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Und keiner spricht darüber

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am08.03.2022
Sie ist ein Online-Star. Sie reist um die Welt, um ihre begeisterten Fans zu treffen. Das sogenannte »Portal« ist ihr Medium: In diesem virtuellen Raum fügt sich eine Lawine von Bildern, Details und Referenzen zu einer unendlichen Landschaft zusammen, die Post-Sense, Post-Ironie, Post-Alles ist. Aber was passiert, wenn eine Tragödie in das echte Leben einbricht und alles verändert?
»Und keiner spricht darüber« ist ein Liebesbrief an Sprache und Literatur und gleichzeitig eine moderne Meditation über Liebe und die Kraft menschlicher Nähe.

Patricia Lockwood wurde in Fort Wayne, Indiana, geboren und wuchs in den schlimmsten Städten des Mittleren Westens auf. Ihre Lyrik wurde von der amerikanischen Presse hoch gelobt, und ihre Artikel und Stories erscheinen unter anderem in der New York Times, im New Yorker und in der London Review of Books, wo sie als Redakteurin arbeitet. Patricia Lockwood twittert seit 2011 und lebt in Savannah, Georgia.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSie ist ein Online-Star. Sie reist um die Welt, um ihre begeisterten Fans zu treffen. Das sogenannte »Portal« ist ihr Medium: In diesem virtuellen Raum fügt sich eine Lawine von Bildern, Details und Referenzen zu einer unendlichen Landschaft zusammen, die Post-Sense, Post-Ironie, Post-Alles ist. Aber was passiert, wenn eine Tragödie in das echte Leben einbricht und alles verändert?
»Und keiner spricht darüber« ist ein Liebesbrief an Sprache und Literatur und gleichzeitig eine moderne Meditation über Liebe und die Kraft menschlicher Nähe.

Patricia Lockwood wurde in Fort Wayne, Indiana, geboren und wuchs in den schlimmsten Städten des Mittleren Westens auf. Ihre Lyrik wurde von der amerikanischen Presse hoch gelobt, und ihre Artikel und Stories erscheinen unter anderem in der New York Times, im New Yorker und in der London Review of Books, wo sie als Redakteurin arbeitet. Patricia Lockwood twittert seit 2011 und lebt in Savannah, Georgia.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641280857
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum08.03.2022
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1404 Kbytes
Artikel-Nr.5691446
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



SIE ÖFFNETE DAS PORTAL, und das Bewusstsein kam ihr auf halbem Weg entgegen. Drinnen war es tropisch heiß, und es schneite, und die erste Flocke der Lawine von allem landete auf ihrer Zunge und schmolz.

Nahaufnahmen von Nagelkunst, ein Kieselstein aus dem All, die Augen einer Vogelspinne, ein Sturm auf der Oberfläche Jupiters wie ein Dosenpfirsich, van Goghs Kartoffelesser, ein Chihuahua, der auf der Erektion eines Mannes hockt, ein vollgespraytes Garagentor mit den Worten STOPP! KEINE E-MAILS MEHR AN MEINE FRAU!

Warum kam einem das Portal so privat vor, obwohl man es doch nur betrat, wenn man überall sein musste?

...

Sie tastete den massiven grünen Marmor des Tages nach dem haarfeinen Riss ab, aus dem sie vielleicht hinausschlüpfen konnte. Es ließ sich nicht erzwingen. Draußen hing die Luft bleischwer; Wolken türmten sich wie Polsterfüllung, und im Süden des Himmels war ein wunder Punkt, wo sich ein Regenbogen ereignen wollte.

Dann drei Schluck Kaffee, und ein Fenster poppte auf.

...

Ich bin überzeugt, dass die Welt zu voll wird lol, textete ihr Bruder ihr, der sich selbst am Ende jedes Tages mit einem persönlichen Kometen namens Fireball abschoss.

...

Kapitalismus! Ihn zu hassen war wichtig, obwohl man ja so sein Geld verdiente. Langsam, langsam - war ihr aufgefallen - verwandelte sie sich einen philosophischen Standpunkt an, der selbst Jesus zu hoch gewesen wäre: dass sie den Kapitalismus zwar hassen musste, zugleich aber Kaufhaus-Sequenzen in Filmen liebte.

...

Politik! Die Krux daran war, dass sie jetzt einen Diktator hatten, was manchen (Weißen) zufolge noch nie, anderen (dem Rest) zufolge jedoch ausnahmslos, seit Anbeginn der Welt der Fall gewesen war. Ihre eigene Dummheit versetzte sie ebenso sehr in Panik wie der Klang ihrer Stimme, wenn sie sich nun mit Leuten unterhielt, die noch nicht mit dem Dummsein aufgehört hatten.

