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Der rot-blaue Boccalino

ab editionerschienen am01.07.2021
Emil schmiedet Auswanderungspläne in seiner Mid-Life-Crisis, bloß weg, am besten nach Australien. Mitten in den Vorbereitungen verliebt er sich in Christine aus Dresden, die ihm nur bis in die Südschweiz folgen will. Emil willigt ein und findet mit ihr ein Paradies im Tessin. Ein beschauliches Dorf, zu dem eine Sackgasse führt, die kaum ein Fremder passiert, und um den sich bisher niemand schert, bis der Streit entbrennt. Polarisierung, Abgrenzung und Ausländerhass auf kleinstem Raum, plötzlich zwei Parteien, die sich für ewig entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Rot und blau, wie seit Urzeiten. Christine und Emil werden geschasst, denunziert, versucht, mit infamen Methoden zu verdrängen. Der Konflikt eskaliert, Emil muss fliehen. Sie geben alles auf, ihre Liebe geht zugrunde, sie streben jeder für sich nach eigenem Frieden. Und hängen der Illusion einer Welt ohne Teilung nach, ohne Abgrenzung und ohne Vertreibung, in welcher der Mensch endlich aufhört, stets Freunde und Feinde zugleich zu suchen. Der rot-blaue Boccalino erzählt vom Antrieb des Menschen, zu polarisieren, von jenen, die ständig glauben, zu kurz gekommen zu sein. Entgegengebrachtes Vertrauen macht sie unverschämt. Dann offenbart sich ihr ordinärer, banaler Charakter des Bösen.

Edgar Bernardi, beobachtender Physiker, würde sich eher als emotionalen statt kopf-gesteuerten Naturwissenschaftler sehen. Denn er will nicht nur verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern auch die Menschen und sich selbst im Spiegelbild dazu. Nach seinem Debütroman Licht des Schattens, ein Coming-of-Age-Roman, verarbeitet er in diesem Buch die Illusion einer Welt ohne Polarisation und ohne aufgeputschte Angst vor Kontrollverlust.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR8,49

Produkt

KlappentextEmil schmiedet Auswanderungspläne in seiner Mid-Life-Crisis, bloß weg, am besten nach Australien. Mitten in den Vorbereitungen verliebt er sich in Christine aus Dresden, die ihm nur bis in die Südschweiz folgen will. Emil willigt ein und findet mit ihr ein Paradies im Tessin. Ein beschauliches Dorf, zu dem eine Sackgasse führt, die kaum ein Fremder passiert, und um den sich bisher niemand schert, bis der Streit entbrennt. Polarisierung, Abgrenzung und Ausländerhass auf kleinstem Raum, plötzlich zwei Parteien, die sich für ewig entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Rot und blau, wie seit Urzeiten. Christine und Emil werden geschasst, denunziert, versucht, mit infamen Methoden zu verdrängen. Der Konflikt eskaliert, Emil muss fliehen. Sie geben alles auf, ihre Liebe geht zugrunde, sie streben jeder für sich nach eigenem Frieden. Und hängen der Illusion einer Welt ohne Teilung nach, ohne Abgrenzung und ohne Vertreibung, in welcher der Mensch endlich aufhört, stets Freunde und Feinde zugleich zu suchen. Der rot-blaue Boccalino erzählt vom Antrieb des Menschen, zu polarisieren, von jenen, die ständig glauben, zu kurz gekommen zu sein. Entgegengebrachtes Vertrauen macht sie unverschämt. Dann offenbart sich ihr ordinärer, banaler Charakter des Bösen.

Edgar Bernardi, beobachtender Physiker, würde sich eher als emotionalen statt kopf-gesteuerten Naturwissenschaftler sehen. Denn er will nicht nur verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern auch die Menschen und sich selbst im Spiegelbild dazu. Nach seinem Debütroman Licht des Schattens, ein Coming-of-Age-Roman, verarbeitet er in diesem Buch die Illusion einer Welt ohne Polarisation und ohne aufgeputschte Angst vor Kontrollverlust.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783752147544
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.07.2021
SpracheDeutsch
Dateigrösse1284
Artikel-Nr.7450211
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


E


in gutes Jahr später war er wieder im beschaulichen Grubberfelden. Die Voraussage der alten Frau sollte sich als richtig erweisen, denn Emil lebte inzwischen von Ursula getrennt, sie standen kurz vor der Scheidung aus dieser rasant verlaufenen Ehe-Episode.

Mit Reiner war er am Samstagvormittag vor Weihnachten über den Stadtplatz gezogen, wie der Zirkusdirektor mit seinem Kamel, der die Nachmittagsveranstaltung in der gerade aufgebauten Manege am Stadtrand anpreist. Reiner hatte es gut gemeint, wollte ihn mit diesem Spaß aufmuntern und ihm für den Neuanfang die ledigen Frauen Grubberfeldens im Schmuckladen oder in der Kosmetik-Boutique vorstellen.

