Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Totes Gleis

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
472 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am14.05.20211. Auflage
West-Berlin im Sommer 1988. Der Fernsehreporter Lucas Hermes steht beruflich und privat vor dem Aus. Um wieder ins Geschäft zu kommen, braucht er dringend einen Knüller. Als innerhalb von wenigen Tagen drei Menschen bei Bombenanschlägen uns Leben kommen, beginnt er auf eigenen Faust zu recherchieren. Für Hermes steht bald fest, dass die Spuren ins rechtsextreme Milieu führen. Doch als mehrere Zeugen sterben und seine Mitstreiterin, die attraktive Zeitungsreporterin Anna Rademacher, entführt wird, zeigt sich, dass Hermes sich mit übermächtigen Kreisen angelegt hat.

Ulrich Stoll, geboren 1959 in West-Berlin, arbeitet seit 1984 als freier Journalist für den WDR und seit 2001 als Investigativreporter des ZDF- Magazins Frontal 21. Er ist Autor zahlreicher TV-Dokumentationen zu aktuellen und zeitgeschichtlichen Themen für verschiedene öffentlich-rechtliche Sender und hat bereits mehrere Sachbücher veröffentlicht. »Totes Gleis« ist der erste Band der Lucas-Hermes-Reihe.
mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextWest-Berlin im Sommer 1988. Der Fernsehreporter Lucas Hermes steht beruflich und privat vor dem Aus. Um wieder ins Geschäft zu kommen, braucht er dringend einen Knüller. Als innerhalb von wenigen Tagen drei Menschen bei Bombenanschlägen uns Leben kommen, beginnt er auf eigenen Faust zu recherchieren. Für Hermes steht bald fest, dass die Spuren ins rechtsextreme Milieu führen. Doch als mehrere Zeugen sterben und seine Mitstreiterin, die attraktive Zeitungsreporterin Anna Rademacher, entführt wird, zeigt sich, dass Hermes sich mit übermächtigen Kreisen angelegt hat.

Ulrich Stoll, geboren 1959 in West-Berlin, arbeitet seit 1984 als freier Journalist für den WDR und seit 2001 als Investigativreporter des ZDF- Magazins Frontal 21. Er ist Autor zahlreicher TV-Dokumentationen zu aktuellen und zeitgeschichtlichen Themen für verschiedene öffentlich-rechtliche Sender und hat bereits mehrere Sachbücher veröffentlicht. »Totes Gleis« ist der erste Band der Lucas-Hermes-Reihe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783753455389
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum14.05.2021
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.1
Seiten472 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5746321
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Sonntag, 22. Mai 1988

Die U7 trieb eine Welle muffiger Luft vor sich her, als sie in den Bahnhof rollte und Dutzende mürrischer Berliner ausspuckte, deren Laune nicht einmal das Frühlingswetter heben konnte. Beim Einsteigen atmete Lucas Hermes durch den Mund ein, um den Geruch der ungewaschenen Leiber im engen Waggon nicht ertragen zu müssen. Seit seiner Kindheit ekelten ihn die Ausdünstungen seiner Mitmenschen. Gerüche, die ihn zwangen, sich wegzudrehen, wenn die Leute ihre schwitzigen Körper auf engstem Raum zusammendrängten oder ihm ihren schlechten Atem entgegenhauchten.

Sein Kontoauszug, den er eben aus dem Nadeldrucker gezogen hatte, war deprimierend. Neunzehn Mark dreiundfünfzig. Der Sender hatte noch immer nicht das Honorar für seinen Film über eine gefälschte Ausgabe des Neuen Deutschland, der Zeitung der DDR-Staatspartei, überwiesen. Zwei Monate war die Ausstrahlung in der Sendung »Im Visier« schon her. Ein ziemlich guter Bericht über die Hintergründe eines Pressecoups: Hamburger Journalisten hatten eine selbst hergestellte Version des SED-Blattes in die DDR geschmuggelt, in der suggeriert wurde, die DDR-Führung hätte endlich Gorbatschows Perestroika-Kurs übernommen und sei zu Reformen bereit. Lucas war bei Layoutarbeiten und Druck der gefälschten ND-Ausgabe mit der Kamera dabei gewesen und hatte verdeckt gedrehtes Material von der Verteilung des Blattes in Ost-Berlin in den Beitrag hineingeschnitten.

Wenn jetzt der Dauerauftrag für die Spedition abgebucht wurde, war er im Minus.

