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Menschenrechte, Religion, Gewalt. Drei Essays

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
168 Seiten
Deutsch
Reclam Verlagerschienen am08.10.2021Neuübersetzung
Charles Taylor zählt zu den großen Philosophen unserer Zeit. In eindringlichen Analysen hat er (wie in den hier exemplarisch für sein Werk stehenden drei Aufsätzen) die Ursprünge der modernen Identität rekonstruiert. Zugleich hat er damit eine innovative Neu-Erzählung des säkularen Zeitalters verfasst. Menschenrechte, Religion und Gewalt bilden die zentralen Angelpunkte seines Denkens. In immer neuen Anläufen zeigt er Wege auf, wie die vielfältigen Krisen der Gegenwart moralisch, politisch und gesellschaftlich besser gelöst werden könnten: Wer die Gegenwart verstehen will, kommt an den kritischen Analysen Taylors nicht vorbei. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Charles Taylor, geb. 1931, Politikwissenschaftler und Philosoph, emeritierter Professor für Philosophie an der McGill University in Montreal und Permanent Fellow am IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) in Wien. Michael Kühnlein, geb. 1967, ist Lehrbeauftragter für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR6,80
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR5,99

Produkt

KlappentextCharles Taylor zählt zu den großen Philosophen unserer Zeit. In eindringlichen Analysen hat er (wie in den hier exemplarisch für sein Werk stehenden drei Aufsätzen) die Ursprünge der modernen Identität rekonstruiert. Zugleich hat er damit eine innovative Neu-Erzählung des säkularen Zeitalters verfasst. Menschenrechte, Religion und Gewalt bilden die zentralen Angelpunkte seines Denkens. In immer neuen Anläufen zeigt er Wege auf, wie die vielfältigen Krisen der Gegenwart moralisch, politisch und gesellschaftlich besser gelöst werden könnten: Wer die Gegenwart verstehen will, kommt an den kritischen Analysen Taylors nicht vorbei. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Charles Taylor, geb. 1931, Politikwissenschaftler und Philosoph, emeritierter Professor für Philosophie an der McGill University in Montreal und Permanent Fellow am IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) in Wien. Michael Kühnlein, geb. 1967, ist Lehrbeauftragter für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Details
Weitere ISBN/GTIN9783159619354
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum08.10.2021
AuflageNeuübersetzung
Seiten168 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse914 Kbytes
Artikel-Nr.8126930
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Bedingungen für einen freiwilligen Konsens über Menschenrechte

Was ist Religion? Über die Vieldeutigkeit eines umkämpften Begriffs

Anmerkungen über die Ursachen von Gewalt. Von damals bis heute

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise

Nachwort
Die Drift des Verstehens. Charles Taylors Werk - Über Menschenrechte, Religion und Gewalt in einer globalisierten Welt
Zum Autor
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Leseprobe

Alternative Grundlagen

Angenommen, wir nehmen uns die von anderen Gesellschaften ausgehenden kommunitaristischen Argumente gegen den westlichen Rechtsdiskurs auf einer anderen Ebene vor und stellen nicht so sehr die Rechtsformen infrage, sondern erklären uns vielmehr nicht mit der zugrundeliegenden philosophischen Rechtfertigung einverstanden. Mein Beispiel stammt erneut aus Thailand. In dieser Gesellschaft hat es im vergangenen Jahrhundert eine Reihe von Versuchen gegeben, reformierte Deutungen der vorherrschenden Religion, des Theravada Buddhismus, zu formulieren. Einige davon haben in dieser Form des Buddhismus eine Basis für Demokratie und Menschenrechte gesucht. Dies wirft ein etwas allgemeineres Problem auf als dasjenige, auf das ich mich konzentriere, weil es eine alternative Grundlage sowohl für die Demokratie als auch für die Menschenrechte betrifft. Die Aufgabe, einen Konsens über Menschenrechte in der heutigen Welt zu erzielen, wird jedoch wahrscheinlich vereinfacht, wenn wir nicht [27]versuchen, uns über Regierungsformen zu einigen - zumindest nicht als Erstes -, sondern uns allein auf Menschenrechtsstandards konzentrieren. Meiner Meinung nach veranschaulichen die hier beschriebenen Entwicklungen im thailändischen Denken, was mit dem Erreichen eines »übergreifenden Konsenses« auf dieser engeren Basis verbunden ist.

