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Berliner Justizgeschichte

Eine Dissertation zum strafrechtlichen Justizalltag im Nachkriegsberlin
tolino mediaerschienen am01.07.2017
Diese Arbeit über den Neuaufbau der Berliner Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg vermittelt ein lebendiges, illustrierendes Bild der Nachkriegszeit und zeigt, in welchem politischen Spannungsfeld der Neuaufbau stattfand. Die Aufarbeitung der Justizgeschichte, und dabei insbesondere die Rolle der Ostberliner Justiz nach der Spaltung, trägt zu einem rechtshistorisch und rechtssoziologisch geprägten Bild der Probleme und Nöte der Justiz und der Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren bei und gewährt spezifische Einblicke in die Entstehung eines neuen Rechts- und Gesellschaftssystems. Berlin in der Nachkriegszeit, als Miniaturbild des Kalten Krieges, ist für eine solche Untersuchung besonders geeignet, da es gerade dort nun galt, die entscheidenden Machtpositionen zu sichern. Das Justizsystem wurde dabei zu einem Eckpfeiler bei der Sicherung der Macht; in ihm spiegelten sich die sich gegenüberstehenden, sehr unterschiedlichen politischen Ideologien wider. Die Untersuchung von ca. 3000 Gerichtsakten des Amtsgerichts Berlin-Mitte aus der Zeit von 1945 bis 1952 zeigt, wie rasch sich die Justiz und die Bevölkerung auf die neuen Machtverhältnisse einstellten - und wie leicht ausgebildete oder auszubildende Juristen Spielball einer Ideologie wurden. Kurz nachdem am 2. Mai 1945 für Berlin die Kapitulationsurkunde unterzeichnet wurde, machte sich die siegreiche Rote Armee nicht nur daran die Trümmer des '1000-jährigen Reiches' aufzuräumen und die Versorgung der Berliner Bevölkerung zu sichern, sondern organisierte auch Verwaltung, Polizei und Gerichte neu. Bereits am 8. Mai wurde eine Eheschließung registriert, die nach den NS-Rassegesetzen niemals möglich gewesen wäre. Ab 14. Mai verkehrten wieder die ersten U-Bahnzüge. Am 19. Mai begann der neue Magistrat seine Tätigkeit. Der Aufbau der neuen Gerichtsorganisation war zum 1. Juni abgeschlossen, was auch überaus notwendig war, denn in der ausgebluteten, ausgehungerten und zerbombten Stadt wurde geplündert, geraubt und gemordet.

Ernst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin. Publikationsauswahl: Berliner Justizgeschichte, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern, Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg, Mord? Totschlag? Oder was?, Sirius, Katzenkönig und Co.
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Produkt

KlappentextDiese Arbeit über den Neuaufbau der Berliner Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg vermittelt ein lebendiges, illustrierendes Bild der Nachkriegszeit und zeigt, in welchem politischen Spannungsfeld der Neuaufbau stattfand. Die Aufarbeitung der Justizgeschichte, und dabei insbesondere die Rolle der Ostberliner Justiz nach der Spaltung, trägt zu einem rechtshistorisch und rechtssoziologisch geprägten Bild der Probleme und Nöte der Justiz und der Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren bei und gewährt spezifische Einblicke in die Entstehung eines neuen Rechts- und Gesellschaftssystems. Berlin in der Nachkriegszeit, als Miniaturbild des Kalten Krieges, ist für eine solche Untersuchung besonders geeignet, da es gerade dort nun galt, die entscheidenden Machtpositionen zu sichern. Das Justizsystem wurde dabei zu einem Eckpfeiler bei der Sicherung der Macht; in ihm spiegelten sich die sich gegenüberstehenden, sehr unterschiedlichen politischen Ideologien wider. Die Untersuchung von ca. 3000 Gerichtsakten des Amtsgerichts Berlin-Mitte aus der Zeit von 1945 bis 1952 zeigt, wie rasch sich die Justiz und die Bevölkerung auf die neuen Machtverhältnisse einstellten - und wie leicht ausgebildete oder auszubildende Juristen Spielball einer Ideologie wurden. Kurz nachdem am 2. Mai 1945 für Berlin die Kapitulationsurkunde unterzeichnet wurde, machte sich die siegreiche Rote Armee nicht nur daran die Trümmer des '1000-jährigen Reiches' aufzuräumen und die Versorgung der Berliner Bevölkerung zu sichern, sondern organisierte auch Verwaltung, Polizei und Gerichte neu. Bereits am 8. Mai wurde eine Eheschließung registriert, die nach den NS-Rassegesetzen niemals möglich gewesen wäre. Ab 14. Mai verkehrten wieder die ersten U-Bahnzüge. Am 19. Mai begann der neue Magistrat seine Tätigkeit. Der Aufbau der neuen Gerichtsorganisation war zum 1. Juni abgeschlossen, was auch überaus notwendig war, denn in der ausgebluteten, ausgehungerten und zerbombten Stadt wurde geplündert, geraubt und gemordet.