Das Problem bestand darin, dass der Diktator sehr witzig war, was vielleicht schon immer auf alle Diktatoren zugetroffen hatte. Absurdismus, dachte sie. Auf einmal begannen diese ganzen russischen Romane über Menschen, die sich in einem Landhaus in einen Teelöffel Brombeermarmelade verwandeln, einen Sinn zu ergeben.

...

Wie lautete noch gleich der herrliche Gedanke, die tiefgründige Beobachtung, die sie sich ausnahmsweise mal aufgeschrieben hatte? Im Gefühl der Vorfreude, die sie immer bei solchen Gelegenheiten verspürte, klappte sie ihr Notizbuch auf - vielleicht wäre er das endlich, der eine Satz, den man in ihren Grabstein meißeln würde. Er lautete:

spongebob kann mir ein loch in die du-weißt-schon-was mampfen

...

Wenn man stirbt, sinnierte sie, während sie sich gewissenhaft die Beine unter feinen Wassernadeln wusch - sie hatte vor Kurzem gelesen, dass manche Menschen diesen Körperteil beim Duschen ausließen -, sieht man ein kleines Tortendiagramm, das einem verrät, wie viel Lebenszeit dafür draufgegangen ist, sich unter der Dusche mit Menschen zu streiten, denen man nie begegnet ist. Ach, aber als wäre das irgendwie weniger verdienstvoll, als seine Zeit damit zu verbringen, die Stärke von Biberbauen sorgfältig auf Anzeichen für die Strenge des kommenden Winters hin zu beobachten!

...

Praktizierte sie da gerade Stimming? Sie fürchtete, ja.

Was immer da war:

Die Sonne.

Ihr Körper und ein kaum merkliches Zausen an ihren Haarwurzeln.

Beinahe etwas wie Musik in der Luft, formlos, ursprünglich und wirbelnd, wie erwartungsvoll nach Farben geordnetes Garn.

Die Titelmelodie einer Kindersendung, in der Schaufensterpuppen nachts im Kaufhaus zum Leben erwachen.

Anonyme Archivaufnahmen des History Channel von grauen Millionen auf dem Marsch, Fliegern mit Haimaul, Fallschirmbomben, Pilzwolken.

Eine Episode von True Life über ein Mädchen, das sich gern einölte, in einen Kessel mit gemischtem Gemüse stieg und so tat, als würden sich gleich Kannibalen über sie hermachen. Im sexuellen Sinne.

Der nicht ganz ausgeformte Nichtgedanke: Sitzt da ein Käfer auf mir???

Eine abgrundtiefe Scham wegen allem, allem.

...

Was war eigentlich aus der alten Tyrannei geworden, der Tyrannei des Ehemanns über die Frau? Sie vermutete, dass sie größtenteils umgelenkt worden war - in abwegige Vorstellungen von Nahrungsergänzungsmitteln, davon ob Schallplatten einen »wärmeren« Klang hatten oder nicht, und aus welchen Automaten der Kaffee wie in den Mund geschissen schmeckte. »Vor hundert Jahren hättest du Kohle abgebaut und vierzehn Kinder gehabt, allesamt hießen sie Jane«, staunte sie vor der Auslage von Keurig, wo sie beobachtete, wie ein Mann seiner Frau mit dem Finger drohte. »Vor zweihundert Jahren hättest du vielleicht in einem Göttinger Café gesessen, die Zeitung geschwenkt, die Fragen des Tages durchgekaut - und ich hätte am Fenster Bettwäsche ausgeschüttelt und könnte nicht lesen.« Aber fühlte sich Tyrannei nicht immer an wie der unaufhaltsame Lauf der Welt?

...

Es war ein Irrtum zu glauben, dass andere nicht so intensiv lebten wie man selbst. Und so intensiv lebte man ja jetzt auch nicht.

...

Wie viel mitgehört wurde, war wirklich erstaunlich und die Auswirkungen noch gar nicht absehbar. Die Tagebücher anderer umströmten sie. Sollte sie zum Beispiel den Unterhaltungen von Teenagern zuhören? Sollte sie begierig die Komplimente mitlesen, die Dorfsheriffs Pornostars schrieben, ohne zu merken, dass sie für jedermann sichtbar waren? Was war mit dem einen Thread von den Frauen, die entdeckten, dass sie alle genau die gleiche Narbe am Knie hatten? »Ich habe diese Narbe auch!«, meldete sich eine Weiße zu Wort, wurde jedoch rasch und effizient wieder zum Schweigen gebracht, weil es eben nicht die gleiche war; sie hatte ein Wirsein gestört, und die Welt, in der sie sich diese Narbe zugezogen hatte, war eine andere.