Eine Hauptreformströmung besteht aus Bewegungen, die (aus ihrer Sicht) versuchen, den Buddhismus zu reinigen, ihn von der Konzentration auf Rituale, auf den Erwerb von Verdiensten und sogar dem weltlichen Erfolg durch Segnungen und Frömmigkeitsakte abzukehren und sich mehr auf das (aus ihrer Sicht) ursprüngliche Ziel der Erleuchtung zu konzentrieren. Der kürzlich verstorbene Phutthathat (Buddhadasa) stellte in dieser Hinsicht eine zentrale Figur dar. Diese Strömung versucht zum (aus ihrer Sicht) ursprünglichen Kern der buddhistischen Lehre über die Unvermeidlichkeit des Leidens, die Illusion des Selbst und das Ziel von Nibbana zurückzukehren. Sie attackiert den Aberglauben der Menschen, die nach mächtigen Amuletten, Segnungen von Mönchen und dergleichen streben; sie möchte die Suche nach Erleuchtung von dem Streben nach Verdienst durch Rituale trennen. Zudem sieht sie die gesamte metaphysische Struktur des Glaubens sehr kritisch, die sich im Mainstream-Buddhismus über Himmel, Hölle, Götter und Dämonen gebildet hat und eine große Rolle im Volksglauben spielt. Der sri-lankische Anthropologe Gananath Obeyesekere hat sie als einen »protestantischen Buddhismus« beschrieben.16

[28]Diese Strömung scheint neue Überlegungen zum Buddhismus als Grundlage für eine demokratische Gesellschaft sowie für Menschenrechte hervorzubringen. Sulak Sivaraksa und Saneh Chamarik zählen zu jenen führenden Figuren, in deren Schriften sich dies widerspiegelt. Sie und andere in ihrem Umfeld setzen sich sehr aktiv für soziale Gerechtigkeit ein. Sie befassen sich mit alternativen Entwicklungsmodellen, die ökologisch verträglicher wären, sich um eine Begrenzung des Wachstums bemühen, dem Konsumismus kritisch gegenüberstehen und soziale Gleichheit fördern würden. Hinter all diesen Zielen steht das Bekenntnis zum Buddhismus. Wie Sulak erklärt, hat die buddhistische Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit eine nichtausbeuterische Haltung gegenüber der Natur zur Folge und verlangt auch die Begrenzung der Gier, eine der Quellen für Wut und Konflikte.17

Es lässt sich hier ein Programm des universellen Wohlergehens erkennen, doch was genau drängt zur Demokratie und dazu, sicherzustellen, dass Menschen ihr eigenes Leben in die Hand nehmen, anstatt einfach Nutznießer einer wohlwollenden Herrschaft zu sein? Zwei Dinge scheinen bei dieser Auffassung zusammenzukommen, die ein starkes Bekenntnis zur Demokratie stützen. Das erste ist die für den Buddhismus zentrale Idee, dass letztlich jedes Individuum Verantwortung für die eigene Erleuchtung übernehmen muss. Das zweite ist eine neue Anwendung der Lehre der Gewaltlosigkeit, die nun so verstanden wird, dass sie Respekt vor der Autonomie jeder Person und in der Tat [29]eine minimale Verwendung von Zwang in menschlichen Angelegenheiten verlangt. Dies führt uns weit ab von einer Politik der aufgezwungenen Ordnung, die von einer weisen Minderheit verfügt wird, die lange Zeit der traditionelle Hintergrund für verschiedene Formen und Phasen nichtdemokratischer Herrschaft war. Zudem ist offensichtlich, dass diese Basis für die Demokratie auch eine starke Unterstützung für eine Menschenrechtsgesetzgebung bietet, und so wird dies in der Tat auch von Denkern wie Sulak verstanden.18

Diese Perspektive stimmt mit der Politik der Verteidigung der Menschenrechte und der demokratischen Entwicklung überein, unterscheidet sich jedoch deutlich von der westlichen Standardrechtfertigung für diese. Sie basiert nicht auf einer Lehre der Würde des Menschen als etwas, das Achtung gebietet. Das Gebot der Achtung ergibt sich vielmehr als Konsequenz aus dem Grundwert der Gewaltlosigkeit, die auch zu vielen anderen Konsequenzen führt (darunter die Anforderung einer ökologisch verantwortlichen Entwicklung und die Notwendigkeit, dem Wachstum Grenzen zu setzen). Menschenrechte heben sich nicht, wie häufig im Westen, als ein eigenständiger Anspruch ab, der von unseren übrigen moralischen Verpflichtungen unabhängig und manchmal sogar mit ihnen unvereinbar ist.

