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Ist es nicht schön hier

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am16.08.20211. Auflage
Ein großartiges Buch über das Leben in China heute - von einer spektakulären neuen Stimme

»Ein mutiges und tiefes Debüt.« Süddeutsche Zeitung

»Zeigt meisterhaft die Schönheit und Widersprüchlichkeit von China heute. Virtuose Gesellschaftskritik und Liebeserklärung zugleich.« Elle

Ein junger Mann wird erfolgreicher Gamer, während seine Schwester Lulu im Netz die kommunistische Regierung kritisiert, bis sie von der Polizei abgeholt wird. Eine junge Frau arbeitet als Hotline Girl bei einem Callcenter im Beschwerde-Management und hat unverhofft ihren früheren Lover in der Leitung. Und Xiaolei macht sich voller hochfliegender Träume auf den Weg in die Mega-City Shanghai, landet aber in einem Blumenladen. In ihrem Debüt erzählt Te-Ping Chen in zehn Storys vom Leben im Land der Superlative: China. Hellwach und mit genauem Blick für komische Momente zeichnet sie Figuren zwischen Tradition und Hypermoderne, die nach Halt und einem Zuhause suchen - rasant, irrwitzig, gut.



Te-Ping Chen, geboren 1985 in Berkeley, Kalifornien, ist Autorin und Journalistin und arbeitet für das Wall Street Journal. Zuvor war sie für die Zeitung als Korrespondentin in Beijing und Hong Kong und schrieb dort über Politik, Gesellschaft und Menschenrechte. Texte von ihr erschienen im New Yorker, Granta, Tin House und The Atlantic. 'Ist es nicht schön hier' ist ihr literarisches Debüt. Sie lebt in Philadelphia.
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Produkt

KlappentextEin großartiges Buch über das Leben in China heute - von einer spektakulären neuen Stimme

»Ein mutiges und tiefes Debüt.« Süddeutsche Zeitung

»Zeigt meisterhaft die Schönheit und Widersprüchlichkeit von China heute. Virtuose Gesellschaftskritik und Liebeserklärung zugleich.« Elle

Ein junger Mann wird erfolgreicher Gamer, während seine Schwester Lulu im Netz die kommunistische Regierung kritisiert, bis sie von der Polizei abgeholt wird. Eine junge Frau arbeitet als Hotline Girl bei einem Callcenter im Beschwerde-Management und hat unverhofft ihren früheren Lover in der Leitung. Und Xiaolei macht sich voller hochfliegender Träume auf den Weg in die Mega-City Shanghai, landet aber in einem Blumenladen. In ihrem Debüt erzählt Te-Ping Chen in zehn Storys vom Leben im Land der Superlative: China. Hellwach und mit genauem Blick für komische Momente zeichnet sie Figuren zwischen Tradition und Hypermoderne, die nach Halt und einem Zuhause suchen - rasant, irrwitzig, gut.



Te-Ping Chen, geboren 1985 in Berkeley, Kalifornien, ist Autorin und Journalistin und arbeitet für das Wall Street Journal. Zuvor war sie für die Zeitung als Korrespondentin in Beijing und Hong Kong und schrieb dort über Politik, Gesellschaft und Menschenrechte. Texte von ihr erschienen im New Yorker, Granta, Tin House und The Atlantic. 'Ist es nicht schön hier' ist ihr literarisches Debüt. Sie lebt in Philadelphia.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841228314
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum16.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5710859
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Lulu

Die Stunde unserer Geburt war mit Bedacht gewählt, ein Wintertagskaiserschnitt in Dr. Fengs Mittagspause. Mich zog der Arzt als Erstes heraus, und ich brüllte empört, wie ein Hotelgast, der vor der Abreisezeit geweckt und vor die Tür gesetzt wird. Sie kam als Nächstes und war so mucksmäuschenstill, dass man zuerst fürchtete, sie atme vielleicht gar nicht. Ein Klatsch auf den Po, ihr Geschrei vereinte sich mit meinem, und wir wurden nebeneinandergelegt, Junge und Mädchen, zwei Tiefseekreaturen, die urplötzlich gezwungen waren, ihre Lungen mit kalter, trockener Luft zu füllen.

Dr. Feng hatte den Kaiserschnitt bei meiner Mutter nur vorgenommen, weil mein Onkel mit ihm in eine Klasse gegangen war und ihn um den Gefallen gebeten hatte. Sonst wären wir im Krankenhaus am Ende der Straße auf die Welt gekommen, in dem eine Frau nach einem misslungenen Kaiserschnitt im Vorjahr verblutet war. Stundenlang hatten die Angehörigen draußen gewartet, bis der werdende Vater schließlich mit den Fäusten an die Tür des Operationssaals hämmerte. Als niemand reagierte, drückte die Familie die Tür auf und fand die leblose Frau auf dem Tisch, darunter Blutlachen. Sie war allein: Die Mitarbeiter hatten die medizinischen Urkunden mit ihren Namen von der Wand gerissen und waren geflohen, als die Operation schiefging.