...

Morgen für Morgen lag sie selig begraben unter einer Flut von Einzelheiten, Fotos von Frühstücken in Patagonia, ein Mädchen, das ihre Foundation mit einem hartgekochten Ei auftrug, ein Shiba Inu in Japan, der zur Begrüßung seines Herrchens von einer Pfote auf die andere hüpfte, gespenstisch blasse Frauen, die Bilder von ihren blauen Flecken posteten - und während die Welt sich näher und näher heranschob, das Spinnennetz menschlicher Beziehungen so stark verfilzt, dass es fast einer schimmernden, kräftigen Seide glich, öffnete der Tag sich ihr immer noch nicht. Was bedeutete es, dass sie das sehen durfte?

Wenn sie dann anfing, auf ihrer Unterlippe zu kauen wie fast immer nach der Milch und der Zibetkatzen-Bitterkeit ihres morgendlichen Kaffees, ging sie ins Bad, wo sich der Efeu vorm Fenster den Pony herauswachsen ließ, und schminkte sich die Lippen sorgfältig in einem satten Auf-dem-Flügel-Geräkel-Rot - als müsste sie später am Abend noch in einen Undergroundclub, in dem sie nackt wie eine verlorengegangene Paillette aufkreuzen und aus der gesamten Sonnenuntergangswolke menschlichen Empfindens ein lyrisches Sechs-Wort-Gedicht destillieren würde.

...

Im Hinterkopf tat ihr etwas weh. Es war ihr neues Klassenbewusstsein.

...

Jeden Tag musste sich auf einen Schlag, wie der Widerschein auf einem Fischschwarm, die allgemeine Aufmerksamkeit einem neuen Hassobjekt zuwenden. Manchmal handelte es sich dabei um einen Kriegsverbrecher, manchmal aber auch um jemanden, der eine frevelhafte Guacamole-Zutat vorschlug. Es war weniger der Hass, der sie interessierte, als seine prompte Abkühlung; so als hätte das kollektive Blut eine Entscheidung getroffen. Als wären sie eine Spezies, die gelegentlich einen Giftschwall ausstößt oder eine Wolke schwarzer Tinte am Meeresgrund. Ich meine, hast du mal diesen Artikel über die Intelligenz von Kraken gelesen? Hast du gelesen, wie ganze Krakenarmeen in schleimig glänzendem Gehorsam aus dem Wasser an Land marschieren?

...

»Ahahaha!«, brüllte sie, die neue und witzigere Lache, während sie ein Video von Körpern sah, die aus einem Fahrgeschäft auf der Ohio State Fair geschleudert wurden. Ihre Flugbahnen zeichneten reine Parabeln der Seligkeit in die Luft, T-Shirts schienen förmlich an ihnen zu zerrinnen, verrückt, was das Fleisch doch alles kann, wenn es nachgibt, bis hin zu dem kapitulierenden Knacken, als ...

»Was ist so witzig«, fragte ihr Mann, der seitlich in seinem Sessel hing, sodass seine klingengleichen Schienbeine über einer Armlehne baumelten, aber da hatte sie schon bis zum Ende des Threads gescrollt und gesehen, dass ein Mensch gestorben war und das Leben fünf weiterer an einem seidenen Faden hing. »Mein Gott!«, rief sie, als der Groschen fiel. »Um Gottes willen, nein!«

...

Allabendlich um neun hängte sie ihren Verstand an den Nagel. Schwor ihm ab wie einem Glauben. Entsagte ihm wie einem Thron, alles im Namen der Liebe. Sie ging zur Gefriertruhe, ließ sich die frische Luft aufs Gesicht strömen, drückte Fingerabdrücke in den Frost an einem Flaschenhals und goss sich etwas in ein Glas, das sehr, sehr klar war. Und dann freute sie sich, obgleich sie sich jedes Mal sorgte - wie man sich in Bezug auf Wissen nie sorgt -, ob es reichen würde.

...

Im Portal rief ein Typ, der vor drei...

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Autor

Patricia Lockwood wurde in Fort Wayne, Indiana, geboren und wuchs in den schlimmsten Städten des Mittleren Westens auf. Ihre Lyrik wurde von der amerikanischen Presse hoch gelobt, und ihre Artikel und Stories erscheinen unter anderem in der New York Times, im New Yorker und in der London Review of Books, wo sie als Redakteurin arbeitet. Patricia Lockwood twittert seit 2011 und lebt in Savannah, Georgia.