Diese buddhistische Konzeption bietet eine alternative Möglichkeit, das Programm der Menschenrechte mit jenem der demokratischen Entwicklung zu verbinden. Während die beiden im westlichen Rahmen Hand in Hand gehen, weil sie als gemeinsame Voraussetzungen für [30]Menschenwürde und tatsächlich als zwei Facetten der Freiheit verstanden werden, wird bei thailändischen Buddhisten mit dieser Reformüberzeugung eine etwas andere Art des Zusammenhangs sichtbar. Ihr Bekenntnis zu einer an den Menschen ausgerichteten und ökologisch sensiblen Entwicklung macht sie zu starken Verbündeten jener Gemeinschaften von Dorfbewohnern, die Widerstand gegen Eingriffe von Staat und Großunternehmen leisten und für die Verteidigung ihrer Böden und Wälder kämpfen. Das bedeutet, dass sie sich mit Nachdruck für das engagieren, was als mitentscheidend für das Programm einer Demokratisierung in Thailand erkannt wurde: die Dezentralisierung und insbesondere die Wiedergewinnung der Kontrolle über natürliche Ressourcen durch lokale Gemeinschaften.19 Sie bilden zugleich einen wesentlichen Teil der NGO-Gemeinschaft, die sich diesem Programm verschrieben hat. Ein recht anderer Weg hat so zu einem ähnlichen Ziel geführt.

Weitere Unterschiede stechen hervor. Da sie in einem bestimmten Gerechtigkeitsprogramm wurzelt, wurde die westliche Politik, Rechte einzuführen, oft von Wut, Empörung und dem Imperativ, historische Verbrechen zu bestrafen, begleitet. Die beschriebene buddhistische Perspektive führt dagegen zu einer Warnung vor einer Politik der Wut, die ihrerseits eine potentielle Quelle für neue Formen der Gewalt darstellt. Mein Ziel besteht an dieser Stelle nicht darin, zwischen diesen beiden Ansätzen abzuwägen, sondern auf diese Schwierigkeiten hinzuweisen, nämlich als [31]Quelle für einen potentiell fruchtbaren Austausch innerhalb eines sich (hoffentlich) ergebenden Weltkonsenses über die praktische Etablierung der Menschenrechte und Demokratie.

Tatsächlich kann man hier eine Übereinstimmung hinsichtlich bestimmter Handlungsnormen sehen, unabhängig davon, wie sie rechtlich verankert sein mögen. Ein westlicher Beobachter ist jedoch mit der gesamten philosophischen Grundlage und ihren entsprechenden Bezugspunkten wie auch der rhetorischen Quelle für ihre Anziehungskraft nicht vertraut. Im Westen sind sowohl die Demokratie als auch die Menschenrechte durch den steten Fortschritt einer Art von Humanismus gefördert worden, der betonte, dass Menschen sich vom übrigen Kosmos abheben würden und einen höheren Status und eine höhere Würde besäßen als alles andere. Die Wurzeln für diese Ansicht finden sich im Christentum und in bestimmten Richtungen des antiken Denkens, doch der Abstand wird noch einmal erheblich durch das verstärkt, was Weber als die Entzauberung der Welt beschreibt: die Ablehnung einer Sicht des Kosmos als einer sinnvollen Ordnung. Von einem mechanistischen Universum hebt sich der menschliche Akteur noch stärker ab. Für Pascal ist der Mensch nur ein Schilfrohr, doch von unvergleichlich größerer Bedeutung als das, was ihn zu zermalmen droht, weil er ein denkendes Schilfrohr ist. Kant greift in seiner Erörterung des Erhabenen in der dritten Kritik20 einige ähnliche Überlegungen auf und bestimmt auch die Würde des Menschen im Sinne [32]des unvergleichlich größeren Werts der Menschen, verglichen mit den übrigen Inhalten des Universums.21

Die auf diesem Humanismus gründende Menschenrechtslehre betont die unvergleichliche Bedeutung des menschlichen Handelnden. Sie stellt ihn oder sie bei allem in den Mittelpunkt und erklärt seine oder ihre Freiheit und Autonomie zu einem wesentlichen Wert, der maximiert werden sollte. Folglich scheint die Verteidigung der Menschenrechte im westlichen Denken unauflöslich mit dieser Überhöhung der menschlichen Handlungsmacht verknüpft zu sein. Eben weil Menschen gerechtfertigtermaßen all diese Achtung und Aufmerksamkeit verlangen, zumindest im Vergleich zu allem anderen, müssen ihre Rechte verteidigt...
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Autor

Charles Taylor, geb. 1931, Politikwissenschaftler und Philosoph, emeritierter Professor für Philosophie an der McGill University in Montreal und Permanent Fellow am IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) in Wien. Michael Kühnlein, geb. 1967, ist Lehrbeauftragter für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main