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Gefährlicher Glaube

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
303 Seiten
Deutsch
Quadrigaerschienen am30.09.20221. Aufl. 2022
Gerade in einer Zeit voller Umbrüche und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope verraten, was die eigene Zukunft bringen wird. Der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur. Der Esoterikmarkt boomt! Ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, nur eine harmlose Spinnerei? Oder bringt der Esoterik-Trend gefährlichere Risiken mit sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag?



Pia Lambertyist Psychologin und leitet als Geschäftsführerin gemeinsam mit Josef Holnburger den gemeinnützigen Thinktank CeMAS. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextGerade in einer Zeit voller Umbrüche und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope verraten, was die eigene Zukunft bringen wird. Der spirituelle Heiler wird zur Leitfigur. Der Esoterikmarkt boomt! Ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, nur eine harmlose Spinnerei? Oder bringt der Esoterik-Trend gefährlichere Risiken mit sich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag?



Pia Lambertyist Psychologin und leitet als Geschäftsführerin gemeinsam mit Josef Holnburger den gemeinnützigen Thinktank CeMAS. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751714969
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum30.09.2022
Auflage1. Aufl. 2022
Seiten303 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1367 Kbytes
Artikel-Nr.5708766
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2

Von Mondwasser, kosmischen Antennen
und geistartigen Kräften:
Esoterik geht durch den Magen

Es ist ein geschäftiger Aprilmorgen im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, doch uns zieht es nach drinnen. Vor uns gleiten lautlos die elektrischen Schiebetüren eines Bio-Supermarkts zur Seite. In der Auslage der angeschlossenen Bäckerei werden Dinkelbrötchen, Vollkorn-Snacks für zwischendurch und köstlich aussehende Kuchenstücke präsentiert. Doch wir haben ein anderes Ziel im Sinn und steuern auf die rechte hintere Ecke des geräumigen Geschäfts zu. Vor dem großen Regal mit Wasserflaschen machen wir Halt. Eine holt den Notizblock aus der Tasche, die andere nimmt Flasche für Flasche die unterschiedlichen Produkte aus dem Regal und studiert sie eingehend. Wir sind etwas ganz Bestimmtem auf der Spur, nämlich der sogenannten Barcode-Verschwörung.

Vor einigen Jahren kam in der Esoterik-Szene die Idee auf, mit Tinte auf Papier gedruckte Barcodes hätten eine bedrohliche Eigenschaft. In der Esoterik-Zeitschrift Borderlands erschien 1995 ein Artikel mit dem Titel »Barcodes: Mark of the Beast« (zu deutsch: Barcodes, Zeichen des Teufels). Darin behaupteten die Autoren Peter A. Lindemann und Ajna Luminari, bereits durch ein Küchenfenster scheinendes Licht könne das »bioenergetische Gift« von Barcodes aktivieren, wodurch Lebensmittel durch toxische Strahlung kontaminiert würden. Als Lösung für dieses Problem präsentierten sie ein kreisrundes Symbol, das den Effekt angeblich neutralisiert. Tests hätten gezeigt, dass die toxische Wirkung des Strichcodes aufgehoben werde, wenn dieses Symbol entweder auf oder hinter einem Strichcode angebracht werde, heißt es im Artikel. Es wurde geraten, Aufkleber mit ebenjenem Symbol zu kaufen und damit alle Barcodes im Haushalt zu überkleben. Binnen fünf Minuten seien so alle Produkte von der angeblich gefährlichen Strahlung gereinigt.

In den darauffolgenden Jahren entstanden unzählige Varianten dieser durchaus hanebüchenen Geschichte. Es wurde gemunkelt, Barcodes würden Lebensmittel durch eine »Krebs-Frequenz« vergiften. Einige radikale Christen deuteten Barcodes zudem als unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Digitalisierung insgeheim die Ankunft des Antichristen vorbereite. Dabei beriefen sie sich auf abenteuerliche Auslegungen biblischer Texte.