Ernst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Lebt als Autor in Berlin. Publikationsauswahl: Berliner Justizgeschichte, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern, Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg, Mord? Totschlag? Oder was?, Sirius, Katzenkönig und Co.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783739393254
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.07.2017
Seiten422 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse6080
Artikel-Nr.5640278
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erstes Kapitel: Die Rolle der Strafjustiz in Umbruchzeiten
Allgemeiner historischer Überblick

Mit der Kapitulation des Dritten Reiches , die am 7. Mai 1945 im amerikanischen Hauptquartier in Reims unterzeichnet wurde und in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 im sowjetischen Hauptquar­tier in Berlin-Karlshorst wiederholt worden war (1), wurde auch der Startschuß zum Wiederaufbau des deutschen Gerichtswesens gegeben.

Auf den Konferenzen in Teheran (November 1943) und Jalta (Februar 1945) hatten sich die Alliierten über die Errichtung eines Alliier­ten Kontrollrats, die Einteilung Deutschlands in Besatzungs­zonen und die gemeinsame Verwaltung Berlins geeinigt.

Das von der Europäischen Beratenden Kommission erarbeitete Protokoll über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin vom 12. September 1944 sowie das Londoner Abkommen über die Kontrolleinrichtungen in Deutsch­land vom 14. November 1944 wurden bei der Jalta-Konferenz in Kraft gesetzt. Frankreich, als vierter Alliierter, trat dann diesem Abkommen entsprechend dem Ergänzungsabkommen zum Londoner Protokoll am 26. Juli 1945 bei (2).

Schon seit Kriegsbeginn war der Gerichtsbetrieb stark eingeschränkt (3), aber noch bis Mitte/Ende April 1945 wurde versucht, den Gerichtsbetrieb notdürftig aufrecht zu erhalten. Trotz Bombardierung Berlins gingen noch viele Richter zu Fuß zum Gericht, da öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr fuhren (4).

Mit dem Sieg der Roten Armee hatte die bisherige Justizorganisation aufgehört zu bestehen. Ermittlungstätigkeit und Rechtsprechung in Berlin waren eingestellt. In der Erklärung der Regierungen der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs vom 5. Juni 1945 (5) über die Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden hieß es, daß die oberste Gewalt von jedem in seiner eigenen Besatzungszone und gemeinsam in allen Deutschland als ein Ganzes betreffenden Angelegenheiten auszuüben sei. Die Verwaltung des Gebiets von Groß-Berlin wird von einer interalliierten Behörde geleitet, die unter der Leitung des Kontrollrates arbeitet und aus vier Kommandanten besteht, von denen jeder abwechselnd als Hauptkommandant fungiert.