Zwischendurch kehrten sie in den Laden des befreundeten Fotografen Peter ein und baten ihn, Emils Hochzeitsbild doch wieder aus dem Schaufenster zu nehmen, ein vergrößertes Foto, auf dessen laszive Inszenierung des auf dem Boden liegenden lachenden Brautpaares der Fotograf besonders stolz war. Peter schaute ein wenig verdutzt, dachte sich seinen Teil, traute sich jedoch nicht, nach den näheren Umständen zu fragen und ersetzte stillschweigend das Hochzeitsfoto gegen ein hübsch anzusehendes Frauenporträt, das allerdings nicht annähernd so adäquat für seine kreative Arbeit in der Vitrine warb.

Reiner verabschiedete sich rasch: Vielen Dank, Peter, wir erklären es Dir später , während Emil nur zustimmend nickte und die Tür hinter beiden schloss. Dann kehrten sie in die Kneipe am Stadtplatz ein, dort, wo sie seinerzeit zu viert die Hochzeit gefeiert hatten, bestellten jeder einen Cappuccino und reservierten einen Tisch für den Abend.

Christine hatte zu diesem Zeitpunkt gerade Moritz vor die Tür ihrer gemeinsamen Wohnung gesetzt, nachdem sie endlich davon Wind bekommen hatte, was die Kleinstadt schon lange über ihn wusste. Und dass es ausgerechnet eine ihrer Mitarbeiterinnen war, mit der Moritz sie hinterging, war dann das Tüpfelchen auf dem i.

Die gemeinsam aufgebaute Kneipe führte sie ohnehin schon seit geraumer Zeit alleine, Moritz hatte ja zwischenzeitlich andere Interessen. Also änderte sich für Christine nach Moritz Rausschmiss erstmal rein gar nichts und allmählich wurde ihr bewusst, dass sie auf Moritz nur reingefallen war, weil er ihr ein Sprungbrett aus dem Osten in den Westen geboten hat.

 

Die Christmas-Party, eines der Highlights zum Jahresende in Christines Lokal, neigte sich dem Ende. Zeit für sie zum Durchatmen, für ein längeres Gespräch mit ihren Gästen. Besonders lange verweilte sie am Tisch von Silvia, Reiner - und Emil.

Moritz hingegen tauchte an diesem wohlbekannten Event zum Ende des Jahres in seiner Kneipe nicht auf. Folglich konnte Emil ungeniert mit Christine flirten, nicht zuletzt auch, weil Silvia ihm über ihre gerade erfolgte Trennung von Moritz erzählt hatte und ihm damit freie Bahn signalisierte. Niemals hätte sich Emil in seinem leichtsinnigen Liebestaumel auch nur annäherungsweise im Nüchternen ausgemalt, welche Hindernisse ihm diese freie Bahn zusammen mit Christine noch bescheren würden.

Ostern verbrachten die Frischverliebten in Emils Wochenend-Domizil in München, das zu ihrem abgelegenen Liebesnest wurde. Frühlingsgefühle verdrängten ihre unterschiedlichen Verletzungen aus den jeweils vergangenen Beziehungen. Im Sommer zogen sie bereits zusammen, in Emils kleine Wohnung nach Frankfurt-Sachsenhausen.

Sachsenhausen?, amüsierte sich Christine im Stillen. Nun wohne ich nicht mehr in Dresden, sondern in Sachsenhausen, dort, wo die Sachsen hausen.

Das Refugium in Niederbayern, in das sich Emil so gerne am Wochenende zurückzog, blieb von nun an verwaist. Die Einreisebewilligung für Australien und das Zeugnis des Englisch-Tests wurden abgeheftet, sein gegenüber Christine nicht mehr geheim gehaltenes Vorhaben, Frankfurt zu verlassen, rückte erst einmal in weite Ferne.

Christine hatte ihre Arbeit in Grubberfelden gegen eine Anstellung in einem der vielen Restaurants in der Main-Metropole eingetauscht, und bis auf die verlängerten Wochenenden in Lugano blieb alles Weitere für beide unverändert. Sie hätte gerne etwas mit Wein gemacht nach ihrem erfolgreich abgeschlossenen Studium in diesem Metier. Aber nur den Weinkellner spielen in dem Restaurant, in dem sie gerade arbeitete, das war es nicht, was sie sich vorgestellt hatte. Und Emil haderte noch immer mit seinem Australien-Traum.

 

Drei Jahre vergingen in diesem Hamsterrad. Die einzige Spannung lag darin, dass sich Emil in einem dauerhaften und diametralen Sog von Mut und Feigheit befand, der ihn in der Resultierenden dahin trieb, sich für seine dritte Ehe zu entscheiden.

Ziemlich unromantisch, urteilte Christine, aber überraschend, fand Emil, wie er ihr eines Sonntags im April beim Frühstück in der kleinen Küche einen Heiratsantrag machte. Nach zwei gescheiterten Ehen und dem dreijährigen Wechselbad der Gefühle wunderte sich Emil dann doch über seine Courage zu einem erneuten Ehe-Abenteuer.