Wie so oft in der Esoterik-Szene führte auch diese Geschichte zur Entstehung eines neuen Marktes für Produkte. Um sich vor den angeblich brandgefährlichen Barcode-Strahlen zu schützen, werden nicht nur Aufkleber, sondern auch sogenannte Entstörer eingesetzt. Hinter dieser eindrucksvollen Bezeichnung verbergen sich meist einfache (aber stark überteuerte) Stifte, mit denen Anwender der mutmaßlichen Verschwörung buchstäblich einen Strich durch die Rechnung machen sollen. Bei einem Esoterik-Anbieter stößt man außerdem auf eine »Energiekarte« für 55 Euro, die verspricht, »zuverlässig feinstoffliche Barcode-Informationsmuster« zu neutralisieren. Im Umfeld von Barcode-Gegnern wird manchmal auch auf den multifunktionalen »Hildegard Orgonakkumulator« gesetzt - eine Art Holzbrettchen zum stolzen Preis von 1.750 Schweizer Franken.

Natürlich ist die Annahme, dass Barcodes irgendwelche Strahlung aussenden, aus wissenschaftlicher Sicht kompletter Unfug. »Das ist schwarze Farbe auf Papier. Schwarze Farbe. Auf. Papier!«, kommentierte ein Online-Nutzer die absurde Barcode-Angst.41 Florian Aigner, Physiker und Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), bringt diese Kritik im Gespräch mit dem Standard etwas wissenschaftlicher auf den Punkt: »Als Antenne kann nur etwas wirken, das elektrischen Strom leitet. Wenn ich einen Barcode auf Papier oder eine Plastikverpackung drucke, dann leitet das nicht.«42

Die »Barcode-Verschwörung« hat längst den Einzelhandel erreicht. Einige Firmen - und zwar insbesondere solche, deren Produkte in Bio- und Naturkostläden vertrieben werden - haben auf die in der Esoterik-Szene kursierenden Falschmeldungen reagiert. Die österreichische Firma Sonnentor, die in Bio-Supermärkten vor allem Gewürze und Tees anbietet, begann 2007 damit, Barcodes mittels aufgedrucktem Strich zu »entstören«.43 Das Unternehmen stand »diesen Aussagen« nach eigenen Angaben »neutral gegenüber, reagierte aber auf die Kundenwünsche«, erklärte eine Pressesprecherin des Unternehmens Jahre später.44 »Wir haben den Etikettendruck für unsere Produkte im Haus, daher war es kein Mehraufwand für Sonnentor, einen Strich durch die Codes zu drucken. Wir wollten einfach den Menschen einen Gefallen tun, denen das wichtig war, mehr war nicht dahinter.«

Als ein Kunde der Brauerei Lammsbräu 2016 auf Facebook fragte, warum auf dem Barcode seines Biers eigentlich ein waagerechter Strich sei, antwortete das Unternehmen, einige Menschen hätten die Sorge, dass Strichcodes »Energien bündeln« und »damit die Qualität von Nahrungsmitteln beeinflussen« würden. Sowohl diese Annahme als auch die These, dass sich dieser Effekt durch einen Querstrich im Barcode neutralisieren lasse, seien »bisher wissenschaftlich nicht hinreichend belegt«. Das Unternehmen selbst stehe dieser Theorie deshalb - ähnliches Wording wie bei Sonnentor - »neutral gegenüber«, und man sei lediglich Kundenwünschen nachgekommen.45 46

Der Spott der Internetgemeinde ließ nicht lange auf sich warten. »Sie kennen das. Schon während des Einkaufs fühlt man sich unwohl«, heißt es im Werbetext des »Barcode-Killers«. »Überall auf den Produkten strahlen sie einem entgegen: die gefährlichen Barcodes. Einige namhafte Hersteller sind schon dazu übergegangen und entstören die Barcodes durch einen einfachen horizontalen Strich. [...] Befreien Sie sich von den Barcodes und verwenden sie den neuen BARCODE KILLER, um ihre Produkte nachhaltig zu entstören.«47 Dass es sich hierbei um ein Satire-Produkt handelt, wird spätestens klar, wenn es heißt, die Anzahl der mithilfe des »Top-Scharlatanerie-Produkts« gemachten Striche solle sich an »Zahlenmystik, wie sie dem ökumenischen Heiligenlexikon entnommen werden kann«, orientieren.

