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Im Untergrund

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Verlagsbuchhandlung Liebeskinderschienen am15.02.2021Deutsche Erstausgabe
Als Will Hunt sechzehn Jahre alt war, entdeckte er unweit seines Elternhauses in Rhode Island einen verlassenen Tunnel. Zusammen mit Freunden unternahm er seine erste Exkursion unter die Erde und war sofort fasziniert von diesem dunklen, fremden Teil der Welt. Seitdem hält er sich bevorzugt im Untergrund auf. In diesem Band beschreibt Will Hunt seine Entdeckungsreisen in die geschichtsträchtigsten Löcher der Erde. Im australischen Outback steigt er mit Aborigines hinab in eine Ocker-Mine, die über 35.000 Jahre alt ist. In South Dakota sucht er mit Mikrobiologen der NASA kilometertief nach Spuren frühzeitlicher Lebensformen. Mit Urban Explorern verbringt er Tage und Nächte in den Pariser Katakomben, und in Belize begibt er sich auf die Spuren der Maya, die von Höhlen besessen waren ... Will Hunt öffnet den Blick für die verborgenen Dimensionen unseres Planeten und zeigt auf, wie unser Denken und unser Selbstverständnis immer schon von unterirdischen Welten geprägt wurden. Seine Reiseberichte handeln von der Anziehungskraft der Dunkelheit, von der Macht des Geheimnisvollen und unserem ewigen Streben, das zu verstehen, was unsichtbar ist.

Will Hunt, geboren 1984 in Providence, studierte Journalistik in New York. Er lehrte u.a. Kreatives Schreiben an der Columbia University. Derzeit hat er eine Gastprofessur am Institute for Public Knowledge der New York University inne. Wenn er nicht gerade ein Lehramt ausübt oder unterirdische Landschaften bereist, wohnt er in einer kleinen Küstenstadt in Maine.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextAls Will Hunt sechzehn Jahre alt war, entdeckte er unweit seines Elternhauses in Rhode Island einen verlassenen Tunnel. Zusammen mit Freunden unternahm er seine erste Exkursion unter die Erde und war sofort fasziniert von diesem dunklen, fremden Teil der Welt. Seitdem hält er sich bevorzugt im Untergrund auf. In diesem Band beschreibt Will Hunt seine Entdeckungsreisen in die geschichtsträchtigsten Löcher der Erde. Im australischen Outback steigt er mit Aborigines hinab in eine Ocker-Mine, die über 35.000 Jahre alt ist. In South Dakota sucht er mit Mikrobiologen der NASA kilometertief nach Spuren frühzeitlicher Lebensformen. Mit Urban Explorern verbringt er Tage und Nächte in den Pariser Katakomben, und in Belize begibt er sich auf die Spuren der Maya, die von Höhlen besessen waren ... Will Hunt öffnet den Blick für die verborgenen Dimensionen unseres Planeten und zeigt auf, wie unser Denken und unser Selbstverständnis immer schon von unterirdischen Welten geprägt wurden. Seine Reiseberichte handeln von der Anziehungskraft der Dunkelheit, von der Macht des Geheimnisvollen und unserem ewigen Streben, das zu verstehen, was unsichtbar ist.

Will Hunt, geboren 1984 in Providence, studierte Journalistik in New York. Er lehrte u.a. Kreatives Schreiben an der Columbia University. Derzeit hat er eine Gastprofessur am Institute for Public Knowledge der New York University inne. Wenn er nicht gerade ein Lehramt ausübt oder unterirdische Landschaften bereist, wohnt er in einer kleinen Küstenstadt in Maine.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783954381302
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum15.02.2021
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse10939 Kbytes
Artikel-Nr.5636103
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel
DER ABSTIEG

Es gibt eine andere Welt, aber sie ist in dieser.

PAUL ÉLUARD

Hinweise auf den Untergrund findet man überall. Man tritt aus der Haustür und spürt unter den Füßen das Dröhnen aus U-Bahn-Tunneln, Stromkabeln, Wasserleitungen und Rohrpoströhren, alle in Schichten übereinanderliegend und miteinander verwoben wie Fäden auf einem riesigen Webstuhl. Am Ende einer ruhigen Nebenstraße sieht man Dampf aus einem Entlüftungsschacht steigen, vielleicht aus einem versteckten Tunnel, wo Obdachlose in einem selbst gebauten Unterschlupf hausen, oder aus einem geheimen Bunker mit bombensicheren Betonwänden, in den sich die Elite beim Weltuntergang flüchten wird. Bei einem ausgedehnten Spaziergang durch friedliches Weideland fährt man mit der Hand über einen grasbewachsenen Hügel, unter dem vielleicht das uralte Grab einer Stammesfürstin verborgen liegt oder die Fossilien eines urzeitlichen Riesentiers mit langem Zackenschwanz. Man wandert einen schattigen Waldweg entlang, legt das Ohr an den Boden und hört das Krabbeln von Ameisen, die eine unterirdische Miniaturstadt mit zahllosen gewundenen Gängen bauen. Auf einer Bergtour riecht man ein erdiges Aroma, das aus einem schmalen Spalt aufsteigt - Hinweis auf einen großen Hohlraum, dessen Wände vielleicht mit prähistorischen Kohlemalereien verziert sind. Auf Schritt und Tritt spürt man ein Beben aus großer Tiefe, wo gigantische Felsmassen sich aneinander reiben, sich verschieben und die Erde zum Wanken und Schaudern bringen.

