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Der Albatros

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am12.04.20211. Auflage
Ein Roman über den Autor des Weltbestsellers 'Der Leopard'.

Rom, 1957: Giuseppe Tomasi di Lampedusa weiß, er wird sterben, er wird sein geliebtes Sizilien nicht mehr wiedersehen. In Gedanken begibt er sich auf eine Reise in das Land seiner Kindheit, in prächtige Palazzi, in die sonnendurchglühten sizilianischen Sommer, in die Welt seiner schönen Mutter und deren Schwestern, eine Welt, in der er das einzige Kind war, allein im Dämmer der endlosen Zimmerfluchten. Bis Antonno auftaucht, ein kleiner Junge, der nicht von seiner Seite weicht in jenem Sommer, in dem Giuseppe erwachsen wird ...

Simona Lo Iacono erzählt das Leben des großen Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa als Roman seiner Kindheit und zeichnet ein außergewöhnliches Leben zwischen den Zeiten nach.

'Ein Sizilien voller Magie und eine verwunschene Kindheit inmitten prächtiger, dem Untergang geweihter Palazzi.' La Repubblica.


Simona Lo Iacono, 1970 in Syrakus geboren, ist Staatsanwältin in Catania. Ihr 2016 erschienener Roman 'Le streghe di Lenzavacche' (edizioni e/o), war für den Premio Strega, den wichtigsten italienischen Literaturpreis nominiert. Verena von Koskull, geboren 1970, hat Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna studiert. Sie übertrug u.a. Matthew Sharpe, Curtis Sittenfeld, Tom McNab, Carlo Levi, Simona Vinci und Claudio Paglieri ins Deutsche.
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Produkt

KlappentextEin Roman über den Autor des Weltbestsellers 'Der Leopard'.

Rom, 1957: Giuseppe Tomasi di Lampedusa weiß, er wird sterben, er wird sein geliebtes Sizilien nicht mehr wiedersehen. In Gedanken begibt er sich auf eine Reise in das Land seiner Kindheit, in prächtige Palazzi, in die sonnendurchglühten sizilianischen Sommer, in die Welt seiner schönen Mutter und deren Schwestern, eine Welt, in der er das einzige Kind war, allein im Dämmer der endlosen Zimmerfluchten. Bis Antonno auftaucht, ein kleiner Junge, der nicht von seiner Seite weicht in jenem Sommer, in dem Giuseppe erwachsen wird ...

Simona Lo Iacono erzählt das Leben des großen Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa als Roman seiner Kindheit und zeichnet ein außergewöhnliches Leben zwischen den Zeiten nach.

'Ein Sizilien voller Magie und eine verwunschene Kindheit inmitten prächtiger, dem Untergang geweihter Palazzi.' La Repubblica.


Simona Lo Iacono, 1970 in Syrakus geboren, ist Staatsanwältin in Catania. Ihr 2016 erschienener Roman 'Le streghe di Lenzavacche' (edizioni e/o), war für den Premio Strega, den wichtigsten italienischen Literaturpreis nominiert. Verena von Koskull, geboren 1970, hat Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna studiert. Sie übertrug u.a. Matthew Sharpe, Curtis Sittenfeld, Tom McNab, Carlo Levi, Simona Vinci und Claudio Paglieri ins Deutsche.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841226426
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum12.04.2021
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2112 Kbytes
Artikel-Nr.5453495
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1.

Unsere erste Begegnung war nicht der Rede wert. Irgendwann standen wir einander gegenüber, wortlos, einfach so. Ich in meinem englischen Anzug aus blauem Gabardine, den Kniehosen, der seidenbordierten Weste. Er in einem viel zu weiten aufgekrempelten Hemd. Er trug Sommerschuhe und Winterstrümpfe und einen Strohhut mit einem Loch in der Spitze.

Niemand sagte mir, wer er sei.

Er war ein Mischmasch aus Jahreszeiten, zu großen oder zu kleinen Kleidergrößen, baumelnden Knöpfen und geborgten Äußerlichkeiten.

Ich wunderte mich über diesen komischen Knirps, so ein Wirrkopf war mir noch nie begegnet. Sagte man ihm, »komm in den Schatten«, blieb er in der Sonne stehen, er verjagte die Fliegen, wenn sie längst fort waren, und um ihm seinen Namen zu entlocken, musste ich nur aufhören, ihn danach zu fragen.

Bei Antonno war alles verkehrt herum, und als ich ihm erklärte, wer ich sei - Giuseppe Tomasi di Lampedusa -, schnappte er nur die letzten Silben auf, verwechselte sie mit Meduse, zog sich schnurstracks bis auf die Unterhosen aus und lachte bei der Vorstellung, es ginge ans Meer.

Sofort war mir klar, dass wir einige Zeit miteinander verbringen würden. Auch diesmal erklärte mir niemand den Grund.

Ich fand es ganz selbstverständlich, ihn mit in mein Zimmer zu nehmen, damit er sich umsehen und mit allem vertraut machen konnte.