Nur einmal hatte Christine es angesprochen, sie stelle sich vor, dass sich ihre Beziehung noch mehr vertiefen würde, wenn sie verheiratet wären. Ungefähr so waren ihre Worte und Emil zuckte damals nur kurz, hatte insgeheim befürchtet, dass es irgendwann auf diese Entscheidung zulaufen würde. Während er rational noch immer zögerte, traute er sich emotional jedoch einen deutlichen Schritt weiter nach vorne. Und so kam es, dass sie mit Orangensaft und ein paar roten Rosen ihr gegenseitiges Einverständnis besiegelten.

Die Details der Hochzeit trauten sie sich allerdings noch nicht anzusprechen. Denn West würde auf Ost treffen, und darüber hinaus: West würde Ost heiraten! Wie dieser Entschluss besonders bei Emils Verwandten ankäme, wussten beide nicht vorherzusagen.

Als hätte man sich bei der Getränkewahl abgesprochen, traf Emil dann zwei Wochen später - auch bei Orangensaft - seine künftigen Schwiegereltern in Dresden, die überrascht, aber erfreut in die Hochzeit eines Wessis mit ihrer ostdeutschen Tochter einwilligten. Nun hatten sich Emil und Christine auch offiziell auf eine gemeinsame Zukunft geeinigt, nur wie sie genau gestaltet sein sollte, das hatten sie sich nicht überlegt. Sie wollten es ein wenig auf sich zukommen lassen, ohne dabei völlig passiv und der fatalen Fügung ausgesetzt zu sein. Aber dass es eine solche Achterbahnfahrt werden sollte, die sie in der Form weder selbst verschuldet hatten noch vorhersehen konnten, ahnten die beiden auch zu Beginn ihres gemeinsamen Weges nicht.

 

Wenige Wochen später, mittlerweile war es Mai, erneut ein Sonntag, las Emil in der Frankfurter Allgemeine Zeitung:

Zu verkaufen: Pasta-Fabrik Raviol d´Oro in Campione d´Italia.

Emil versuchte sich zu erinnern: Campione d´Italia? Zufällig waren sie da mal vorbeigekommen, bei einem ihrer letzten Lugano-Besuche. Ist das nicht die steuerprivilegierte italienische Exklave östlich des Luganer Sees, die sich nur vom Schweizer Gebiet her erreichen lässt und wo man, obwohl es sich um ein italienisches Hoheitsgebiet handelt, in Schweizer Franken ohne Mehrwertsteuer zahlt und telefonisch nur mit der Schweizer Nationalvorwahl zu erreichen ist?

Und in dieser merkwürdigen Exklave eine Ravioli-Fabrik? Sollte das ein Schicksalswink sein für Christines und Emils Zukunftspläne? Oder ein unüberschaubares und nicht zu bewertendes Risiko, das sie in einen undurchsichtigen Strudel ziehen sollte wie ein Ungeheuer im Luganer See? Emil zögerte, doch dann meldete er sich mit einem kurzen Brief auf die Chiffre-Anzeige. Ein paar Tage darauf klingelte sein Telefon, eine Schweizer Vorwahl auf dem Display.

Pronto?, meldete sich Emil selbstbewusst, aber in nervöser Erwartung dessen, inwieweit er die nun folgende Konversation auf Italienisch wirklich überstehen würde. Im letzten Sommer hatten Christine und Emil zwar einen vierzehntägigen Intensivkurs am Institut Dante Alighieri in Siena absolviert; ob dies allerdings für eine geschäftliche Unterhaltung reichen würde, bezweifelte er. Gewohnt hatten sie damals in der Nähe von Siena, privat, bei einer älteren Dame, also Italienisch pur und permanente für zwei Wochen, wobei es bei der Gastgeberin vorrangig nur um Essen und Wohlbefinden statt Business-Italienisch ging ...

Signor Magnello sprach gebrochen Deutsch am anderen Ende der Leitung, was es Emil dann doch ein wenig leichter machte als befürchtet.

Kleine Fabrik, nur drei Leute, gute Pasta, mit viel Ei: GOLD, quindi il nome: Raviol d´Oro! , pries Herr Magnello in wenigen Worten die Vorteile an. Campione d´Italia! Wenig Steuer! Du Deutscher! Besser als in Deutschland! , schob er hinterher und knüpfte geschickt daran an, dass viele Deutsche noch immer in der gerade tobenden Finanzkrise ihr Geld in der Schweiz bunkerten.

Eine Woche später, es war eines der verlängerten Wochenenden im Juni, waren Christine und Emil wieder in Lugano.

Wie gewinnt man Italiener? - Beim Abendessen! , war der Rat einer guten Freundin aus Italien, mit deren Hilfe man sich auf das Treffen mit Signor Magnello vorbereitete. Der gewiefte Fabrikbesitzer tat sehr geheimnisvoll und wollte sein Goldstück nicht eher herzeigen, bevor er nicht seinen Kaufpreis anhand der dürftigen Zahlen - auf einem einzigen Zettel notiert - dargelegt hatte. Unverhandelbar!, versteht sich, und nun wollte er sich zuerst ein Bild von den Deutschen machen, um auszuloten, ob sie den Preis überhaupt bezahlen können. Sie trafen ihn also in einem der angesagten Restaurants an der...
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