Der von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzte Magistrat hatte allerdings seine Tätigkeit in Berlin bereits am 19. Mai 1945 aufgenommen. Er bestand aus 14 Abteilungen mit Stadträten als Abteilungsleitern und einem Beirat für kirchliche Angelegenheiten. Oberbürgermeister wurde Dr. Arthur Werner. Er hatte vier Stellvertreter, von denen zwei zugleich Abteilungsleiter waren (6). Dem von den Sowjets eingesetzten Magistrat gehörten somit, neben sechs kommunistischen Funktionären, je zwei Sozialdemokraten und Parteilose sowie sieben dem bürgerlichen Lager zuzurechnenden Mitgliedern an (7).

Nach Einmarsch der westlichen Besatzungsmächte konstituierte sich am 11. Juli 1945 die Alliierte Kommandantur und am 30. Juli 1945 der Alliierte Kontrollrat. Der Alliierte Kontrollrat mit Sitz in Berlin, bestehend aus den vier Oberkommandierenden der Streitkräfte Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten entfaltete eine Gesetzgebungstätigkeit, die nicht nur den vordringlichen Zielen der Beseitigung des Nationalsozialismus und der Bestrafung von Kriegsverbrechern galt, sondern auch der Bekämpfung der Alltagskriminalität. Der Alliierte Kontrollrat konnte nur einstimmig entscheiden und entschied nur über Sachen, die Deutschland im Ganzen betrafen (8)

Die Verwaltung und damit auch die Justizverwaltung Groß-Berlins wurde einer interalliierten Behörde, der Alliierten Kommandantur, überlassen. Auch sie bestand aus Vertretern der vier Siegermächte und unterstand unmittelbar dem Kontrollrat.

Anders als in den übrigen Zonen Deutschlands galten die von den Oberbefehlshabern erlassenen Gesetze in den entsprechenden Sektoren Berlins erst, wenn dies ausdrücklich angeordnet wurde (9).

In den sowjetischen Besatzungszonen gab es außerdem die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD). Diese wurde durch eine vom Rat der Volkskommissare der UdSSR bestä­tigte Anordnung vom 6. Juni 1945 geschaffen. Ihr Sitz war Ber­lin. Sie war in den Ländern und Provinzen durch eine SMA auf Landesebene vertreten. Die Gesetzgebungsakte der SMAD ergingen als Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradmini­stration in Deutschland (10).
Die Zeit unmittelbar nach der Kapitulation
Der Neuanfang

Schon am 28. April 1945 konnte der Militärkommandant der Stadt Berlin, Generaloberst Bersarin (11), mit dem Befehl Nr. 1 bekanntgeben, daß die gesamte administrative und politische Macht in Berlin auf ihn übergegangen sei (12). Am 2. Mai 1945 wurde dann in Tempelhof die Kapitulationsurkunde durch den letzten deutschen Kampfkommandanten für Berlin, General Helmut Weidling, unterzeichnet. Durch diese Unterzeichnung waren Berlin und damit auch die Berliner Justiz nun vollständig in der Gewalt der Roten Armee. Verwaltung und Justiz Berlins waren also nicht erst mit der deutschen Kapitulation am 7./ 8. Mai 1945 auf die sowjetische Besatzungsmacht übergegangen, sondern schon an jenem 2. Mai 1945. Schon kurz nach der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch General Weidling machte sich die sowjetische Besatzungsmacht daran, nicht nur die Versorgung der Bevölkerung zu sichern, sondern auch einen neuen Verwaltungs- und Justizapparat (13) aufzubauen, so daß bereits am 8. Mai im Bezirksamt Charlottenburg eine Eheschließung registriert werden konnte, die nach den NS-Rassegesetzen nicht möglich gewesen war (14).