Noch wusste ich nicht, dass das nicht nötig war.

Antonno brauchte weder Bezugspunkte noch Gewissheiten, von denen er ausgehen und an denen er sich festhalten konnte. Während der ganzen Zeit, die wir in meinem Zimmer verbrachten, hatte er nur Augen für die Schuhe. »Paarweise unter dem Bett«, sagte er immer wieder. Weiter nichts.

Anders als erwartet, verblüffte mein Zimmer ihn nicht. Er hatte keinen Blick für das Schaukelpferd, auf das ich so stolz war. Auch nicht für die Flinte oder die aufgereihten Zinnsoldaten in ihren Stoffuniformen. In den Spielzimmern im Hause Lampedusa gab es mittelalterliche Burgen; sizilianische Karren mit Schellen und Quasten; dampfbetriebene Spielzeugeisenbahnen; ein Fahrrad von 1818 aus dem Besitz meines Urgroßvaters, das in der Familie »mechanisches Pferd« genannt wurde und in Deutschland unter dem Namen »Laufmaschine« patentiert worden war.

Selbst passendere Kleidung zu haben, ließ ihn gleichgültig.

Nachdem er mir erlaubt hatte, ihm ein Hemd und ein Paar Mokassins in der richtigen Größe überzustreifen, zog er sich wieder aus, drehte alles auf links und schlüpfte verkehrt herum hinein.

So schlenzte er durch die Gegend. Mit baumelnden Ärmeln, die Arme durch den Halsausschnitt geschoben.

Wenn er durch die Flure ging, schlenkerten die Hosenträger wie ein Schwanz hinter ihm her.

Dann waren wir allein. Der Abend senkte sich herab. In der Ferne drängte mein Vater meine Mutter, ihre Toilette zu beenden.

»Beeil dich, Bice, die Florios schätzen Zu-spät-Kommer nicht.«

Sie lachte aus gurrender Kehle, puderte sich kokett.

»Ich war nie eine Zu-spät-Kommerin«, versetzte sie spitz. »Nur eine Frau, die gern auf sich warten lässt.«

Doch Antonno überhörte die geschäftigen Vorbereitungen, die Kindermädchen, die emsig die Betten zurechtmachten, die Köchinnen, die den Zimt in die Milch rührten.

Ganz versunken schnitzte er mit der Klinge eines Klappmessers an einem Stück Holz herum.

»Was machst du da?«, fragte ich neugierig.

»Wolferchen«, versetzte er und meinte kleine Wölfe.

»Das sind Schafe«, sagte ich, als er fertig war, verblüfft ob der Vollkommenheit seiner Schnitzerei.

Antonnos Schafe hatten zausige Wolle, Ziegenhufe und täuschend echt aussehende Ohren.

»Nein, Wolferchen«, beharrte er.

Und es war unmöglich, ihm klarzumachen, dass er gerade eine ganze Schafherde schnitzte.

Am nächsten Morgen wachten wir zusammen auf.

Antonno hatte eine seltsame Art zu erwachen. Unvermittelt und übergangslos. Sobald er die Augen aufschlug, sagte er nicht: Ich bin wach. Sondern: Ich bin eingeschlafen.

Und ich sollte lernen, dass er, ehe er zu Bett ging, keine gute Nacht, sondern einen guten Tag wünschte.

Der Palazzo schlug ihn in seinen Bann, vor allem das Frühstück, das vom Läuten einer Glocke angekündigt wurde. Seit Generationen erklang in diesem Haus zu jedem Tagesereignis eine Glocke. Drei Schläge vor dem Zubettgehen. Einer für den Angelus. Sieben bei Sterbefällen und zehn bei Geburten. Ein schnelles Klingeln für das Frühstück, danach das Kreuzzeichen und der Gruß an die Muttergottes.

Das Geräusch belustigte ihn. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er hoch und fing an zu tanzen.

Wenn ich ihm sagte: »Hör auf damit, Antonno ...«, antwortete er, ohne stillzuhalten: »Ich rühre mich nicht«.

Dann lachte er mit offenem Mund, und ich konnte sehen, dass ihm zwei Schneidezähne fehlten. Dass ein paar Backenzähne schwarz vor Fäule waren.

Doch schien diesem versehrten, von Atem, Sprache und Speichel durchzogenen Lachen eine ungreifbare, verzweifelte Stille innezuwohnen, die sich mit unserer Fröhlichkeit rieb.

Er fing an, die Dinge zu erkunden, an ihnen zu riechen, noch ehe er sie befühlte, als würde sich die Welt über den Geruchssinn kühner offenbaren. Er streifte die Vorhänge, die gebauchten schmiedeeisernen Balkongitter, das Kristall, das Silber, die Ebenholztische. Das Haus in der Via Lampedusa strotzte vor wundersamen Gegenständen: Mohrenköpfe, Bücherschränke aus Wurzelholz. Keramik in den Farben der Sonne.