Vor gar nicht langer Zeit war Lucas Hermes noch mit dem Audi Coupé seiner Freundin Martina durch die Stadt gebraust. Standesgemäß. Der Starreporter fährt vor. Der gefürchtete Enthüller im gelben 2,3-Liter-Wagen mit den straffen Recaro-Sportsitzen, neben sich eine strahlend schöne Frau.

Wenn er damals vor dem Eingang zum Messegelände an der Masurenallee parkte, blickten selbst die fest angestellten Fernsehredakteure respektvoll zu ihm hinüber, die ihre Saabs und Porsches auch vor der Messe abstellten, wenn sie morgens zum Sender am Theodor-Heuss-Platz kamen.

Martina jammerte, sie habe sich beim Kauf verschätzt, der Kofferraum des Coupés sei zu klein für einen Kinderwagen. Lucas widersprach heftig, lobte ihre Entscheidung und pries die Beschleunigungswerte des Wagens.

»Eine kleine Spende«, murmelte der schmutzige Kerl, der jetzt dicht vor Lucas stand und ihm einen zerknitterten Pappbecher vor die Nase hielt. Lucas drehte den Kopf weg.

»Hältst dich wohl für was Besseres?« Der Ton des Bettlers wurde feindselig. Dem dürren Mann mit dem strähnig fettigen Haar baumelte ein alter Kassettenrekorder an einer Paketschnur um den Hals. Der Obdachlose verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

»Ja, dich meine ich.« Er spreizte den Zeigefinger vom Pappbecher ab und deutete auf Lucas. »Du fährst jetzt in dein schönes warmgepuptes Zuhause. Aber ich ...« - er deutete in einer pathetischen Geste auf sein zerlumptes T-Shirt und zeigte seine schlechten Zähne - »... muss jede Nacht zusehen, wo ich einen Platz zum Schlafen finde.« Lucas stellte sich taub, starrte durch die Fensterscheibe ins Dunkel des Tunnels.

»Ich bin Sänger«, fuhr der Bettler in einem hellen Singsang fort. »Ich bin schon überall aufgetreten und die Leute haben mir zugejubelt. Alle lieben die Lieder von Zarah Leander, wenn ich sie singe. Dann weinen die Menschen!« Er schüttelte mit bitterer Miene den Kopf. »Aber keiner will für die Musik zahlen.«

Ein Mädchen mit roter Punkfrisur steckte wortlos eine Mark in den Pappbecher und ging weiter. Lucas war erlöst. Der Sänger drückte die Starttaste des Kassettenrekorders auf seiner Brust, wandte sich von ihm ab und holte tief Luft, während die ersten Takte aus dem Lautsprecher krächzten:

»Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn und dann werden tausend Märchen wahr!«

Zwei Lieder und zwei Stationen später stürzte Lucas am Mierendorffplatz aus der Bahn und lief die Lise-Meitner-Straße hoch. Da lag sein künftiges Quartier: ein dreistöckiger Flachbau an der Ecke zur Olbersstraße, grau und düster vor dem noch blauen Abendhimmel. 22 Uhr 30, eigentlich zu früh zum Schlafen. Die Begegnung mit dem Obdachlosen in der Bahn hatte Lucas eigentümlich berührt. Ausgerechnet in dem Moment, in dem er seinen Weg in die Obdachlosigkeit antrat, erschien ihm eine zerlumpte Figur, die zu sagen schien: Sieh mich an, ich bin wie du!

In dem mit Waschkieselplatten verblendeten Lagerhaus waren mehrere Firmen untergebracht, auch die Spedition, bei der er seine Wohnungseinrichtung eingelagert hatte. Die Spedition nahm fünfzig Mark pro Monat für die Lagerung - die billigste Möglichkeit, ohne Wohnung in Berlin zu überleben. Ein Hotel kam angesichts seiner Finanzlage nicht infrage. Seine Altbauwohnung hatte er nach drei Monaten Mietrückstand fluchtartig verlassen müssen. Der Vermieter behielt die Kaution ein und ließ ihn schließlich ziehen, allerdings unter der Bedingung, dass alle Möbel am Freitag bis 18 Uhr abgeholt würden.