Wäre die Erdoberfläche durchsichtig, verbrächten wir ganze Tage auf dem Bauch liegend, um hinunter in die vielen Schichten des unterirdischen Terrains zu starren. Aber für uns Oberflächenbewohner, die in der sonnenhellen Welt ihrem Leben nachgehen, ist und war der Untergrund unsichtbar. Unser Wort für die Unterwelt, Hölle, ist hergeleitet von der protoindoeuropäischen Wurzel kel-, die »verhüllen« bedeutet. Das altgriechische Wort Hades heißt »der Unsichtbare«. Wir verfügen heutzutage über moderne technische Hilfsmittel wie Georadar und Magnetometer, um die Welt zu unseren Füßen anschaulich zu machen, aber selbst die besten Bilder wirken neblig und unscharf, und immer noch spähen wir wie Dante mühsam in die Tiefen: »Ob ich den Blick auch schickte tief zum Grunde, so schwarz blieb der, so neblig allerseiten, dass ich nichts unterschied in weiter Runde.« Der Untergrund ist die abstrakteste Landschaft des Planeten, und immer mehr Metapher als konkreter Ort. Wenn wir von »Untergrund« sprechen - ein illegaler Rave, eine unentdeckte Künstlerin, eine Untergrundbewegung -, dann beschreiben wir im Allgemeinen keinen Ort, sondern einen Zustand: etwas Verbotenes, Unausgesprochenes, in jedem Fall etwas, das sich jenseits des Bekannten und Gewöhnlichen befindet.

Als Augenkreaturen - unsere Augen, schrieb Diane Ackerman, sind »die großen Monopolisten unserer Sinne« - vergessen wir den Untergrund. Wir sind komplett oberflächenfixiert. Wir feiern die Pioniere, die immer weiter hinaus und höher hinauf streben: Wir sind über die Mondoberfläche gehüpft, haben Messfahrzeuge in Marsvulkane gesteuert und elektromagnetische Stürme im fernsten Weltall aufgezeichnet. Das Weltinnere ist im Vergleich dazu viel leichter zu erreichen - aber weniger erforscht. Die Geologen glauben, dass weltweit über die Hälfte aller Höhlen noch unentdeckt tief in der Erdkruste versteckt liegen. Die Entfernung von unseren Füßen bis zum Mittelpunkt der Erde ist nicht weiter als eine Reise von New York nach Paris, und trotzdem ist der Erdkern eine Black Box, eine Gegend unseres Planeten, deren Existenz wir in blindem Glauben akzeptieren. Wir sind noch nicht weiter unter die Erde vorgedrungen als die 12.262 Meter der Kola-Bohrung in der russischen Arktis - das ist weniger als ein halbes Prozent des Wegs bis zum Erdmittelpunkt. Der Untergrund ist eine Geisterlandschaft, die sich überall unter unseren Füßen ausbreitet und sich doch stets dem Blick entzieht.

Aber ich wusste schon als Kind, dass die Unterwelt nicht immer und nicht für alle unsichtbar war - für bestimmte Menschen hatte sie sich geöffnet. Im alten D´Aulaires Book of Greek Myths meiner Eltern - der amerikanischen Variante von Schwabs Sagen des klassischen Altertums - las ich, dass Odysseus, Herakles, Orpheus und andere Helden durch schroffe Spalten in die Erde hinabgestiegen waren, den Styx mithilfe des Fährmanns Charon überquert, den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus abgeschüttelt und das Schattenreich des Hades betreten hatten. Von all diesen Helden begeisterte mich Hermes am meisten, der Götterbote mit Flügeln an Helm und Sandalen. (Hermes trug den wunderbaren Beinamen Psychopomp, was so viel wie »Seelenbegleiter« bedeutet.) Während andere Götter und Sterbliche den kosmischen Gesetzen gehorchen mussten, bewegte er sich mühelos zwischen Licht und Dunkel, unten und oben. Hermes - den ich zum Schutzheiligen meiner eigenen Exkursionen in den Untergrund ernannte - war für mich der Inbegriff des unterirdischen Entdeckungsreisenden, der die Dunkelheit mit Klarheit und Anmut durchmaß, die Unterwelt erkannte und den vergrabenen Schatz ihrer Weisheit zu heben wusste.

