ölfilm an Vorwürfen und Schuld hinter sich her. Selbst diese Mutter. Sicher, sie musste sich für vieles rechtfertigen - dass ihnen jeglicher Sinn für alles abging, was in Richtung Lächerlichkeit tendierte zum einen; zum anderen, dass in ihren Leben etwas vollständig fehlte, was auch nur entfernt an einen Vater erinnerte, dann: dass sie kein liebevolles Interesse am Wohlergehen anderer hegten; vielleicht ging sogar ihre eiserne Entschlossenheit auf sie zurück. Aber sie war über neunzig. Man kann seiner Mutter nicht ewig die Schuld geben. Und wenn sie ihr vielleicht ein wenig mehr Zuneigung gezeigt hätten - schwer auszudenken, wie das hätte gehen sollen, aber dennoch â¦

Sie merkt, wenn ihre Kinder es sich noch einmal überlegen. Spürt, dass ein Zurücknehmen unmittelbar bevorsteht, und hebt eine beringte Hand, um das zu verhindern. Klipp und klapp. Als Nächstes wollen sie ihr auch noch einen Kuss geben. Die Ringe an ihrem Finger,...
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Autor

Howard Jacobson, 1942 in Manchester geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren Großbritanniens. Seine Romane erscheinen in zwanzig Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. 2010 mit dem Booker-Preis.