Die Spedition hatte Lucas vor rund einer Woche entdeckt. Er war stundenlang vor dem grauen Zweckbau auf und ab gelaufen, um das Kommen und Gehen zu beobachten. Er wollte herausfinden, wie lange das Büro im Erdgeschoss des linken, flacheren Gebäudeteils besetzt war und wie der Pförtner auf seinem Kontrollgang Türen und Fenster verschloss. Der Mann saß meist in dem verglasten Eckraum neben der Tordurchfahrt, packte pünktlich um fünf seine Stullendose ein und schloss das Büro ab. Dann ging er zu dem mannshohen Zaun, der das gesamte Gelände umschloss, und verriegelte das Einfahrtstor von außen. Wer am Wochenende rein wollte, musste über das Tor klettern, das aus senkrechten Metallstäben und vier Querstreben bestand. Heikel waren die spitzen Enden, die nur mit höchster Vorsicht zu überwinden waren, wollte man nicht mit der Kleidung hängen bleiben. Zu dem Büro gab es keinen Zugang. Es war verriegelt, auch das schmale Rolltor, das direkt zur Kellertreppe führte. Doch neben der Pförtnerloge war in Bodenhöhe ein kleines Kellerfenster, das immer offen stand, um das gelagerte Gut zu belüften.

Lucas blickte besorgt nach oben. Im rechten, ein Stockwerk höheren Gebäudeteil brannte auch abends in der obersten Etage Licht, vermutlich eine Hausmeisterwohnung. Das Eingangstor war aber außerhalb der Sichtweite der Wohnungsfenster, die alle auf die Olbersstraße gingen. Nur von einer Loggia aus, die zur Lise-Meitner-Straße lag, hätte der Bewohner den Eindringling entdecken können. Lucas überwand das Tor fast lautlos und kauerte sich kurz hinter den Zaun, um zu beobachten, ob ein Schatten auf dem Balkon auftauchte. Nichts.

Jetzt, kurz vor elf, lag nächtliche Stille über dem Gelände. Eine grau getigerte Katze huschte maunzend über den Hof, als Lucas sich dem Gebäude näherte. Er zog seine Jeansjacke aus und packte sie sorgfältig in seinen Rucksack. Dann ließ er sich vorsichtig durch das Fenster in den Keller gleiten und griff nach draußen, um den Rucksack hineinzuziehen, in dem seine wichtigsten Utensilien verstaut waren: eine Plastikflasche mit Mineralwasser, eine Taschenlampe, eine Zange, ein Vorhängeschloss, Zahnbürste und Zahnpasta.

Der Verschlag Nummer 14, in dem er seine Möbel abgestellt hatte, war mit einem leichten Vorhängeschloss gesichert. Mit der Zange ließ es sich erstaunlich leicht knacken. Sein mitgebrachtes Schloss sah fast genauso aus. Das Risiko, dass der Austausch des Schlosses auffallen würde, schätzte er als gering ein. Waren die Verschläge einmal vermietet, kümmerte der Spediteur sich nicht weiter darum und würde nicht merken, dass Lucas jederzeit Zugang zu dem Abstellraum hatte.

Er drehte den Lichtschalter. Sein in Plastikfolie eingeschlagenes Bett stand zuunterst, darauf vier schwere Bücherkisten. Er räumte sie beiseite, um an die Matratze heranzukommen. Die lag glücklicherweise auf dem Lattenrost. Die Kiste, in der er den Schlafsack verstaut hatte, fand er erst nach langem Suchen. Lucas war völlig durchgeschwitzt, als er ihn endlich auf das Bett legen konnte. Er zog sich bis auf Unterwäsche und Strümpfe aus, löschte das Licht und tastete sich zurück zum Bett. Dann zwängte er sich in den Schlafsack.

Bei jeder Bewegung knisterte die Plastikfolie auf der Matratze. Zähne putzen? Lieber morgen früh und jetzt nur ein Schluck Wasser. Lucas stellte den Reisewecker auf 7 Uhr 15 und starrte an die Decke. Der Keller roch leicht muffig.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hatte er zum letzten Mal in seiner Dreizimmer-Altbauwohnung am Maybachufer geschlafen, in einem frisch gemachten Bett. Den Freitag verbrachte er bis zum Nachmittag antriebslos im Bett und verstaute erst am frühen Abend die bereits gepackten Kisten und Möbel widerwillig in Margarethes altem Ford Transit, den sie als Wohnmobil für ihre Irland-Reisen nutzte. Margarethe van Oyen, eine Kollegin aus der Redaktion, mit der er...
mehr