In dem Sommer, in dem ich sechzehn wurde und meine Welt klein und vertraut wie meine Fingerkuppe war, entdeckte ich einen verlassenen Eisenbahntunnel, der unter unserem Viertel in Providence, Rhode Island, hindurchführte. Mein Erdkundelehrer erwähnte den Tunnel zum ersten Mal, ein kleiner, bärtiger Mann, Otter hieß er, der jede versteckte Furche in der neuenglischen Landschaft kannte. Der Tunnel war für eine kleine Güterverkehrslinie gebaut worden, erzählte er mir, aber die gab es schon lange nicht mehr. Jetzt verfiel er, war voll mit Schlamm und stinkendem Müll und Gott weiß was sonst noch allem.

Eines Nachmittags fand ich den von einem dichten Gebüsch hinter einer Zahnarztpraxis verborgenen Eingang. Er war mit Schlingpflanzen überwuchert, und das Datum der Erbauung - 1908 - war im Beton über der Einfahrt verewigt. Der Zugang war von der Stadt mit einem Metalltor verschlossen worden, aber jemand hatte eine kleine Öffnung hineingeschnitten: Zusammen mit ein paar Freunden kroch ich in die Tiefe. Die Strahlen unserer Taschenlampen durchkreuzten das Dunkel. Mit den Füßen blieben wir im Schlamm stecken, die Luft war feuchtwarm. Von der Decke hingen perlweiße, warzenartige Stalaktiten, an denen Wasser herunter- und uns auf die Köpfe tropfte. In der Mitte des Tunnels machten wir eine Mutprobe und schalteten die Taschenlampen aus. Als alles um uns herum in Finsternis versank, stießen meine Freunde Freudenschreie aus, um den Hall ihres Echos zu hören, aber ich hielt den Atem an und stand wie angewurzelt da - als könnte ich bei der kleinsten Bewegung abheben und davonschweben. An diesem Abend kramte ich zu Hause einen alten Stadtplan von Providence hervor. Ich verfolgte mit dem Finger, wo wir den Tunnel betreten hatten und wo er auf der anderen Seite wieder herauskam. Ich blinzelte: Der Tunnel führte fast genau unter meinem Elternhaus hindurch.

In jenem Sommer stieg ich, wenn alle anderen unterwegs waren, immer wieder in die Gummistiefel und ging den Tunnel erforschen. Was mich dort unten so anzog, hätte ich nicht erklären können, ich ging nie mit einer konkreten Absicht in die Dunkelheit. Ich schaute mir die Graffiti an oder kickte leere Bierflaschen herum. Manchmal stellte ich meine Lampe aus, nur um zu sehen, wie lang ich es im Dunkeln aushielt, bevor meine Nerven mit mir durchgingen. Als Sechzehnjähriger machte ich mir nicht besonders viele Gedanken über mein Wesen, hatte aber trotzdem das vage Gefühl, dass diese Unternehmungen nicht direkt zu meinem Charakter passten: Ich war ein unsicherer, dünner Teenager mit Bücherwurmbrille und Zahnlücke. Als meine Freunde längst mit Mädchen herummachten, hatte ich immer noch ein Terrarium mit Baumfröschen im Zimmer stehen. Etwas über die Abenteuer anderer Leute in Büchern zu lesen, fand ich gut, aber ich war nicht scharf darauf, selbst welche zu erleben. Aber irgendetwas an dem Tunnel ging mir unter die Haut: Ich lag nachts im Bett und dachte daran, dass er unter unserer Straße verlief.

Gegen Ende dieses Sommers betrat ich den Tunnel nach einem starken Regenguss, und mir schallte aus dem Dunkel unerwarteter Lärm entgegen. Erschreckt wollte ich umdrehen, beschloss dann aber doch weiterzugehen, obwohl das Getöse immer lauter wurde. Tief im Tunnel sah ich, woher es stammte: Aus einem Spalt in der Decke - einem geplatzten Rohr vielleicht - strömte das Wasser in Kaskaden zu Boden. Direkt unter dem Wasserfall stand ein umgedrehtes Kindereimerchen. Daneben ein Farbeimer. Ich sah eine Riesenkollektion umgedrehter Behälter - Ölfässer, Bierbüchsen, Tupperdosen, Benzinkanister, Kaffeedosen -, alle unter mysteriösen Umständen von einem Unbekannten zu einem Orchester angeordnet. Das Wasser trommelte auf die hohlen Gefäße und ließ Harmonien und...
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Will Hunt, geboren 1984 in Providence, studierte Journalistik in New York. Er lehrte u.a. Kreatives Schreiben an der Columbia University. Derzeit hat er eine Gastprofessur am Institute for Public Knowledge der New York University inne. Wenn er nicht gerade ein Lehramt ausübt oder unterirdische Landschaften bereist, wohnt er in einer kleinen Küstenstadt in Maine.