Antonno schnupperte daran, dann berührte er die Dinge mit der Fingerspitze. Ihre Erhabenheit war ihm eine unerträgliche Qual. Ihm waren kleine Orte lieber, Nussschalen. Darin, so sagte er, hätten riesige Kinder Platz.

Doch mir war das Haus eine Welt der Wunder, unerforschtes Land. Ich durchstreifte es von oben bis unten, flitzte zwischen den Loggien, den von Jasmin überbordenden Höfen und den Treppenaufgängen umher, die in das von meinen Onkeln bewohnte obere Stockwerk führten.

Die beiden waren die unverheirateten Brüder meines Vaters. Großvater Pepè, der Vater meines Vaters, der einen anderen Flügel des Palazzos bewohnte, pflegte zu sagen, sie seien waschechte Lebemänner, ihr Lachen würde selbst den Tod überdauern.

Mit dem Vorgefühl dieses Lachens im Herzen erklomm ich die Stufen, unter den Blicken der geschnitzten Putten, die mich von droben leiteten und meinen Weg mit Salz- und Honigzungen leckten.

Mutter pflegte zu sagen, die Onkel glichen den Dioskuren, den Zwillingen aus der griechischen Mythologie. Die zwei hingen so sehr aneinander, dass, als Kastor starb, Pollux ihm nachfolgen wollte, obwohl er die Gabe der Unsterblichkeit besaß.

Verunsichert hörte Antonno zu.

Zwillinge waren für ihn nur das helle Sternenpaar am Himmelszelt. Und der Pollex war der Daumen, der erste Finger an jeder Hand, an dem man lutschen konnte, wenn man sich fürchtete. Doch mit dem Tod kannte er sich aus.

Der Tod, sagte er zu mir, beginne mit der heiligen Taufe.

Ich erklärte ihm, dass die Taufe den Anfang und nicht das Ende feiere, die Freude, nicht die Trauer. Die Taufen der Lampedusas waren nachgerade heilig. Sie wurden in der Hauskapelle gefeiert, unter dem wachsamen Blick Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe und in Gegenwart des Erzbischofs. Zu diesen Gelegenheiten kleideten sich die Salons in Granatapfellaub und Nachtblumen. Die Rokokowandspiegel vervielfachten ihre prallen, von den Tränen der Neugeborenen durchströmten Fibern.

Doch Antonio blieb ungerührt, lächelte über seinen Schnitzfiguren und wurde wieder ernst: In seinem Kopf waren Anfang und Ende verdreht.

Wenn er ein Buch durchblätterte, fing er bei der letzten Seite an, wenn er vorwärts wollte, ging er rückwärts, er zählte verkehrt herum und empfand mit Nullen unendliches Mitleid.

Es gelang mir nie, ihn umzustimmen: In all der Zeit, die wir zusammen verbrachten, war es schlicht unmöglich, ihn die Woche am Montag beginnen zu lassen oder ihm auszureden, dass man sterbend geboren wurde.

Für meine Erziehung war meine Mutter zuständig. Mutter sprach Französisch und sagte merci statt danke, monsieur statt mein Herr oder grand-mère statt Großmama. Abends vor dem Zubettgehen las sie aus Salgaris Romanen vor und erwähnte exotische Tiere, die man hierzulande nie gesehen hatte.

Auch Antonno hörte zu und schnitzte verdrossen vor sich hin. Die märchenhafte Welt der Bücher schien ihm von einer Katastrophe zu künden.

Er litt wegen der Elefanten, denn er fürchtete, jemand hätte ihnen die Nase lang gezogen. Wegen der Giraffen, die dem Tod durch den Strang besonders ausgeliefert schienen. Wegen der Schlangen, die dazu verdammt waren, zusammengerollt in einem Korb zu sterben, sobald jemand vergaß, die Flöte zu spielen.

Es war unmöglich, ihm klarzumachen, dass die Natur jedem Tier seine Form zugedacht hatte. Er glaubte, die Tiere hätten sich ein Schicksal gesucht, das mit den Qualen, die sie erleiden mussten, vereinbar war. Geschickt schnitzte er sie nach und gab der Giraffe einen normalen Hals zurück; dem Elefanten eine kurze Nase; der Schlange die ihr gebührende Lebenskraft.

Wenn er ein französisches Wort aufschnappte, wiederholte er es ebenso sanft wie meine Mutter, die er kaum anzusprechen wagte, denn eine Mutter sei wie ein Geheimnis, sagte er. Ein...
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Autor

Simona Lo Iacono, 1970 in Syrakus geboren, ist Staatsanwältin in Catania. Ihr 2016 erschienener Roman "Le streghe di Lenzavacche" (edizioni e/o), war für den Premio Strega, den wichtigsten italienischen Literaturpreis nominiert.


Verena von Koskull, geboren 1970, hat Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna studiert. Sie übertrug u.a. Matthew Sharpe, Curtis Sittenfeld, Tom McNab, Carlo Levi, Simona Vinci und Claudio Paglieri ins Deutsche.
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