Wir waren Glückskinder, von Anfang an, weil wir einander hatten. Als Zwillinge waren wir durch die Maschen der staatlichen Ein-Kind-Politik gerutscht, zwei zwinkernd im Mutterleib treibende Embryos. In den ersten Lebenswochen hatten wir in unseren Schädeln zwei zusammenpassende Dellen, weil wir in der Gebärmutter wie Puzzlestücke aneinandergedrückt worden waren. Wenn wir später im Leben getrennt waren, fasste ich mir beim Gedanken an meine Zwillingsschwester oft an den Hinterkopf, als würde ich nach einem Phantomglied tasten.

Wir waren eine ganz normale Familie. Meine Mutter arbeitete in einem Lagerhaus, mein Vater plante öffentliche sanitäre Einrichtungen. Als mein Vater siebenundvierzig Jahre alt war, beschloss sein Vorgesetzter - ein kreativer Mann, der von einem Leben als Künstler geträumt hatte -, eine WC-Anlage in Form eines europäischen Kirchturms zu bauen. Der Vorgesetzte hatte Europa bereist, war von der dortigen Sauberkeit der Toiletten und der Schönheit der Architektur beeindruckt gewesen und wollte beides miteinander vereinen. Mein Vater protestierte gegen das kostspielige Projekt, der Vorgesetzte hatte wie viele Künstler ein empfindliches Ego, und mein Vater wurde entlassen. Es war das einzige Mal, dass er in seinem Leben eine eigene Meinung vertreten hatte, und sie kostete ihn seinen Arbeitsplatz.

Die öffentliche WC-Anlage gibt es heute noch, die gewölbten Betonwände sind absurd und voller Pisseflecken, innen ist es nasskalt wie in einem Abflussrohr, ein aus Beton gegossener Vogel hängt von der Turmspitze, als sei er von feindlich gesinnten Vögeln im Innern an die Luft gesetzt worden. Das ganze Ding stinkt wie ein vernachlässigter Vogelkäfig. Man sollte nicht meinen, dass so etwas mal 200 000 Yuan gekostet hat. Das hat es wahrscheinlich auch nicht, meinte Lulu: der Großteil des Geldes sei sicher in den Taschen des Vorgesetzten gelandet. Kunst verdirbt das Leben, das Leben verdirbt die Kunst.

Lulu wurde schon als Zehnjährige von meinen Eltern vergöttert. Ihre Intelligenz zeigte sich bereits in jungen Jahren wie eine Fahne, die auf einem Berggipfel geschwenkt wird. Unsere Eltern hatten beide nicht viel Schulbildung genossen und waren überwältigt davon, eine solche Tochter zu haben.

Als wir klein waren, spielten wir begeistert miteinander. Lulu erfand ständig neue Spiele, in denen oft etwas vorkam, das sie gerade gelesen hatte: An einem Tag waren wir Stinkwanzen und suchten nach dem richtigen Blatt, auf dem wir unsere Eier ablegen konnten, an einem anderen waren wir Schafhirten, die vor den angreifenden mongolischen Horden fliehen mussten. Sie war mutiger als ich: Als die ältere Frau, die uns gegenüber wohnte, mal nach unten ging, um die Post zu holen, schlich meine Schwester sich durch die angelehnte Tür in ihre Wohnung.

»Da drin stapeln sich die Zeitungen höher als dein Kopf«, berichtete Lulu aufgeregt, als sie mit leuchtenden Augen zurückgerast kam. »Auf dem Sofa hat sie eine große Gobelinstickerei mit einer orangenen Pfingstrose und sechs Goldfischen drauf.«

Als Kind las sie ununterbrochen. Sogar beim Essen las sie sich den Text durch, der hinten auf der Saftpackung stand. Sie musste es hunderttausend Mal gelesen haben: E-962 und Xanthangummi und Rot E-129. Sie machte das nicht bewusst, sie schien sich einfach unwohl zu fühlen, wenn ihre Augen nicht auf Schriftzeichen gerichtet waren. Auch für Listen jeder Art hatte sie ein Faible. Mit elf kannte sie schon jeden Knochen im menschlichen Körper und trug sie mir abends mit grauslicher Stimme vor, während ich mir ein Kissen auf die Ohren drückte: Speiche, Schädel, Schlüsselbein.

Auf dem Gymnasium rebellierte ich gegen ihre Intelligenz, wurde Gamer und verbrachte viele Stunden damit, mit einer virtuellen Knarre in einer staubigen, menschenleeren Landschaft, in der mich jeder Auftauchende umbringen wollte, herumzuballern. Meist saßen wir zu sechst oder zu siebt bei meinem Freund Xingjian zu Hause im Zimmer, spielten immer abwechselnd und feuerten uns gegenseitig an. Wir waren eine unbesiegbare Armee, und wenn wir doch mal besiegbar waren, dann klickten wir einfach auf Replay, was genauso gut war.