Bis zum Einzug der westlichen Alliierten im Juli 1945 war Berlin alleine durch das sowjetische Militär besetzt und wurde daher auch alleine von der sowjetischen Siegermacht verwaltet. General­oberst Bersarin ordnete schon Anfang Mai 1945 den Aufbau eines Gerichtswesens an. Dies geschah, um die zu erwartende Nachkriegskriminalität, die durch die sowjetische Militärgerichtsbarkeit alleine nicht zu be­wältigen gewesen wäre, einzudämmen. Der eigentliche Justizaufbau-Befehl von Stadtkommandanten Bersarin datiert vom 25. Mai 1945 (15).

Max Berger, der spätere Militäroberstaatsanwalt der DDR, schrieb dazu in seinen Erinnerungen (16):

In diesen ersten Stunden und Tagen nach der Zerschlagung des Faschismus kam bei einem großen Teil der Bevölkerung der verheerende Einfluß der Naziideologie darin zum Ausdruck, daß Menschen, die noch einige Stunden zuvor im Keller um ihr Leben gebangt und gelobt hatten, jahrelang trocken Brot essen zu wollen, wenn nur der schreckliche Krieg ein Ende nähme, die Befreiung dazu benutzten, leerstehende Geschäfte und Wohnungen zu plündern und sich zu bereichern.

Ein anderer Bevölkerungsteil, an der Spitze Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Antifaschisten, die aus dem KZ, aus Zuchthäusern und Gefängnissen zurückgekehrt waren, ging sofort, ohne nach Essen und Trinken und Entlohnung zu fragen, daran, mit Unterstützung durch die Kommandanten der Roten Armee wieder Ordnung in dieses Chaos zu bringen.

Ob Bergers möglicherweise weltanschaulich gefärbte Sicht der Dinge so als allgemeingültig angesehen werden kann, erscheint eher zweifelhaft. Dennoch entspricht es den Tatsachen, daß schon unmittelbar nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges viele Menschen tatkräftig damit begannen, das Land und auch dessen Justiz wieder aufzubauen. Es handelte sich dabei selbstverständlich oft auch gerade um diejenigen, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten ausgegrenzt oder gar verfolgt wurden und jetzt endlich wieder konstruktiv tätig sein konnten. Ein Zeitzeuge, der spätere Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Günther, beschrieb diese Anfangszeit in pathetischen Worten, wie folgt (17):

Nie wird der Chronist jenen Tag vergessen, als er, mit Freunden zusammen aus Potsdam, wo er die letzten Kriegswochen erlebt hatte, nach Berlin aufbrach, um sich, zwölf Jahre nach der nunmehr beendeten Machtübernahme, der Justiz wieder zur Verfügung zu stellen. Es war ein strahlend schöner Maienmorgen. Beim Verlassen des Waldes, unweit von Zehlendorf, herrschte tiefe friedliche Stille ringsum. Nur einige Soldatengräber sowie ein zerschossener, ausgebrannter Straßenbahnwagen am äußersten Rande der großen Stadt erinnerten daran, daß hier, wenige Tage zuvor, noch Kampfhandlungen stattgefunden hatten. Einer der Freunde sprach aus, was in der zeitlosen, undurchdringlichen Stille dieses an sich so heiteren Maientages jeder empfand: Es ist wie bei Erschaffung der Welt.´ Fast feierlich sagte er das; und ein anderer präzisierte den Eindruck, indem er hinzusetzte: Wie nach der Sintflut.´ Etwas davon lag, nur für einen Augenblick lang, in der Luft. Wir sind noch einmal davongekommen. Dieser Gedanke hatte etwas fast überwältigendes; doch das beglückende Gefühl, das er auslösen mochte, war nur von kurzer Dauer. Sehr bald stand, die Fata Morgana verdrängend, wieder hart die Wirklichkeit im Raum:

Am Anfang war alles wüst und leer. Dies war das Bild, das sich, wenige Stunden später, in den Bezirken der Innenstadt bot. Ein Bild des Chaos. Dennoch begann vor diesem Hintergrund, trotz aller Zerstörung und Verwüstung, das Neue; und auf eben diesen Trümmern und Scherben baute auch, unbegreiflich genug...
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