Die bissige Satire hat einen ernsten Hintergrund. Kritiker bemängeln, dass ein Entgegenkommen von Unternehmen die Barcode-Verschwörungserzählung für einige Menschen umso glaubwürdiger machen könnte, nach dem Motto: »Wenn sogar große Konzerne reagieren, muss da doch etwas dran sein!« Erst nachdem immer mehr Medien im deutschsprachigen Raum die kuriose Geschichte aufgriffen und Firmen zunehmend in Erklärungsnöte gerieten, drehte sich schließlich der Wind. 2013 wurden die »entstörten« Balken bei Sonnentor wieder abgeschafft. Aus der Presseabteilung des Unternehmens hieß es: »Viele waren der Meinung, dass unbegründete Ängste geschürt werden und ein Irrglaube gefördert wird. Das Thema hat polarisiert, daher haben wir uns intensiver damit auseinandergesetzt und wir haben den Schluss gezogen, dass die Entstörung nicht zu Sonnentor passt.«48 Die Saft-Hersteller Voelkel und Rabenhorst kehrten ebenfalls zum normalen Barcode-Verfahren zurück.49 Im Oktober 2018 verschwanden auch bei Lammsbräu die Linien auf den Bierflaschen.50

Und genau das führt uns an diesem Tag in den schicken Bio-Supermarkt im Prenzlauer Berg. Während eine Mitarbeiterin uns skeptische Blicke zuwirft, studieren wir konzentriert die Etiketten diverser Hersteller. In Anbetracht der Vorgeschichte sind wir davon ausgegangen, dass die Barcode-Verschwörung ihre Blütephase höchstwahrscheinlich schon hinter sich hat. Unsere Exkursion zum Bio-Supermarkt erweist sich allerdings zu unserer eigenen Überraschung als äußerst ergiebig. In der Wasserabteilung stoßen wir auf aufgedruckte Striche, Symbole und Unendlichkeitzeichen über den schwarzen Barcode-Balken der Flaschen von vier Herstellern. Insgesamt sind in der Abteilung ein Viertel der Etiketten der erhältlichen Wasserprodukte auffällig.

Zumindest einige Unternehmen »entstören« dabei anscheinend aus tiefster Überzeugung. »St. Leonhards gibt es nun bereits seit 20 Jahren, und nahezu ebenso lange haben wir die Barcodes mit einem Querstrich versehen«, erklärte die Marketing-Abteilung der Mineralwasser-Marke 2019 gegenüber dem Online-Magazin bento. »Mittlerweile drucken wir eine liegende Acht auf die Barcodes aller unserer Wassersorten.« Man verspricht sich davon, den Barcode »noch effektiver« zu entstören.51

Auf der Webseite des Unternehmens St. Leonhards werden die Thesen des Japaners Masaru Emoto, einem »Pionier der Wasserforschung«, zum Thema »Wassergedächtnis« vorgestellt. Emoto wurde für seine Mikroskopaufnahmen von Eiskristallen berühmt. Er behauptete, deren Form ließe sich durch Emotionen und Sprache direkt beeinflussen. Auf der Unternehmensseite von St.Leonhards heißt es: »Wörter wie Pech oder Dummkopf führten zu schwachen, unharmonischen oder zerrissenen Eiskristallen. Positive Wörter wie Liebe oder Glück hingegen ließen harmonische Kristalle von hoher Ästhetik entstehen.«52 Man rühmt sich außerdem damit, eine Nachfolgerin des inzwischen verstorbenen Emoto damit beauftragt zu haben, Produkte des Unternehmens »energetisch zu überprüfen«.53

Masaru Emoto wird in der Esoterik-Szene häufig als »Wasserforscher« bezeichnet, eigentlich hat er aber Politikwissenschaften studiert....
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Autor

Pia Lambertyist Psychologin und leitet als Geschäftsführerin gemeinsam mit Josef Holnburger den gemeinnützigen Thinktank CeMAS. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten in Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel).
Gefährlicher Glaube

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