Lulu hingegen war die Musterschülerin schlechthin. Sie lernte so viel, dass sie einen runden Rücken bekam und abends vor Erschöpfung ohne ein einziges Wort in Tiefschlaf fiel, wie eine Leistungssportlerin, die jeden Tag einen Marathon lief. Unsere Mutter gab ihr eine spezielle Pilzsuppe zu essen; ohne Stiel sahen die Pilze aus wie winzige Gehirne und sollten Lulu beim Lernen helfen, sagte Mutter. Ich bekam auch was von der Suppe ab, auch wenn mittlerweile klar war, dass bei mir jede Hoffnung auf akademische Ehren verloren war, egal, wie viele Pilze ich aß.

Als wir die Aufnahmeprüfung für die Universität ablegten, war niemand überrascht, als Lulu so gut abschnitt, dass sie einen Studienplatz in der Hauptstadt ergatterte, eine Tagesreise mit Bus, Zug und Flugzeug entfernt. Meine Mutter weinte, vor Glück, wie sie sagte. »Eine Akademikerin«, sagte sie immer wieder. »Eine Akademikerin.« Unser Vater und sie hatten nicht viel Zeit zum Lernen gehabt, bevor sie anfingen, in der Fabrik zu arbeiten, wie sie uns oft ins Gedächtnis rief.

»Wir sind unglaublich stolz auf dich«, sagte mein Vater zu Lulu. Sein Gesichtsausdruck hatte eine beunruhigende Intensität an sich. In einem unserer Schulbücher war ein Schwarzweißbild von einem Eunuchen abgebildet, der ein Festmahl auftrug und dabei das viele Essen auf dem Tisch des Kaisers hungrig anstarrte; im Gesicht unseres Vaters lag etwas von diesem Hunger.

Der Abend, an dem Lulu abflog, war bedeckt, es herrschte ein seltsam orange-ockerfarbenes Zwielicht. An diesem Tag hatte mein Vater ihr ein Geschenk überreicht: einen eigenen Laptop. Schwer und vielversprechend sah er aus, wie ein dickes Stück Kuchen in einer blauen Kunststoffhülle. Er hatte nichts mit dem alten Familienrechner gemein, den wir uns teilten, bei dem immer etwas hakte und muckte und die Tastatur von Fett, Krümeln und Haaren verklebt war. Der Laptop hatte Tasten, die auf die kleinste Berührung ansprachen. Neiderfüllt sah ich ihn an, sprachlos vor Verlangen. »Keine Angst - du bekommst auch einen, wenn du zum Studieren weggehst, genau den gleichen«, sagte mein Vater.

Am Flughafen wirkten meine Eltern verloren wie Flüchtlinge, die an einer Grenze ausgesetzt wurden. »Sei artig, Lulu«, sagte unser Vater. Ich stand mürrisch und unbeholfen daneben. Lulu drehte sich um und machte das Peace-Zeichen, als sie durch die Sicherheitskontrolle ging, und wir sahen ihrem rosa Hoodie und ihrer Basecap mit den Zebrastreifen hinterher, bis sie in der Menge verschwunden war.

Ich ging eine Woche später unter wesentlich weniger Wirbel weg zum Studieren. Meine Uni war nur eine Busstunde entfernt und kam mir wie ausgestorben vor, als sei sie vor langer Zeit voller Hoffnungen erbaut und dann vergessen worden. Im Winter war es in den Wohnheimzimmern eiskalt; die klamme Luft schien sich ewig in den Betonwänden zu halten und kroch uns von dort unter die Haut. Von außen sah es zwar wie ein Gebäude aus, aber es war ungemütlich wie in einem Zelt.

Das Beste an der Uni, zumindest meiner Meinung nach: Die Wohnheimzimmer hatten Internetanschluss. Wir wohnten zu sechst auf unserem Zimmer im ersten Stock; wir teilten uns drei klapprige Stockbetten mit Moskitonetzen darüber, die eine hauchdünne Privatsphäre schufen und uns im Sommer vor Mückenstichen schützten. Abends hockten wir an unseren Computern, und das blecherne Zirpen, das neue Chat-Nachrichten meldete, war von überall zu hören - aus den Bodendielen, der Decke und den Wänden, als wären Schwärme unsichtbarer, elektronischer Grillen ins Gebäude eingefallen.

Ich war noch nicht alt genug, um Lulu richtig zu vermissen. Ich konnte ja ihre Statusmeldungen im Chat lesen, wenn ich mich mit meinem neuen Laptop einloggte, makellos und glänzend und in einer blauen Kunststoffhülle behaust, genau wie der meiner Schwester. Muss lernen, schrieb sie. Auf dem Weg zum Seminar. Irgendwann wurde sie poetischer. Ich lasse mich den grünen Fluss hinabtreiben, schrieb sie einmal. Ich grabe mich in einen grenzenlosen Stein. Manchmal versuchte ich, die Zeilen nachzugucken,...
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Autor

Te-Ping Chen, geboren 1985 in Berkeley, Kalifornien, ist Autorin und Journalistin und arbeitet für das Wall Street Journal. Zuvor war sie für die Zeitung als Korrespondentin in Beijing und Hong Kong und schrieb dort über Politik, Gesellschaft und Menschenrechte. Texte von ihr erschienen im New Yorker, Granta, Tin House und The Atlantic. "Ist es nicht schön hier" ist ihr literarisches Debüt. Sie lebt in Philadelphia.